ZUR GESCHICHTE DER ORGELMENSUREN UND IHRER BEDEUTUNG FÜR DIE KUNST DES ORGELBAUES
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- Mona Hauer
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1 1 ZUR GESCHICHTE DER ORGELMENSUREN UND IHRER BEDEUTUNG FÜR DIE KUNST DES ORGELBAUES Von O s ca r W a l cker, Ludwigsburg Die ersten geschichtlich bekannten Mensuren stammen aus dem 9. und 10. Jahrhundert und sind überliefert durch den Traktat de mensura fistularum" des Berner Anonymus, ferner Notkers de octo modis", sowie des Presbyters Theophilus Schedula diversarum artium". Notker berichtet nach Edward Buhle Die Blasinstrumente in den Miniaturen des frühen Mittelalters" (1903): Die Länge der ersten Pfeife sei mit einer Elle zu kurz und mit zwei zu lang, daß aber anderthalb glimpflich sei. Der Berner Anonymus sagt ebenfalls nach Buhle: Der Durchmesser habe die Weite eines reichlichen Zolles ( des Längenmaßes eines Taubeneies"), d. h. 37 mm. Das Verhältnis der Weite zur Länge der Pfeife war 32:1. Es betrug die Länge demnach 118 cm. Diese entspricht unserem heutigen c 4. Aus Theophilus' Schedula ersehen wir, daß das Labium der Pfeife die Hälfte des Pfeifenumfangs einnahm und der Raum zwei Finger breit gewesen sei: dies gibt ebenfalls wieder 37mm. Alle Pfeifen hatten gleiche Weite; zwei bis zweieinhalb Oktaven betrug der Tonumfang. Die Mensur war also gegenüber unseren heutigen Mensuren außerordentlich variabel: im Baß ein Streicher und nach dem Diskant zu als Flöte endigend. Melodien, die auf solchen Pfeifenreihen gespielt wurden, müssen farbig bewegt geklungen haben. Als Material für die Pfeifen diente Kupfer oder eine Legierung von Kupfer und Zinn. In der Schedula" wird auch über den genauen Arbeitsvorgang bei der Herstellung der Pfeifen berichtet. Der Kern war halbrund, die Labierung entsprach also genau dem Pfeifendurchmesser. Zu welcher Zeit nun die Progression der Mensur des Pfeifendurchmessers eingesetzt hat, läßt sich nicht genau bestimmen; festzustellen ist nur, daß die Miniaturen bis ins 13. und 14. Jahrhundert hinein Pfeifenreihen mit gleichen Durchmessern zeigen. Ich vermute, daß die Progression der Pfeifenweite einsetzte, als man den Tonumfang weiter ausdehnte; denn schon nach drei Oktaven wird es technisch unmöglich, bei gleicher Weite und verkürzter Länge noch einen gesunden Ton zu erzeugen. Bei den kleineren Pfeifen wird deshalb der Durchmesser verengt und dadurch die Möglichkeit gegeben, die verlangte Tonhöhe zu erreichen. A. Gastoue gibt in seinem Buch L'orgue en France" (Paris 1921) die Zeichnung eines Zungenregisters aus dem 11. bis 12. Jahrhundert (S. 35). Es war in einem kleinen Portativ enthalten, besaß 7 bis 12 Pfeifen und entsprach dem späteren rigabellum oder regale. Diese Zeichnung ist einesteils nebenbei gesagt ein Beweis dafür, daß zu jener Zeit schon Zungenstimmen in Frankreich gebaut wurden, andernteils bezeugt sie vor allem, daß schon im 12. Jahrhundert konische Schallbecher mit progressiver Mensur verwendet wurden. Wie die Progression der Mensur sich schließlich entwickelt hat, das kann am besten ein Vergleich mehrerer Principalreihen zeigen: Notkers älteste und gleichlaufende Mensur trifft die spätere progressive Principal- Mensur beim fis'.
2 2 Ein interessanter Traktat burgundischer Herkunft von ca. 1465, der mir aus der Pariser Nationalbibliothek (mscr. lat. 7296) in Photographie vorliegt, enthält die Zeichnung eines im Prospekt stehenden Montre, d. h. Principal. Dieser besteht aus 31 Pfeifen und weist erstmalig progressive Mensur auf. Er ist in der Baßlage noch wesentlich enger als der Silbermann-Principal, läuft aber nach der ersten Oktave in die spätere Silbermann-Mensur ein. Die Mensur des Burgunder Principals bedeutet also eine erste Entwicklungsstufe der progressiven Principalmensur. Vergleicht man nun die Principalmensuren von Schnitgers Jakobi-Orgel, von Dom Bedos, Silbermann und einem heutigen Normalprincipal, so verlaufen diese alle zwischen c' und fis' nahezu in einer Linie. Nach der Tiefe zu ist Silbermann noch am engsten, die heutige Normalmensur ziemlich viel weiter, Schnitgers Oktav 4 gleichlaufend mit DomBedos am weitesten. Nach oben zu, d. h. jenseits von fis' ist Silbermann wiederum am engsten, Schnitger etwas weiter, die heutige Normalmensur noch weiter, Dom Bedos am weitesten. Es dürfte wohl anzunehmen sein, daß in der großen Oktave des Achtfuß die Mensur nicht immer nur vom rein klanglichen Gesichtspunkte aus gewählt wurde, vielmehr dürfte auch die Kostenfrage des Materials und die Notwendigkeit der Ausfüllung des Prospekts mit Pfeifen für eine enge oder weite Mensur manchmal maßgebend gewesen sein. Nachstehend möchte ich die Vergleichszahlen der Progression obengenannter Principalmensuren geben. Die Querschnitte der einzelnen c verhalten sich zueinander bei: N r. Quelle c5/c4 c4/c3 c3/c2 c2/c1 c1/c0 c0/c 1 Notker, Labeo, St. Gallen 1/1 1/1 2 Burgunder Traktat, Paris 1/2,7 1/2,2 3 Lünbeburg, St. Johann. Waldflöte 1/3,1 1/2,4 1/2,6 1/2,8 1/2,0 4 Schnitger, HH Jakobi Okt.8 1/3,5 1/2,6 1/2,8 1/3,5 5 Schnitger, HH- Jakobi Okt.4 1/2,0 1/2,6 1/3,0 1/3,4 6 Dom Bedos, Princ 8 1/2,1 1/2,8 1/2,5 1/2,7 7 Dom Bedos, Oktav 4 1/2,2 1/2,7 1/3,2 1/3,6 8 Silbermann, Dresden Okt.4 I 1/2,5 1/2,9 1/3,4 1/3,2 9 Silbermann, Dresden Princ. 4 1/2,5 1/3,0 1/3,5 1/3,0 10 Töpfer, Mensur A 1: 8 1/2,9 1/2,8 1/2,8 1/2,8 1/2,8 1/2,8 11. Walcker, Pricipal E-Mens 1/3,1 1/2,1 1/2,6 1/2,6 1/2,6 1/2,7
3 3 Gottfried Silbermann ist derjenige, welcher die Gesamtdisposition unter den Gesichtspunkt einer Einheitsmensur stellt, und zwar unter die des Principals. Seine Gedackte und Mixturen weisen Principalmensur auf. Die konische Gamba hat im unteren Durchmesser Principalmensur und verjüngt sich nach oben zu einem Drittel. Die einzige Ausnahme macht das Kornett, dessen Durchmesser nach französischer Art das Anderthalbfache des Principals beträgt. Kein Zweifel: diese Einheitlichkeit in der Mensur bedingt den charakteristischen Gesamtklang der Silbermannorgeln. Silbermanns Zeitgenosse, Josef Gabler, der Erbauer der berühmten Weingartener Orgel, beginnt zwischen 1737 bis 1760 mit dem Übergang auf enge Mensuren. Nur einige seien genannt: im II. Manual hat das Vierfuß-c des Salicional 8' 33 mm, Cello 65 mm, Unda maris 4o mm Durchmesser. Im 19. Jahrhundert bürgerten sich die eng-mensurierten Register Salicional, Viola di Gamba, Dulciana, Dolce usw. immer mehr ein. Mit Einführung der Aeoline und der Violine waren die engsten Mensuren, die technisch noch möglich waren, erreicht. Um die Wende des 18. Jahrhunderts machte der Abbe Georg Joseph Vogler viel von sich reden, er wirkte als Musikwissenschaftler, Komponist und ausübender Künstler; als Orgelbautheoretiker und Orgelspieler ging er neue Wege. Der Orgelklang jener Zeit scheint ihn wenig befriedigt zu haben, wie aus den Erinnerungen Eberhard Friedrich Walckers hervorgeht, der über seine Zusammenarbeit mit Vogler wie folgt schreibt:,,eine besondere Förderung in meinem Fach fand ich durch den bekannten Abbe Vogler. Dieser kam auf seinen Kunstreisen auch nach Cannstatt und ließ sich dort, wie er auch sonst pflegte, für seine Produktionen die Orgelpfeifen nach seinem besonderen sogenannten Simplifikationssystem gegründet auf die genaueste physikalische Grundlage zusammenstellen, wodurch er eine bis dahin unbekannte Fülle, Wohllaut, Kräftigkeit und Harmonie des Orgelspiels erreichte. Ich selbst wurde von Vogler beigezogen, und es gelang mir schon damals, durch Vogler geleitet und aufmerksam gemacht auf die mathematisch-physikalische Basis des gesamten Tonsystems, zu seiner Zufriedenheit eine reinere, harmonischere und kräftigere Intonation der Orgelpfeifen herzustellen, als bisher gewöhnlich war." Voglers Simplifikationssystem bestand im wesentlichen darin, die Aliquotregister lückenlos als klangverstärkende und klangfärbende Elemente des Grundtones in die Orgeldisposition aufzunehmen. E. F. Walcker hat in den Jahren beim Bau seiner ersten großen Orgel in die Paulskirche in Frankfurt a. Main die Aliquote des 32', 16' und 8' völlig ausgebaut und damit einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Die Mensuren dieser Aliquotstimmen waren insofern verschieden, als die Terzen ziemlich enge konische Form, die Quinten Flötencharakter aufwiesen, die Vier-, Zwei- und Einfüßer usw. aber Principalmensur hatten. Die Firma E. F. Walcker & Cie. hat auch bei ihren neuen großen Werken in Reinoldi-Dortmund, Michaelis-Hamburg (wie in der Paulskirche) unter besonderer Berücksichtigung entsprechender Mensuren die Aliquotreihen ebenfalls restlos durchgeführt. Die immer schärfer auftretenden Streicher, das Zurückdrängen der Mixturen und Aliquote, sowie die Häufung grundtöniger 8'- Aequalregister führten schließlich Ende des 19. Jahrhunderts zu dem Orgeltyp, der klanglich nicht mehr recht befriedigte. Albert Schweitzer und Emil Rupp, letzterer von Cavaille-Coll her stark beeinflußt, liefen als erste Sturm gegen diese Orgel, traten in Wort und Schrift energisch für die Wiedereinführung
4 4 der Aliquote und Mixturen und für das Zurückdrängen des zu grundtönigen Orgelklanges ein. Da und dort wird behauptet, daß auch der Winddruck und die Windladenkonstruktion einen Einfluß auf den Orgelklang haben, und daß der schöne Klang mancher alter Orgeln auf niederen Winddruck und auf die Schleiflade zurückzuführen sei. Insbesondere wird der Schleiflade der Vorzug nachgerühmt, daß die Pfeife durch langsamere Windzufuhr beim Ertönen besser anspreche, und daß der Klang durch mitschwingende Kanzellentöne einen besonderen Reiz bekomme. Aus diesen Gründen wird verlangt, wieder zur Schleiflade und zur mechanischen Traktur zurückzukehren, zu letzterer allerdings auch aus spieltechnischen Gründen. Ehe man aber derartigen Vorschlägen und Wünschen näher treten kann, müßte durch umfassendere Versuche nachgewiesen werden, wieweit diese Behauptungen begründet sind. Ich selbst habe Versuche unternommen, die sich auf 70 bis 100 mm Druckdifferenz in der Lade bezogen, und konnte dabei feststellen, daß durch Gehör wahrnehmbare Klangänderungen bei verschiedenem Winddruck nicht eintraten. Für den Klang und die Intensität des Pfeifentones ist nämlich nicht der Winddruck im Blasbalg und in den Ladenkanzellen maßgebend, sondern derjenige, der im Pfeifenfuß vorhanden ist, und der durch die Intonation bestimmt wird. Dieser Winddruck im Pfeifenfuß ist abhängig von der Größe der Fußöffnung und dem Abschluß durch die Kernspalte. Weisen z. B. zwei gleichgebaute und auf dem gleichen Winddruck intonierte Pfeifen im Fuß 4o mm Druck auf, so sind Intensität, Volumen und Farbe bei beiden gleich. Stellt man nun eine dieser Pfeifen auf 100 mm und die andere auf 70 mm Druck und intoniert beide so, daß der Winddruck in den Füßen wiederum 40 mm beträgt, so sind Intensität, Volumen und Farbe auch bei schärfstem Hinhören wieder genau so gleich, als ob die Pfeifen auf gleichem Druck ständen. Will man daher in diesen Fragen zu sicheren Resultaten kommen, so müssen rein theoretische oder gefühlsmäßige Erwägungen und Einstellungen zurückgestellt werden gegenüber den Ergebnissen der praktischen Versuche. Die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um mit Recht eine Orgel als ein Kunstwerk bezeichnen zu können, möchte ich folgendermaßen beantworten. Die Orgel wird ein Kunstwerk, wenn Disposition, Intonation und Pfeifenmensur in ein Verhältnis gebracht werden, das dem Gesamtklang des Instruments neben silberhellem, frischem Glanz majestätische Würde verleiht, wobei die einzelnen Stimmen sich verschmelzen und doch in polyphonem Spiel die Linienführung der Melodien klar herausheben. Allgemeingültige Gesetze gibt es weder für dieses Verhältnis noch für Disposition, Intonation und Mensur an sich; vielmehr formt sich alles erst unter den Händen des Orgelbaukünstlers. Was dies bedeutet, möchte ich an den P f e i f e n- mensuren erläutern. Die Mensur bestimmt den Ton nach Volumen, Stärke und Farbe; sie gibt: Querschnitt, Aufschnitt, Teilung des Labiums im Verhältnis zum Umfang, Windzufluß und Tonhöhe. Diese Maße stehen in einem gewissen Verhältnis zueinander. Dem Ton selbst aber gibt erst die Intonation das Leben. Die Mensuren der Registerreihen zeigen beim Aufzeichnen Kurven mit mathematischen Grundformen, Töpfer nennt sie geometrische Reihen". Er hat mit großer Gründlichkeit versucht, die Progressionen der Mensuren zu errechnen und auf einen Koeffizienten zu bringen. Er untersuchte die
5 5 Mensuren des Dom Bedos, Silbermann, Walcker, Schulze, Ladegast, Cavaille-Coll und besonders die seiner Orgel in Weimar und stellte dabei fest, daß sie durchaus verschieden sind. Er meint, daß die Erfahrung gewisse mittlere Werte schaffe, aber diese der Korrektur durch die Rechnung bedürften. Demgegenüber ist zu sagen: Für die Theorie sind solche mathematischen Berechnungen zweifellos von Wert, aber in der Praxis wird kaum ein Orgelbauer Töpfers Berechnungen zur Hand nehmen; für ihn sind andere Voraussetzungen beim Entwurf der Mensuren maßgebend. Hierbei müssen Raumgröße und Raumakustik berücksichtigt werden. Sind in der Disposition klangähnliche Register in gleichen oder in verschiedenen Manualen enthalten, so werden die Mensuren so zu wählen sein, daß trotz Klangähnlichkeit jede Stimme eigenen Charakter und eigene Farbe aufweist. Die Mensuren der Aliquotregister je nach ihrer Bedeutung für den Gesamtklang oder für einzelne Farbmischungen zu entwerfen, erfordert besondere Erfahrung und künstlerischen Geschmack beim Orgelbauer; denn die Mixturen selbst sind wohl die wichtigsten Stimmen in der Orgel. Ihre Mensur und Zusammensetzung sind wiederum ganz und gar von der Raumakustik abhängig. Die gleiche Mixtur klingt in einem Raum klar und silberhell, im akustisch anders gearteten Raum jedoch scharf und grell. Nach meiner Erfahrung können deshalb die Mixturen erst in dem Raum, in dem sie klingen sollen, zusammengesetzt werden. Von besonderer Wichtigkeit ist das Verhältnis des Tonvolumens, der Intensität und der Klangfarbe innerhalb einer Pfeifenreihe selbst. Töpfer weist darauf hin, daß man Rücksicht auf das Verhältnis der Stärke, in welchem die tieferen zu den höheren Oktaven stehen, nehmen müsse, damit der Baß den Diskant nicht überschreie oder umgekehrt der Baß sich nicht etwa in kräftiger Tonfülle hören lasse, während im Diskant nur zarte und magere Töne zu vernehmen seien. Er strebt ein Verhältnis an, das dem Register im Baß, in der Mittellage und Diskant möglichst gleiche Stärke, Fülle und Farbe gibt. Will man diesen Grundsatz bei allen Registern einer Disposition durchführen, so entsteht beim Tutti und gewissen Mischungen ein ungesundes Verhältnis: die Baßlage ist zu dick und kräftig, die Mittellage zu dünn und der Diskant zu schreiend. Durch die Mixturen sucht man diesem Mißverhältnis zu begegnen; sie geben dem Baß Helligkeit und Flüssigkeit und dem Diskant Fülle und Glanz. Die Dispositionen der frühen Barock- und der Silbermannzeit sind unübertreffliche Beispiele wohldurchdachter künstlerischer Anwendung der Mixturen als Ausgleich des Klanges der Labialregister im Baß und Diskant. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts werden die Mixturen immer mehr vernachlässigt und zurückgedrängt. Sie wurden in den achtziger und neunziger Jahren geradezu aus der Orgel und der Disposition ausgeschaltet; an ihre Stelle traten streichende Labialstimmen. Die Folge war, daß die Orgeln im Baß zu dickflüssig, in der Mitte zu leer und im Diskant zu schreiend wurden; es fehlte der notwendige Mixturenausgleich. Darum ist es kein Wunder, daß die Orgel bei Musikern und musikverständigen Laien immer weniger geschätzt und schließlich gemieden wurde. Manch hartes Urteil war berechtigt, und es fragt sich, ob nicht gerade durch Töpfers mathematische Spekulationen der Blick für das verloren ging, was man unter der Kunst des Orgelbaues versteht.
6 6 Bei der Untersuchung der Mensuren des Dom Bedos kommt Töpfer resp. der Bearbeiter seines Lehrbuchs M. Allihn, zu dem Schluß: Die Mensuren des Dom Bedos sind sämtlich variabel, doch nicht deshalb, weil Dom Bedos hiermit etwas Besonderes bezweckte, sondern weil er es nicht besser verstand." Wie wenig sind Töpfer und Allihn den künstlerischen Absichten des Dom Bedos gerecht geworden! Nein: Dom Bedos hatte klar erkannt, daß zwischen Tonvolumen, Intensität und Klangfarbe durch variable Mensur ein Ausgleich geschaffen werden muß. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Die Mensur jedes einzelnen Registers soll auch deshalb mehr oder weniger variabel sein, damit das polyphone Spiel in allen Lagen klar und durchsichtig wird, sowohl beim Einzelspiel des Registers als auch bei jeder Mischung verschiedener Register bis zum vollen Werk hin. Ein Beispiel: Für das Principalregister fand Töpfer als geeignetstes Verhältnis der Mensur den Zahlen wer 1 : 8. Dies ergebe nach Töpfer eine gleichbleibende Klangschärfe und Klangfülle. Aber das Spiel auf diesem Einzelregister ist durchaus einförmig und eintönig und dürfte den Hörer bald ermüden. Es entspricht der Einfarbentechnik in der Malerei und kommt unserem heutigen Klangempfinden nicht mehr entgegen. Wie anders klingt es, wenn die Mensur dieser Stimme stark variiert, etwa im Baß mit Celloklang beginnend, nach der Mitte zu unmerklich zum reinen Principalklang übergehend und im Diskant mit einer obertonlosen Flöte endigend! Die Melodie hebt sich farbig ab von der Begleitung, ob sie im Baß oder Diskant liegt; in allen Lagen wird das Spiel lebendig. Der musikalische Spieler wird zum Improvisieren geradezu angereizt, der Hörer klanglich gefesselt. Der Vierfußprincipal (oder die Oktave 4') hatte bisher nur den Zweck, bei bestimmten Mischungen und bei kleinen Werken dem Tutti Vierfußfärbung zu geben und bei zweimanualigem Spiel den cantus firmus herauszuheben; er war aber als Solostimme kaum benutzbar. Wie anders, wenn man Töpfers Normalmensur verläßt und die Mensur frei gestaltet, so daß in der Tiefe Principalklang vorherrscht, während schon beim g unmerklich eine Quinte hinzutritt und das Register oben nach Hinzutreten weiterer Aliquot als feinschneidende Mixtur endet! Principal 8' und Oktave 4' zusammengezogen, ergänzen sich klanglich bei diesen variablen Mensuren und Chören aufs beste. Im Baß erhält der Cellocharakter durch den Vierfußprincipal noch mehr Bestimmtheit, in der Mitte durch die hinzutretende Quinte mehr Farbe und im Diskant die Flöte 8' durch den Vierfuß und die Aliquote frischeren Glanz. Auch hierdurch wird ein selten klares polyphones Spiel ermöglicht. Wie bei Principal und Oktave wird auch bei den übrigen Registern beim Entwurf der Mensuren verfahren. Eine unendliche Zahl von Farben und Mischungen vermag die Kunst des Orgelbauers zu erzeugen. Dabei steigen die Schwierigkeiten der Intonation naturgemäß, denn alle herben Übergänge in Farbe, Volumen und Intensität müssen vermieden werden, damit die Farbenharmonie des Gesamtklanges gewahrt bleibt. Um nun zum Schluß zu den historischen Fragen zurückzukehren, so finden sich gerade bei den Orgelbaumeistern der Barockzeit Kurven von eigentümlich starker Variabilität. Greifen wir drei Beispiele heraus, nämlich: Quintatön 16' und Rohrflöte 4 aus Schnitgers Hamburger Jakobiorgel, sowie Waldflöte 2' aus Georg Böhms und Bachs Lüneburger Johannisorgel. Insbesondere die Rohrflöte 4' der Hamburger Jakobiorgel
7 7 soll aus dem Jahr 1516 stammen und zu den klangschönsten Stimmen gehören, welche die Jakobiorgel überhaupt besitzt" (Jahnn). Die Mensurkurven bei den Schnitgerschen Registern stehen in merkwürdiger Beziehung zueinander. Nämlich bei c kommen sie einander am nächsten, indem der 4' das größte Volumen und der 16' umgekehrt das geringste Volumen aufweist. Nur innerhalb der kleinen Oktave verlaufen beide parallel zueinander. Aber nach der Baßseite hin verengt sich der 4`und erweitert sich der 16'. Umgekehrt: ab c' nach oben zu erweitert sich der 4' und verengt sich der 16'. Stellt man nun diesen beiden Mensurkurven von Arp Schnitger die Waldflöte 2' der Lüneburger Johannisorgel gegenüber, welche aus früher Barockzeit stammt, so verdickt sich der Lüneburger 2' stark in der Mittellage und verjüngt sich nach Baß und Diskant hin in gleichmäßigem Schwünge. Dieses Register zeigt außerdem noch die besondere Eigentümlichkeit, daß sich auch die Mensur der Labiierung progressiv ändert, während diese bei heutiger Bauart unverändert bleiben würde. Bei jedem dieser drei Beispiele zeigt die Linienführung eine so charakteristische Eigenart, daß man wohl annehmen kann, der Kurvenentwurf sei bei den Meistern jener Zeit persönlichster Ausdruck künstlerischen Gestaltens. Die freie Linienführung nach intuitivem Ermessen muß auch das Ziel des Orgelbauers unserer Zeit sein. Die alten Barockmensuren beweisen, welch reichbewegtes Leben im Orgelbau der Barockzeit pulsierte. Es erscheint mir deshalb notwendig, daß die Mensuren aller heute noch erhaltenen Barockregister eingehend untersucht werden. Vielleicht lassen sich, wenn weiteres Material vorliegt, auch Schlüsse ziehen, inwieweit die Orgelmensuren und die durch sie bedingten Klangfarben wechselseitig die Gestaltung der damaligen Orgelmusik beeinflußt haben. Aus der Blütezeit der deutschen Orgelbaukunst im Zeitalter des Barock wollen wir neue Erkenntnis und Kraft schöpfen, um eine Orgel zu schaffen, die die vorbildlichen Orgelkompositionen vergangener Jahrhunderte in ihrer Schönheit und Eigenart erstehen läßt, die aber in erster Linie dem heutigen Klangbedürfnis entgegenkommt und der Musik unserer zeitgenössischen Orgelkünstler und -komponisten gerecht wird. aus Bericht über die Freiburger Tagung für Deutsche Orgelbaukunst von 27. bis 30 Juli 1926 Herausgegeben von Wilibald Gurlitt 1926 Bärenreiter-Verlag Augsburg wieder veröffentlicht am 22.Feb.2004 von Gerhard Walcker-Mayer
. (H. Stiel ).
Walcker.. -.. 20 : «1 400». -.. XIX -..,,,. -. -.. 1840 E.F. Walcker (III/65),. ( E.F. Walcker, ), 1870-. W. Sauer (III/35, 1875 ). 1890- E.F. Walcker ( 20. ). -.,,,.., 7 .. 1862,,. (H. Stiel 1829 1886)..,
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