Samuel Huntington Die asiatischen Kulturkreise

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1 Samuel Huntington Die asiatischen Kulturkreise Boris Girnat 30. Juni 2005 Übersicht 1 Die asiatische Herausforderung Anteile am Weltexport Verdopplung des Pro-Kopf-BIPs im 20. Jahrhundert Weltpolitische Auswirkungen (im Zeichen des Realismus) Kultureller Hintergrund Wirtschaftspolitische Unterschiede Allgemeine kulturelle Unterschiede Kultur als entscheidender Faktor? Wirtschaftsgeschichte: Unterwegs zur Modernisierung Europäische Kolonisation: Vertragshäfen Die Meiji-Restauration und japanische Kolonisation Auslandschinesen Eine neoliberale Gegenposition Regionale Spannungen in China Die Unübersichtlichkeit Asiens Empfehlungen Huntingtons für die USA 4 Literatur 5

2 1 Die asiatische Herausforderung Huntington sieht Asiens weltpolitische Bedeutung vor allem in seinem wirtschaftlichen Aufschwung (8 10% Wirtschaftswachstum über mehrere Jahrzehnte hinweg) und in einer gesellschaftlichen Modernisierung, die nur bedingt einem westlich-europäischen Vorbild folgt. 1.1 Anteile am Weltexport Region Westeuropa 40, 17 47, 79 Südostasien 10, 99 23, 15 Amerika 28, 18 19, Verdopplung des Pro-Kopf-BIPs im 20. Jahrhundert Staat Verdopplung alle... Jahre USA 50 Japan 33 Indonesien 17 Südkorea 11 VR China Weltpolitische Auswirkungen (im Zeichen des Realismus) 1. Die Zunahme wirtschaftlicher Macht in Asien verringert direkt die Macht der USA und Europas. 2. Wirtschaftlicher Wohlstand ermöglicht militärische Rüstung und verringert damit indirekt auch die militärische Macht der USA und Europas. 3. Modernisierung ermöglicht selbstständige, von den USA nicht kontrollierbare Aufrüstung. 2 Kultureller Hintergrund 2.1 Wirtschaftspolitische Unterschiede Japan, Südkorea Staatliche Lenkung Merkantilismus Korporatismus USA private Planung Freihandel flexibler Arbeitsmarkt 1

3 China, Taiwan, Singapur Staatliche Lenkung persönliche Vertrauensverhältnisse familiärer Bindungen USA private Planung zivilrechtlich-vertragliche Bindung anonyme Vertragsschlüsse 2.2 Allgemeine kulturelle Unterschiede Asien Kollektivisimus Autorität und Hierarchien Vorrang des Staates Konsensprinzipien Gesellschaftliche Ziele Zukunftsinvestition Bildungs- und Arbeitseifer Disziplin und Gehorsam Westen Individualismus Selbstbestimmung und dezentrale Ordnungen Demokratische Partizipation Konkurrenzdenken Unveräußerliche Menschenrechte Konsumorientierung Faulheit und intellektueller Verfall Ständige Opposition und Respektlosigkeit 2.3 Kultur als entscheidender Faktor? 1. Treffen die kulturellen Unterschiede zu, so wie sie in der Tabelle aufgestellt werden? 2. Selbst wenn sie zutreffen sollten: Sind kulturelle Unterschiede der oder auch nur ein wesentlicher Faktor für den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Asiens? 3 Wirtschaftsgeschichte: Unterwegs zur Modernisierung Genereller Ausgangspunkt: Japan und China waren mit ihren Einflussgebieten (Korea, Taiwan, Vietnam, Mandschurei) über Jahrtausende Hochkulturen. 3.1 Europäische Kolonisation: Vertragshäfen Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert errichten europäische Staaten Vertragshäfen in Asien, z. B. Hongkong (England), Macao (Portugal), Tsingtao (Deutschland). Diese Häfen ziehen (vor allem südchinesische) Handelseliten an und machen sie mit aktuellen europäischen Techniken und Organisationsformen vertraut. 2

4 3.2 Die Meiji-Restauration und japanische Kolonisation 1867 löst sich das Tokugawa-Shogunat auf und wird vom Kaiser durch eine technokratische Administration ersetzt, die das Land mit bürokratisch-autoritären Maßnahmen modernisiert. Erklärtes Ziel ist die Ebenbürtigkeit mit westlichen Staaten. Durch Zwang und lukrative Handelslizenzen gelingt es der Regierung, die Finanzmittel und wirtschaftlichen Erfahrungen des Samurai-Standes für die Modernisierung zu gewinnen. Die Rohstoffarmut Japans bringt die Regierung dazu, von ungefähr 1900 bis 1945 eine aggressive Kolonisierung und Japanisierung der neu erworbenen Kolonien zu betreiben (Korea, Mandschurei, Nordchina, Ostsibirien, Taiwan, Vietnam). Als Nebenprodukt der Kolonisierung werden Bildung, rechtliche Regelungen, Infrastrukur, Behörden, Organisationsformen und industrielle Produktionsstätten exportiert (die in Taiwan und und teilweise auch in Südkorea nach 1945 weiter verwendet werden können in den anderen Kolonien werden sie mehrheitlich durch Kriege zerstört oder in die UdSSR deportiert). 3.3 Auslandschinesen Über die Vertragshäfen emigrieren im 19. Jahrhundert Chinesen aus Südchina (vor allem aus dem Perlflussdelta) nach Südostasien. Die Auslandschinesen werden nach der Entkolonialisierung häufig diskriminiert, vom Landbesitz ausgeschlossen und auf wenige Geschäftszweige vor allem im Handels- und Finanzbereich festgelegt. Staat % der Bevölkerung % des BIPs Philippinen 1 35 Indonesien 3 70 Thailand Malaysia Insgesamt gibt es um 1998 ungefähr 50 Millionen Auslandschinesen in Südostasien. Sie verfügen schätzungsweise über 250 Milliarden US-$ an Vermögen und erwirtschaften jährlich ein Sozialprodukt von 200 Milliarden US-$. Insbesondere kontrollieren sie etwa zwei Drittel des Einzelhandels in Südostasien. Seit Mitte der 1980er Jahre investieren sie stark in der VR China. 3.4 Eine neoliberale Gegenposition Engagieren sich Auslandschinesen aus kulturellen Gründen in der VR China? Nach der neoliberalen Wirtschaftstheorien dürften eher Kosten- und Gewinnaussichten Ausschlag gebend sein: 3

5 1. Die Lohnkosten sind weitaus geringer als in den weit entwickelten asiatischen Staaten (beispielsweise ungefähr 50 US-$ in China gegenüber US-$ in Taiwan als Monatslohn für einen Facharbeiter). 2. Private Eigentumsrechte scheinen langfristig gesichert zu sein. 3. Die Alphabetisierung ist relativ hoch. 4. Sozial- und Umweltstandards sind niedrig. 3.5 Regionale Spannungen in China 1. Aufstrebende kapitalistische Provinzen im Südosten. 2. Kommunistisches Herrschaftszentrum im Nordosten mit unrentabler Schwerindustrie. 3. Unterentwickeltes, bäuerliches Hinterland (800 Millionen Einwohner) mit Minderheitenkonflikten (Tibeter, Mongolen, Araber, Turkmenen). 3.6 Die Unübersichtlichkeit Asiens Kultur: 6 Kulturkreise (sinisch, japanisch, russisch-orthodox, buddhistisch, islamisch, hinduistisch). Wirtschaft: Führende Industriestaaten (Japan, Taiwan, Südkorea), die sich ähnlich wie die meisten westlichen Länder zu Dienstleistungsstaaten wandeln; boomende Schwellenländer auf dem Weg zu Industriestaaten (China, Indonesien, Thailand, Malaysia); wenig entwickelte Staaten (Vietnam, Philippinen) und unterentwickelte Staaten (Nordkorea). Politik: Spannbreite von parlamentarischer Demokratie (Japan, Taiwan, Südkorea) über autoritären Technokratien (Singapur) und kommunistischen Systemen im Wandel (China) bis hin zu stalinistischen Regimen (Nordkorea). 4 Empfehlungen Huntingtons für die USA Huntington verfolgt ein realistisch-hegemoniales Denken: Die USA muss alles tun, um einen Machtverlust in Asien zu vermeiden insbesondere gegenüber den beiden Großmächten Japan und China. Er hält China für den ernstzunehmenderen Herausforderer und verweist dabei auf seine Größe, sein rasantes Wirtschaftswachstum und sein traditionelles Selbstverständnis als Reich der Mitte, d. h. als Zentrum der Welt, das einen natürlichen Anspruch auf hegemoniale Vorherrschaft hat. Huntington hält folgende Wege der US-amerlikanischen Außenpolitik für möglich und in absteigender Rangfolge für empfehlenswert: 1. Direkte Konfrontation mit China. 4

6 2. Versuch, Japan gegen China auszuspielen, vielleicht auch Vietnam und Indonesien. 3. Rückzug und Anerkennung Chinas als regionale Hegemonialmacht. Literatur HUNTINGTON, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, Wien: Europaverlag, MENZEL, Ulrich: Globalisierung versus Fragmentierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, Zwischen Idealismus und Realismus Die Lehre von den Internationalen Beziehungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag,