Grundsätzliches zu Rechtsbehelfen
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- Andreas Dittmar
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1 Grundsätzliches zu Rechtsbehelfen Ziel von Rechtsbehelfen ist die Anfechtung und erneute Kontrolle einer Entscheidung Prüfungsumfang Tatsachenfeststellung (z.b. Beschwerde) Rechtsfehler (z.b. Revision) Statthaft ist ein Rechtsbehelf, wenn er gegen eine Entscheidung dieser Art überhaupt vorgesehen ist (Wortlaut 511 ZPO: stattfindet ) Nur wer durch die Entscheidung beschwert ist und die Beschwer beseitigen will, kann ein Rechtsmittel einlegen. 2 Anhörungsrüge 321a ZPO Rechtsbehelf eigener Art, kein Rechtsmittel Fassung vom : das Gericht des ersten Rechtszugs den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat Fassung vom (AnhörungsrügenG, BT-Drs. 15/3706): das Gericht den Anspruch dieser Partei in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat 3
2 Anwendungsbereich Durch das Anhörungsrügengesetz wurde der Anwendungsbereich auf alle unanfechtbaren Entscheidungen ausgedehnt: PKH/VKH-Verfahren einstweiliger Rechtsschutz unanfechtbare Beschlüsse (z.b. 522 Abs. 2 ZPO) Zwischenentscheidungen solche, die im weiteren Verfahren noch überprüft werden können (z.b. Beweisbeschlüsse) (-) solche, die nicht überprüft werden können (z.b. Richterablehnung) (+) 4 Verfahren Form der Rüge schriftlich Bezeichnung des Verfahrens, das fortgeführt werden soll substantiierte Darlegung des Verstoßes und der Entscheidungserheblichkeit Notfrist von 2 Wochen seit Kenntniserlangung, spätestens nach Jahresfrist 5 Insbesondere: Die Frist Gegen die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach 522 Abs. 1 ZPO legt die Klägerin eine Gehörsrüge ein. Der angefochtene Beschluss wurde dem Rechtsanwalt der Klägerin am gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Die Gehörsrüge ist am bei Gericht eingegangen. Die Klägerin entschuldigt die Verspätung damit, dass der Rechtsanwalt am in den Ski-Urlaub aufgebrochen sei und die Rüge nicht habe zur Kenntnis nehmen können. BVerfG v BvR 299/10, NJW-RR 2010, 1215 Ein bewusstes Sich-Verschließen vor Umständen, die sich aufdrängen können -- nach Lage des Falles -- einer Kenntnis gleichgesetzt werden. 6
3 Voraussetzungen Unanfechtbare Entscheidung Falle: Die Betroffene Partei muss die Gehörsverletzung zunächst mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen (BGH v , XI ZB 39/03) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Keine analoge Anwendung auf andere Grundrechtsverletzungen, z.b. gesetzlicher Richter nach Art. 101 Abs. 1 GG Prüfungsmaßstab: nur der verfassungsrechtliche Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nicht: 139 ZPO, denn aus Art. 103 Abs 1 GG ergibt sich keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts. 7 Voraussetzungen Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich Bei der Zulässigkeit nur Prognose Aussondern der sekundären Anhörungsrüge Keine Korrektur nach den 319 bis 321 ZPO möglich 8 Ausgangsfall - Zulässigkeit Statthaft? ein Rechtsmittel nicht gegeben -> 522 Abs. 3 ZPO: nicht anfechtbar Frist (+) Behauptung einer Gehörsverletzung Unzuständiger Senat (-), da Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (gesetzlicher Richter) nicht alle Richter haben sich mit dem Vortrag auseinandergesetzt Entscheidungserheblich Zu diesem Punkt fehlt Vortrag -- > Nicht zulässig 9
4 Ausgangsfall / Abwandlung Wie Ausgangsfall. Im Schriftsatz vom trägt die Klägerin vor, am habe sich der Zeuge Schmidt erstmals bei ihr gemeldet. Dabei handele es sich um einen Augenzeugen, der bekunden könne, dass das Fahrzeug des Beklagten mit laufendem Motor gestanden habe und plötzlich und unerwartet angefahren sei, als ich der LKW der Klägerin näherte. Dies spreche für einen arrangierten Unfall. 10 Ausgangsfall - Zulässigkeit Statthaft? ein Rechtsmittel nicht gegeben -> 522 Abs. 3 ZPO: nicht anfechtbar insbesondere ist die Anhörungsrüge auch gegen Beschlüsse nach 522 Abs. 2 ZPO gegeben Durch das AnhörRügG ist in allen Prozessordnungen gegen die mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen ein Rechtsbehelf zur fachgerichtlichen Selbstkorrektur von entscheidungserheblichen Verletzungen des Anspruchs auf Gehör vor Gericht eingeführt worden. Es verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für diesen Fall vorsieht. Frist (+) Behauptung einer Gehörsverletzung Unzuständiger Senat (-) nicht alle Richter haben sich mit dem Vortrag auseinandergesetzt Entscheidungserheblich? 11 Exkurs 531 ZPO Absatz 1: In 1. Instanz wirksam zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel bleiben ausgeschlossen. Absatz 2: Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind grundsätzlich nicht zulässig. Ausnahmen: Abweichende rechtliche Bewertung durch das Rechtsmittelgericht und daher unvollständiger Vortrag Fehlerhafte Prozessleitung in der 1. Instanz (insb. falsche oder unterbliebene Hinweise nach 139 ZPO) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die ohne Nachlässigkeit in 1. Instanz nicht geltend gemacht worden sind. 12
5 Ausgangsfall - Abwandlung Entscheidungserheblich? Eine Entscheidung nach 522 Abs. 2 ZPO hätte bei richtiger Anwendung von 531 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO nicht ergehen dürfen. Zwischenergebnis: Die Anhörungsrüge ist zulässig. 13 Ausgangsfall - Abwandlung Begründet Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die zur Endscheidung berufenen Richter, die für ihre Entscheidung erheblichen Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei sind die Richter nicht gehalten, sich mit jedem Argument ausdrücklich zu befassen. Schweigen der Entscheidungsgründe oder eine unvollständige Behandlung des Vortrags deuten daher ohne weitere Umstände nicht auf einen Gehörsverstoß hin. Der Betroffene muss daher im Einzelfall besondere Umstände vortragen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht den Vortrag entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat. 14 Ausgangsfall - Abwandlung Lösung des OLG Koblenz (v U 514/07, OLGR Koblenz 2008, 68) Es ist nicht erforderlich, dass alle Richter eines Spruchkörpers alle Akten selbst lesen. Die richterliche Wahrnehmung des Parteivorbringens kann auch durch ein mündliches oder schriftliches Votum eines anderen Richters erfolgen. Die von 522 Abs. 2 ZPO geforderte Einstimmigkeit setzt nicht voraus, dass die Stimme bei gleichzeitiger Anwesenheit sämtlicher Richter mündlich abgegeben wird. Das Umlaufverfahren ist zulässig. Wie die Beschlussfassung sich vollzieht, kann nicht nachgeprüft werden. Die an der Entscheidung beteiligten Richter haben über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung zu schweigen, 43 DRiG. 15
6 Die Klägerin macht Ansprüche gegen den Beklagten wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung geltend. Nach Einholung eines Gutachtens hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufung wurde abgewiesen. Im Berufungsurteil hat das OLG die Revision ausdrücklich nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt mit der Begründung, das Berufungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Willkürverbot verletzt. Der BGH hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen legt die Klägerin nunmehr eine Anhörungsrüge ein. BGH v VI ZR 38/07, NJW 2008, Statthaft? ein Rechtsmittel ist nicht gegeben -> 544 Abs. 5 Satz ZPO Frist (wird als eingehalten unterstellt) Behauptung einer Gehörsverletzung Willkürverbot (-) rechtliches Gehör Problem: Der Gehörsverstoß ist durch das Berufungsgericht erfolgt. 17 Ausgangslage: Es wird gerügt, dass die angegriffene Entscheidung zu Unrecht eine Gehörsverletzung in der Vorinstanz verneint hat. Lösung des BGH Das Rechtsstaatsprinzip verlangt es, für jede neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG eine einmalige Möglichkeit richterlicher Kontrolle zu gewährleisten. Die Anhörungsrüge ist daher nur erforderlich, soweit eine neue und eigenständige Verletzung in der letzten von der Prozessordnung vorgesehenen Instanz gerügt wird. Die Nichtzulassungsbeschwerde nach 544 ZPO ist ein ausreichender Rechtsbehelf Eine Gehörsrüge kommt daher nur in Betracht, wenn sich die Anhörungsrüge gegen die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH selbst richtet. 18
7 Problem: Fehlende Begründung des Zurückweisungsbeschlusses erschwert die Prüfung, ob eine neue, eigenständige Rechtsverletzung durch den BGH vorliegt. Dennoch: Der Grundsatz, nach dem eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung keiner Begründung bedarf, gilt auch für Entscheidungen des BGH, mit denen eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach 544 Abs. 4 ZPO zurückgewiesen wird. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Vorinstanz gerügt wird. Die Regelung in 544 Abs. 4, 2. HS ZPO bleibt innerhalb des gesetzgeberischen Spielraums. BVerfG v BvR 1382/10 19 Erst wenn alles fehlgeschlagen ist, verletzt ein Verstoß gegen gehörsgewährleistende Vorschriften der ZPO zugleich Art. 103 Abs 1 GG. Und weil das alles so ist, bleibt die Gehörsrüge zwar das beliebteste verfassungsrechtliche Angriffsmittel, ist zugleich aber per Saldo das erfolgloseste. (Zuck, NJW 2005, 3753, 3757) 20 Es dürfte in der jüngsten Vergangenheit wohl kaum eine Prozessnorm gegeben haben, deren durchschlagende Wirkungslosigkeit in einem derartigen Missverhältnis steht zu der von ihr ausgelösten literarischen Produktion. [...] Die Annahme des BVerfG, wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substanziell ankommen, also wirklich gehört werden, bleibt angesichts der alltäglichen Gehörsverletzungen ein uneinlösbares Heilsversprechen. (Sangmeister, NJW 2007, 2363, 2369) 21
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