Stellungnahme zum Geriatrie- und Demenzkonzept des Kantons Thurgau
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- Jan Maximilian Melsbach
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1 An das Amt für Gesundheit Zürcherstrasse 194a 8510 Frauenfeld Weinfelden, 30. Oktober 2015 Stellungnahme zum Geriatrie- und Demenzkonzept des Kantons Thurgau Sehr geehrte Damen und Herren Wir bedanken uns für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Geriatrie- und Demenzkonzept. Diese wurde von unserer internen Kompetenzgruppe für Gesundheit erarbeitet. Wir äussern uns wie folgt: Generelle Bemerkungen Angesichts der demografischen Entwicklung halten wir ein Geriatrie- und Demenzkonzept für den Kanton Thurgau für nötig und wichtig. Die Schweiz und andere Staaten erwarten in den nächsten Jahrzehnten in diesem Bereich bedeutende Herausforderungen. Das Konzept soll den Behörden, Leistungserbringern, anderen Akteuren und der Bevölkerung aufzeigen, welche Massnahmen im Bereich Geriatrie und Demenz geplant sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das schweizerische Gesundheitssystem bereits heute im internationalen Vergleich teuer ist. Weitere schockartige Steigerungen der Gesundheitskosten würden von der Bevölkerung kaum mehr akzeptiert. Die Projektgruppe legt neben dem eigentlichen Konzept einen Bericht zum Geriatrie- und Demenzkonzept vor. Dieser Bericht fokussiert im geriatrischen Teil über weite Strecken auf das Thema Demenz und schenkt zentralen anderen Fragen der Akutgeriatrie nur wenig Beachtung (beispielsweise Immobilität, Sturzkrankheit, Mangelernährung usw.). Im Demenzkapitel hingegen beschäftigt sich der Bericht überwiegend mit der Rolle der Geriatrie und beschreibt nur am Rande die bereits existierenden Angebote der zentralen Leistungserbringer in der Alterspsychiatrie. Diese Unstimmigkeit ist unseres Erachtens dem Umstand anzulasten, dass der Bericht einen medizinischen Schwerpunkt (Geriatrie) mit einem Krankheitsbild der Psychiatrie (Demenz) kombiniert. Wir verzichten darauf, den beigefügten Fragebogen auszufüllen, beziehen aber nachstehend zu einzelnen Kapiteln Stellung.
2 Zentrale Forderungen der IHK Thurgau Wir stellen fest, dass mit diesem Konzept viel Positives in Bezug auf die altersmedizinische Versorgung angestrebt wird. Das Konzept ist nach unserer Beurteilung jedoch überladen. Es weist zudem eine Tendenz zur Zentralisierung auf, die wir ablehnen. Es sollte auf den heutigen Strukturen mit den aktuellen Leistungserbringern aufgebaut werden. Wir schlagen vor, das Konzept und den Bericht massiv zu kürzen, zu entschlacken und zu vereinfachen. Wesentlich scheint uns weiter, dass für sämtliche Massnahmen die voraussichtlichen Kostenfolgen abgeschätzt werden. Die Projektarbeit enthält bei der Mehrheit der Massnahmen keine Angaben zu den voraussichtlichen finanziellen Folgen. So bleiben insbesondere die finanziellen Auswirkungen auf die Gemeinden und weitere betroffene Akteure wie zum Beispiel die Krankenkassen und Spitäler unklar. Die konkreten finanziellen Folgen für den Kanton, die Gemeinden und weitere Akteure sollten klar ersichtlich sein. In der vorliegenden Form ist zu befürchten, dass massive Kostenfolgen resultieren. Entgegen dem Entwurf des Berichts sind staatliche Massnahmen nicht primär, sondern nur subsidiär ins Auge zu fassen. Im vorliegenden Konzept wird sehr viel Wünschbares aufgezeigt. Bei der Überarbeitung gilt es, sich auf das Notwendige zu beschränken. Bereits vorhandene, etablierte und wohnortnahe Strukturen sind zu berücksichtigen. Es dürfen keine Parallelstrukturen aufgebaut werden. Doppelspurigkeiten sind zu vermeiden. Zudem sind wir der Meinung, dass vor der Zustimmung zum Konzept und der Umsetzung der Nachweis für die neu zu schaffenden Strukturen hinsichtlich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu erbringen ist. Bemerkungen zu den einzelnen Kapiteln Kapitel 1 Ausgangslage Zur Ausgangslage haben wir keine Bemerkungen. Kapitel 2 Grundlagen Wir schätzen die Arbeit der Projektgruppe sehr. Fachlich wurde durch den Einbezug vieler Involvierter das Optimum und maximal Wünschenswerte ausgearbeitet. Wir haben jedoch grosse Bedenken bezüglich der Kosten, die durch dieses ausufernde Konzept ausgelöst werden. Dies auch im Hinblick auf die immer höheren Ansprüche aller Involvierten im Gesundheitswesen mit dem Ziel, nur das Beste als Massstab zu definieren und nicht das Vernünftigste bezüglich Aufwand und Ertrag. Kapitel 3 Autonomie und Selbständigkeit zu Hause Die Eigenverantwortung der Betroffenen und deren Familien sind nach Möglichkeit zu stärken und nicht durch staatliche Massnahmen aufzuweichen. Ziel muss es sein, dass Betroffene möglichst lange zu Hause betreut werden können. Wir bezweifeln, dass der Administrations- und Koordinationsaufwand mit den im Bericht definierten Verbindlichen Regeln für die Zusammenarbeit gering gehalten werden kann.
3 Kapitel 4 Pflegende und betreuende Angehörige und Freiwilligenarbeit Familien, die ihre Eigenverantwortung wahrnehmen, sind während einer gewissen Zeit von ihrer Betreuungsaufgabe zu entlasten. Dies bedeutet zwar zusätzliche Kosten für die Allgemeinheit, ist aber günstiger, als wenn die Allgemeinheit für die gesamte Pflege aufkommen muss. In diesem Sinne begrüssen wir Anreize für Angehörige, Demente selber zu betreuen und zu pflegen. Zurückhaltung ist unseres Erachtens beim Thurgauer Standard für pflegende Angehörige angebracht. Bei der Pflege zu Hause müssen naturgemäss gewisse Einschränkungen in Kauf genommen werden. Kapitel 5 Geriatrisches Assessment und Triage Wir plädieren dafür, in erster Linie auf bestehenden, dezentralen Strukturen aufzubauen und diese zu stärken, statt neue Strukturen zu schaffen. Kapitel 6 Assessment und Triage-Zentrum In der Spitalplanung 2012 hat man sich im Bereich der Psychiatrie für eine moderne dezentrale Versorgungsstruktur durch fünf Externe Psychiatrische Dienste (EPD) entschieden, was dem Gedanken einer wohnort-nahen, niederschwelligen sozialpsychiatrischen Versorgung der Bevölkerung folgt und sich bisher sehr gut bewährt hat. Auf diese bereits vorliegende Versorgungsstruktur wird im vorliegenden Konzept nicht zurückgegriffen. Vielmehr soll in den angedachten Assessment- und Triageeinheiten (ATE) an den beiden Kantonsspitälern parallel eine zusätzliche gerontopsychiatrische Kompetenz aufgebaut werden. Neu zu schaffende mobile Equipen sollen in Zukunft auch aufsuchende Beratungen zuhause und gerontopsychiatrische Konsiliardienste an den Spitälern anbieten sowie auch als Demenzexperten die Spitexorganisationen beraten. Auch die Alzheimerberatung will man zentral bei diesen beiden ATE ansiedeln. Aus unserer Sicht würde das Konzept in dieser Form eine Parallelstruktur von gerontopsychiatrischen Leistungen zu bereits vorhandenen und bewährten sowie im Rahmen der Spitalplanung 2012 vom Regierungsrat verabschiedeten Versorgungsstrukturen in Form der EPD schaffen. In den EPD ist die benötigte Fachkompetenz bereits vorhanden. Die EPD können somit vor Ort, wohnortnah, wie bisher Sprechstunden für alterspsychiatrische Fragestellungen, aber eben auch Demenzabklärungen und Beratungsangebote für Betroffene via die Alzheimervereinigung und die Spitexorganisationen anbieten. Auch gerontopsychiatrische Beratungen von Heimen (sofern nicht durch niedergelassene Kolleginnen und Kollegen abgedeckt) sind heute schon ein sinnvolles Aufgabengebiet der EPD. Mit den Kantonsspitälern kann ein Zusammenarbeitsvertrag abgeschlossen werden, in dem die EPD gerontopsychiatrische Konsile anbieten und ihrerseits beispielsweise Bildgebungen bei Demenzabklärungen an den Spitälern machen lassen. Dies würde die institutionsübergreifende Zusammenarbeit im Sinne der alten Menschen weiter fördern. Wir denken, dass diese Anpassung bezüglich der zu erwartenden Kosten deutliche Vorteile bieten würde und auch im Sinne der betroffenen Patientinnen und Patienten wäre. Kapitel 7 Akutgeriatrie und geriatrische Rehabilitation Über einen allfälligen Leistungsauftrag für die spezialisierte Wirbelsäulenchirurgie an die Spital Thurgau AG sollte bei Bedarf separat ausserhalb des vorliegenden Konzeptes entschieden werden unter Berücksichtigung der schon vorhandenen Angebote, z.b. Wirbelsäulenchirurgie im Herz-Neurozentrum.
4 Das Konzept von zwei Akutgeriatrien in den beiden Kantonsspitälern sollte überdacht werden, da zwei Standorte erfahrungsgemäss mit deutlich höheren Kosten einhergehen aufgrund von Doppelspurigkeiten, insbesondere beim spezialisierten Personal (zwei Geriater, fachspezifische Pflege und Physiotherapie, Gerontopsychiater etc.). Es stellt sich zudem die Grundsatzfrage, inwieweit eine spezialisierte Abteilung Geriatrie überhaupt notwendig ist, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die geriatrischen Patienten auch jetzt schon adäquat versorgt werden durch den Fachbereich der Inneren Medizin. Bei den geforderten Qualitäts- und Strukturkriterien in der geriatrischen Rehabilitation werden die von SwissReha, eine Vereinigung von führenden Rehabilitationskliniken der Schweiz, definierten Anforderungskriterien übernommen, beim Ärztlichen Leiter sogar überschritten. Diesen Ansatz unterstützen wir nicht. Die Anforderungen von SwissReha sind bewusst hoch gehalten, als Auszeichnung für die dazugehörenden Rehakliniken. Das ist für die jeweiligen Kliniken auch mit Kosten verbunden. Auch ist fraglich, wie weit Kriterien einer privaten Organisation als Richtlinien für die kantonale Versorgungsplanung herangezogen werden sollen. Vergleichsweise wird ja auch nicht jede Klinik an den Standards von Swiss Leading Hospitals gemessen, um einen kantonalen Leistungsauftrag zu erhalten. Kapitel 10 Information und Beratung zum Thema Demenz Informationskampagnen sind mit grösster Zurückhaltung zu wählen. Wie diverse wissenschaftliche Studien belegen, bringen nur klar auf eine Zielgruppe fokussierte Informationskampagnen einen Effekt. Generelle Informationskampagnen verpuffen wirkungslos. Kapitel 12 Ambulante und stationäre Angebote im Langzeitbereich Wir begrüssen den Grundsatz ambulant vor stationär und fragen uns, ob die aktuell angedachte Planung mit Akutgeriatriestationen diesem Grundsatz nachkommt. Umso mehr als zwei Parallelinfrastrukturen aufgebaut werden sollen, teilweise gar noch mit kantonaler Anschubfinanzierung. Kapitel 14 Kompetenzen in der Demenzversorgung Die zentrale Rolle der Gerontopsychiatrie in der Versorgung älterer Menschen, insbesondere auch im Bereich der Demenz, findet in weiten Teilen zu wenig Beachtung. Zudem wird auch nicht auf die bereits etablierten Strukturen (Haus- und Fachärzte, Externe Psychiatrische Dienste) zurückgegriffen. Kapitel 17 Kostenabschätzung Als einen der Hauptmängel des vorliegenden Konzeptes und Berichtes betrachten wir die fehlende Kostenabschätzung für eine grosse Zahl von Massnahmen. Es sollen nicht nur die Kosten für den Kanton, sondern auch jene für die Gemeinden und weitere Akteure aufgezeigt werden. Bemerkungen zum Anhang Anhang 6 Die Mindestanforderungen bezüglich personeller Ausstattung der verschiedenen Gruppen (Akutgeriatrie, geriatrische Rehabilitation, Assessment- und Triagezentrum) sind sehr hoch und dementsprechend teuer. Es werden Spezialisierungen gefordert, die aktuell auf dem Markt objektiv gesehen gar nicht gefunden
5 werden können (z.b. Geriater) und es wird nicht auf vorhandene Fähigkeiten abgestützt (Fachärzte Physikalische Medizin und Rehabilitation und Fachärzte für Innere Medizin). Das gleiche betrifft die Fachgebiete Pflege und Physiotherapie. Hier werden diverse Zusatzausbildungen gefordert, obwohl die Betreuung des alten Menschen letztendlich schon immer zum medizinischen Alltag gehörte. Die Tendenz im Gesundheitswesen zu immer mehr Spezialisierung und immer stärkeren Vorgaben von Fähigkeitsdiplomen etc. verteuert die Behandlung. Wir danken für die Berücksichtigung unserer Anliegen. Freundliche Grüsse Christian Neuweiler, Präsident Peter Maag, Direktor
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