Henry Mintzberg Bruce Ahlstrand Joseph Lampel. Strategy Safari
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1 Henry Mintzberg Bruce Ahlstrand Joseph Lampel Strategy Safari Der Wegweiser durch den Dschungel des strategischen Managements Übersetzung aus dem Englischen von J. T. A. Wegberg
2 1»Und hier, meine Damen und Herren: das wilde Tier des strategischen ManagementsUm ganz offen zu sein, ich bin nicht annähernd so klug, wie Sie zu glauben scheinen.«the New Yorker Collection 1983 W.B. Park auf cartoonbank.com. Alle Rechte vorbehalten. 15
3 Strategy Safari Zum Einstieg eine Fabel, die oft zitiert wird, aber nur wenigen wirklich bekannt ist: Die Blinden und der Elefant von John Godfrey Saxe ( ) Es waren sechs Männer in Hindustan, zum Lernen sehr bereit, die wollten den Elefanten sehn (obwohl sie alle blind), dass jeder durch Beobachtung sich seinen Reim drauf mach. Der Erste stand nun bei dem Tier ganz aufs Geratewohl an seiner dicken, starken Seit, darum rief er sogleich:»bei Gott, ein solcher Elefant ist stark wie eine Wand.«Der Zweite, der am Stoßzahn stand, rief:»ho! Was ist denn das? Das ist so rund und glatt und scharf und macht es mir ganz klar: Der wunderbare Elefant Ist etwas wie ein Speer!«Der Dritte ging zum Tier heran und nahm per Zufall dann den krummen Rüssel in die Hand, worauf er ernsthaft sprach:»es ist mir klar, der Elefant ist einer Schlange gleich!«16
4 »Und hier, meine Damen und Herren: das wilde Tier des strategischen Managements«Der Vierte kam und tastete gleich nach des Tieres Knie.»Ich hab Gewissheit mir verschafft und komme zu dem Schluss: Der Elefant, ganz zweifelsfrei, ist so was wie ein Baum!«Der Fünfte landete am Ohr und sagte:»sogar ich erkenne völlig mühelos, was hier nun vor mir steht. Am meisten ähnelt diesem Tier ein Fächer, völlig klar!«der Sechste trat erst jetzt hinzu und griff, was sich ihm bot: der Schwanz des Elefanten war s. Sogleich zog er den Schluss:»Ich weiß nun, dieser Elefant, er ähnelt einem Seil!«So stritten die sechs Männer wohl recht lange hin und her. Ein jeder glaubte sich im Recht und trat auch dafür ein. Gewiss, es irrte keiner ganz und urteilte doch falsch! Moral Im wissenschaftlichen Disput wird häufig diskutiert, obgleich doch keiner wirklich weiß, wovon der andre spricht. Zum Thema wird ein Elefant, den keiner jemals sah! 17
5 Strategy Safari Wir sind die Blinden, und die Strategiebildung ist unser Elefant. Da es noch niemandem gelungen ist, das komplette Tier zu sehen, hat jeder einen anderen Teil davon betastet und sich darüber ausgelassen, ohne den Rest zu kennen. Sicherlich begreifen wir einen Elefanten nicht durch die Addition seiner Teile. Doch um das Ganze zu verstehen, müssen wir auch die Teile begreifen. Die folgenden zehn Kapitel beschreiben zehn Teile unseres Strategiebildungs-Tiers. Jeder davon steht für eine»denkschule«. Die zehn Kapitel werden eingerahmt von diesem ersten Kapitel, das die Schulen sowie einige grundlegende Gedanken zum Thema Strategie vorstellt, und einem letzten Kapitel, das zum gesamten Tier zurückkehrt. Warum zehn? In seinem aufschlussreichen Artikel»The magical number seven, plus or minus two: some limits on our capacity for processing information«(1956) hat der Psychologe George Miller die Frage gestellt, warum wir für die Kategorisierung von Dingen die Zahl Sieben bevorzugen zum Beispiel sieben Weltwunder, sieben Todsünden und sieben Wochentage. Er hat den Schluss gezogen, dass dies unsere kognitive Veranlagung widerspiegelt: sieben ist die Zahl der Informationseinheiten, die wir einigermaßen mühelos in unserem Kurzzeitgedächtnis speichern können. 1 Drei Weltwunder wären also sozusagen ein bisschen mager, achtzehn dagegen wären beängstigend. Aber wir, die wir uns für Strategie interessieren, sind natürlich keine gewöhnlichen Sterblichen zumindest was unsere kognitive Kapazität betrifft und sollten daher in der Lage sein, nun, sagen wir mal: eins mehr als die magischen sieben plus zwei 1 Genau genommen plädiert Miller für eine Begrenzung dieser Regel auf die Zahl der»bits«, die wir mit unserem»absoluten Urteil«bewältigen können, und der Anzahl von Einheiten welche aus diesen Bits zusammengesetzt sind, die wir in unserem mittelfristigen Gedächtnis speichern können. 18
6 »Und hier, meine Damen und Herren: das wilde Tier des strategischen Managements«zu begreifen. Dementsprechend werden in diesem Buch zehn Denkschulen zur Strategiebildung vorgestellt. Lassen wir mal die Wahrnehmung beiseite: In einem Großteil der Literatur kristallisieren sich zehn verschiedene Standpunkte heraus, von denen die meisten sich in den Managementpraktiken widerspiegeln. Jede davon hat eine einzigartige Perspektive, die, wie die blinden Männer, einen bedeutenden Aspekt des Strategiebildungsprozesses fokussiert. In gewisser Weise ist jede Einzelne davon beschränkt und übertrieben. Andererseits ist aber auch jede Einzelne davon interessant und erkenntnisreich. Ein Elefant ist vielleicht kein Rüssel, aber er hat einen Rüssel. Und es wäre schwierig, Elefanten zu begreifen, ohne auf den Rüssel Bezug zu nehmen. Die Einschränkung der Blindheit hat einen unerwarteten Vorteil, denn sie schärft die übrigen Sinne für Feinheiten, die den Sehenden entgehen können. Die Denkschulen In jedem der folgenden zehn Kapitel stellen wir dementsprechend eine der Schulen aus ihrer eigenen beschränkten Perspektive vor. Wir unterziehen sie dann einer Kritik, um sowohl ihre Beschränkungen als auch ihre Leistungen herauszuarbeiten. Im Folgenden werden diese Schulen gemeinsam mit dem Adjektiv vorgestellt, das ihre Sicht des Strategieprozesses am besten zu beschreiben scheint: Die Gestaltungsschule Strategieentwicklung als konzeptioneller Die Planungsschule Strategieentwicklung als formaler Die Positionierungsschule Strategieentwicklung als analytischer Die Unternehmerschule Strategieentwicklung als visionärer 19
7 Strategy Safari Die kognitive Schule Die Lernschule Die Machtschule Die Kulturschule Die Umfeldschule Die Konfigurationsschule Strategieentwicklung als mentaler Strategieentwicklung als sich bildender Strategieentwicklung als Verhandlungsprozess Strategieentwicklung als kollektiver Strategieentwicklung als reaktiver Strategieentwicklung als Transformationsprozess 2 Die ersten drei Schulen sind präskriptiver Natur hier geht es mehr darum, wie Strategien gebildet werden sollten, als darum, wie sie sich tatsächlich bilden. Die Erste davon, die in den 1960er-Jahren das Grundgerüst darstellte, auf dem die anderen beiden errichtet wurden, konzentriert sich auf Strategiebildung als einen informeller Gestaltung, im Wesentlichen als Konzept. Die zweite Schule, die sich parallel dazu in den 1960er-Jahren herausbildete und in einer Reihe von Publikationen und Praktiken in den 1970er- Jahren gipfelte, formalisierte diese Sichtweise und betrachtete die Strategiebildung eher als losgelösten und systematischen formaler Planung. In den 1980er-Jahren wurde sie dann von der dritten präskriptiven Schule weitgehend abgelöst, die nicht so sehr den der Strategiebildung, sondern den tatsächlichen Inhalt der Strategien in den Mittelpunkt stellt. Sie wird als Positionierungsschule bezeichnet, weil sie sich auf die Auswahl strategischer Positionen am wirtschaftlichen Markt konzentriert. 2 In einem interessanten alternativen Konzept teilte Martinet (1996) das Gebiet in einen teleologischen, einen soziologischen, einen ideologischen und einen ökologischen Bereich auf. (Lauriol [1996] hat unsere zehn Schulen diesen vier Bereichen zugeteilt.) Eine weitere interessante Aufteilung findet sich bei Bowman (1995). 20
8 »Und hier, meine Damen und Herren: das wilde Tier des strategischen Managements«Die darauffolgenden sechs Schulen berücksichtigen bestimmte Aspekte der Strategiebildung. Sie beschäftigen sich weniger damit, wie das ideale strategische Verhalten beschaffen sein soll, sondern beschreiben, wie Strategien tatsächlich gebildet werden. Einige bekannte Autoren haben Strategien lange Zeit mit Unternehmertum in Verbindung gebracht und haben den als Vision einer großen Führungspersönlichkeit beschrieben. Doch wenn eine Strategie eine personalisierte Vision sein kann, müssen wir auch die Strategiebildung als geistigen der Konzeptverwirklichung einer Person betrachten. Demgemäß entwickelte sich ebenfalls eine kleine, aber bedeutende kognitive Schule, welche die Aussagen der kognitiven Psychologie in den Köpfen der Strategen verankern möchte. Jede der folgenden vier Denkschulen hat den der Strategiebildung über das Individuum hinaus für andere Kräfte und andere Akteure geöffnet. Für die Lernschule ist die Welt zu komplex, als dass Strategien unmittelbar als klare Pläne oder Visionen entwickelt werden könnten. Strategien müssten vielmehr in kleinen Schritten entstehen, während eine Organisation sich anpasst oder»lernt«. Ähnlich, aber mit einer anderen Ausrichtung, sieht das die Machtschule, die Strategiebildung als einen Verhandlungsprozess betrachtet, sei es durch widerstreitende Gruppierungen innerhalb einer Organisation oder durch die Organisationen selbst, bei der Konfrontation mit ihrem äußeren Umfeld. Ganz anders sieht es eine andere Denkschule, die Strategiebildung als in der Unternehmenskultur verwurzelt betrachtet. Entsprechend hält sie den im Wesentlichen für kollektiv und kooperativ. Schließlich gibt es noch die Verfechter der Umfeldschule. Diese Organisationstheoretiker halten die Strategiebildung für einen reaktiven, der nicht von der Organisation selbst, sondern von ihrem äußeren Kontext ausgelöst wird. Somit versuchen sie, die Kräfte zu verstehen, denen Organisationen ausgesetzt sind. 21
9 Strategy Safari Von der letzten Schule könnte man behaupten, dass sie die zuvor genannten tatsächlich kombiniert. Wir nennen sie die Konfigurationsschule. In einem integrativen Ansatz versuchen ihre Vertreter, die verschiedenen Elemente unseres Tiers den strategischen, den Inhalt von Strategien, die Struktur der Organisation und ihr Umfeld in unterschiedliche Stufen oder Abschnitte einzuteilen, zum Beispiel unternehmerisches Wachstum oder stabile Reife. Manchmal stellen diese eine zeitliche Abfolge dar, die den Unternehmenslebenszyklus abbildet. Wenn Unternehmen jedoch in stabilen Zuständen zur Ruhe kommen, müssen ihre Strategieprozesse den Sprung von einem Zustand in einen anderen beschreiben. Daher betrachtet eine andere Seite dieser Denkschule den als einen der Transformation. Und davon handelt ein Großteil der umfangreichen Literatur und Praxis zum Thema»strategischer Wandel«. Es wird im weiteren Verlauf offensichtlich werden, dass einige dieser Schulen stärker die Kunst, das Handwerk oder die Wissenschaft (also die Analyse) des Managements betonen. So ist beispielsweise die Unternehmerschule am eindeutigsten auf die Kunst ausgerichtet, die Lern- und vielleicht die Machtschule auf das Handwerk und die Planungs- und die Positionierungsschule auf die Wissenschaft. Diese Denkschulen haben sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Entwicklung des strategischen Managements herausgebildet. Einige haben ihren Zenit bereits überschritten, andere bilden sich gerade und wieder andere bleiben bescheidene, aber nichtsdestotrotz bedeutsame Randnotizen in Literatur und Praxis. Wir werden jede dieser Schulen der Reihe nach behandeln und unsere eigene Interpretation ihrer Entwicklung und ihrer Problematik beisteuern, ehe wir im letzten Kapitel mit unseren integrativen Kommentaren dazu abschließen. Bitte beachten Sie, dass all diese Denkschulen in der Literatur zu finden sind, häufig in klar abgegrenzten Kategorien: in wissen- 22
10 »Und hier, meine Damen und Herren: das wilde Tier des strategischen Managements«schaftlichen Zeitschriften, in speziellen Fachmagazinen für die Praxis, in bestimmten Fachbüchern. Die meisten jedoch sind oder waren gleichermaßen in der Praxis zu beobachten, sowohl bei Organisationen als auch bei ihren Beratungsunternehmen. Praktiker lesen und werden von der Literatur beeinflusst, genau wie die Literatur von der Praxis beeinflusst wird. Dies ist also ein Buch über die Denkschulen zur Strategiebildung sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Ein kurzer Überblick Die Literatur zum strategischen Management ist umfangreich nur für die erste Auflage haben wir im Laufe der Jahre fast Titel eingesehen und wächst täglich. Natürlich kommt nicht alles aus dem Managementbereich. Auch aus allen möglichen anderen Sektoren erhält unser Verständnis des Strategieprozesses wertvolle Anregungen.»Alle Aspekte von Organisationen zu diskutieren, die für die Anpassung relevant sind, ( ) würde bedeuten, ( ) dass man mit Fug und Recht alles diskutieren müsste, was jemals über Unternehmen geschrieben worden ist«, schrieb William Starbuck (1965: 468). Das ist sogar eine Untertreibung, denn im Grunde müsste es heißen:»über kollektive Systeme aller Art«. Was Biologen über die Anpassung der Arten schreiben (zum Beispiel»Punktualismus«), kann für unser Verständnis von Strategie als Position (»Nische«) von Bedeutung sein. Was Historiker über Entwicklungsperioden von Gesellschaften (wie etwa»revolution«) schlussfolgern, kann die verschiedenen Entwicklungsstadien von Strategien in Organisationen erklären helfen (beispielsweise»turnaround«als Form der»kulturellen Revolution«). Die Beschreibungen der Physik zur Quantenmechanik und die Chaostheorien der Mathematik können Einblicke in den Wandel von Organisationen bieten. Und so weiter. Fügen Sie alle weiteren Schriften hinzu, die gemeinhin als relevant für das Studium von Organisationen 23
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