Trockene Nacht - Guter Tag

Transkript

1 Trockene Nacht - Guter Tag J edes Kind soll sich auf den neuen Tag freuen können. Doch bei vielen Kindern über fünf Jahren beginnt der Tag mit einem»bösen Erwachen«. Bett und Pyjama sind total durchnässt. Eltern sind mit der Si tuation häufig überfordert. Natürlich wollen sie Ihrem Kind helfen aber wie? Die Initiative Trockene Nacht e. V. beantwortet viele Fragen rund ums Bett nässen. Sie will über Ursachen und Zusam menhänge Aufschluss geben und das Thema in der Öffentlichkeit enttabuisieren. Häufig können Eltern mehr tun, als sie zunächst denken. Sie haben es zu einem großen Teil selbst in der Hand, ihrem Kind zu helfen, mit dem Bettnässen umzu gehen und sein Selbstbewusstsein zu stär ken. Der Besuch beim Arzt ist ein wichtiger Baustein, um das Bettnässen aktiv anzugehen. Der erste Schritt in Richtung trockenes Bett: informieren Sie sich. Die betroffenen Kinder werden es Ihnen danken, denn: Trockene Nacht bedeutet Guter Tag! Ihre Gabriele Grünebaum

2 Statistik Bettnässen = Enuresis U nter Enuresis versteht man das Einnässen im Schlaf nach Vollen dung des fünften Lebensjahres, d. h. in einem Alter, in dem der psychische und physiologische Reifegrad bei über neun von zehn Kindern eine willkürliche Blasenkontrolle möglich macht. Die Enuresis ist ab dem fünften Lebensjahr lt. WHO (Weltgesundheitsorganisation) eine behandlungs bedürftige Erkrankung. Zahlen I n Deutschland gibt es etwa Kinder, die Bettnässer sind. Etwa 15 % aller fünfjährigen Kinder, etwa 10 % aller siebenjährigen Kinder und immerhin noch 6 % aller zehnjährigen Kinder nässen nachts noch mehr oder weniger regelmäßig ein. Es sind doppelt so viele Jungen wie Mädchen betroffen. Jedes Jahr werden spontan etwa 15 % der Bettnässer trocken - das heißt aber auch, dass ohne Therapie etwa 85 % der Kinder über fünf Jahre auch im Folgejahr noch einnässen.

3 Belastungen Körperliche und seelische Belastung für Kinder und für Eltern D ie meisten Kinder schämen sich für das Bettnässen und viele haben Schuldgefühle, weil sie ihren Eltern zur Last fallen. Sie sind nicht selten vom sozialen Leben ausgeschlossen und vermeiden Klassen- und Ferienfahrten aus Angst vor den Hänseleien anderer Kinder. Das Selbstwertgefühl von Kindern, die einnässen, ist im Durchschnitt geringer als das anderer Kinder. Frühzeitige Therapie hilft, seelische Belastungen abzubauen. Auch Eltern schämen sich und haben Schuldgefühle, weil sie glauben, dass ihr Kind zurückgeblieben ist oder sie einen Fehler bei der Erziehung gemacht haben. Außerdem können sich Aggressionen aufbauen, weil die Arbeitsbelastung durch die viele Wäsche drückt. Tag-Nacht-Rhythmus Wie funktionieren Blase und Gehirn? D ie Flüssigkeit, die wir trinken, gelangt vom Mund in die Speiseröhre, in den Magen und dann in den Darm und wird von dort ins Blut aufgenommen. Das Blut nimmt aus dem Körper verschiedene Abfallstoffe mit. Die Nieren filtern aus dem Blut Flüssigkeit und Abfallstoffe heraus. Diese Flüssigkeit mitsamt den Abfallstoffen, die wir nun Urin nennen, gelangt durch die Harnleiter in die Blase, wo sie gesammelt wird. Sobald die Blase eine bestimmte Füllung erreicht hat, senden Nerven eine Nachricht an das Gehirn und wir merken, dass wir auf die Toilette gehen sollten. Tag-und-Nacht-Rhythmus Für die Produktion von Urin ist das Antidiuretische Hormon (ADH) oder Adiuretin zuständig. Während Neugeborene und Säuglinge Tag und Nacht etwa gleich viel ADH und somit etwa gleich viel Urin produzieren und dadurch tagsüber und nachts gleich viel Wasser lassen, ändert sich dies normalerweise im Laufe der ersten drei Lebensjahre. Etwa ab dem Alter von drei Jahren wird das Hormon Adiuretin von der Hirnanhangdrüse in einem tageszeitlich abhängigen Rhythmus (zirkadiane Rhythmik)

4 Enuresis-Formen ausgeschieden. Nachts wird dann mehr ADH ausgeschüttet als tagsüber. Das hat zur Folge, dass nachts weniger Urin produziert wird, nämlich etwa halb so viel wie am Tag. Verschiedene Formen der Enuresis M an unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Formen der Enuresis (= Bettnässen): die primäre und die sekundäre Enuresis. Primäres Bettnässen Folgende Symptome beschreiben das primäre Bettnässen, wenn sie gemeinsam auftreten: Der Patient war noch nie länger als ein halbes Jahr nachts trocken und ist älter als fünf Jahre und nässt mindestens dreimal im Monat nachts ein. Das primäre Bettnässen ist häufig aber auch gekennzeichnet durch eins oder mehrere der folgenden Symptome: Tiefer Schlaf und schwere Erweckbarkeit bei normalem Schlafverhalten Häufiges Einnässen mit großen Urinmengen Kein Einnässen während des Tages Warum? Sekundäres Bettnässen War das Kind schon einmal mindestens sechs Monate nachts trocken und nässt dann erneut ein, so nennt man dies sekundäres Bettnässen. Bettnässen ist nach Allergien die zweithäufigste Erkrankung im Kindesalter. Warum machen Kinder ins Bett? Es gibt verschiedene Ursachen für das primäre Bettnässen. Zu den häufigsten Ursachen gehören: Familiäre Veranlagung Die Enuresis tritt familiär gehäuft auf. War ein Elternteil Bettnässer, so liegt die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind das Bett einnässt, bei etwa 44 %. Waren beide Eltern Bettnässer, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind das Bett einnässt, bei etwa 75 %.

5 ADH-Mangel Reifeverzögerung Bei vielen bettnässenden Kinder scheint das Zusammenspiel zwischen der Blase und den Signalen im Gehirn noch nicht ausgereift zu sein. Häufig schlafen diese Kinder sehr tief, und nicht selten wird bei diesen Kindern nachts so viel Urin produziert, dass die Blase diese Menge nicht fassen kann. Der Reiz der gefüllten Blase reicht bei vielen Kindern noch nicht aus, um sie aufzuwecken. Diese Reifeverzögerungen werden beobachtet, auch wenn diese Kinder in der Regel körperlich und geistig ganz normal entwickelt sind. ADH-Mangel Bei bettnässenden Kindern kann ein nächtlicher Mangel des für den Wasserhaushalt wichtigen Hormons ADH vorliegen. Geringe Blasenkapazität Ein Grund für das Bettnässen kann eine zu geringe Blasenkapazität sein. Falsche Trinkgewohnheiten Zahlreiche Kinder trinken bis zum Mittag kaum etwas und nehmen erst ab dem Nachmittag die Hauptmenge der Flüssigkeit zu sich. Derart falsche Trinkgewohnheiten können die Ursache für eine Enuresis sein oder sie günstig beeinflussen. Kein Erziehungsfehler Andere Ursachen In seltenen Fällen gibt es auch andere organische Ursachen für das Bettnässen. Hinweise hierfür könnten sein, dass das Kind häufigen Harndrang auch am Tage oder Schmerzen beim Wasserlassen hat oder dass die Hose auch tagsüber häufiger mal nass ist. Spätestens dann ist dringend empfohlen, einen Arzt aufzusuchen, damit dieser andere Erkrankungen ausschließen kann. Was verursacht sekundäres Bettnässen? Die Ursachen für das sekundäre Bettnässen sind in der Regel andere als beim primären Bettnässen. Falls das Kind schon einmal mindestens sechs Monate lang trocken war, können außer möglichen Erkrankungen des unteren Harntraktes auch psychisch belastende Ereignisse Auslöser sein, wie die Geburt eines Geschwisterkindes, Konflikte in der Familie, Trennung der Eltern oder der Verlust eines nahen Angehörigen. Bettnässen ist kein Erziehungsfehler!

6 Beim Arzt Was tun, wenn das Kind einnässt? E in Kind, das nachts einnässt, tut dies in der Regel nicht mit Absicht. Es kann nichts dafür. Strafen helfen deshalb nicht. Weil die Ursachen des Bettnässens so vielfältig und sehr unterschiedlich sein können, ist eine genaue Diagnose von ganz besonderer Wichtigkeit, um eine vernünftige Therapie zu beginnen. Ist Ihr Kind mindestens fünf Jahre alt, sollten Sie Rat und Unterstützung suchen. Ihr Kinderarzt ist der erste Ansprechpartner. Was passiert beim Arzt? Der Kinderarzt wird in der Regel verschiedene Untersuchungen durchführen, um eine genaue Diagnose stellen zu können. Fünf Dinge gehören zur Basisdiagnostik bei einer Enuresis: Beim Arzt 1. Blasentagebuch In einem Blasentagebuch (auch Miktionsprotokoll oder Pipikalender genannt) werden drei Tage lang alle Informationen rund um das Trink- und Toilettenverhalten des Kindes aufgezeichnet. Diese Informationen benötigt der Arzt zur Diagnose. Ein interaktives Blasentagebuch können Sie im Internet auf der Seite führen. 2. Anamnese/Krankengeschichte Den Arzt interessiert die Familien- und Krankengeschichte. Er will u. a. wissen, ob es Bettnässer in der Familie gibt, wie häufig und seit wann das Kind einnässt und wie tief es schläft. 3. Untersuchungen Um sicher zu sein, dass keine weiteren organischen Ursachen vorliegen, muss das Kind untersucht werden. 4. Ultraschall Eine Ultraschalluntersuchung gibt Aufschluss darüber, wie die Blase entwickelt ist und ob es dort Auffälligkeiten gibt. 5. Urinuntersuchung Eine Untersuchung des Urins kann anzeigen, ob z. B. Diabetes oder eine Blasenentzündung vorliegen.

7 Therapie Therapiemöglichkeiten Je nach der Vorgeschichte, den Symptomen und dem Untersuchungsergebnis kann der Arzt aus verschiedenen Therapiemöglichkeiten die für das Kind und die Familie passende Behandlung auswählen und empfehlen. Dabei spielt es eine Rolle, ob das Kind nur unter Bettnässen leidet oder auch am Tag Pro bleme mit Inkontinenz hat. Als Therapie stehen u. a. zur Auswahl.: Urotherapie (verhaltenstherapeutische Maßnahmen) Medikamentöse Therapie Alarmtherapie Unabhängig von der Therapiestrategie gilt: Richtig trinken! Das Kind sollte morgens und mittags den größten Teil seines Flüssigkeitsbedarfes decken und abends eher we niger trinken. Vor dem Zubettgehen: auf die Toilette! Kurz vor dem Zubettgehen sollte das Kind immer auf die Toilette gehen. Therapie Urotherapie Viele Kinder haben ein falsches Trinkverhalten, das Bettnässen verursachen oder auch verschlimmern kann. Sorgen Sie dafür, dass das Kind den größten Teil der Trinkmenge bis etwa 17 Uhr zu sich nimmt. Kinder können einen eigenen Kalender führen, in dem sie die trockenen und nassen Nächte mit Sonnen- und Wolkensymbolen anmalen. Solch ein Sonne-/Wolkenkalender motiviert und unterstützt das Trockenwerden. Medikamente Laut Therapieempfehlungen der beiden international tätigen urologischen und pädiatrischen Gesellschaften EAU und ESPU wird Desmopressin zur Therapie der Enuresis empfohlen, wenn bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Desmopressin Desmopressin ist eine synthetisch hergestellte Substanz, die dem körpereigenen Hormon ADH = Adiuretin = Antidiuretisches Hormon sehr ähnlich ist. Es bewirkt, ähnlich wie das Hormon selbst, die Verringerung der Harnbildung in der Nacht. Die nächtliche Reduktion der Harnmenge trägt dazu bei, dass das Kind nachts nicht mehr einnässt. Seit Beginn

8 Therapie der 1980er Jahre wird Desmopressin erfolgreich als Therapie bei Bettnässen eingesetzt. Ein wesentlicher Vorteil bei der Therapie mit Desmopressin liegt im vergleichsweise schnellen Wirkungseintritt. Eine medikamentöse Behandlung mit Desmopressin ist erfolgversprechend, wenn... es sich um eine primäre Enuresis handelt, die Enuresis familiär gehäuft auftritt, das Kind nachts viel einnässt (Polyurie). Der Wirkstoff Desmopressin wird abends direkt vor dem Schlafen eingenommen. Die Desmopressin- Schmelztablette, die unter der Zunge zergeht, gewährleistet ein einfaches Einnehmen ohne weitere Flüssigkeit und ist wegen der geringeren Wirkstoffbelastung gegenüber der Tablette eine bevorzugte Form der Darreichung. Therapie Der erste Erfolg (eine trockene Nacht) setzt meist schnell und nicht selten schon nach der ersten Dosis ein. Nach der entsprechenden Therapiezeit (maximal 12 Wochen) und nach Erreichen des Therapieziels (das Kind nässt nicht mehr ein) werden die Einnahmeintervalle nach und nach verlängert. Wichtig! Der langfristige Erfolg der Desmopressin- Therapie ist in hohem Maße davon abhängig, wie lange das Medikament eingenommen wird und nach welchem Schema, also wann und wie es später wieder abgesetzt wird. Andere Medikamente Anticholinergika: Falls zusätzliche Blasensymptome auch am Tag festgestellt werden, wie vermehrtes Wasserlassen, Einnässen am Tag oder eine Drang-Symptomatik, kann ein Anticholinergikum eingesetzt werden. Dieser Wirkstoff kann bei einer überaktiven Blase oder bei einer zu kleinen Blasenkapazität dabei helfen, die Blasenkapazität zu erhöhen und die Blasenaktivität zu dämpfen. Falls eine kleine Blasenkapazität die Ursache des Bettnässens ist, so können Anticholinergika zur Therapie eingesetzt werden.

9 Therapie Alarmtherapie Bei der Alarmtherapie wird ein starker sensorischer Reiz freigesetzt, sobald Inkontinenz auftritt. Auf der Matratze oder in der Unterhose des Kindes befindet sich ein Sensor, der auf Feuchtigkeit reagiert. Sobald der Sensor nass wird, ertönt ein akustisches Signal oder ein Vibrationswecker, um das Kind zu wecken. Ziel der Alarmtherapie ist es, das Kind zu konditionieren, wach zu werden, wenn die Blase voll ist. Sobald das Gerät nachts einen Alarm gibt, soll das Kind sofort auf die Toilette gehen. Viele bettnässende Kinder hören den Alarm im Schlaf jedoch nicht. Dann müssen sie von den Eltern zuverlässig geweckt werden. Die Alarmtherapie erfordert eine hohe Motivation und Mitarbeit von Kind und Eltern. Wenn Eltern und Kind bereit sind, sich über mehrere Wochen nachts von dem Alarm wecken zu lassen, kann die Alarmtherapie erfolgreich sein.