Forschungslogik und Forschungsdesign in der vergleichenden Politikwissenschaft
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- Mareke Maurer
- vor 6 Jahren
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1 Materialien zur Vorlesung: Prof. Dr. André Kaiser: Forschungslogik und Forschungsdesign in der vergleichenden Politikwissenschaft
2 Aufgaben und Ziele der Vorlesung Motivation: Der Studienaufbau sieht kaum Methodenveranstaltungen vor (keine im Hauptstudium). Veranstaltungen zu Forschungsdesigns fehlen gänzlich. Folge: Große Unsicherheit bei Methoden und Forschungsdesigns. Die Lektüre der Texte in Lehrveranstaltungen erfolgt fast ausschließlich bezogen auf Inhalte. Methoden und Forschungsdesigns werden kaum berücksichtigt. Folge: Häufig ein sehr unkritischer Umgang mit der Lektüre In den Anschlussarbeiten wird die Bandbreite der Forschungsdesigns und der Analysemethoden nicht genutzt. Ebenfalls werden höchst selten Modelle, schon gar keine formalen Modelle zugrunde gelegt. Ziele: Kritischer Umgang mit Literatur Explizite Wahl des Forschungsdesigns in Abschlussarbeiten, unter Berücksichtigung des gesamten Spektrums der Optionen Aufbau: Die Vorlesung konzentriert sich auf Forschungsdesigns. Sie ist keine Methodenveranstaltung und auch keine Veranstaltung zur Wissenschaftstheorie. Dabei wird wie bei King/ Keohane/ Verba von der Annahme ausgegangen, dass es bezüglich der Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens keinen Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Forschung gibt: Two styles of research, one logic of inference.
3 Inferenz: Das Schließen von etwas Beobachteten auf etwas Nicht- Beobachtetes. Deskriptive Inferenz: Das Schließen von beobachteten Ereignissen auf andere, nicht beobachtete Fakten. Kausale Inferenz: Das Schließen von beobachteten Ergebnissen auf ihre Ursachen. Schwerpunkt: Vergleichende Politikwissenschaft (Literatur und typische Forschungssituationen in dieser Teildisziplin) Der Themenplan orientiert sich am Ablauf des Forschungsprozesses: o Fragestellung o Theorie o Modelle o Hypothesen o Datensammlung und Fallauswahl o Datenanalyse
4 1. Fragestellungen Die Fragestellung ist die zentrale Weichenstellung bei Forschungsarbeiten! Was ist eine wissenschaftliche Fragestellung? Eine Frage! (D.h. Formulierung in einem Satz, der mit einem Fragezeichen endet.) Keine bereits feststehende eindeutige Antwort. Wissenschaft hat immer mit Ungewissheit zu tun. Bestimmung der wahren Antwort über Differenzierung der Fragestellung in mehrere, detaillierte Hypothesen, die empirisch in zwei Schritten getestet werden können: (a) deskriptive Inferenzen, (b) kausale Inferenzen Verallgemeinerbarkeit Sozialwissenschaftliche Fragestellung, die sich auf ein Ereignis beziehen, müssen immer so angelegt sein, dass sie auf verallgemeinerbare Erklärungen abzielen. Ziel einer sozialwissenschaftlichen Erklärung ist immer die Entwicklung und empirische Prüfung von Hypothesen, die über den Fall hinaus verallgemeinerbar sind. Am sichersten sind warum - Formulierungen Wie findet man eine wissenschaftliche Fragestellung? Zwei durchaus in Spannung zueinander befindliche Kriterien nach King/ Keohane/ Verba: Gesellschaftliche Relevanz Wissenschaftliche Relevanz Kenntnis des state of the art
5 Optionen: o Suche nach einer Hypothese, die in der Forschungsliteratur bereits als relevant eingeschätzt wird, aber noch nicht systematisch untersucht worden ist. o Suche nach einer in der Literatur weithin geteilten Hypothese, die man aber bezweifelt. o Systematische Überprüfung einer Kontroverse in der Literatur. o Systematische Explikation und Prüfung bislang nicht begründeter Annahmen in der Literatur. o Suche nach Lücken in der Literatur o Suche nach Theorien, Hypothesen und Befunden, die zu einer Fragestellung entwickelt worden sind und sich auf andere Gebiete übertragen lassen. Voraussetzung (siehe Geddes): Der state of the art ist kumulativ angelegt und so klar strukturiert, dass Forschungslücken klar identifiziert werden können. (Häufig nicht der Fall.) Geddes plädiert daher dafür, die eigene Motivation für Sozialwissenschaft zu nutzen, jedoch systematisch zu disziplinieren: Systematische Ordnung von empirischen Informationen. Datensammlung über das einen eigentlich interessierende Gebiet (Land, Region, Zeitraum) hinaus. Verschaffung eines Überblicks zum breiten Angebot an sozialwissenschaftlichen Modellen.
6 2. Kausalität Probleme bei der Erfassung von Kausalität: Das so genannte Fundamentalproblem der kausalen Inferenz Soll zweifelsfrei eine Kausalbeziehung zwischen X und Y nachgewiesen werden, dann muss derselbe Fall unter Einwirkung von X und unter Nichteinwirkung von X untersucht werden. Das Problem der Unterscheidung zwischen systematischen und nichtsystematischen Komponenten der Wirkung. Lösung: Homogenität der Untersuchungseinheiten Kein Endogenitätsproblem: Unabhängigkeit der erklärenden Variable von der abhängigen Variable Das Konzept der kausalen Effekte (King/ Keohane/ Verba) Ergebnisse und Auswirkungen Erklärende Variablen = unabhängige Variablen (kausale X und Kontrollvariablen), zu erklärende Variablen = abhängige Variablen Y Kausaler Effekt = Systematischer Unterschied zwischen dem Wert für Y bei Vorliegen von X und bei Nichtvorliegen von X unter Zugrundelegung möglichst vieler Replikationen (Kontrolle für nichtsystematische, d.h. random Einflüsse). Das Konzept der kausalen Mechanismen (Elster, Geddes) Prozesse und Einwirkungen Kleinteilige Erfassung einzelner Schritte in einer längeren Kausalkette Analyseeinheit ist Akteurshandeln Badewannenprozedur zur Identifikation von kausalen Einwirkungen
7 Makro Makro Logik der Situation Logik der Aggregation Mikro Logik der Selektion Mikro Das Konzept der multiplen Kausalität (Ragin): Deterministische Kausalität fuzzy set methode, beruhend auf der Booleschen Algebra Designs mit kleinen Fallzahlen und relativ komplexen Bedingungskonstellationen Das Konzept der asymmetrischen Kausalität (Lieberson): Symmetrie: Wenn X auf Y einwirkt und eine Veränderung mit dem Wert Z bewirkt, dann muss bei Wegfall der Einwirkung genau diese Veränderung mit dem Wert Z wieder verschwinden Asymmetrie: Die Veränderung erreicht bei Einwirken und Nichteinwirken unterschiedliche Werte Konzepte der Kausalitätsbeziehungen: Irreversible Ursache: ratchet effect - Beziehung Nicht-lineare Ursache: Beziehungen mit einem takeoff- bzw. Schwellenwert Critical juncture und pfadabhängige Ursache
8 Fazit: Unterschiedliche Konzepte von Kausalität lassen sich auf ein einheitliches Verständnis von Ursache- Wirkungs- Beziehungen zurückführen: Minimally, causes may be said to refer to events or conditions that raise the probability of some outcome occurring (under ceteris paribus conditions) (Gerring 2005: 169) Einheitliche Beurteilungskriterien für die Leistungsfähigkeit der gewählten Erklärung siehe Gerring 2005: 171 und 183 X- zentrierte vs. Y zentrierte Forschungsdesigns (Ganghof 2005): X-zentriert o vorwärts blickend: Wozu führt X? o Konzentration auf eine oder wenige unabhängige Variablen o Abschätzung des partiellen Effektes auf Y Y-zentriert o rückwärts blickend: Was erklärt die Varianz auf Y? o Einbeziehung möglichst aller zentralen erklärenden Variablen X-zentriert/ quantitativ o Ziel: Bestimmung des partiellen Effekts einer oder weniger erklärender Variablen o Kurze Kausalketten, wenige intervenierende Variablen X-zentriert/qualitativ o Ziel: Bestimmung eines kausalen Mechanismus o Große Fragen werden in kleine, analytisch modellierbare Fragen zerlegt o Kritik: Lego- Strategie
9 Y-zentriert/ quantitativ o Ziel: möglichst hohes R² o Kritik: kitchen sink - Regression Y-zentriert/ qualitativ o Ziel: Entwicklung einer umfassenden Erklärung Vorschlag: Kombination der beiden Strategien: Zunächst Entwicklung einer Erklärung anhand eines Falles (Y-Strategie), anschließend Erprobung der Erklärung im Rahmen einer X-Strategie. Fallauswahl für den expliziten Vergleich relativ spät. 3. Theorie, Modell, Hypothese, Prognose Hypothese Unter einer Hypothese verstehen wir einen vermuteten Zusammenhang zwischen zwei (und mehr) Variablen. Deterministische und probabilistische (Wahrscheinlichkeits-) Hypothesen Typen von Hypothesen Wenn-dann-Hypothesen o Die unabhängige und die abhängige Variable werden dichotom ausgedrückt Je-desto-Hypothesen o Die unabhängige und die abhängige Variable weisen mindestens ordinales Skalenniveau auf. o Funktionale Darstellung möglich (monoton, nicht-monoton)
10 o Können mathematisch ausgedrückt und als formales Modell formuliert werden. Kausalhypothesen und Trendhypothesen Individualhypothesen und Kollektiv- bzw. Aggregathypothesen Kontexthypothesen Theorie Eine begründete und genau spezifizierte vorläufige Antwort (d.h. Spekulation) auf eine Forschungsfrage. In der Regel differenzierbar in mehrere deskriptive und kausale Hypothesen. Daneben besteht eine Theorie aus Definitionen der zugrunde liegenden Konzepte (Begriffe) Kriterien für gute sozialwissenschaftliche Theorie: Falsifizierbarkeit Interne Konsistenz Empirische Prüfbarkeit Konkretheit Allgemeinheitsgebot/ Vermeidung von ad hoc- Theorien Komplexitätsgebot
11 Modelle: Modelle sind möglichst stark formalisierte Ausschnitte einer Theorie Warum Formalisierung? Präzise, nachvollziehbare Fassung von Hypothesen Mathematische Formalisierung ermöglicht Deduktionen aus den angegebenen Funktionen (Bsp.: Anwendung der Ableitungsregeln) Überprüfung der internen Konsistenz einer Theorie durch die Überprüfung der logischen Kompatibilität verschiedener aus der Theorie abgeleiteter Modelle Prognose: Prognosen sind von Hypothesen abgeleitete singuläre Sätze. Raum-zeitlich spezifische Formulierung
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