Beitrag: Islamisten in Deutschland Wer stoppt die Radikalisierung?

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1 Manuskript Beitrag: Islamisten in Deutschland Wer stoppt die Radikalisierung? Sendung vom 1. Dezember 2015 von Güner Balci, Eleni Klotsikas und Birte Meier Anmoderation: Morgen geht es im Bundestag um Krieg. Wie auch immer die Verteidigungsministerin die unklare Gefechtslage dann nennt, in die sie bis zu deutsche Soldaten schicken will, sie kann nach den Erfahrungen in Afghanistan wohl kaum behaupten, dass Deutschland dadurch sicherer wird. Im Gegenteil. Wenn die Bundesregierung jetzt mobil macht gegen den IS, mobilisiert sie zugleich neue Dschihadisten. Denn der Nachschub für den Terror kommt auch aus Deutschland. Was aber tut die Politik gegen die Radikalisierung hierzulande? Und: Was tun die muslimischen Verbände? Güner Balci, Eleni Klotsikas und Birte Meier fragen nach der Verantwortung für Tun und Unterlassen. Text: Berlin, vergangenen Donnerstag. Wieder eine Razzia gegen mutmaßliche Islamisten. Am nächsten Tag kommen sie frei. Ermittlungen laufen. Die Republik bleibt in Alarmbereitschaft. In Berlin leben viele Migranten, überwiegend Muslime. Fast alle leben friedlich hier, verdammen den Terror. Doch viele Jugendliche haben keine Perspektive. Islamisten haben Zulauf auch von Deutschen, die konvertieren. Eigentlich soll sich Sozialarbeiterin Sevil Yildirim um die alltäglichen Belange muslimischer Mädchen kümmern. Doch immer häufiger muss sie um Jugendliche kämpfen, die von Salafisten angeworben werden. O-Ton Sevil Yildirim, Verein MaDonna Mädchenkult.Ur, Berlin: Sie werden eingeladen in die Moschee, sagen zum Tee oder Kaffee. Und dann ist natürlich auch schon so ein Vertrauensverhältnis zwischen den Leuten und, na ja, es wird immer mehr und immer mehr. Ihr müsst darauf achten, dass ihr, auch wenn eure Familie nicht mit euch mitgeht, dass ihr

2 euren eigenen Weg finden müsst und dass ihr vieles tun könnt. Ihr seid wer und ihr könnt vieles für den Heiligen Krieg oder sonst irgendwas könnt ihr tun. Das ist so eine Art Gehirnwäsche, würde ich sagen. Fast 700 Salafisten leben laut Verfassungsschutz in Berlin. Die Hälfte von ihnen gilt als gewaltbereit. Auch Sevil Yildirim erhielt schon einen Drohbrief aus der Szene. Immer häufiger muss die Sozialarbeiterin zusehen, wie sie Jugendliche an die Salafisten verliert. O-Ton Sevil Yildirim, Verein MaDonna Mädchenkult.Ur, Berlin: Ja, natürlich sind wir machtlos dagegen. Was können wir viel ausrichten. Also, man muss sagen, wir sind ein kleiner Verein und versuchen, gute Arbeit zu machen, und wir können da nicht viel ausrichten. Eine Podiumsdiskussion in der Neuköllner Darassalam-Moschee. Im Bezirk von Bürgermeisterin Franziska Giffey gibt es allein 21 Moscheen. O-Ton Franziska Giffey, SPD, Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln: Ich kann nicht sagen, dass wir jetzt wirklich in jeder Gemeinde ganz genau wissen, was da vor sich geht. Wir haben nicht den Einblick in jeden einzelnen Koranunterricht, der am Wochenende stattfindet. Die Al-Nur-Moschee beispielsweise sollte geschlossen werden, meint sie. Die Moschee wird vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt als Zentrum gewaltbereiter Salafisten. Imame rufen zu Hass auf und predigen Menschenverachtendes. O-Ton Hassprediger: Eine Frau darf ihrem Mann den Beischlaf nicht verweigern. Seit Anfang des Jahres läuft ein Verbotsverfahren zu langsam, sagt die Bürgermeisterin. O-Ton Franziska Giffey, SPD, Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln: Es gibt aber bis heute keinen formalen Bescheid, ob nun diesem Prüfverbotsantrag entsprochen wird oder nicht. Und das ist eigentlich ein Signal, was genau in die falsche Richtung geht, dass eben die Gesellschaft, der Staat nicht konsequent aufsteht und sagt, das tolerieren wir nicht, wenn solche Predigten geduldet werden. Nachfrage beim Berliner Innensenat. Er will keine Auskunft

3 geben, verweist auf das laufende Verfahren. Einfach verbieten ist also offenbar nicht so einfach. Schon seit Jahren radikalisieren sich in Deutschland Jugendliche. Das bestätigen uns Menschen, die täglich mit Jugendlichen zu tun haben wie eine Lehrerin, die nicht erkannt werden möchte, aus Angst vor Anfeindungen. O-Ton Lehrerin: Ich bekomme immer wieder mit, dass einzelne Schüler, auch junge Mädchen, so eine Art Werbung für den IS machen. Die finden es toll, was der IS macht. Wenn andere dagegen halten und von den Grausamkeiten berichten, dann sagen diese Schüler, das sei bloß westliche Propaganda. Und dass man den Medienberichten über den IS nicht glauben solle. Was hat der Staat bisher dagegen unternommen? Buchautor Ahmad Mansour berät Eltern, die versuchen, ihre Kinder aus den Fängen Radikaler zu befreien. Dass die Bundesregierung jetzt mehr Geld für Extremismus-Bekämpfung ausgeben will, werde nicht reichen. O-Ton Ahmad Mansour, Psychologe, Beratungsstelle Hayat- Wer glaubt, dass man halt Generation Allah oder Jugendliche, die sich langsam von dieser Gesellschaft entfernen mit 50, 60 Millionen Euro pro Jahr retten kann, hat immer noch nicht verstanden, was das für Dimensionen - diese Problematik - hat. Wir brauchen professionelle Unterstützer, Projekte überall, Schulreform, Sozialarbeiterreform, Aufklärungskampagnen bei den Eltern, wir brauchen, um auch die Eltern zu erreichen, eine innerislamische Debatte - für diese Jugendliche. Wir müssen sie gewinnen, bevor es die Salafisten tun. Doch die Regierung setzte dabei bisher auf die konservativen muslimischen Dachverbände und das, obwohl diese noch nicht einmal jeden vierten hier lebenden Moslem vertreten. Zehn Jahre Islamkonferenz und Kampf gegen Radikalisierung - das sieht so aus: 2006 trifft sich ein Gesprächskreis Sicherheit und Islamismus gründet man eine Clearingstelle schließlich ein Schlusspapier. Darin heißt es: Leider war es, Zitat: nicht möglich, einen Konsens zum Begriff Islamismus zu finden.

4 2010 dann eine Arbeitsgruppe Prävention. Es folgen ein Zwischenbericht, ein Präventionsgipfel, eine Initiative Sicherheitspartnerschaft, Eckpunkte sowie ein Förderkreis. Mittlerweile soll es tatsächlich auch einige Präventionsprojekte geben. O-Ton Frontal 21: Zehn Jahre sind eine sehr, sehr lange Zeit? O-Ton Aiman Mazyek, Vorsitzender Zentralrat der Muslime in Da sprechen sie mir aus dem Herzen. Ich würde es viel schneller haben wollen, ja, aber offenkundig klappt es nicht so. Diese Frage müssen wir uns stellen und ich stelle sie mir vor dem Hintergrund - auch eine Selbstkritik, dass wir zum Beispiel den Neo-Salafismus auch Jahre unterschätzt haben, dass wir gesagt haben, okay, das ist so ein Fegefeuer und dann geht das wieder weg. Jetzt stellen wir fest, nein, das ist nicht so, sondern es haben sich auch weitere Radikalisierungsmomente dadurch ergeben. Ein Eingeständnis des Scheiterns. Auch in Moscheen der muslimischen Dachverbände treffen sich Dschihadisten so in Wolfsburg. Verhaftung eines Syrien-Rückkehrers Anfang des Jahres. Ein Prozess läuft. Seit Jahren offenbaren einzelne Moscheen der von der Politik hofierten Dachverbände ein erschreckendes Verständnis vom Islam. Zum Beispiel erklärt das Islamische Zentrum München auf seiner aktuellen Internetseite, Zitat: Zum Dschihad gehört auch, dass man zu den Waffen greift... Diese Moschee taucht im Bericht des Verfassungsschutzes auf - wie auch andere, die im Zentralverband organisiert sind. Dessen Vorsitzender, Politiker-Liebling Mazyek, wiegelt die Kritik des Verfassungsschutzes ab. O-Ton Aiman Mazyek, Vorsitzender Zentralrat der Muslime in Wir werben dafür, dass das heute überarbeitet werden soll, aber wir warnen auch gleichzeitig, dass man jetzt nicht wegen acht, neun Gemeinden, die unter Beobachtung sind, einen ganzen Verband kriminalisiert oder diskreditiert. Dabei gäbe es Theologen, die einen friedlichen, verfassungsgemäßen Islam lehren könnten - etwa Absolventen der Universität Tübingen. Als Imame in Moscheen aber können

5 sie bislang nicht arbeiten. Bisher hatten sie nie die Gelegenheit, notwendige Praxiserfahrung zu sammeln. Dafür fehlte den jungen Theologen bislang die Unterstützung der Dachverbände. Der türkische Dachverband DITIB beispielsweise schickt seine Imam-Anwärter lieber in die Türkei. O-Ton Zekeriya Altug, Vorsitzender DITIB-Landesverband Hamburg: Seit acht Jahren bilden wir zum Beispiel Abiturienten, die in Deutschland aufgewachsen sind, in der Türkei zu Imamen aus, weil wir sehen, dass in Deutschland die qualitative Basis der Theologie noch in den Kinderschuhen steckt. In den Kinderschuhen? Liberale Islamwissenschaftler halten das für eine Blockade der Dachverbände. O-Ton Abdel-Hakim Ourghi, Islamwissenschaftler, PH Freiburg: Es geht denen in erster Linie um politische Interessen in der Vertretungsfrage und zweitens, es geht denen um Deutungshoheit. Wenn wir über den Islam in einem europäischen Kontext hier sprechen, dann brauchen wir einen Islam, der liberal, der humanistisch, der modern ist solche, sagen wir mal, Eigenschaften, diesen modernen Islam vertreten die Dachverbände überhaupt nicht. Und die Bundesregierung? Sie hält die zehnjährige Zusammenarbeit in der Islamkonferenz offenbar für einen Erfolg setzt weiter auf die Dachverbände. Jetzt sollen sie sich auch noch um die Integration von hunderttausenden Flüchtlingen kümmern. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.