1.4. Ludwigsburg und die demographische Entwicklung
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- Gerhard Kaufer
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1 Auszug aus: Band 1: Materialien zum Einstieg in das Stadtentwicklungskonzept Stand: 5. Oktober 2004
2 1.4. Ludwigsburg und die demographische Entwicklung Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur beeinflussen nicht nur wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse, sondern bestimmen maßgeblich die Entwicklung der Städte mit. So hat der demographische Wandel auch unmittelbare Auswirkungen auf die wichtigsten Infrastrukturbereiche der Stadt Ludwigsburg wie Kindertagesstätten, Schulen, Kinderspielplätze, Sportstätten, Jugendeinrichtungen, Alteneinrichtungen, Friedhöfe, Verkehrswesen und Wohnungsbau. Vor diesem Hintergrund ist die demographische Veränderung eine Herausforderung für Ludwigsburg und eine zentrale Fragestellung innerhalb des Stadtentwicklungskonzeptes. Die demographische Entwicklung in Deutschland wird seit einiger Zeit verstärkt öffentlich diskutiert. Einen erheblichen Anteil daran haben zahlreiche Publikationen und Veröffentlichungen, die die Thematik einem breiten Publikum zugänglich gemacht haben. Die Studie Deutschland 2020 die demographische Zukunft der Nation des Berlin-Institutes für Weltbevölkerung und globale Entwicklung kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland schrumpft und altert. Das Statistische Landesamt Baden- Württemberg stellt in seinem Monatsheft 6/2004 die Frage Wollen die Deutschen keine Kinder? und stellt sechs Gründe für die anhaltend niedrigen Geburtenraten vor. Mit dem Gutachten Bevölkerungsentwicklung der Stadt Ludwigsburg von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Werner W. Köhl vom Juni 2002 liegt für Ludwigsburg eine Modellrechnung zur Bevölkerungsentwicklung vor. Diese berücksichtigt die natürliche Bevölkerungsveränderung, Wanderungen und Umzüge und geht auch auf demographisch bedeutsame Aspekte der Stadtentwicklung ein. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg hat im Jahr 2003 die 10. koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung vorgelegt. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten allgemeinen Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden, um dann die Situation in Ludwigsburg und die Konsequenzen für die Stadtentwicklungsplanung näher zu beleuchten. Die allgemeinen Entwicklungstendenzen sind geprägt von Geburtenrückgang, Überalterung und Zuwanderung. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einer Phase des Umbruchs: seit 1972 reicht die Geburtenrate nicht mehr aus, um die Zahl der Sterbefälle auszuglei-
3 32 Band 1 chen. Dieses Geburtendefizit wird sich künftig deutlich vergrößern. Mit einer durchschnittlichen Zahl von 1,37 Kindern pro Frau zählt Deutschland zu den kinderärmsten Gesellschaften der Welt. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten wären 2,1 Kinder je Frau notwendig. Geburtenrückgang und die hohe Lebenserwartung, die im letzten Jahrhundert um rund 30 Jahre gestiegen ist, führen zu einer Alterung der Gesellschaft. Der Anteil der unter 20-Jährigen an der Bevölkerung soll von 1991 bis 2020 von 21,7 auf 17,4 % zurückgehen, während sich der Anteil der über 60-Jährigen von 20,4 auf 28,6 % vergrößert. Der tief greifende Schrumpfungsprozess wurde lange Zeit kaum wahrgenommen, weil sich Deutschland in den letzten 30 Jahren faktisch zum Einwanderungsland entwickelt hat: heute leben in der Bundesrepublik mehr als 12 Millionen Menschen, die nicht hier geboren wurden oder nicht die deutsche Nationalität besitzen. Der Rückgang und die Alterung der Bevölkerung können langfristig nicht durch eine Steigerung der Zuwanderung ausgeglichen werden, da auch die zugewanderte Bevölkerung altert. Allerdings trägt die Zuwanderung dazu bei, dass dieser Prozess langsamer voranschreitet. Die Auswirkungen dieser Entwicklung vollziehen sich regional betrachtet sehr unterschiedlich. Die Bundesrepublik wird sich insgesamt in schrumpfende und wachsende Regionen teilen. Einerseits ziehen die Menschen vom Land in die Ballungsräume mit wirtschaftlicher Perspektive und auf der anderen Seite von den Stadtzentren in die immer breiter werdenden Speckgürtel mit mehr Lebensqualität. Die Prognose des Berlin-Institutes für Weltbevölkerung und globale Entwicklung geht davon aus, dass sich Deutschland in seiner Mitte und an den Rändern leert. Baden-Württemberg wird sich nach der Prognose weitere zwei Jahrzehnte positiv weiterentwickeln. Es ist heute eines der wenigen Bundesländer, in denen die Geburten die Todesfälle noch fast ausgleichen können. Die Einwohnerzahl des Landes stieg seit den 1950er Jahren von 6,6 Millionen auf 10,6 Millionen im Jahr Bis zum Jahr 2020 wird ein weiteres Bevölkerungswachstum von 1,5 % vorausgesagt. Dabei ist der heutige Ausländeranteil von 12 % an der Gesamtbevölkerung der höchste unter allen Bundesländern mit Ausnahme der Stadtstaaten. Trotz der sehr hohen Lebenserwartung von 82,1 Jahren bei Frauen und 76,7 Jahren bei Männern soll Baden-Württemberg bis 2020 dank der überdurchschnittlichen Geburtenrate jüngstes Bundesland bleiben.
4 Demographische Entwicklung 33 Die Situation in Ludwigsburg kann anhand der vorhandenen Daten sehr konkret beschrieben werden. Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf das Gutachten Bevölkerungsentwicklung der Stadt Ludwigsburg und dessen Fortschreibung aus dem Jahr 2004 von Prof. Köhl. Die dort gemachte Bevölkerungsvorausrechnung kommt zum Ergebnis, dass nach einer kurzfristigen Bevölkerungszunahme mittelfristig eine stetige Abnahme zu verzeichnen sein wird. Berücksichtigt dabei sind auch Personen, die in Ludwigsburg einen Nebenwohnsitz haben. Ihre Berücksichtigung ist sinnvoll, weil auch die meisten Infrastruktureinrichtungen von diesem Personenkreis benutzt werden. Jahr Bevölkerung davon in der Altergruppe von... bis unter... Jahren gesamt unter u.ä Quelle: Demographischer Bericht zur Bevölkerungsentwicklung der Stadt Ludwigsburg in den Jahren 2001 und 2002, Prof. Köhl 2004 Die Kinderzahl je Frau in Ludwigsburg entspricht dem Landesdurchschnitt von 1,4 - wobei 2,1 Kinder notwendig wären, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Das Gutachten geht entgegen dem Landestrend künftig von einer abnehmenden Zuwanderung aus, auch wenn kurzfristig noch leichte Steigerungen denkbar sind. Ob diese Annahme so zutrifft, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Eine entsprechende Fortschreibung der Bevölkerungsprognose ist vorgesehen. Die Zahl der Geburten wird nach der Prognose in den nächsten Jahren sehr rasch weit unter die Zahl der Sterbefälle sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl der Sterbefälle. Die Überalterung wird auch die weitere Entwicklung Ludwigsburgs über 2020 hinaus entscheidend prägen: der Anteil der Bevölkerung über 60 Jahre an der Gesamtbevölkerung nimmt von 23 % im Jahre 2002 bis 35 % im Jahr 2050 zu. Dabei wird sich die Zahl der Ludwigsburger über 85 Jahre in den nächsten 50 Jahren um bis zu 120 % erhöhen. Vorübergehend gibt es einen Zuwachs in den jüngeren Altersgruppen, der aber nicht von Dauer sein wird. Für die städtische Infrastruktur hat die skizzierte Entwicklung unterschiedliche Folgen, die sich auch in den einzelnen Stadtteilen verschieden auswirken werden. Bei den Kindertagesstätten erreicht die Zahl der Kinder bis zum Jahr 2007 mit einer Zunahme um 250 bis 300 Kinder einen Höhepunkt, um danach sehr schnell bis 2020 um 900
5 34 Band 1 bis 1100 Kinder wieder abzunehmen. Bis zum Jahr 2050 ist ein weiterer Rückgang zu erwarten. Ähnliches gilt für die Grundschulen: hier nehmen die Schülerzahlen bis 2010 um 400 zu, um danach kontinuierlich zurückzugehen. Die für die Kinderspielplätze relevanten Altersgruppen nehmen nach dem Erreichen von kurzfristigen Spitzenwerten ebenfalls kontinuierlich ab. Für die Sportstätten ist der starke Rückgang der Altersgruppe der Leistungssportler (19 bis 27 Jahre) bei einer Zunahme der Altersgruppe ab 41 Jahre relevant. Das bedeutet für die vorhandenen wie für die noch erforderlichen Sportanlagen eine Veränderung der Anforderungen, da altersabhängig unterschiedliche Sportarten betrieben werden. Kein anderer Infrastrukturbereich wird sich neben den Kindergärten so stark verändern wie die Alteneinrichtungen. Hier ist mit einer stetig steigenden Nachfrage zu rechnen, die zum Teil erhebliche Auswirkungen haben wird. Für den Wohnungsbau gilt es, geplante Baumöglichkeiten rasch zu realisieren um die Bevölkerungsentwicklung positiv zu beeinflussen. Denn nach 2010 wird die Nachfrage nach Bauland durch die Abnahme der Ersterwerber von Immobilien zurückgehen. Aus den beschriebenen Tendenzen ergeben sich Konsequenzen für die Stadtentwicklungsplanung. Die demographische Entwicklung stellt eine Herausforderung für Ludwigsburg dar und hat unter anderem Auswirkungen auf die bauliche Dichte der Stadt, das Angebot an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen, den öffentlichen Raum und die umgebende Landschaft. Darüber hinaus beeinflussen die sich verändernden Rahmenbedingungen die Entwicklungsmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume Ludwigsburgs. Die erkannten Veränderungen werden sich zwar langsam vollziehen, aber bereits heute müssen die wichtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Um die Folgen des demographischen Wandels stadtverträglich zu bewältigen, ist daher eine langfristige und zielorientierte Stadtentwicklungsplanung unerlässlich. Die Stadtentwicklungsplanung hat im Sinne einer prozesshaften Entwicklung und stetigen Fortschreibung dabei in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass eine sich wandelnde Bevölkerungsstruktur auch Auswirkungen auf das Funktionieren gesellschaftlicher Zusammenhänge haben wird. Beispielhaft sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich die Rolle des Familienverbundes während der letzten 100 Jahre bereits deutlich gewandelt hat. Durch die fortschreitende Verschiebung innerhalb der Alterspyramide ist zu erwarten, dass sich dieser Trend verstärkt. Dies stellt an die Stadtentwicklungsplanung die Anforderung, nach Methoden und Kommunikationsmöglichkeiten zu suchen, um einer sozialen Benachteiligung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft entgegensteuern zu können. Daneben liegt in der Gruppe der Senioren ein
6 Demographische Entwicklung 35 enormes Potenzial verborgen. Ansätze wie der Zusammenschluss Senior Experts weisen bereits heute in die richtige Richtung. Durch eine optimierte Beteiligungsform im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes muss es gelingen, diese Potenziale zu erschließen. Alle Altersgruppen müssen die Chance begreifen, an einer langfristigen Stadtentwicklungsplanung mitzuarbeiten. So können die altersspezifischen Bedürfnisse frühzeitig artikuliert und berücksichtigt werden. Durch ein hohes Maß an Qualität in allen Bereichen muss es gelingen, mit den Angeboten in Ludwigsburg (z.b. Bauland, Infrastruktur, usw.) die Stadt langfristig attraktiv zu halten. Quellen! Deutschland 2020 die demographische Zukunft der Nation, Berlin- Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung, 2004! Bevölkerungsentwicklung der Stadt Ludwigsburg, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Werner W. Köhl, 2002! Demographischer Bericht zur Bevölkerungsentwicklung der Stadt Ludwigsburg in den Jahren 2001 und 2002, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Werner W. Köhl, 2004
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