Vorlesung Lehren des Strafrecht AT und Delikte gegen die Person
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- Sebastian Bauer
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1 Vorlesung Lehren des Strafrecht AT und Delikte gegen die Person Professor Dr. Felix Herzog Sommersemester 2015 Gefährliche und schwere Körperverletzungsdelikte
2 Prüfungsaufbau 224 Gefährliche Körperverletzung (1) Die gefährliche Körperverletzung kann unter Verweis auf das Vorliegen des Grundtatbestandes aus 223 I StGB geprüft werden (2. Var.). Es ist aber auch möglich, das Vorliegen des Grunddelikts inzident im Rahmen der Prüfung der gefährlichen Körperverletzung zu klären (1. Var.). 1. Prüfungsalternative I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand 224 II. Rechtswidrigkeit III. Schuld
3 Prüfungsaufbau 224 Gefährliche Körperverletzung (2) 2. Prüfungsalternative I. Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld I StGB II. Tatbestand 1. Verweis auf oben geprüftes und vorliegendes Grunddelikt ( 223 I StGB) 2. Objektiver Tatbestand 224 I Nrn. 1-5 StGB 3. Subjektiver Tatbestand (Vorsatz hinsichtlich der obj. Tatbestandsmerkmale des 224 I StGB) III. Rechtswidrigkeit IV. Schuld
4 Definitionen 224 I (1) Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen ( 224 I Nr. 1) Gift = jeder (organische oder anorganische) Stoff, der unter bestimmten Bedingungen geeignet ist, durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit zu beeinträchtigen. anderer gesundheitsschädlicher Stoff = Stoff, der geeignet ist, die Gesundheit durch mechanische, thermische oder biologische Wirkung zu beeinträchtigen. Beibringen = Herstellung einer Verbindung des Stoffes mit dem Körper des Opfers, so dass dieser seine Wirkung entfaltet.
5 Nochmals: AIDS-Fall A weiß, dass er mit HIV infiziert ist. Er ist von seinem Arzt über die Ansteckungsgefahr v.a. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr aufgeklärt worden. Dennoch verkehrt er mit M, dem die Infizierung des A nicht bekannt ist, ohne Schutz. M wird dadurch infiziert. Krankheitssymptome hat er jedoch noch nicht. (vgl. BGHSt 36, 1; 36, 262)
6 Definitionen 224 I (2) Begehung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs ( 224 I Nr. 2) Waffe = Werkzeug, das gerade dazu bestimmt ist, als Angriffs- oder Verteidigungsmittel Verletzungen beizubringen. gefährliches Werkzeug = jeder Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Gegenstand muss nach h.m. beweglich sein; Körperteile sind keine Gegenstände!
7 Denkzettel - Fall P ist auf R wütend, und will ihm einen Denkzettel verpassen. Da P geübter Sportschütze ist, kommt er auf die Idee, aus einem Versteck heraus mit einer Pistole auf R s Auto zu schießen, während R vorbei fährt. R soll sich ordentlich erschrecken. Dass R aufgrund dieses Schrecks einen Unfall verursachen und dadurch zu Schaden kommen könnte, nimmt er dabei in Kauf. Letztlich bleibt R aber unverletzt. (vgl. BGH NStZ 2006, 573)
8 Kopf gegen die Wand-Fall A will sein Opfer O gefügig machen. Er ergreift O und stößt ihren Kopf kräftig an die Wand. (vgl. BGHSt 22, 235)
9 Gemeine Tritte-Fall A schlägt O zu Boden und versetzt ihm dann mehrere Tritte gegen den Kopf und ins Gesicht. (vgl. BGHSt 24, 339; 30, 375)
10 Definitionen 224 I (3) Hinterlistiger Überfall ( 224 I Nr. 3) Überfall = jeder plötzliche, unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen. Hinterlist = planmäßiges, auf Verdeckung der wahren Absichten gerichtetes Vorgehen, um so dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf die Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Gemeinschaftliche Tatbegehung ( 224 I Nr. 4) Erforderlich ist die Anwesenheit von mindestens 2 Personen am Tatort, die nicht notwendigerweise eigenhändig an der Körperverletzung mitwirken.
11 Hinterhältiger Angler-Fall L sieht den Angler A am Rheinufer sitzend und geht zu ihm. Er tauscht sich mit ihm eine ganze Weile aus, interessiert sich für die Angelausrüstung und bietet ihm einen Schluck Wein aus der mitgebrachten Flasche an. Danach geht er wieder zu seinem Platz. Als A eine halbe Stunde später vorbei geht, verabschiedet er sich mit einer grüßenden Handbewegung. Doch L schleicht ihm nach und überfällt ihn hinterrücks. (vgl. BGH NStZ 2004, 93)
12 Definitionen 224 I (4) Tatbegehung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung ( 224 I Nr. 5) Nach überwiegender Auffassung reicht es aus, wenn das Vorgehen des Täters nach den konkreten Umständen abstrakt geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden.
13 Grober Ehemann-Fall A gerät mit seiner Frau in einen heftigen Streit. In seiner Wut geht er F an die Gurgel: Er würgt sie und drückt mit seinen Fingern stark auf eine Stelle im Bereich der Halsschlagader, bis sie keine Luft mehr bekommt. Als F sich heftig wehrt, ergreift A eine Plastiktüte und versucht, diese der F über den Kopf zu stülpen. Wegen der heftigen Gegenwehr gelingt es ihm jedoch nur, die Tüte bis etwa in Höhe der Nase herunterzuziehen. (vgl. BGH NStZ 2002, 594)
14 Schwere Körperverletzung StGB 226 I ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt 226 II ist eine Qualifikation für solche Fälle, in denen der Täter die schwere Tatfolge absichtlich oder wissentlich herbeiführt. Der Versuch ist strafbar, vgl. 12 I StGB; zwei Konstellationen sind zu unterscheiden: schwere Tatfolge tritt ein, Grunddelikt ( 223) ist im Versuch stecken geblieben schwere Tatfolge bleibt aus, war aber vom Tatentschluss (bedingter Vorsatz: Versuch nach 226 I; Absicht oder Wissentlichkeit: Versuch nach 226 II) umfasst Absatz 3 regelt minder schwere Fälle der schweren Körperverletzung
15 Prüfungsaufbau zu 226 I StGB I. Tatbestand 1. Vorliegen des Grunddelikts (vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Körperverletzung, 223 I) 2. Eintritt einer schweren Tatfolge i.s.v. 226 I Nr. 1-3, Kausalität und tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang 3. Fahrlässigkeit hinsichtlich des Eintritts der schweren Tatfolgen II. Rechtswidrigkeit III. Schuld
16 Organe als wichtiges Glied des Körpers? (1) Nach der Rspr. des RG ist ein wichtiges Glied des Körpers i.s. des 226 StGB nicht jeder Teil des Körpers, sondern nur ein solcher, der eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus hat. Der Senat schließt sich dieser Rspr. an und er ist der Auffassung, daß es sich bei einer Niere um einen derartigen Körperteil mit in sich abgeschlossener Existenz und besonderer Funktion im Gesamtorganismus handelt. aus: OLG Neustadt NJW 1961, 2076, 2077
17 Organe als wichtiges Glied des Körpers? (2) Wortlaut und Sinn des 224 StGB sprechen dagegen. Wollte man ein inneres Organ als»glied«bezeichnen, so würde das die Grenze einer zulässigen Wortauslegung überschreiten. Außerdem werden in 224 StGB Organe des Körpers insofern gesondert berücksichtigt, als die Beseitigung ihrer Funktionen den Tatbestand verwirklicht, so bei Geschlechtsorganen und bestimmten Sinneswerkzeugen (Augen, Ohren). Hier zählt die Vorschrift abschließend auf, welche Einbuße der körperlichen Fähigkeiten vorausgesetzt wird; soweit sonst die Funktionsuntüchtigkeit innerer Organe in Betracht kommt, genügen allein Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit den Erfordernissen des Tatbestandes. aus: BGHSt 28, 100, 102
18 Definitionen zu 226 I StGB (1) Verlust des Gehörs = Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen (Nr. 1) Verlust des Sprechvermögens = Verlust der Fähigkeit zu artikuliertem Reden (Nr. 1) Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit = Verlust männlicher Zeugungsunfähigkeit oder weiblicher Empfängnisfähigkeit (Nr. 1) Glied = jeder Körperteil, der mit einem anderen durch ein Gelenk verbunden ist (Nr. 2) wichtig = Verlust führt für einen normalen Menschen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner körperlichen Aktivitäten (Nr. 2)
19 Definitionen zu 226 I StGB (2) verloren = Glied ist verloren, wenn es völlig vom Körper abgetrennt ist (Nr. 2) dauernd nicht mehr zu gebrauchen = Glied des Körpers büßt auf unabsehbare Zeit seine Funktion ein (Nr. 2) dauernde Entstellung = äußere Gesamterscheinung des Verletzten ist in ihrer ästhetischen Wirkung derart verändert, dass er auf unabsehbare Zeit psychische Nachteile im Verkehr mit seiner Umwelt zu erleiden hat (Nr. 3) Siechtum = chronischer Krankheitszustand ohne absehbare Heilungschance, der den Gesamtsorganismus des Verletzten ergreift und ein Schwinden der Körperkräfte zur Folge hat (Nr. 4)
20 Definitionen zu 226 I StGB (3) Lähmung = erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit eines Körperteils, die den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht (Nr.3) Verfallen = Körper wird insgesamt in erheblicher Weise und für einen nicht absehbaren Zeitraum beeinträchtigt (Nr. 3) geistige Krankheit = exogene und endogene Psychosen (Nr. 3) geistige Behinderung = eine der Geisteskrankheit an Gewicht gleichstehende Einschränkung der intellektuellen Fähigkeiten (Nr. 3) zu den Definitionen vgl. Tröndle/Fischer, StGB 226 und Kindhäuser, Strafrecht
21 Kopfschuss-Fall A beabsichtigt die N zu töten, weil er glaubt, sie sei für den Streit in seiner Familie verantwortlich. Er bewaffnet sich mit einem Revolver, geht auf N zu, ergreift ihre Haare, zieht ihren Kopf nach hinten und setzt die Waffe auf der Schläfe auf. Dann drückt er ab. N stürzt schwer verletzt zu Boden. Sie überlebt infolge einer Notoperation den Angriff, bleibt jedoch linksseitig gelähmt. Vgl. BGH NJW 2001, 980
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