Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins
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- Heini Sommer
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1 Berlin, im August 2005 Stellungnahme Nr. 43/2005 abrufbar unter Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Familienrechtsausschuss zu dem Grünbuch der Kommission über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen Geschäftszeichen: I A / /2005 Mitglieder des Familienrechtsausschusses: Rechtsanwältin Dr. Ingrid Groß (Vorsitzende) Rechtsanwalt Dr. Peter Finger (Berichterstatter) Rechtsanwältin Linde Kath-Zurhorst Rechtsanwalt und Notar Thomas Kilger Rechtsanwalt Klaus Schnitzler Rechtsanwältin Ulrike Schramm Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg zuständige DAV-Geschäftsführerin: Rechtsanwältin Angelika Rüstow
2 Verteiler: Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss des Deutschen Bundesrates Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, Arbeitsgruppe Recht Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag Vorstand und Geschäftsführung des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzender des Forums Junge Anwaltschaft Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Familien- und Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins Deutscher Richterbund Deutscher Juristinnenbund Bundesrechtsanwaltskammer Bundesnotarkammer Bundesgerichtshof, Bibliothek Deutscher Notarverein Deutscher Familiengerichtstag e.v. Deutscher Familienverband e.v. Bundesverband der Freien Berufe ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bundesfachgruppe Justiz Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht Redaktionen der NJW; FamRZ; FuR; Familie, Partnerschaft und Recht
3 Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 14. März 2005 das Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen vorgelegt. Damit ist eine Diskussion eröffnet, an der sich der DAV gern beteiligt. Die Unterschiede des materiellen und formellen Rechts in Europa in Scheidungs- und Scheidungsfolgesachen sind nach wie vor erheblich. Manche Problematik hat sich mit den Zuständigkeitsregeln nach der VO Nr. 1347/2000 bzw. VO Nr. 2201/2003 noch verschärft, weil sich der Antragsteller Vorteile in der Sache (z. B. im Güterrecht) verschaffen kann, wenn er ein Gericht anruft, das andere und für ihn günstigere Ausgleichsregelungen oder gar keine bereithält, als ein anderes Gericht, dem er sonst unterworfen wäre. Abhilfe ließe sich nur durch Harmonisierung des materiellen Familienrechts erreichen. Damit ist aber in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Einheitliche Anknüpfungsvorschriften tragen zur Entlastung bei, beseitigen aber nicht alle Unzuträglichkeiten. Auf die Ausrichtung an der gemeinsamen Staatsangehörigkeit, etwa zugunsten des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsorts als wichtigsten Anknüpfungsmerkmal, sollte nicht verzichtet werden. Allerdings sollten deutlich erweiterte Wahlmöglichkeiten für die Parteien eingeführt werden, auch wenn sie die gleiche Staatsangehörigkeit haben. Problematisch erscheint auch die Orientierung der gerichtlichen Zuständigkeiten vorwiegend am Antragsteller. So kann der Antragsgegner in ein Verfahren gezwungen werden, das er gar nicht wünscht. Zu den Fragen wird im Einzelnen Stellung genommen: Frage 1: Probleme schaffen mehrfache gerichtliche Zuständigkeiten sowie fehlende gerichtliche Zuständigkeiten. Wir weisen auf folgende Problemfälle hin:
4 Ein deutscher Staatsangehöriger ist mit einer Italienerin verheiratet. Beide leben in Rom. Wir wenden für die Ehescheidung italienisches Recht als Aufenthaltsrecht an, weil die Parteien keine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben. In Italien muß zuerst eine gerichtliche oder gerichtlich bestätigte Trennung vorausgehen; wir privilegieren den deutschen Staatsangehörigen, der sein Verfahren in Deutschland führt, sofern er eine Zuständigkeit in Deutschland in Anspruch nehmen kann und erlauben ihm die Scheidung bei uns, wenn die materiellen deutschen Scheidungsvoraussetzungen erfüllt sind, ohne die Einschränkungen des sonst maßgeblichen italienischen Rechts (Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB, so jedenfalls nach einer gewichtigen Mindermeinung). Ein weiteres Beispiel: Zwei deutsche Staatsangehörige leben in London. Für ihre güterrechtlichen Rechtsbeziehungen ist, wenn kein Ehevertrag vorliegt, aus deutscher Sicht das deutsche Recht mit Zugewinnausgleich anzuwenden. Englische Gerichte kann jede der Parteien anrufen, die länger als ein Jahr in England lebt. Diese ziehen ihr eigenes Recht (als lex fori) heran. England kennt keine dem deutschen Zugewinnausgleich entsprechenden Ausgleichs- und Verteilungsregeln. Englische Gerichte können aber nach Billigkeitsgesichtspunkten finanzielle Umverteilungen vornehmen. Frage 2: Eine Harmonisierung der Kollisionsnormen wäre zu begrüßen. Argumente, die gegen eine Harmonisierung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Frage 3: Als Anknüpfungspunkte kommen die Staatsangehörigkeit, der gewöhnliche Aufenthalt und schließlich das materielle Recht am Ort des angerufenen Gerichts in Betracht. Der Verzicht auf den Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit scheint uns problematisch. Er ist zu sehr auf Einwanderungsfälle zugeschnitten (wobei auch bei den Einwanderern der Bezug zum Heimatstaat jedenfalls in der ersten und zweiten Generation eng ist). Fälle lang dauernder beruflicher Abordnung könnten damit nicht zufriedenstellend gelöst werden. Eine einheitliche Lösung wird sich angesichts der Unterschiedlichkeit der zu regelnden Fälle kaum finden lassen. Die Lösung ist letztlich in der Harmonisierung des materiellen Rechts zu suchen, die langfristig angestrebt werden sollte. Die Ausrichtung
5 an der gemeinsamen oder letzten gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Parteien sollte beibehalten werden. Er hat gegenüber dem zunehmend verwendeten Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts den Vorzug begrifflicher Schärfe, während beim gewöhnlichen Aufenthaltsort Fragen nach der Aufenthaltsdauer beantwortet werden müssen. Die Begriffe domicile und gewöhnlicher Aufenthalt sind nicht identisch. Auch kann die Staatsangehörigkeit nicht so schnell und leicht geändert werden wie der gewöhnliche Aufenthalt, ist also für Manipulationen weniger geeignet. Frage 4: Die harmonisierten Regeln sollten sich auch auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigkeitserklärung der Ehe erstrecken (z. B. auf Zwangsehen und Kinderehen). Eigens und nach ihren Regeln zu beantworten sind Vorfragen nach dem rechtswirksamen Zustandekommen und dem Fortbestand der Verbindung als Ehe. Frage 5: Die harmonisierten Regeln sollten einen Vorbehalt der öffentlichen Ordnung (ordre public) einschließen, so daß Gerichte die Anwendung ausländischen Rechts in bestimmten Fällen ablehnen können. Der Vorbehalt des ordre public ist erforderlich, weil sich auch Angehörige von Drittstaaten auf die europäischen Rechtsregeln berufen können. Frage 6: Die Parteien sollten die Möglichkeit der kollisionsrechtlichen Rechtswahl eingeräumt bekommen. Damit können sie ihre Entwicklung aufnehmen und ein Recht für sich maßgeblich erklären, mit dem sie sich besonders verbunden fühlen. Für Ehegatten mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sollte bezüglich des materiellen Rechts die Rechtswahl bei der Heirat obligatorisch sein. Sie sollte auch bei Ehegatten mit gleicher Staatsangehörigkeit zulässig sein und über die in Art. 4 EGBGB festgelegten Grenzen hinausreichen. Frage 7: Die Wahlmöglichkeit soll nicht auf ein bestimmtes Recht begrenzt werden. Es sollte aber ein Bezug eines oder beider Ehegatten zum dem betreffenden Recht vorliegen. Eine
6 Beschränkung der Wahlmöglichkeiten auf das Recht der Mitgliedsstaaten soll nicht vorgenommen werden. Die Rechtswahl soll nicht auf die lex fori begrenzt werden. Frage 8: Die Möglichkeit der Rechtswahl sollte auch für die Eheaufhebung gegeben sein. Das formalisierte Trennungsverfahren sollte dagegen ausgenommen sein. Frage 9: Die Rechtswahl sollte der notariellen Beurkundung bedürfen. In den Fällen, in denen die Rechtswahl bei der Eheschließung getroffen wird, soll auch der Standesbeamte beurkunden können. In Fällen, in denen die Rechtswahl erst im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens getroffen wird, soll eine gerichtliche Beurkundung die notarielle Beurkundung ersetzen können. Die persönliche Anwesenheit beider Parteien soll erforderlich sein. Frage 10: Die Regeln der VO Nr. 2201/2003 führen oft zu einem Wettlauf um gerichtliche Zuständigkeiten. Das zeigen die Bespiele zu Frage 1. Frage 11: Problematisch erscheint die Ausrichtung gerichtlicher Zuständigkeiten auf den Antragsteller, der damit dem anderen Teil ein von diesem nicht gewünschtes Verfahren nach formellen und materiellen Regeln seiner Wahl aufzwingen kann. Für die Ehescheidung/Eheaufhebung könnte für den Gerichtsstand an den letzten gemeinsamen Wohnsitz evtl. (falls keiner mehr an diesem Wohnsitz wohnt) an den Wohnsitz des Beklagten/Antragsgegners angeknüpft werden. Auf den Wohnsitz des Klägers/Antragstellers sollte nur angeknüpft werden, wenn es keine Anknüpfung an Merkmale des Beklagten/Antragsgegners im konkreten Fall gibt. Frage 12: Die Harmonisierung der Zuständigkeitsregeln sollte verstärkt werden. Art. 7 der VO Nr. 2201/2003 (die sog. Brüssel II a VO) sollte gestrichen werden.
7 Frage 13: Es spricht nichts gegen die Möglichkeit, in Ehesachen eine gerichtliche Zuständigkeit zu vereinbaren. Frage 14: Eine Beschränkung auf bestimmte Gerichte braucht nicht vorgesehen werden. Frage 15: Die Gerichtswahl sollte den gleichen Formvorschriften unterliegen wie die Wahl des materiellen Rechts (s. o. Frage 9). Frage 16: Es sollte möglich sein, die Verweisung einer Rechtssache an das Gericht eines anderen Mitgliedsstaates zu beantragen. Frage 17: Verweisung von einem Unionsgericht an ein anderes Gericht in der Union sollte zulässig sein bei übereinstimmenden Antrag der Parteien, im übrigen bei Unzuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts. Eine Verweisung aus anderen Gründen sollte nicht möglich sein, insbesondere nicht, weil das andere Gericht die Sache besser beurteilen kann. Anders als in Kindschaftssachen werden die Parteien in ihrem Eheverfahren die Sachverhalte sehr unterschiedlich beurteilen, so daß vor einer endgültigen Entscheidung in der Sache langwierige Zwischenstreitigkeiten geführt werden müßten.
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