100 freizeit&unterhaltung

Transkript

1 100 freizeit&unterhaltung Jürgen Hansmann präsentiert Fundstücke aus der Tongrube Liesberg: jede Menge Ammoniten und eine Schnecke (oben).

2 Coopzeitung Nr. 19 vom 11. Mai Erlebnis Geologie Die Erde gibt was her Geologie ist eine weitgefächerte Wissenschaft. Dies zeigen die 140 Veranstaltungen, die am 28./29. Mai im Rahmen von «Erlebnis Geologie» stattfinden. Zu Besuch in der Tongrube Andil in Liesberg BL. TEXT: MARTIN ZIMMERLI FOTOS: GEORGIOS KEFALAS, CORBIS Stabile Schuhe, alte Kleider, ein kleiner Spaten, ein Spachtel. Das ist die Ausrüstung des Fossilienjägers. Vor der Sporthalle in Liesberg gehts los. Ein fünfminütiger Spaziergang, und vor uns öffnet sich die Tongrube Andil und mit ihr fast zehn Millionen Jahre Erdgeschichte. «Irgendwie ein erhebendes Gefühl», sagt der Geophysiker Jürgen Hansmann (30), der uns in die Geheimnisse von Ammoniten und Belemniten einführt. Die hier freigelegten Gesteinsschichten entstanden vor 155 und 165 Millionen Jahren, in der Zeit des Mittleren und Oberen Jura, genannt Callovium und Oxfordium. Damals breitete sich hier ein Meer aus, die Erdschichten lagen waagrecht übereinander. Erst mit der Entstehung der Alpen vor 135 bis 30 Millionen Jahren wurden sie aufgefaltet. Aus den waagrechten wurden die in der Tongrube aufgebrochenen senkrechten Schichten. Die Tongrube Liesberg ist Geotop und Biotop in einem. Deutlich sind die verschiedenen, aufgefalteten Schichten erkennbar. Unser Interesse gilt der Tonschicht am nördlichen Hang der Grube, genannt Renggeri-Ton. Für sie und die darin enthaltenen Fossilien ist die Liesberger Grube bekannt, bei professionellen Fossiliensammlern ebenso wie für den sonntäglichen Familienplausch. 30 bis 40 Meter dick, ist die Schicht an ihrer dunkelgrauen Farbe deutlich erkennbar. Und da kraxeln wir hoch. Es ist angenehm warm, die ersten Schweissperlen drängen auf die Stirn. Wir Es hat gekratzt: Mit einem Spachtel löst der Geologe einen kleinen Ammoniten aus dem Ton.

3 102 freizeit&unterhaltung sind nicht die Ersten, die seit dem letzten Regen hier auf Ammonitensuche gehen. Erkennbar ist dies zum einen an den rund einen halben Meter grossen, runden Löchern, die frühere Fossiliensucher gegraben haben, zum andern an der Tatsache, dass die obersten paar Zentimeter des Untergrunds ausgetrocknet sind und unsere Schuhe nicht im leimig-lehmigen Ton stecken bleiben. Mit dem Geologen- Hammer wird Kalkstein zertrümmert vielleicht kommt eine Versteinerung zum Vorschein. Jürgen Hansmann zückt seinen Spaten und schneidet damit die eingetrocknete Schicht vom Rand eines der bestehenden Löcher weg. Fünf Zentimeter etwa, und zum Vorschein kommt frischer, feuchter und weicher Ton. Durch diesen zieht er nun die Ecke seines Spachtels. «Wenns kratzt und man einen leichten Widerstand spürt, ist man auf einen Stein gestossen», sagt er, «und wenn man in diesem Ton auf einen Stein stösst, handelt es sich in den allermeisten Fällen um einen Ammoniten.» Der erste Zug des Spachtels durch den weichen Lehm, und: Es kratzt. Soweit, so gut. Doch der Selbstversuch zeigt: Schwieriger als das Aufstöbern der Fossilien ist die anschliessende Bergung des Fundstücks, das Herausarbeiten aus der klebrigen Tonschicht. Dazu braucht es ein geschicktes Händchen, insbeson- ANZEIGE

4 Coopzeitung Nr. 19 vom 11. Mai nicht eine faszinierende Vorstellung?» In der Tat, als die Tierchen in der heutigen Nordwestschweiz durch die Meere schwebten, wusste der Mensch noch nicht einmal, dass er dereinst überhaupt existieren würde. Bis zu seinem Auftauchen sollten noch mehr als 150 Millionen Jahre ins Land ziehen. «Wir sind die ersten Menschen, die diese Ammoniten sehen.» Mit seinem Spaten legt Geologe Jürgen Hansmann eine feuchte Tonschicht frei. dere, wenn es sich um einen kleinen Gegenstand handelt. Für den routinierten Fachmann trotzdem keine Sache: Nach kurzem Gestocher präsentiert er seinen Fund, einen rund fünf Millimeter grossen, fast komplett erhaltenen Ammoniten. den Tintenfischen deutlich näher verwandt als mit den Schnecken. Einst soll es bis Arten mit einer Grösse von wenigen Millimetern bis 180 Zentimeter von ihnen gegeben haben; vor rund 65 Millionen Jahren starben die letzten aus. Angesichts dieser zeitlichen Dimensionen gerät auch ein routinierter Fossilien-Sucher wie Jürgen Hansmann schon mal ins Philosophieren. «Stell dir vor: Wir sind die ersten Menschen, die diese Ammoniten zu Gesicht bekommen», sagt er, «ist das Doch heute kann ein geschulter Homo sapiens wie Jürgen Hansmann aufgrund der Fossilienfunde ziemlich genaue Rückschlüsse auf die damaligen Lebensbedingungen ziehen. Stösst er fast ausschliesslich auf stark zertrümmerte Ammoniten oder Muscheln, schliesst er daraus, dass das Meer an dieser Stelle relativ flach gewesen sein muss: Die Schalen wurden von den Wellen über die Steine bewegt und gingen dabei in die Brüche. Findet er versteinerte Austern in Lebendstellung, wie dies an der südlichen Seite der Liesberger Tongrube der Fall ist, weiss er, dass hier einst der Meeresboden gelegen hat, Ammoniten: Wers nicht besser weiss, würde von Schneckenhäuschen sprechen. In der Tat sehen sich die Häuschen von Ammoniten und Schnecken auf den ersten Blick ähnlich: Beide gehören zu den Weichtieren (Mollusken). Doch bei den Ammoniten handelt es sich um marine Kopffüssler (Cephalopoden). Sie sind also mit Fundstücke aus der Tongrube Andil in Liesberg: Muscheln und ein Belemnit.

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6 Coopzeitung freizeit&unterhaltung 105 Nr. 19 vom 11. Mai 2010 denn Austern bevorzugen einen stabilen Untergrund, kleben sich an den Sedimenten fest. Selbst versteinerte Strände sind in Liesberg zu finden, und daraus lässt sich die Strömungsrichtung des einstigen Meeres ablesen. Doch dazu braucht es schon ein geübtes Auge und umfassende Fachkenntnisse. «In solchen Gruben hab ich mir schon einige Sonnenbrände geholt.» Die Sonne drückt immer stärker. Jürgen Hansmann wischt sich die Schweisstropfen von der Stirn. «In solchen Gruben habe ich mir schon manchen Sonnenbrand geholt», sagt er. Bereut hat er keinen einzigen. Schon als Kind verbrachte er seine freien Schulnachmittage in Kiesund Tongruben. «Letztendlich waren es wohl die Fossilienfunde, die mich zum Studium der Erdwissenschaften brachten.» Im Laufe der Jahre sei aber das Drumherum immer wichtiger geworden. Die Arbeit im Freien, zum Beispiel. Oder die Tatsache, dass Geotope oft auch Biotope seien, nicht mit versteinerten, sondern mit lebenden, oft seltenen Tieren und Pflanzen. In Liesberg entdecken wir beim Durchstreifen der Grube einen Grasfrosch, eine Blindschleiche, einen Mäusebussard, Orchi deen und Echsen. Selbst eine Schildkröte sonnt sich auf einem Stein in einem der Weiher dass sie natürlicherweise hier lebt, darf allerdings bezweifelt werden. Der Geologie auf der Spur Die Exkursion in die Tongrube Andil in Liesberg BL ist nur eine von rund 140 Veranstaltun- gen im Rahmen von «Erlebnis Geologie» am 28. und 29. Mai. Die Bandbreite der Themen ist gross. Sämtliche Veranstaltungen finden Sie unter Beispiele dafür sind: Zürich: Gletscherspuren und natürliche Bausteine Solothurn: Mir luege drunger Burgdorf: Das Gold der Alpen Naturbausteine, in Strassen oder Gebäudefas saden, geben uns Einblick in die Erdgeschichte. Der geologische Spazierung durch die Stadt Zürich macht dies deutlich. Mit etwas Fantasie findet man sich plötzlich an tropischen Stränden oder am Rand von feuers peienden Vulkanen. link Rigi: Auf den Spuren der Eiszeit Unter dem Motto «Mir luege drunger» geht s in Solothurn auf geologische Spurensuche. Thema sind die Erdwissenschaften im alltäglichen Leben. Der Anlass besteht aus vier Blöcken: «Der (un)typische Geologe», «Unter der Baustelle», «Dem Erdbeben auf der Spur» und «Von der Wolke ins Wasserglas». link Das Goldmuseum Burgdorf zeigt, wo in den Schweizer Alpen Gold zu finden ist und wie das Gold in die Gesteinsschichten des Mittellandes gekommen ist. Vor dem Museum besteht sogar die Möglichkeit, selber Gold zu waschen. Das gefundene Gold gehört dem Finder. link Auf der Exkursion sind Gletscherspuren der letzten Eiszeit vor bis Jahren zu sehen. Spannend ist aber auch der Teil «Baustellengeologie», bei der es um die Risikoabschätzung bei künstlichen Bauten in Zusammenhang mit geologischen Gegebenheiten geht. Anmeldungen unter: conradin.zahno@louis-weggis.ch link FOTOS: ZVG