II. Industrielle Revolution/ Industrialisierung/Protoindustrialisierung/ Reaktionen auf die Französische Revolution
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- Reiner Möller
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1 II. Industrielle Revolution/ Industrialisierung/Protoindustrialisierung/ Reaktionen auf die Französische Revolution Weißt heißt Industrielle Revolution? Was bedeuten die Begriffe Industrie und Revolution? Der lat. Begriff Industria bedeutet Fleiß im Sinne von Gewerbefleiß. Der Begriff Revolution entstammt dem politischen Sprachgebrauch als Bezeichnung für Aufstand, Unruhe, Rebellion und wurde erst mit der Französischen Revolution sprachliches Allgemeingut. Die Übertragung von einem politischen auf ein wirtschaftliches Phänomen entstand durch eine Analogie zur Französischen Revolution um 1815 und setzte sich als Epochenbegriff in den 1830er/40er Jahren nicht zuletzt unter Mithilfe von Marx und Engels durch. Der Begriff wurde also ex-post, im Nachhinein, geprägt, die Zeitgenossen selbst haben anscheinend die industriellen Veränderungen nicht als einen plötzlichen Umbruch, als Revolution empfunden. Erst später wurde dies in Analogie zur Französischen Revolution so gesehen und diesen Prozeß als Industrielle Revolution gesehen. Man spricht ja auch von der Doppelrevolution im 18./19. Jh. der bzw. den politischen (Franz. Revolution, Revolutionen 1830 und 1848) und der wirtschaftlich-industriellen, die zusammen eine grundlegende Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft zur Folge hatten. Insofern ließe sich dann doch wieder von einer Revolution sprechen. Nun finden Revolutionen in einem überschaubaren, zumeist kurzen Zeitraum statt jedenfalls was die politischen Veränderungen anbelangt. Man spricht von der Französischen Revolution 1789 oder /95, von der Revolution 1848, bestenfalls 1848/49 oder 1918/19. Die Industrielle Revolution hat sich aber über viele Jahrzehnte gezogen, so dass hier ein wesentliches Kriterium, nämlich das der raschen, grundlegenden Veränderungen kaum zutrifft. Wesentliche Kriterien dieser Entwicklung, etwa der steigende Anteil industrieller Güter am Bruttosozialprodukt, umfangreiche technologischer und organisatorischinstitutioneller Änderungen (Durchsetzung des Fabriksystems) oder Veränderungen der Sozialstruktur (vgl. Komlos, Ein Überblick über die 1
2 Konzeptionen der IR, VSWG 84, 1997, S ) können auch gar nicht auf 1-2 Jahre eingegrenzt bzw. für so kurze Zeiträume beobachtet werden. Ganz im Gegenteil: Wenn wir die gerade genannten Kriterien als wesentliche Grundlage zur Definition einer entsprechenden Entwicklung nehmen, so lassen sich diese sehr weit zurückverfolgen. Und wenn man dann von einer Industriellen Revolution im Spätmittelalter spricht, so ist dies also nichts anderes als ein doppelter Analogieschluß - von einem politischen Phänomen der Neuzeit ( Revolution ) auf ein technisches und wirtschaftliches Phänomen des Mittelalters ( Industrie ). Ein wichtiges Indiz für die IR des Spätmittelalters ist die Entstehung verdichteter Gewerbe- bzw. Industrielandschaften. Hier bietet sich das Beispiel der Textilindustrie an - gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, daß diese ja auch in der IR des 18./19. Jh. eine dominierende Rolle spielte. Solche Industrielandschaften lassen sich für Mitteleuropa an verschiedenen Orten nachweisen. Aber weder die Einführung eines neuen Produktes noch der Einsatz neuer Technologien allein machte eine Revolutionierung des Produktionssystems aus. Zur Herstellung von Massenprodukten als wichtigem Kriterium industrieller Produktion bedurfte es neuer Formen betrieblicher Organisation und Finanzierung.. All diese Faktoren hätten, jeder für sich genommen, sicher nicht die umwälzende Wirkung gehabt, die sie erst durch ihr Zusammenspiel, durch ihre Verknüpfung und das Ineinandergreifen erzielten: Neue qualitätvolle Massenprodukte - technische Innovationen - Kapitalakkumulation und Reinvestition in produktives Kapital - neue Märkte und Marktstrategien, neue betriebliche Organisationsformen, neue Wege des Betriebs- und Rechnungswesens und die Anfänge einer gezielten Wirtschaftsförderungspolitik (z.b. durch die Erteilung von Privilegien und Konzessionen oder die Erschließung neuer Handelswege) 2
3 führten zur Herausbildung von verdichteten Gewerbe- und Industrielandschaften innerhalb weniger Jahrzehnte. Die beschriebenen Phänomen gelten nicht nur für Textilregionen, sondern auch für Montanreviere wie etwa im Nürnberg- Oberpfälzer Raum, dem Ruhrgebiet des Mittelalters, für Saigerhütten (zur Silbergewinnung), für Glashütten und Papierwerke oder für die Drahtindustrie. Wir können festhalten: Industrialisierung ist nicht allein ein Phänomen der Moderne. Es gab vergleichbare Entwicklungen bereits 400 Jahre früher. Man muß dafür nicht unbedingt den Begriff der Revolution bemühen. Industrialisierung kennzeichnet besser den langfristigen und evolutionären Charakter einer Entwicklung, die sicher nicht ohne Brüche und Zäsuren verlief, jedoch die permanenten Veränderungen auf technischen und ökonomischen, schließlich auch auf politischem und sozialem Gebiet angemessener wiedergibt als der der Revolution. Wichtigstes Ziel aber muß sein: Wenn wir zukünftig von Industrialisierung sprechen, sollte damit nicht automatisch nur das 18. und 19. Jh. gemeint sein. Soweit die Vorläufer der Industrialisierung, die Phase der Industrialisierung vor der Industrialisierung (Kriedte, Medick, Schlumbohm), die also etwa vom Jh. reicht. Sie verlief nicht gleichmäßig, sondern bedingt durch strukturelle Veränderungen, etwa infolge von Kriegen und Krisen, in Schüben, die u.u. beschleunigend wirkten. Die Situation um 1800 hat dieser Entwicklung dann einen solchen, zusätzlichen Schub gegeben. Konkret gemeint sind hier der Siebenjährige Krieg, die Französische Revolution und deren Folgen in Deutschland, insbesondere die Preußischen Reformen. Als Fazit ließe sich für den Zeitraum Ende des 18. bis zu Beginn des 19. Jh. (etwa die 1820er Jahre) festhalten: Auf die weltwirtschaftlichen Veränderungen im 18. Jahrhundert, insbesondere auf die Kriege und Krisen seit der Mitte des Jahrhunderts, reagierten die einzelnen Staaten mit unterschiedlichen Mitteln der kameralistischen Intervention und Regulierung, zunehmend jedoch auch durch 3
4 eine modernere Wirtschafts- und Ordnungspolitik. Die preußischen Reformen, insbesondere im Agrar-, Gewerbe- und Finanzbereich vollzogen dabei z.t. Entwicklungen nach, die bereits früher eingesetzt hatten (Aushöhlung der Zunftverfassung und der Guts- bzw. Grundherrschaft). Dies betraf den Bereich der Politik bzw. des Staates. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die sich zunehmend als Hemmnis herausstellenden dezentralen gewerblichen Organisationen der Wirtschaft in Form des Verlagssystems mit ihrer Funktionstrennung zwischen Produktion und Absatz, ebenfalls neuer institutioneller Lösungen bedurfte. Diese entwickelten sich auf der Basis der Gewerbefreiheit zunehmend in Form von modernen integrierten Unternehmen. Die nun formal freien und mobilen Arbeitskräfte dieser Unternehmen kamen z.t. aus der Landwirtschaft oder dem Handwerk bzw. dem im Verlagssystem organisierten Gewerbebetriebe. Es sei aber noch einmal betont, daß dieser Übergang zu integrierten und zentralisierten Unternehmen kein Automatismus war und auch keinem streng deterministischen Ursache-Wirkungs-Verhältnis entsprach. Schon gar nicht bedeutete die Entstehung moderner Unternehmen das abrupte Ende des Verlagssystems. Beide existierten noch sehr lange nebeneinander - das moderne Unternehmen und das heimindustrielle Verlagsgewerbe, und zwar in einer nach wie vor agrarisch dominierten Gesellschaft. 4
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