Beitrag: Zurück zum Kalten Krieg Die Ukraine und die Folgen

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Zurück zum Kalten Krieg Die Ukraine und die Folgen Sendung vom 25. November 2014 von Joachim Bartz und Reinhard Laska Anmoderation: Gerade haben wir uns noch daran erinnert, wie es war, als vor 25 Jahren die Mauer fiel. Ost und West schienen miteinander versöhnt. Und heute? Wir sind zurückgefallen in das Lagerdenken des Kalten Krieges. Hier die Guten, der demokratische und freie Westen, und da der Böse, der Aggressor Putin. Oder umgekehrt. Das gute Russland, das uns die Wiedervereinigung ermöglichte, gegen den bösen Westen, der mit der Nato aggressiv nach Osten drängte. Joachim Bartz und Reinhard Laska haben mit beiden Seiten gesprochen: über ihre unversöhnlich unterschiedliche Sicht auf Gut und Böse - und über Krieg. Den kalten und den heißen. Denn in der Ukraine sterben täglich Menschen. Text: Soldaten der ukrainischen Armee im Flughafen von Donezk. Seit Monaten wird hier unerbittlich gekämpft. Die Terminals wurden erst vor zwei Jahren anlässlich der Fußball-EM gebaut. Der Kommandeur warnt vor Scharfschützen. In diesem Moment beginnt tatsächlich der Beschuss. O-Ton Kommandeur: Nichts wie weg! Jetzt machen sie ne Pause. Also los: schnell runter! Gedreht hat diese Bilder ein Dokumentarfilmer aus Kiew, der nicht erkannt werden will. Drei Tage lang war er am Flughafen. Tage, die er nie vergessen wird, erzählt er mir. O-Ton Dima, Dokumentarfilmer: Da herrscht wirklich Krieg. Damit hatte ich keine Erfahrung. Ich war fix und fertig, habe mich aber gezwungen, die Kamera hochzuhalten. Mit dem Beschuss angefangen haben übrigens immer die feindlichen Kämpfer, also die Separatisten.

2 Im Erdgeschoss, an den Gepäckbändern vorbei, rennen die ukrainischen Soldaten um ihr Leben. Sie versuchen einen verletzten Kameraden zu retten. Sie sind der Übermacht von Separatisten und russischen Kämpfern längst nicht mehr gewachsen. Der Flughafen ist der letzte Posten der ukrainischen Armee im Donbass. Der Kreml leugnet die unmittelbare Beteiligung an dem Bürgerkrieg, sieht jedoch mit dem Westkurs Kiews massiv russische Interessen verletzt. O-Ton Alexej Puschkow, Vorsitzender Auswärtiger Ausschuss Staatsduma: Die Ukraine ist nicht nur ein Staat, in dem sehr viele Russen leben, sondern auch ein Staat, der für Russlands Sicherheit von eminenter Bedeutung ist. Wie mir scheint, haben die anhaltenden und intensiven Bestrebungen der USA, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, eine große Rolle bei der Entwicklung der Krise gespielt. Moskau fühlt sich bedrängt. Zunächst verlor Russland seine Satellitenstaaten, dann rückte die NATO nach Osten. Diese Osterweiterung ist Moskau schon lange ein Dorn im Auge. Sollte auch noch die Ukraine der Nato beitreten, würde sich die NATO- Grenze noch einmal deutlich nach Osten verschieben. Hinzu kommt das Raketenabwehrschild der NATO. Russland sieht darin eine massive Bedrohung. Für Alexej Puschkow steht außerdem fest: Der Westen habe begonnen, die Grenzen in Europa zu verändern mit der Abspaltung des Kosovos von Serbien. O-Ton Alexej Puschkow, Vorsitzender Auswärtiger Ausschuss Staatsduma: Wir haben damals unsere westlichen Kollegen gewarnt, damit werde die Büchse der Pandora geöffnet. Wenn man den Teil eines Staats einfach so abspalten kann. Jetzt hat sich eben die Krim entschieden, sich an Russland anzuschließen, als klar wurde, dass dort die Sicherheit nicht mehr gewährleistet war. Putins Politik beschert ihm innenpolitisch eine Woge der Zustimmung, nicht nur bei den Militärs. Der Berliner Politologe Herfried Münkler sieht Putin gerade deshalb in einem Dilemma. O-Ton Prof. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler, Humboldt-Universität Berlin: Er ist auch jemand, der sein Gesicht nicht verlieren darf, weil er dann seine Macht verliert. Und das ist sicherlich etwas,

3 was man im Umgang des Westens mit ihm bedenken muss. Ich glaube, wenn man darauf aus ist, ihm sein Gesicht zu nehmen, dass man dann auf einen sehr viel härteren und unberechenbareren Putin treffen wird. Wie also umgehen mit Russland? Deutschland stößt an die Grenzen der Diplomatie, setzt mehr und mehr auf Strafmaßnahmen. O-Ton Andreas Schockenhoff, CDU, MdB, stellv. Fraktionsvorsitzender: Sanktionen gegenüber Russland sind unausweichlich, weil wir militärisch nicht reagieren wollen und nicht reagieren können. Kurzfristig bestimmt der Aggressor die Agenda. Sanktionen wirken nicht innerhalb weniger Wochen und Monate. Aber sie sind langfristig ein äußerst wirksames Machtmittel. Wir brauchen jetzt vor allem strategische Geduld. Es hat bei den baltischen Staaten 70 Jahre gedauert, bis sie ihre Unabhängigkeit wiedererlangt haben. Estland. Das kleine Land an der Ostsee ist NATO-Mitglied wie die beiden anderen baltischen Staaten und hat wie sie eine gemeinsame Grenze mit Russland. Hier rüstet man sich schon für den Ernstfall. Gerade wurde der Wehretat erhöht, das Land zahlt über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung, mehr als Deutschland und andere NATO-Staaten. Estland war zu Sowjetzeiten Opfer russischer Expansionspolitik, daran erinnert der Befehlshaber der estnischen Streitkräfte Riho Terras. O-Ton Riho Terras, Generalmajor, Befehlshaber Estnische Streitkräfte: Ich würde sagen, Geschichte kann man nicht ausradieren. Natürlich wissen wir, was 1939/40 hier passiert ist. Und diese Erinnerungen leben in unseren Nationen. Wir würden gern mit einem demokratischen Russland leben, das wäre für unsere Wirtschaft, für unsere Kultur sehr gut, wenn wir das machen könnten. Aber die Entwicklung in der russischen Politik zurzeit bringen uns keine Möglichkeiten für uns, um mit den Russen zusammenzuarbeiten. Luftstützpunkt Ämari. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vergangene Woche auf Visite beim NATO-Kontingent in Estland. Deutsche, amerikanische und estnische Soldaten überwachen den NATO-Luftraum. Immer wieder gab es Alarmeinsätze, weil russische Kampfjets die NATO-Luftabwehr provozierten, beklagt der Generalsekretär. O-Ton Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär:

4 Das ist ein Muster, das wir lange Jahre nicht erlebt haben. So wie sich die russischen Luftstreitkräfte verhalten, erinnert uns das an die Zeit des Kalten Krieges. Die Antwort der NATO: Erhöhung der Rüstungsetats. O-Ton Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär: Wir stehen vor dem größten Aufrüstungsprogramm unserer gemeinsamen Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Zeichen stehen auf Konfrontation - eine historische Zäsur, nicht nur in Estland. Kiew, Maidan. Nach all den Toten ruhen die Hoffnungen auf dem Westen. Der unabhängige Parlamentsabgeordnete Volodymyr Parasyuk war am Volksaufstand beteiligt. Als Kämpfer erlebte er dann in der Ostukraine die Niederlage der ukrainischen Truppen. Jetzt fordert er Waffen. O-Ton Volodymyr Parasyuk, Parlamentsabgeordneter: Wir verteidigen inzwischen ganz Europa. Ich denke, Europa will keine Raketen an seinen Grenzen. Also, helft uns! Denn Putin geht planmäßig vor und er wird mit der Ukraine nicht aufhören. Also: Waffen an ein Land, das nicht der NATO angehört und russische Truppen bekämpft - für den Westen ausgeschlossen. O-Ton Prof. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler, Humboldt-Universität Berlin: Das ist im Prinzip eine einfache Rechnung. Russland ist nach wie vor eine Atommacht. Aber auch unterhalb der nuklearen Schwelle ist eine Eskalation dieses Konfliktes für uns als Europäer ausgesprochen unattraktiv. Und im Übrigen haben wir dazu auch nicht die Möglichkeiten. Wir sind eine postheroische Gesellschaft, und es gäbe sozusagen in Europa vermutlich keine Soldaten, die dazu bereit wären für die Ostukraine zu fallen und zu sterben. Das weiß auch Moskau. Parlamentspräsident Sergej Naryshkin stellt sogar die weitere Existenz des ukrainischen Staates in Frage. O-Ton Sergej Naryschkin, Vorsitzender Staatsduma, Mitglied Sicherheitsrat: Wenn das offizielle Kiew eine Blockade über die Ostukraine verhängt, dann ist das ein weiterer Schritt zum Zerfall des Staates. Das ist ein unverantwortlicher politischer Schritt, der sich zweifellos darauf auswirken wird, ob die Ukraine als Staat bestehen bleibt oder nicht.

5 Für die NATO klingt das wie eine Drohung. Sie reagiert mit Manövern im Baltikum, Muskelspielen an der Grenze zu Russland. Auch im Nordatlantischen Bündnis geben inzwischen die Hardliner den Ton an. - Wir sind mittendrin in einem neuen Kalten Krieg. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.