Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

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1 Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge, Predigt am Sonntag Exaudi 8. Mai 2016, Berliner Dom, Epheser 3, Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. I. Dazwischen. So könnte man den heutigen Sonntag Exaudi bezeichnen. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Zwischen dem Abschied Jesu und dem Kommen des Geistes. Der Auferstandene ist nicht mehr sichtbar bei seinen Jüngern. Aber er ist auch noch nicht in der Kraft des Heiligen Geistes zurückgekehrt. So erzählt es das biblische Zeugnis, besonders anschaulich die Apostelgeschichte. Sie reflektiert die vielfältigen Glaubenserfahrungen der allerersten Christenheit und gießt sie erzählerisch in eine zeitliche Abfolge: - Ostern: die Jüngerinnen und Jünger erkennen, dass Jesus, der Gekreuzigte lebt. - Himmelfahrt: Sie erfahren, dass er sich dennoch auch den Blicken entzieht. - Pfingsten: die Jüngerinnen und Jünger erleben die überwältigende Kraft des Geistes, der Verständnis über Sprachgrenzen hinweg weckt und Versöhnung schafft. All dies, was sich in der Glaubenserfahrung nie ganz trennen lässt, erzählt die Apostelgeschichte als Abfolge besonderer Ereignisse: Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten. Zwischen all diesen möglichen Erfahrungen bewegt sich der christliche Glaube. Und gerade der heutige Sonntag Exaudi, zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gelegen, verdeutlicht dieses Dazwischen in besonderer Weise. Zwischen Ab- 1

2 schied und Neubeginn entsteht ein spannungsvoller Raum, zwischen Gottesferne und Erfahrung der Kraft des Geistes; zwischen Zweifel und Hoffnung. Von dieser Spannung erzählt auch das Evangelium des Sonntags Exaudi aus den Abschiedsreden des Johannes: Jesus versucht seine Jünger darauf vorzubereiten, dass er nicht mehr so da sein wird, wie sie ihm jetzt begegnen, dass er aber in der Kraft des Trösters gegenwärtig bleibt. In eine aufmerksame Haltung ruft er seine Jünger hinein: das Gewohnte wird vergehen, aber Neues wird kommen und in einer neuen Weise die Gegenwart des auferstandenen Christus bezeugen. II. Die eindrücklichen biblischen Erzählungen von Ostern über Himmelfahrt zum Pfingstfest, sind mehr als nur Berichte über vergangene Ereignisse. Sie sind eine Einführung in die Spannungen, in denen jeder, der glaubt, lebt. Glaube lebt immer in dieser Spannung des Dazwischen. Bis heute. Zwischen Werden und Vergehen. Zwischen Hoffnung und Zweifel. Zwischen Freude und Trauer. Zwischen Abschied und Neubeginn. In der Erfahrung der Nähe und der Abwesenheit Gottes. Wer glaubt, sucht und fragt immer wieder neu: Wo kann ich, wie die ersten Christen zu Pfingsten, die Kraft des Glaubens erfahren, wenn mir die Anschaulichkeit Gottes verloren geht? Wo kann ich versöhnte Gemeinschaft erfahren, über alles Trennende hinweg? Wo finde ich Gott? Soll ich oben im Himmel suchen, so wie das Himmelfahrtsereignis es nahe legt? Oder im Brausen und der Vielfalt der Sprachen und Menschen, so wie es die Pfingstgeschichte beschreibt? Festlegen kann ich Gott nicht. Überall kann mir Gott begegnen. Jeden Zwischenraum meines Daseins kann er ausfüllen. Der Predigttext für den heutigen Sonntag Exaudi beschreibt mit machtvollen III. Worten, wie Gott erfahren werden kann. Es ist ein Text aus dem Epheserbrief. 2

3 Der Schreiber wendet sich an die jungen christlichen Gemeinden und berichtet, wie er für sie betet, um dann in einem hymnischen Gotteslob zu enden. Ich lese den Predigttext aus Epheser 3, die Verse 14 bis 21: Ich beuge meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen; dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Große Worte, die der Verfasser verwendet. Groß ist, wovon er schreibt. Gott hat kosmische Dimensionen, umfasst die ganze Welt: Himmel und Erde, und ist zugleich im Herzen der Menschen, zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Ohne Zurückhaltung, ohne Vorsicht, ohne Einschränkung spricht er von der Größe und Macht Gottes und von den Glaubenden, die diese Größe betend erkennen können. Was groß ist, braucht große Worte, das mag sich als Idee des Schreibers hinter seinen Worten verbergen. Es gibt eine Besonderheit an diesem hymnischen Text. An einer Stelle wird deutlich, dass die großen Worte unseren Blick auf etwas lenken wollen, das die menschlichen Vorstellungen durchbricht. Zu den drei Raum-Dimensionen, die wir im alltäglichen Leben kennen Breite, Länge und Höhe wird noch eine vierte Dimension hinzugefügt: 3

4 So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Offensichtlich will der Schreiber des Epheserbriefes deutlich machen, dass die Gotteserkenntnis die vertrauten Dimensionen des Alltags durchbricht. Die Liebe Christi geht in die Tiefe, durchbricht die gewohnte Raumerfahrung von Breite, Länge und Höhe, geht den Dingen auf den Grund. Erst wer die Liebe Christi erkennt, erkennt die Fülle Gottes. So verweist die rätselhafte Dimension der Tiefe, die den Raum ergänzt, auf die Liebe Christi. Die Liebe Christi war auch für Martin Luther die entscheidende Erkenntnis des Glaubens. Er schreibt: Durch den Glauben fährt der Mensch über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. Wer also die Liebe Christi erkennt, so Martin Luther, wird über sich selbst hinausgeführt, ist in Gott und Gott ist durch die Liebe Christi auch in ihm. Diese Geometrie der Liebe ist ungewöhnlich. Sie zeigt, dass wir den Erfahrungsraum des Glaubens nie ganz vermessen können, und erst recht können wir Gott nicht vermessen, der uns immer neu und überraschend begegnet, in den Spannungen unserer Existenz. Die Liebe ist mehr als eine gewohnte Erfahrung. Sie gibt jeder Erfahrung eine ungeahnte Tiefendimension! IV. Dieser erhabene Text des Epheserbriefes, der die Größe und Pracht Gottes beschreiben will und dafür die Raumdimensionen sprengt, ist uns am heutigen Sonntag Exaudi für die Feier des Gottesdienst hier im Berliner Dom gegeben. Und ich meine: Dieser Text findet hier, in dieser prächtigen Predigtkirche, deren Breite, Länge und Höhe beeindruckend ist, einen angemessenen Resonanzraum. Auch dieser Raum will die Größe Gottes feierlich darstellen, nicht mit Worten, 4

5 sondern mit seiner vielfältigen Gliederung, seiner neobarocken Dekorationsfreude und seinen bildlichen Darstellungen: - Das Leben Jesu wird dargestellt in den rechteckigen Fenstern im Altarraum: Geburt, Kreuzigung und Auferstehung. - Die zwei Engel im Scheitel des Triumphbogens loben das Versöhnungswerk Gottes und rufen die Gemeinde auf: Lasst euch versöhnen mit Gott. - Die hohe und weit gewölbte Kuppel ist gekrönt mit einer Taube, dem Symbol des Heiligen Geistes. - Unterhalb der Taube aber finden sich acht Kuppelmosaike, in denen die Seligpreisungen Jesu dargestellt werden: Selig sind die geistlich arm sind, die Leidtragenden, die Sanftmütigen, die sehnsüchtig auf Gerechtigkeit warten, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Friedfertigen. um nur einige Facetten dieses Raumes in seiner Breite, Länge und Höhe zu erwähnen. Erstaunlich ist, dass nicht der Weltenherrscher die Kuppel krönt, sondern die Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Und diese Taube ist umringt von den Seligpreisungen Jesu. Mit ihnen beschreibt Jesus die Liebe und Zuwendung zu denen, die in der Welt ohne Ansehen bleiben und Trost brauchen. Was sehe ich also, wenn ich in diesem Dom den Blick ganz nach oben richte? Ich entdecke die Zuwendung zu denen, die ganz unten sind! Ist also nicht auch hier, in dieser Predigtkirche, die Breite, Länge und Höhe des Raumes durchbrochen durch die Tiefendimension der Liebe? Wer hier seinen Blick ganz in die Höhe lenkt, sieht keinen fernen Weltenherrscher, sondern wird zurück auf diejenigen verwiesen, die im Alltag der Welt unsere Liebe brauchen. Ganz so wie Martin Luther die Liebe verstanden hat: Durch den Glauben fährt der Mensch über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. 5

6 Wer die Erhabenheit Gottes sucht, wird durch die Liebe zurückverwiesen auf den Nächsten und bleibt so mit der göttlichen Liebe vereint. Den Weg zu Gott finden wir also auch in dieser prächtigen Predigtkirche nur, wenn wir uns nicht von der Breite, Länge und Höhe dieses vielfältig gegliederten Raumes blenden lassen, sondern entdecken, wie dieser Raum über sich selbst hinausweist und uns zu der Liebe Christi führt. Das ist die Tiefendimension auch dieses Raumes. Der Raum will bestätigen, was das Wort uns sagt: Wir erleben Gott, wenn Christus durch den Glauben in (unseren) Herzen wohnt und (wir) in der Liebe eingewurzelt und gegründet (sind). V. Die Liebe entsteht im Dazwischen. Sie wird dort erlebbar, wo wir nach Gott fragen und offen sind für seinen Geist, der die gewöhnlichen Erfahrungen durchbricht. In Christus erkennen wir diese Liebe. Mit seinen Seligpreisungen hat er uns die Liebe gezeigt, die sich nicht über andere erhebt, sondern verwundbar und verletzlich bleibt. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten feiern wir heute Gottesdienst. Im Dazwischen unseres Lebens. Da spüren wir Gott. Jeden Zwischenraum unseres Daseins füllt er aus; mit seiner Liebe. Und schenkt uns damit die Kraft zum Leben in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und so wollen wir es nun auch singen, mit Paul Gerhardt: Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Amen. 6