Geschichte des modernen ökonomischen Denkens

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1 UTB S (Small-Format) 3747 Geschichte des modernen ökonomischen Denkens Große Ökonomen und ihre Ideen Bearbeitet von Toni Pierenkemper 1. Auflage Taschenbuch. 224 S. Paperback ISBN Gewicht: 233 g Wirtschaft > Volkswirtschaft > Geschichte der VWL Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

2 Toni Pierenkemper Geschichte des modernen ökonomischen Denkens Große Ökonomen und ihre Ideen Vandenhoeck & Ruprecht

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4 Toni Pierenkemper Geschichte des modernen ökonomischen Denkens Große Ökonomen und ihre Ideen Vandenhoeck & Ruprecht

5 Professor em. Dr. Toni Pierenkemper war bis 2010 Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Köln. Er war geschäftsführender Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte. Mit 32 Abbildungen soweit nicht übernommen von Marius Pierenkemper Umschlagabbildung: Adam Smith, John Stuart Mill, John Maynard Keynes (von links) Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Ruhrstadt Medien AG, Castrop-Rauxel Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen UTB-Band-Nr ISBN

6 Inhalt Vorwort Gegenstand, Methode und Denkstil der Ökonomik Welchen Sinn macht Theoriegeschichte? Das vormoderne ökonomische Denken Die Geburt einer neuen Ökonomik in England Adam Smith: Begründer einer neuen Wissenschaft Thomas Robert Malthus: Prophet des Untergangs David Ricardo: der Klassiker John Stuart Mill: Ökonomik als Sozialwissenschaft Deutsche Gegenentwürfe zur englischen Klassik Friedrich List und das nationale System Johann Heinrich von Thünen und Hermann Heinrich Gossen: Wegbereiter der Marginalanalyse Die Historische Schule der deutschen Nationalökonomie Karl Marx und der Marxismus Die Entstehung einer internationalen neoklassischen Ökonomik Menger, Jevons und Walras: Väter der Neoklassik Alfred Marshall: Vollender und Versöhner? Eine neue Ökonomik im 20. Jahrhundert Der amerikanische Institutionalismus und die Neue-Institutionenökonomik John Maynard Keynes und der Keynesianismus Milton Friedman und der Monetarismus Neuere Entwicklungen: Evolutorik, Verhaltensökonomik, Spieltheorie Ausblick: Hat die Ökonomik Fortschritte gemacht? Grundlegende Literatur

7 Richard Tilly Lehrer und Freund zum 17. Oktober 2012

8 Vorwort An einführenden Werken zur Theoriegeschichte der Ökonomik oder, wie man diese ökonomische Teildisziplin bislang häufig benannte, zur Dogmengeschichte, besteht kein Mangel. Warum also dieses Buch? Schon Joseph A. Schumpeter hat der Theoriegeschichte die gehörige Aufmerksamkeit gewidmet und in einem Epoche machenden Werk die Geschichte der ökonomischen Analyse, so der Titel des posthum erschienenen Buches, aus seiner Sicht nachgezeichnet. 1 Darin geht er nicht nur ausführlich auf methodische Fragen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein, sondern er greift auch hinsichtlich des ökonomischen Denkens sehr weit in die Vergangenheit, nämlich bis in die griechisch-römische Antike, zurück. Auch werden umfangreiche Erläuterungen zu den geistigen Strömungen der jeweiligen Epochen gegeben, so dass die Lektüre der nahezu Textseiten dieses Opus nicht nur Geduld, sondern auch ein erhebliches Vorverständnis voraussetzt. Für einen Lehrtext wie den vorliegenden, der insbesondere für Studenten des Bachelorstudiums gedacht ist, 2 erscheint daher der schumpetersche Text wenig geeignet. Ähnlich komplex wie Schumpeter, wenngleich weniger umfangreich, doch immer noch auf 700 eng bedruckten Seiten, argumentiert auch Gerhard Stavenhagen in seiner Geschichte der Wirtschaftstheorie, indem er die Gedankengänge der wichtigsten Schulen der modernen Ökonomik seit dem 1 Joseph A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse. Nach dem Manuskript herausgegeben von Elizabeth B. Schumpeter, 2 Bde., Göttingen 1965 (engl.: History of Economic Analysis, New York 1954). 2 Darin unterscheidet sich der knappe Lehrtext des vorliegenden Bandes von weitaus ambitionierteren neueren Publikationen, die sich an ein fortgeschritteneres Publikum wenden. Das tut z.b. Peter Rosner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens. Ein Lernprozess, Berlin 2012, dessen Ausführungen aus Vorlesungen an der Universität Wien resultieren, wo das Thema im Hauptfach Volkswirtschaftslehre vertreten ist: felix austria! In Köln wurde unter meiner Ägide die Theoriegeschichte lediglich als Teil einer zweisemestrigen Vorlesung Geschichte der modernen Volkswirtschaft und ihrer Theorien gelesen und es wurden regelmäßig Hauptseminare zum Thema veranstaltet. Auf diesen Lehrerfahrungen fußen die folgenden Ausführungen.

9 8 Vorwort 18. Jahrhundert darstellt, darüber hinaus aber in den folgenden Kapiteln seines Werkes auch verschiedene Theoriebereiche der modernen Ökonomik, wie z.b. die Außenhandels-, die Konjunktur- und die Wachstumstheorie theoriegeschichtlich systematisch erörtert. 3 Auch Karl Pribram in seiner Geschichte des ökonomischen Denkens rückt, wie schon der Titel des zweibändigen, über Seiten umfassenden Buches andeutet, den geistesgeschichtlichen Kontext der Entstehung und Entwicklung ökonomischer Konzeptionen und Theorien in das Zentrum seiner Ausführungen. 4 Er verweist darin nachdrücklich auf die Bedeutung unterschiedlicher Denkströmungen für die Entwicklung der ökonomischen Theorie. Eine weitere, allerdings deutlich knapper gefasste Arbeit dieser Art von Theoriegeschichte, in der der intellektuelle Denkstil verschiedener Schulen oder Epochen das verbindende Band der Darstellung bildet und die zugleich wegen ihrer Kürze auch als Lehrtext geeignet erscheint, stellt die Geschichte der Nationalökonomie dar, wie sie von Otmar Issing herausgegeben wurde. 5 Darin widmet sich eine größere Anzahl unterschiedlicher Autoren den verschiedenen Denkschulen der modernen Nationalökonomie einschließlich ihrer Vorläufer seit der Antike. Einen ganz anderen Zugang zum Thema Theoriegeschichte wählt eine Gruppe von Autoren, die die Werke bedeutender Nationalökonomen, die Heroen der Zunft quasi, in das Zentrum ihrer Ausführungen rücken. Dazu zählen z.b. die Arbeiten von Starbatty und Kurz. 6 Wiederum andere Dogmenhistoriker konzentrieren sich stärker auf die formalen Aspekte der untersuchten Theorien. Das ist insbesondere bei Mark Blaug der Fall, der explizit hervorhebt, dass für ihn allein die moderne ökonomische Theorie den Maßstab für die Beurteilung der älteren Arbeiten bietet und der damit zwangsläufig von einer Berücksichtigung der geistesgeschichtlichen Zusammenhänge der älteren Theorien sowie der realgeschichtlichen Probleme ihres Entstehungszeitpunktes absehen muss. 7 Ganz ähnlich auch Ott und Winkel, 3 Gerhard Stavenhagen, Geschichte der Wirtschaftstheorie, Göttingen 1969 (Grundriss der Sozialwissenschaft Bd. 2). 4 Karl Pribam, Geschichte des ökonomischen Denkens, 2 Bde., Frankfurt/M (engl.: A History of Economic Reasoning, Baltimore 1983). 5 Otmar Issing (Hg.), Geschichte der Nationalökonomie, München Joachim Starbatty, Klassiker des ökonomischen Denkens. Von Platon bis John Maynard Keynes, 2 Bde. in 1 Bd., Hamburg 2002 und Heinz D. Kurz (Hg.), Klassiker des ökonomischen Denkens, 2 Bde., München 2008 und Mark Blaug, Systematische Theoriegeschichte der Ökonomie, 4 Bde., München 1971, hier insb. S. 23 (engl.: Economic Theory in Retrospect, Homewood 1962).

10 Vorwort 9 die zwar den zeitgeschichtlichen Hintergrund und die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge mit in die Betrachtung einbeziehen möchten, dies aber in einer viel zu knappen und zudem zu eng an der Systematik der modernen Ökonomik orientierten Form tun, so dass das Ergebnis unbefriedigend bleibt. 8 Zu dieser Gruppe lässt sich auch die äußerst kenntnisreich verfasste allerneueste Arbeit von Peter Rosner zählen, 9 der seiner Arbeit ein Zitat von Vilfredo Pareto vorausstellt, durch das der enge Zusammenhang zwischen alten und neuen ökonomischen Theorien besonders betont wird: The theories of early economics were necessary to reach new theories. 10 In diesem Sinne sieht Rosner die Entwicklung der Ökonomik als ein fortschreitendes Lernen der Wissenschaftler, als einen Lernprozess an, wie er dies auch mit dem Untertitel seines Buches Ein Lernprozess betont. Ich gehe davon aus, dass frühere Autoren ähnliche Probleme analysierten wie spätere Autoren 11 so einer seiner Kernsätze und, wie ich meine, eine nicht unproblematische Annahme. Zudem erscheint diese Aussage im Widerspruch zu dem kurz darauf folgenden Satz Frühere Theorien gaben vielmehr Antworten auf Fragen, die sich den analysierenden Autoren [damals?] stellten [also Fragen, die sich von den heutigen unterschieden!], wobei ihnen ein bestimmtes [ein anderes als heute?] Instrumentarium für die Analyse zur Verfügung stand. 12 Es wäre also zu fragen, ob die gegenwärtigen Autoren auf einer ähnlichen methodischen Basis argumentieren wie ihre Vorgänger und ob nicht nur das zu analysierende Objekt, die Wirtschaft selbst, einem historischen Wandel unterliegt. Ferner, ob dies auch für das Instrumentarium der Analyse gilt, denn an anderer Stelle findet sich die Feststellung, dass sich im Laufe der Zeit auch das theoretische System, mit dem die Autoren Antworten geben 13 verändert. Ob dies in einem konsistenten Lernprozess oder in anderer Form geschieht, stellt eine zentrale Frage für eine Untersuchung der Entwicklung 8 Alfred E. Ott / Harald Winkel, Geschichte der theoretischen Volkswirtschaftslehre, Göttingen 1985 (Grundriss der Sozialwissenschaft Bd. 31). 9 Peter Rosner, Die Entwicklung ökonomischen Denkens. Ein Lernprozess, Göttingen Vilfredo Pareto, Manual of Political Economy, London 1972 (1909), S Rosner, Die Entwicklung, S. 9, vgl. auch S Ebd., S Ebd., S. 27. An andere Stelle (S. 339) wird explizit hervorgehoben, dass die neoklassische Revolution der 1870er-Jahre keine Anknüpfung an die klassische Ökonomik der vorausgehenden Dekaden darstellte. Wo bleibt da der Lernprozess?

11 10 Vorwort des ökonomischen Denkens dar. Angesichts der vielfältigen Brüche in dessen Entwicklung, dessen Irrtümer und Fehlentwicklungen, des Wandels von Gegenstandsbereich und Methoden der Ökonomik, scheint das sehr zweifelhaft zu sein. Es gibt daher ganz offenbar sehr unterschiedliche Wege, auf denen man im Rahmen der Theoriegeschichte zu Erkenntnissen über die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften gelangen kann. Und nicht zufällig wird diese Disziplin ja zumeist im Plural beschrieben. Was in dieser Wissenschaft zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden soll und auf welche Weise die auftretenden Fragen behandelt werden sollen, war und ist offenbar durchaus umstritten. Eine einseitige Begrenzung auf die Sicht der modernen Ökonomik zur Beurteilung vergangener Bemühungen um die Gewinnung ökonomischer Erkenntnisse erscheint daher als eine unzulässige Verkürzung, zumal auch nicht unumstritten ist, was eigentlich unter der modernen Ökonomik zu verstehen ist und auch gegenwärtig in der Disziplin verschiedene Denkschulen um die Deutungshoheit kämpfen. Heute wie damals gilt es also ebenfalls zu bedenken, was denn eigentlich den Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen der Ökonomik ausmacht und welche Methoden zu einer sachgerechten Bearbeitung der auftretenden Fragen und Probleme geeignet sind. Daher empfiehlt es sich in der Theoriegeschichte einen komplexeren Ansatz zu verfolgen, in dem sowohl die realgeschichtlichen Probleme der jeweiligen Epochen als auch der zeitgenössische geistesgeschichtliche Hintergrund mit reflektiert wird. 14 Dies ist, wie dargelegt, auch schon in früheren Arbeiten gelegentlich unternommen worden, wobei festzuhalten bleibt, dass der wirtschaftshistorische Zusammenhang zwischen Theoriebildung und wirtschaftlicher Praxis bislang zumeist sträflich vernachlässigt wurde. 15 Eine Ausnahme macht hier allenfalls die Arbeit von Ulrich van Suntum, der für eine begrenzte Zahl ökonomischer Fragestellungen in anschaulicher Weise theoretische Reflektion und historisches Wirtschaftshandeln miteinander verbindet, 16 bzw. auch 14 Vgl dazu Dieter Karras, Nationalökonomie und Geschichte, München 1975, und ähnlich bereits zuvor Werner Stark, Geschichte der Volkswirtschaftslehre und ihre Beziehung zur sozialen Entwicklung, Dordrecht Das gilt auch für die Arbeit von Alfred E. Ott und Harald Winkel, Geschichte, obwohl diese Autoren diese Absicht explizit hervorheben, aber nur unzureichend umsetzen. Vgl. dazu auch Philip Pickert, Zurück zur Wirtschaftsgeschichte, in: FAZ, 4. Oktober Ulrich van Suntum, Die unsichtbare Hand. Ökonomisches Denken gestern und heute, Berlin 1999.

12 Vorwort 11 Arbeiten, die ökonomische Ideen aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive ausleuchten. 17 Rosner in seiner neuesten Arbeit wendet sich hingegen leider explizit gegen die Berücksichtigung der historischen Verhältnisse und der wirtschaftspolitischen Probleme der Zeit bei der Analyse ökonomischer Theoriebildung, ebenso wie gegen eine weitgehende Berücksichtigung ihrer geistesgeschichtlichen Grundlagen. 18 Die Verbindung zu den gleichzeitig herrschenden Weltbildern und den dominanten philosophischen Strömungen stehen leider nicht im Vordergrund der Darstellung; auch nicht die im engeren Sinne wirtschaftshistorischen Fragen. 19 Dass der Autor im Text hinsichtlich des Verhältnisses theoretischer Aussagen zu den realökonomischen Bedingungen zu teilweise etwas merkwürdig anmutenden Aussagen kommt, kann daher nicht überraschen. 20 Gerade auch in jüngerer Zeit sind einige Arbeiten erschienen, die ebenfalls, allerdings z.t. nur scheinbar, einem solchen integrativen Ansatz folgen. So verspricht Fritz Söllner einen Überblick über die Entwicklung der ökonomischen Theorie zu geben und dabei auch die zeit- und ideengeschichtlichen Hintergründe dieser Entwicklung zu berücksichtigen, weil er sich von der Beschäftigung mit der Ideengeschichte einen besseren Zugang zur ökonomischen Theorie erhofft. 21 Praktisch gibt er aber nur einen Überblick über die Entwicklung der ökonomischen Theoriekonstrukte, orientiert an 17 Richard H. Tilly (Hg.), Geschichte der Wirtschaftspolitik. Vom Merkantilismus zur Sozialen Marktwirtschaft, München Glücklicherweise hält sich der Autor selbst nicht immer streng an seine Vorgaben, wenn er z.b. ausführlich in die Deutschen Schulen einführt (S ) oder auch auf die europäische Aufklärung verschiedentlich Bezug nimmt (z.b. S ). Die realhistorische Entwicklung wird allerdings weitgehend ignoriert. 19 Rosner, Die Entwicklung, S Vgl. z.b. den Hinweis auf ein mangelndes Verständnis von Wertschöpfung sowohl bei Aristoteles (S. 45) als auch bei den Merkantilisten (S. 61). Wie sollte das auch in einer stagnierenden Ökonomie bei der Abwesenheit von stetigem Wachstum der Fall sein? Oder dass es bei Johann Joachim Becher keine Vorstellungen von Kapital gab (S. 65), in einer Wirtschaft, in der es an produktiven Investitionen für eine Kapitalbildung fehlte? Gleiches gilt für die fehlende Berücksichtigung von Kapitalimporten und -exporten bei den Merkantilisten (S. 75), wo ein solches realiter unmöglich erschien? Auch das Vorherrschen metallistischer Geldvorstellungen kann angesichts des bestehenden Geldsystems nicht überraschen, weist der Autor doch selbst darauf hin, dass ein modernes Geldsystem sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts durchsetzte (S. 87). 21 Fritz Söllner, Geschichte des ökonomischen Denkens, Berlin 2001, S. 1.

13 12 Vorwort einer Mainstream-Ökonomik der Gegenwart. 22 Die entsprechenden Literaturhinweise verfestigen den Eindruck einer lediglich an der Modellbildung orientierten Vorgehensweise. 23 Wenn allerdings Denken mehr ist als Modellbildung, und dies wird hier unter Verweis auf die Arbeiten von Schumpeter, Pribram und anderen unterstellt, dann trägt das Buch von Söllner einen falschen Titel, so hilfreich es für das Verständnis der modernen Mainstream-Theorie auch ist. Wesentlich kritischer gegenüber dem Mainstream in der Ökonomik ist der Band von Bernd Ziegler. Er geht in zutreffender Weise davon aus, dass die Fragestellungen, Methoden und Erklärungsansätze [der Wirtschaftswissenschaften] einem ständigen Wandel unterworfen sind. 24 Darüber hinaus klassifiziert er die vorliegenden Arbeiten zur Theoriegeschichte der Ökonomik hilfreich in dreifacher Weise und unterscheidet so Arbeiten, bei denen bedeutende Ökonomen im Zentrum stehen (Heldengeschichten) 25 von denen, die sich mit der Konstruktion ökonomischer Theorien beschäftigen (Modellkonstruktion) 26 und solchen, die tatsächlich das ökonomische Denken zum Kern ihrer Untersuchung machen. 27 Alle diese verschiedenen Ansätze zur Darstellung der Entwicklung der ökonomischen Theorie sind natürlich legitim und haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Die eigentümliche Fragestellung, wie sich die Formen des ökonomischen Denkens, das eben mehr als bloße Theoriekonstruktion umfasst, im Laufe der Zeit verändert haben und wie sie sich wohl in Zukunft auch weiterhin verändern werden, hat in diesen Theoriegeschichtsschrei- 22 Er folgt dabei der Sicht Mark Blaugs, den er in Fußnote 1 auch zitiert (Mark Blaug, Methodology of Economics, Cambridge 1992) und stellt fest: Ökonomische Theorien [sind] vom Stand der [modernen?] ökonomischen Theorie zu beschreiben und zu beurteilen und vor allem im Hinblick darauf, was sie zum derzeitigem ökonomischen,mainstream beigetragen haben. 23 Vgl. ebd. S Bernd Ziegler, Geschichte des ökonomischen Denkens. Paradigmenwechsel in der Volkswirtschaftslehre, München 1998, S. 11. Auf S. 59 wird nochmals darauf verwiesen, dass sich die Diskussion darüber, wie über welche ökonomischen Probleme nachgedacht wird, seit der Antike in einem stetigen Wandel befindet. 25 Vgl. Starbatty, Klassiker, und Kurz, Klassiker; auch Horst Claus Recktenwald (Hg.), Geschichte der Politischen Ökonomie. Eine Einführung in Lebensbildern, Stuttgart Vgl. Blaug, Theoriegeschichte, sowie auch Jörg Niehans, A History of Economic Theory. Classic Contributions, , Baltimore Wie z.b. in den Arbeiten von Pribram, Geschichte, und Joseph A. Schumpeter, Geschichte.

14 Vorwort 13 bungen bislang dennoch nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Vor allem der Arbeit von Thomas S. Kuhn über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen 28 verdankt die Theoriegeschichte, dass die Frage nach den Veränderungen im Denken über wissenschaftliche Phänomene ins Zentrum der Wissenschaftsgeschichtsschreibung rückte und demgemäß auch für die Ökonomik relevant wurde. Denn auch für die Ökonomik gilt: Frühere Epochen hatten nicht nur ihre eigenen Probleme, sondern ihre eigenen Instrumente und Problemlösungsmethoden. 29 Es lassen sich also unterschiedliche, zeitbedingte Formen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Problemen der jeweiligen Perioden beobachten. Die Veränderungen im wissenschaftlichen Denken, wissenschaftliche Revolutionen, wie Kuhn derartige Umschwünge nennt, ereignen sich, wenn entweder neue, erklärungsbedürftige Probleme auftreten (in der Ökonomie z.b. durch realwirtschaftliche Veränderungen) oder wenn neue Ideen (z.b. neue philosophische Strömungen) auftauchen. Dadurch wird ein bestehendes und als gültig erachtetes Denkmodell, Kuhn nennt dies ein herrschendes Paradigma, 30 in Frage gestellt und nach einer neuen Erklärung gesucht. Dieses von Kuhn entwickelte Konzept wird durch Bernd Ziegler dazu benutzt, den Weg des ökonomischen Denkens seit der Antike nachzuzeichnen. Der Schwerpunkt seiner Ausführungen liegt daher eher im Bereich der Wissenschaftsgeschichte und weniger bei der ökonomischen Theoriebildung. 31 Gleichwohl ergeben sich auch für die Theoriegeschichte der Ökonomik durch die Anwendung des kuhnschen Ansatzes interessante Perspektiven, auch wenn die Anwendbarkeit dieses Konzeptes auf die Wirtschaftswissenschaften gelegentlich noch angezweifelt wird. 32 Demnach muss man bezwei- 28 Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M (engl.: The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1962). 29 Ziegler, Geschichte, S. 38. Anders dagegen Rosner, Die Entwicklung, S Nach Kuhn, Die Struktur, S. 10, versteht man unter einem Paradigma allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern kurzum: Dadurch werden Gegenstand und Methoden der Disziplin festgeschrieben. 31 Ziegler, Geschichte, S. 49, plädiert daher auch allgemein für eine engere Verknüpfung der Wissenschaftstheorie mit der Wissenschaftsgeschichte und verweist auf die Wechselwirkung zwischen Wissenschaftstheorie und Historiographie (S. 43) und in diesem Zusammenhang auf Imre Lakatos, Die Geschichte der Wissenschaft und ihre rationalen Rekonstruktionen, in: Imre Lakatos / A. Musgrave (Hg.), Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig Martin Bronfenbrenner, The Structure of Revolutions in Economic Thought, in: History of Political Economy, Bd. 3/1, 1971, S , bezweifelt die An-

15 14 Vorwort feln, ob in der Ökonomik überhaupt ein verbindliches Paradigma aufzufinden ist oder ob es sich bis heute bei den modernen Wirtschaftswissenschaften lediglich um eine vorparadigmatische oder eine multiparadigmatische Disziplin handelt. Ohne diese Frage grundsätzlich beantworten zu können erscheint dennoch ein größerer Pragmatismus empfehlenswert, durch den die Entwicklungen in der Geschichte der ökonomischen Theorien als Wandel der Denkstile oder Denkmuster, als Modellierungslogik interpretiert werden können. 33 Eine derartig pragmatische Vorgehensweise wird im vorliegenden Band verfolgt. Es sollen lediglich einige wichtige Elemente der Interpretation ökonomischer Sachverhalte durch ausgewählte Zeitgenossen in den jeweiligen Epochen benannt werden, diese dann vor allem mit den herrschenden realhistorischen Phänomenen in Bezug gesetzt und einige geistesgeschichtliche Strömungen in diesem Zusammenhang kurz angedeutet werden. Der Schwerpunkt der Ausführungen soll also in einer wirtschaftshistorischen Einbettung der Ideen großer Ökonomen liegen. Das kann natürlich nur in groben Umrissen geschehen, da mit einer kompletten Umsetzung eines derartigen Vorhabens die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Forschers bei Weitem überfordert wäre und die Ausarbeitung ein Volumen annehmen würde, das den Umfang eines Bandes bei Weitem übersteigt. Es kann sich also nur um eine Skizze handeln, die zudem die Adressaten, Studierende am Beginn ihres Studiums, im Auge behalten muss. Die Veränderungen in der Sicht auf die ökonomischen Sachverhalte, der Wandel in den Auffassungen über Gegenstand und Methode der Ökonomik, soll daher vor allem daraufhin hinterfragt werden, inwieweit neue realökonomische Probleme im Zusammenhang mit neuen Ideen Einfluss auf das Denken in Modellen gehabt haben. wendbarkeit des Paradigma-Begriffs und der Konzeption wissenschaftlicher Revolutionen für die Wirtschaftswissenschaften, weil deren Gegenstand einem dauernden Wandel unterliege und daher nicht klar sei, ob bei einer wissenschaftlichen Revolution die veränderte Realität oder ein neues Paradigma die Ursache bilde. Es können also neue Theorien auftauchen, ohne dass sich am Objekt der Erklärungen etwas geändert hat. Ähnlich auch Dieter Schneider, Das Versagen der Paradigmavorstellungen in der Betriebswirtschaftslehre, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 34, 1982, S Ziegler, Geschichte, S. 56 und S. 53, mit Verweis auf Ludwig Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt/M (urspr. Basel 1935).

16 Vorwort 15 Doch bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, scheint es angemessen zunächst noch einmal kurz innezuhalten und in einer allgemeineren Weise den Formen des Wissenserwerbs über unsere Welt zuzuwenden. Die Ökonomik als eine empirische Wissenschaft ist mit einigen grundsätzlichen Fragen konfrontiert, die auch für die Formen der Theoriebildung, des Denkens in Modellen und ihre Entwicklung von Bedeutung sind. Dieses Buch hat wie alle Bücher eine eigene Geschichte und zahlreiche Personen haben Anteil an seinem Entstehen. Zunächst habe ich den Studenten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln zu danken, mit denen ich über zahlreiche Semester im Rahmen ihres Studiums der Volkswirtschaftslehre in Vorlesungen und Seminaren über den hier ausgebreiteten Themenkreis diskutieren konnte. Ich hoffe, ich konnte zumindest einige von ihnen von der Relativität ihres an der Universität erworbenen Wissens überzeugen und sie zu kritischem Nachdenken über ihr Fach anregen. Darüber hinaus danke ich auch einigen Kollegen, die mein Manuskript, das aus den geschilderten Lehrerfahrungen an der Universität zu Köln erwachsen ist, kritisch überprüft haben. Dabei ist an erster Stelle Rainer Metz zu nennen, der nicht nur gemeinsam mit mir über viele Jahre in Köln regelmäßig Seminare im Hauptstudium der Volkswirtschaftslehre über die Entwicklung des ökonomischen Denkens veranstaltet hat, sondern der selbst darüber hinaus seit Jahren an der Hochschule St. Gallen das Fach Theoriegeschichte erfolgreich vertritt. Auch Karen Horn habe ich für ihre kritischen Kommentare und Hinweise zu danken und dafür, dass sie trotz zahlreicher weiterer Verpflichtungen Zeit gefunden hat, mein Manuskript zu lesen. Hubert Kiesewetter hat sich der Mühe der Endkorrektur unterzogen. Letztlich habe ich auch erneut Richard Tilly für Gespräche und Ermunterungen zu danken, die er mir im Zusammenhang mit der Entstehung dieses Buches hat zukommen lassen. Ihm widme ich den Band zu seinem 80. Geburtstag. Münster, im August 2012 Toni Pierenkemper

17 1. Gegenstand, Methode und Denkstil der Ökonomik 1.1 Welchen Sinn hat Theoriegeschichte? In einer ironischen Überhöhung wird die Theoriegeschichte oder, wie man altertümlich auch sagt, die Dogmengeschichte, gelegentlich als eine Disziplin bezeichnet, die sich mit den falschen Gedanken toter Männer beschäftigt. 1 Warum tun wir das, warum beschäftigen wir uns dennoch mit der Theoriegeschichte, warum also auch dieses Buch? Täten wir nicht besser daran, einer Empfehlung von Jean-Baptiste Say ( ) zu folgen, der forderte, Fehler im ökonomischen Denken zu vergessen und nicht weiter zu verbreiten und zu lehren? 2 Die Skepsis der Ökonomen gegenüber den Theorien und Modellen der Vergangenheit ist also groß und zahlreiche moderne Autoren äußern Vorbehalte gegenüber der Theoriegeschichte, weil sie der Meinung sind, dass die gegenwärtigen Erkenntnisse denen der Vergangenheit weit überlegen sind. Was die Toten gesagt haben, ist, wenn es von Bedeutung gewesen ist, längst in den Bestand des Wissens absorbiert worden, und wenn wir es erneut formulieren, tun wir es viel besser als unsere Vorgänger selbst. 3 1 Woher diese häufig verwandte Redewendung überhaupt stammt, ist unklar. Kenneth Boulding, After Samuelson, Who Needs Adam Smith?, in: History of Political Economy, Bd. 3, 1971, S. 229, zitiert sie als wrong opinions of dead men ohne Quellenverweis. Häufig wird sie A. C. Pigou zugeschrieben, z.b. durch Mark Blaug, Economic Theory in Retrospect, Cambridge Don E. Moggridge, Maynard Keynes: An Economist s Biography 1992, S. XVI, verweist auf eine Äußerung von Keynes über Pigou in diesem Sinne. 2 Dieses Zitat findet sich auf Englisch als: Our duty with regard to errors is not to revive them, but simply forget them bei T. W. Hutchison, On Revolutions and Progress in Economic Knowledge, Cambridge 1978, S Er bezieht sich dabei auf Jean-Baptiste Say, Cours Complet d Economie Politique Pratique von 1828/29. 3 Eigene Übersetzung nach Frank Hahn, Autobiographical Notes with Reflections, in: Michael Szenberg (Hg.), Eminent Economists: Their Life Philosophies, Cambridge 1992, S , hier S. 165.