Neuroblastom: Entstehung eines Tumors im Kindesalter From sympathetic neuron development to neuroblastoma
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- Richard Kolbe
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1 Neuroblastom: Entstehung eines Tumors im Kindesalter From sympathetic neuron development to neuroblastoma Rohrer, Hermann Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main Korrespondierender Autor Zusammenfassung Neuroblastoma-Tumore (NB) entstehen im Kindesalter aus unreifen Zellen des sympathischen Nervensystems. Die Vermehrung sympathischer Nervenzellen während der Entwicklung unterscheidet sich stark von der Neurogenese in anderen Teilen des Nervensystems. Die Proliferation in sympathischen Ganglien wird von Phox2b und Alk kontrolliert, die bei NB in mutierter Form vorliegen. Die Expression dieser mutierten Proteine in embryonalen sympathischen Ganglien führte zur Identifizierung von Signalwegen, welche die normale Proliferationskontrolle außer Kraft setzen und zur Entstehung von NB beitragen. Summary Neuroblastoma (NB) is a childhood tumor that arises from the sympathoadrenal lineage. The mechanisms that direct sympathetic neuron generation are fundamentally different from the control of neurogenesis in other parts of the nervous system and involve the transcription factor Phox2b and the tyrosine kinase receptor Alk. Mutations in Phox2b and Alk predispose to NB in familiar forms of this disease. The expression of mutant Phox2b and Alk in embryonic sympathetic ganglion cells identified signaling pathways that result in aberrant growth and may contribute to NB predisposition. Proliferationskontrolle in unterschiedlichen Bereichen des sich entwickelnden Nervensystems Die Proliferation neuraler Vorläuferzellen, die anschließend zu Nervenzellen differenzieren, wird als Neurogenese bezeichnet. Die Anzahl der Nervenzellen, die während der Neurogenese entstehen, ist durch die Anzahl der Vorläuferzellen und das Verhältnis von im Zellzyklus verbleibenden und von den Zellzyklus verlassenden neuronalen Zellen bestimmt. Für das embryonale Großhirn wurde während der frühen Neurogenese eine symmetrische Zellteilung von Vorläuferzellen beschrieben, gefolgt von asymmetrischer Zellteilung, die jeweils eine Vorläuferzelle und ein postmitotisches Neuron produziert. Das Ende der Neurogenese ist durch symmetrische Zellteilungen charakterisiert, in denen zwei Neuronen entstehen und die Vorläuferzellen damit verbraucht werden. Dieses Neurogenese-Prinzip, bei dem neuronale Differenzierung eng an das Verlassen des Zellzyklus gekoppelt ist, 2012 Max-Planck-Gesellschaft 1/5
2 gilt auch für das periphere Nervensystem mit Ausnahme der sympathischen Ganglien. In sympathischen Ganglien liegt ein stark modifizierter Neurogenese-Mechanismus vor (Abb. 1). Abb. 1: Schematische Darstellung der Neurogenese in sympathischen Ganglien. Sym pathische Neuronen entstehen initial durch Differenzierung von Sox10 + -Neuralleisten- Stam m zellen (NLSZ) (grau) und Vorläuferzellen (grün). Differenzierte sym pathische Nervenzellen sind zunächst weiter teilungsfähig und werden als unreife Nervenzellen bezeichnet (blau). Die m eisten postm itotischen Nervenzellen (blau m it Fortsätzen) entstehen durch die Proliferation dieser unreifen Nervenzellen. Der Wechsel von asym m etrischen zu sym m etrischen Zellteilungen ist hypothetisch. nach [3] Undifferenzierte, teilungsaktive Vorläuferzellen sind nur während der initialen Neurogenese-Phase vorhanden. Ihre Tochterzellen differenzieren zu Neuronen, die jedoch nicht den Zellzyklus verlassen, sondern sich weiter teilen. Somit entstehen die postmitotischen sympathischen Neuronen vorwiegend aus sich teilenden, jedoch bereits differenzierten Neuronen, die im Folgenden als unreife Neuronen bezeichnet werden [1, 2, 3]. Molekulare Kontrolle der Neurogenese in sympathischen Ganglien Die initiale Differenzierung sympathischer Neuronen, die der Neurogenese vorausgeht, wird durch ein genregulatorisches Netzwerk gesteuert, zu dem die Transkriptionsfaktoren Phox2b, Ascl1, Insm1, AP-2b, Hand2 und Gata2/3 gehören [4, 3]. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Faktoren auch in späteren Entwicklungsstadien exprimiert werden und wichtige Funktionen ausüben. So wurde nach Ausschaltung von Phox2b, Ascl1, AP-2b, Hand2, Gata3, Insm1 und Sox11 eine stark reduzierte Proliferation unreifer sympathischer Neurone beobachtet [5, 3]. Umgekehrt führt die Überexpression von Hand2, Insm1 und Gata2/3 zu einem Anstieg der Proliferation. Für Phox2b wurde jedoch nach Überexpression eine verringerte Proliferation beobachtet [6]. Phox2b ist demnach einerseits für die Proliferation erforderlich, bei hohen Phox2b-Konzentrationen, wie sie bei Überexpressionsversuchen erreicht werden, wirkt Phox2b jedoch antiproliferativ. Neuronale Differenzierung und Neurogenese, d.h. die Vermehrung unreifer sympathischer Neuronen wird somit durch dieselbe Gruppe von Transkriptionsregulatoren gesteuert Max-Planck-Gesellschaft 2/5
3 Neben den intrazellulären Proliferationsregulatoren spielen extrazelluläre Wachstumsfaktoren ebenfalls eine wichtige Rolle, wie für IGF-I, Wnts und Midkine (Mk) gezeigt wurde. Midkine ist ein Ligand des Tyrosinkinase- Rezeptors Anaplastic-Lymphoma-Kinase (Alk). Unter den bislang identifizierten Proliferationsregulatoren befinden sich zwei Gene, Phox2b und Alk, die an der Entstehung von Neuroblastomen beteiligt sind. Dies war der Anlass, neben der normalen Funktion dieser Proteine auch die Effekte von mutierten Varianten zu untersuchen, die bei diesen Tumoren entdeckt worden waren. Das Neuroblastom entsteht ausschließlich aus neuronalen Zellen des sympathischen Nervensystems, die sich aus bisher nur ansatzweise geklärter Ursache ungehindert vermehren. Mit ca. 7-8 Prozent aller Tumorneubildungen ist das NB die zweithäufigste Krebserkrankung in der frühen Kindheit. Nach heutigem Wissensstand gibt es keine wirkungsvolle Therapie für die aggressiven Formen des NB [7]. Bei Phox2b und Alk handelt es sich um die bislang einzigen Gene, deren Mutationen mit der Entstehung von NB einhergehen, d.h. zu einer sogenannten NB-Prädisposition führen [8, 9]. Es war deshalb wichtig, die Funktion der mutierten Phox2b- und Alk-Proteine in unreifen sympathischen Neuronen zu untersuchen, also in den Zellen, aus denen der Tumor entsteht. Für Alk ergab sich außerdem die Frage nach der normalen physiologischen Funktion in sympathischen Ganglien. Abb. 2: Midkine/Alk kontrollieren die Proliferation unreifer sympathischer Neuronen im Huhnembryo. Dargestellt sind in (A) Querschnitte von Huhnem bryonen, auf denen die sym pathischen Nervenzellen grün (TH + ) gefärbt wurden und proliferierende Zellen rot (EdU + ) erscheinen. In (B) sind die Ganglien-Flächen quantifiziert, in (C) der Anteil proliferierender Zellen/Fläche. Eine Reduktion der Alk- Expression (shalk) oder der Midkine-Expression (shmk) führt zu einer reduzierten Größe sym pathischer Ganglien (A, B) und reduzierter Proliferation (A, C). Dagegen sind die Ganglien deutlich größer, wenn die Midkine-Expression (Mk) erhöht wird (A, B) und der Anteil proliferierender Zellen steigt ebenfalls an (C). nach [10] Welche Konsequenzen haben die Phox2b- und Alk-Mutationen auf die Entwicklung sympathischer Nervenzellen? Alk und Mk werden in der Neurogenese-Phase in sympathischen Neuronen exprimiert und sind für die normale Proliferation erforderlich, wie durch Ausschaltung des Alk-Signalwegs gezeigt wurde [10], (Abb. 2). Die starke Abnahme der Midkine-Expression am Ende der Neurogenese lässt vermuten, dass die Beendigung der 2012 Max-Planck-Gesellschaft 3/5
4 Proliferation durch eine reduzierte Aktivität des Alk-Signalwegs verursacht wird. Die Überexpression von Alk und Midkine führt zu einer erhöhten Proliferation und Gangliengröße, noch stärkere Proliferationseffekte wurden durch Überexpression von mutierten Alk-Rezeptoren beobachtet, die Liganden-unabhängig permanent aktiv sind [10]. Abb. 3: Die in Neuroblastoma identifizierten Phox2b- Mutanten erhöhen die Proliferation sympathischer Neuronen. Die Expression der Neuroblastom a Phox2b-Varianten Phox2b R100L, Phox2b R141G, Phox2b K155X in kultivierten unreifen sym pathischen Neuronen führt zum Anstieg der Proliferation (Anteil EdU + -Zellen), während norm ales, sog. Wildtyp-Phox2b antiproliferativ wirkt. Der Proliferations-stim ulierende Effekt der Phox2b-Mutanten wird nur beobachtet, wenn endogenes Phox2b reduziert wird (siphox2b) (wie bei NB, wo Phox2b mut heterozygot vorliegt). nach [6] Interessanterweise führt die Stimulierung des Alk-Rezeptors zur Expression des Proto-Onkogens NMyc, das direkt Einfluss auf die Zellzyklusregulation nimmt. Die durch Mk/Alk verursachte NB-Prädisposition kann somit durch eine gestörte Proliferationskontrolle und die Induktion von NMyc erklärt werden [10]. Mk/Alk werden in parasympathischen Ganglien nicht oder nur in sehr geringen Mengen exprimiert, was auf eine spezifische Funktion in der Proliferationskontrolle sympathischer Neuronen hinweist und mit klinischen Befunden korreliert, nach denen die Entstehung von NB auf das sympathische Nervensystem beschränkt ist. Eine Erhöhung der Phox2b-Expression in unreifen sympathischen Neuronen führt in vivo und in vitro zu einer starken Proliferationshemmung. Die in NB beobachteten Phox2b-Varianten mit Mutationen in der sog. Homöo- Domäne haben nicht nur die anti-proliferative Tumorsuppressor-Funktion verloren, sondern bewirken eine im Vergleich zur Kontrolle erhöhte Proliferation [6], (Abb. 3). Obwohl die Verknüpfung der Phox2b-Funktion mit der Zellzyklusregulation noch weitgehend unklar ist, führen Mutationen in Phox2b und Alk zu einer erhöhten und vermutlich verlängerten Proliferationsphase und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit zusätzlicher Mutationen, die für die Entstehung von NB vermutlich erforderlich sind. Entwicklungsbiologische Grundlagenforschung liefert somit nicht nur neue Erkenntnisse zur Neurogenese im 2012 Max-Planck-Gesellschaft 4/5
5 autonomen Nervensystem, sondern trägt außerdem zum besseren Verständnis der Mechanismen bei, welche der Entstehung von Neuroblastomen zugrunde liegen. [1] Rohrer, H.; Thoenen, H. Relationship between differentiation and terminal mitosis: chick sensory and ciliary neurons differentiate after terminal mitosis of precursor cells whereas sympathetic neurons continue to divide after differentiation Journal of Neuroscience 7, (1987) [2] Tsarovina, K.; Schellenberger, J.; Schneider, C.; Rohrer, H. Progenitor cell maintenance and neurogenesis in sympathetic ganglia involves Notch signaling Molecular and Cellular Neuroscience 37, (2008) [3] Rohrer, H. Transcriptional control of differentiation and neurogenesis in autonomic ganglia The European Journal of Neuroscience, 10, 1597, published online 21 Nov (2011) [4] Goridis, C.; Rohrer, H. Specification of catecholaminergic and serotonergic neurons Nature Reviews Neuroscience 3, (2002) [5] Schmidt, M.; Lin, S.; Pape, M.; Ernsberger, U.; Stanke, M.; Kobayashi, K.; Howard, M.J.; Rohrer, H. The bhlh transcription factor Hand2 is essential for the maintenance of noradrenergic properties in differentiated sympathetic neurons Developmental Biology 329, (2009) [6] Reiff, T.; Tsarovina, K.; Majdazari, A.; Schmidt, M.; del Pino, I.; Rohrer, H. Neuroblastoma phox2b variants stimulate proliferation and dedifferentiation of immature sympathetic neurons Journal of Neuroscience 30, (2010) Diese Erweiterung enthält Fehler. Bitte entfernen Sie diese Erweiterung. [8] Trochet, D.; Bourdeaut, F.; Janoueix-Lerosey, I.; Deville, A.; de Ponual, L.; Schleidermacher, G.; Coze, C.; Philip, H.; Frébourg, T.; Munnich, A.; Lyonnet, S.; Delattre, O.; Amiel, J. Germline mutations of the paired-like homeobox 2B (PHOX2B) gene in neuroblastoma American Journal of Human Genetics 74, (2004) [9] Azarova, A. M.; Gautam, G.; George, R. E. Emerging importance of ALK in neuroblastoma Seminars in Cancer Biology 21, (2011) [10] Reiff, T.; Huber, L.; Kramer, M.; Delattre, O.; Janoueix-Lerosey, I.; Rohrer, H. Midkine and Alk signaling in sympathetic neuron proliferation and neuroblastoma predisposition Development (Cambridge, England) 138, (2011) 2012 Max-Planck-Gesellschaft 5/5
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