Haftung der Planer. Dr. iur. Thomas Ender Rechtsanwalt und Notar Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht Haftung der Planer 1

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1 Haftung der Planer Dr. iur. Thomas Ender Rechtsanwalt und Notar Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht Haftung der Planer 1

2 Grundlagen Haftung meint die Verantwortlichkeit des Planers für Schaden, der dem Bauherrn (oder bei gegebenen Voraussetzungen auch Dritten) entstanden ist wegen Vertragsverletzungen (vertragliche Haftung) z.b. Planungsfehlern anderen Vertragsverletzungen unerlaubten Handlungen des Planers (ausservertragliche Haftung) Haftung der Planer 3

3 Grundlagen der vertraglichen Haftung pro memoria: der Planervertrag wird in Teilen als Auftrag qualifiziert in Teilen als Werkvertrag qualifiziert Die unterschiedliche Qualifizierung hat Auswirkungen auf die Rechtsfolgen einer Vertragsverletzung: Unterschiedliche Prüfungs- und Rügeobliegenheiten Unterschiedliche Verjährungsregeln Aber wenig Unterschiede bei Schadenersatzansprüchen Haftung der Planer 4

4 Voraussetzungen der vertraglichen Haftung Vertragsverletzung Der Bauherr erleidet einen Schaden Es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden Der Planer trägt für den Schaden die Verantwortung (Verschulden) Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein! Haftung der Planer 6

5 Haftung aus unerlaubter Handlung Alternative Rechtsgrundlage (neben der vertraglichen Anspruchsgrundlage) für Ansprüche des Bauherrn gegen den Planer Einzige Rechtsgrundlage für Ansprüche Dritter (welche mit dem Planer keinen Vertrag haben) gegen den Planer Nachbar gegen Planer Unternehmer gegen Planer Planer gegen Planer Bauherr gegen Subplaner Rechtsgrundlage ist Art. 41 OR: "Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht oder aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet." Haftung der Planer 7

6 Voraussetzungen einer Haftung aus unerlaubter Handlung Der Bauherr erleidet einen Schaden Es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden Der Planer trägt für den Schaden die Verantwortung (Verschulden) Das Verhalten des Planers ist widerrechtlich Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein! Für die Voraussetzungen 1 bis 3 kann auf das bei der vertraglichen Haftung Gesagte verwiesen werden Haftung der Planer 8

7 Vertragsbeziehungen im klassischen Bauverhältnis Kaufvertrag Kaufvertrag Bauherr Werkvertrag Materiallieferant Unternehmer Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag Auftrag Planer Bauleiter Subunternehmer Haftung der Planer 9

8 Vertragsbeziehungen beim Generalunternehmervertrag Kaufvertrag Materiallieferant Generalunternehmer Werkvertrag Bauherr Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag Auftrag Subunternehmer Planer Bauleiter Haftung der Planer 10

9 Vertragsbeziehungen beim Totalunternehmervertrag Kaufvertrag Materiallieferant Totalunternehmer Werkvertrag Bauherr Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag Auftrag Subunternehmer Planer Bauleiter Haftung der Planer 11

10 Unternehmer und Verursacher Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer Haftung Werkvertrag Bauherr Ursache des Mangels Haftung Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag Subunternehmer Planer Auftrag Bauleiter Haftung der Planer 12

11 Baumateriallieferant als Verursacher Ursache Haftung Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer Haftung Werkvertrag Bauherr Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag Subunternehmer Planer Bauleiter Haftung der Planer 13

12 Planer als Verursacher Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer Anzeigepflicht? Werkvertrag Bauherr Werkvertrag Haftung Auftrag / Werkvertrag Subunternehmer Ursache Planer Auftrag Bauleiter Haftung der Planer 14

13 Mehrere Verursacher 1. Ursache Unternehmer A Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer B Werkvertrag Haftung Bauherr Werkvertrag Keine Anzeige (2. Ursache) Auftrag / Werkvertrag Auftrag Subunternehmer Experte Architekt Mangelnde Bauaufsicht (3. Ursache) Haftung der Planer 15

14 Unbekannter Verursacher? Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer Werkvertrag Bauherr? Werkvertrag Auftrag / Werkvertrag? Subunternehmer? Experte Architekt? Haftung der Planer 16

15 Mitverschulden des Bauherrn Kaufvertrag Materiallieferant Unternehmer reduzierte Haftung Werkvertrag Bauherr Werkvertrag Ursache Auftrag / Werkvertrag Teilursache Subunternehmer Planer Bauleiter Haftung der Planer 17

16 Die Vertragsverletzung Vertragsverletzung bedeutet Pflichtverletzung Der Planer schuldet ein Werk (z.b. Pläne). Weist dieses Planwerk Fehler auf, liegt eine Vertragsverletzung vor. Vertragsverletzungen können auch ausserhalb von Planfehlern liegen, z.b. fehlerhafte Berechnungen Mangelhafte Abklärungen der Gegebenheiten vor Ort Haftung der Planer 21

17 Der Schaden (I) Ein Schaden ist eine unfreiwillige Vermögensminderung, d.h. eine Abnahme der Aktiven, eine Vermehrung der Passiven oder ein entgangener Gewinn Differenztheorie: Schaden = Differenz zwischen dem gegenwärtigen Stand des Vermögens und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis aufweisen würde Haftung der Planer 22

18 Der Schaden (II) Personenschaden: wenn eine Person in ihrer Gesundheit geschädigt, verletzt oder getötet wird, und deshalb dadurch einen Schaden erleidet Sachschaden: bei Zerstörung, Beschädigung oder Verlust einer Sache Vermögensschaden Vermögensschaden als Folge eines Personenschadens gehört zum Personenschaden Vermögensschaden als Folge eines Sachschadens gehört zum Sachschaden Reiner Vermögensschaden: wenn allein das Vermögen des Geschädigten beeinträchtigt wird, ohne dass ein Personen- oder Sachschaden vorliegt Haftung der Planer 23

19 Der Schaden (III) Ein fehlerhafter Plan ist mangelhaft, hat also einen Mangel. Ein fehlerhafter Plan ist aber kein Schaden Ein fehlerhafter Plan kann aber zu einem Mangel an einem Bauwerk führen: sog. Mangelfolgeschaden. Der Mangel am Bauwerk führt zu Schaden (Mangelfolgeschaden): z.b. Kosten der Behebung des Mangels am Bauwerk Minderwert der Baute Der Mangel am Bauwerk (Mangelfolgeschaden) kann zu weiteren Mangelfolgeschäden führen Haftung der Planer 24

20 Kausalzusammenhang Natürlicher Kausalzusammenhang: wenn die Vertragsverletzung nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele Adäquater Kausalzusammenhang: wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung die Vertragsverletzung geeignet ist, einen Erfolg in der Art des eingetretenen herbeizuführen Haftung der Planer 25

21 Verschulden Verschulden ist die persönliche Vorwerfbarkeit der Vertragsverletzung Der Planer handelt schuldhaft, wenn sein Verhalten vom angemessenen Durchschnittsverhalten negativ abweicht Verschuldensformen: Vorsatz/Absicht: Der Planer führt den Schaden gewollt herbei Eventualvorsatz: Der Planer nimmt den Schaden bewusst in Kauf Fahrlässigkeit: der Planer ist sich nicht bewusst, eine Vertragsverletzung zu begehen und einen Schaden zu verursachen Haftung der Planer 26

22 Gewährleistungsrechte aus Werkvertrag Die Gewährleistungsansprüche aus Werkvertrag Wandelung Minderung Nachbesserung Ersatzvornahme bestehen zwar auch, haben bei Planungsfehlern aber kaum Bedeutung. Merke: Der Nachbesserungsanspruch betrifft nur den fehlerhaften Plan, und nicht die gestützt auf den fehlerhaften Plan fehlerhaft errichtete Baute! Haftung der Planer 27

23 Sennhof-Urteile (I) Stadt Winterthur plant neues Schulhaus Vertrag mit Ingenieur A.: ingenieurtechnische Bearbeitung der Tragkonstruktion, Ausführungsplanung, Überwachung der Realisierung des Bauvorhabens Übernahme der SIA-Ordnung 103 (2003) Nach Beginn der Bauarbeiten kamen Zweifel an der Richtigkeit der Statik auf; die Stadt liess die Statik durch ein anderes Ingenieurbüro prüfen Am 31. Oktober 2006 lag ein Vorabzug des Prüfberichts vor; die Stadt ordnete die Einstellung der Bauarbeiten an. Gleichzeitig wurde eine umfassende statische Überprüfung des Gebäudes (durch ein weiteres Ingenieurbüro) in Auftrag gegeben Am 2. November 2006 wurde der Ingenieur aufgefordert, zum Prüfbericht Stellung zu nehmen. Im Prüfbericht seien vier Bereiche als problematisch bezeichnet worden Haftung der Planer 28

24 Sennhof-Urteile (II) Am 4. Dezember 2006 wurde ein erster Zwischenbericht abgegeben. Am 12. Dezember 2006 wurde ein Kurzbericht abgegeben: es wurden neun Punkte in Zusammenhang mit der Tragfähigkeit bemängelt, und drei weitere Punkte Am 14. Dezember 2006 kündigte die Stadt den Planervertrag fristlos Stadt Am 11. Januar 2007 wurde der definitive Prüfbericht abgegeben Am 12. Januar 2007 wurde dem Ingenieur der stadtinterne Bericht zugestellt, mit dem definitiven Prüfbericht, und wahrscheinlich verbunden mit einer Mängelrüge Haftung der Planer 29

25 Sennhof-Urteile (III) Bundesgericht: Berechnung der Statik und Erarbeitung von Plänen und einer Nutzungsvereinbarung ist werkvertragliche Leistung Überwachung der Umsetzung der Pläne ist auftragsrechtliche Leistung Der Besteller hat nach Ablieferung des (Plan-)Werkes dessen Beschaffenheit zu prüfen und den Unternehmer über Mängel in Kenntnis zu setzen; tut er dies nicht, gilt das Werk als stillschweigend genehmigt. Treten Mängel erst später zu Tage, muss die Anzeige sofort nach der Entdeckung erfolgen; tut der Besteller dies nicht, gilt das Werk auch bezüglich dieser Mängel als genehmigt Haftung der Planer 30

26 Sennhof-Urteile (IV) Im Zeitpunkt der Kündigung durch die Stadt war das Planwerk abgeliefert; die Bestimmungen über die Gewährleistung kommen damit zur Anwendung (ohnehin gilt: bei vorzeitiger Vertragsbeendigung steht der akzeptierte Werkteil dem vollendeten Werk bezüglich Mängelrechte gleich) Vertragsurkunde: «Ansprüche aus Mängeln des unbeweglichen Bauwerks verjähren innert 5 Jahren. Die Frist beginnt mit der Abnahme des Werkes bzw. Werkteils zu laufen. Solche Mängel kann der Auftraggeber während der ersten zwei Jahre nach der Abnahme jederzeit rügen. Nach Ablauf dieser Frist sind die Mängel sofort nach der Entdeckung zu rügen.» Haftung der Planer 31

27 Sennhof-Urteile (V) Planfehler sind keine Mängel am unbeweglichen Bauwerk. Bauwerksmängel sind Mangelfolgeschaden des Planmangels. Mängel aus Schäden am unbeweglichen Bauwerk verjähren nach der konkreten Vertragsbestimmung in fünf Jahren; dies auch dann, wenn die Schäden am unbeweglichen Bauwerk Mangelfolgeschaden des Planmangels sind. Aber: Verjährungsfrist ist nicht Rügefrist! Die vertragliche zweijährige Rügefrist meint hier die Mängel am Bauwerk und nicht die Mängel am Plan Haftung der Planer 32

28 Sennhof-Urteile (VI) Für die Planmängel gelten die gesetzlichen Bestimmungen: und damit die sofortige Rügepflicht. Die Stadt hatte spätestens am 12. Dezember 2006 Kenntnis der Mängel. Die Frist zur sofortigen Rüge beträgt etwa 7 Tage. Die Zustellung resp. Rüge am 12. Januar 2007 war damit zu spät Womit die Stadt alle Gewährleistungsansprüche verwirkt hatte dura lex, sed lex Haftung der Planer 33

29 Sennhof-Urteile (VII) Ob ein Planmangel vorlag, wurde am Ende gar nicht beurteilt. In den Medien war von Baupfusch die Rede, und von groben Fehlern von Ingenieur und Baumeister. Das wurde aber nie nachgewiesen, und blieb immer umstritten: auch der Ingenieur hatte Gutachten vorgelegt, welche belegten, dass die Statik ausreichend war. Aber das musste materiell gar nicht beurteilt werden, weil die Gerichte den Fall über die Rügepflicht «abhandelten» Haftung der Planer 34

30 SIA-Ordnungen 102, 103 u.w. (LHO), Art. 1.9 Verjährung Ansprüche gegenüber dem Planer aus Mängeln des unbeweglichen Werkes verjähren innert fünf Jahren. Die Frist beginnt mit der Abnahme des unbeweglichen Werkes oder Werkteils zu laufen Im Übrigen Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen Rügeobliegenheiten Mängel sind innert 60 Tagen nach Entdeckung zu rügen Plan- und Berechnungsfehler, welche zu einem Mangel eines unbeweglichen Werkes oder Werkteils führen, kann der Auftraggeber während der ersten zwei Jahre nach dessen Abnahme jederzeit rügen Haftung der Planer 35

31 Prüfungs- und Rügeobliegenheiten beim Werkvertrag Um seine Ansprüche gegenüber dem Planer zu wahren muss der Bauherr rechtzeitig die Planungsleistungen prüfen (Prüfungsobliegenheit): Der Bauherr muss das Werk prüfen, sobald dies nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist Die Mängel dem Planer umgehend anzeigen (Rügeobliegenheit): Der Bauherr muss den Mangel sofort rügen während der Verjährungsfrist tätig werden Haftung der Planer 36

32 Verjährung im Werkvertrag (I) Zweijährige Verjährungsfrist: Für den mangelhaften Plan selber, und für Fehlplanungen, die zu einem Mangel an einem beweglichen Werk führen Fünfjährige Verjährungsfrist: Wenn der mangelhafte Plan zu einem Mangel an einem unbeweglichen Werk führt; gilt für alle damit zusammenhängenden Schadenspositionen Zehnjährige Verjährungsfrist: gilt für alle anderen Fehler des Planers, insbesondere dann, wenn die Fehlplanung oder die Verletzung der Sorgfaltspflicht zu keinem Mangel an einem Bauwerk führt Haftung der Planer 37

33 Verjährung im Werkvertrag (II) Die Verjährung kann unterbrochen werden: Durch Betreibung, Klage, Anerkennung Nicht aber durch blosse Anzeige oder «Einschreiben» Der Haftpflichtige kann auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichten Haftung der Planer 38

34 Verjährung im Auftragsrecht Auftragsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Planer, die auf Mängel an einem unbeweglichen Werk zurückzuführen sind, verjähren in fünf Jahren (Art. 371 Abs. 2 OR) Alle anderen (auftragsrechtlichen) Ansprüche gegenüber dem Planer verjähren in zehn Jahren (Art. 127 OR) Die Verjährung kann unterbrochen werden: Durch Betreibung, Klage, Anerkennung Nicht aber durch blosse Anzeige oder «Einschreiben» Der Haftpflichtige kann auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichten Haftung der Planer 41

35 Prüfungs- und Rügeobliegenheiten im Auftragsrecht Das Auftragsrecht kennt keine Prüfungs- und Rügeobliegenheiten Aber: Schadenminderungspflicht des Bauherrn: Der Bauherr ist verpflichtet, dem Planer Mängel anzuzeigen, sofern dadurch ein Schaden verhindert werden kann. Verletzung der Schadenminderungspflicht kann dazu führen, dass die Haftung für den Schaden, welcher hätte verhindert werden können, entfällt Haftung der Planer 42

36 Zur Widerrechtlichkeit (ausservertragliche Haftung) (I) Widerrechtlich ist ein Verhalten, das gegen ein absolut geschütztes Rechtsgut (z.b. Leib, Leben oder Eigentum) verstösst oder eine Rechtsnorm verletzt, die gerade eine Verletzung in der Art der eingetretenen verhindern wollte (sog. Verstoss gegen eine Schutznorm) Haftung der Planer 51

37 Zur Widerrechtlichkeit (ausservertragliche Haftung) (II) Die Verletzung der absolut geschützten Rechtsgüter Leib und Leben führen in der Regel zu einem Personenschaden; ein Personenschaden ist damit immer widerrechtlich Die Verletzung des absolut geschützten Rechtsguts Eigentum führt in der Regel zu einem Sachschaden; ein Sachschaden ist damit immer widerrechtlich Ein reiner Vermögensschaden ist nur dann widerrechtlich, wenn ein Verstoss gegen eine Schutznorm vorliegt. Schutznormen finden sich in verschiedenen Rechtsgebieten, insbesondere im Strafrecht Haftung der Planer 52

38 Verjährung der Ansprüche aus unerlaubter Handlung Relative Verjährungsfrist: ein Jahr ab Kenntnis des Schadens und ab Kenntnis des Schädigers Absolute Verjährungsfrist: 10 Jahre Ab dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses Die Verjährung kann über die zehn Jahre hinaus unterbrochen werden: Durch Betreibung, Klage, Anerkennung Nicht aber durch blosse Anzeige oder «Einschreiben» Der Haftpflichtige kann auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichten Haftung der Planer 53

39 Strafrecht auf dem Bau Dr. iur. Thomas Ender Rechtsanwalt und Notar Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht Strafrecht auf dem Bau 54

40 1. Einige Grundsätze des Strafrechts Strafrecht auf dem Bau 55

41 Wesen des Strafrechts Strafbar ist, wer eine Tat begeht, die das Gesetz mit Strafe bedroht (Art. 1 StGB) Die Rechtsordnung sieht für schwere Verstösse gegen Rechtsnormen eine Strafe vor Rechtsquellen: primär das Strafgesetzbuch (StGB) Nebenstrafrecht (Strafnormen in anderen Gesetzen) Strafanspruch des Staates gegenüber einem Täter, welcher gegen die öffentliche Ordnung verstossen hat Strafrecht auf dem Bau 56

42 Vorsatz und Fahrlässigkeit Ein Verbrechen oder ein Vergehen ist strafbar immer, wenn es vorsätzlich begangen wurde wenn die entsprechende Strafnorm es vorsieht auch dann, wenn es fahrlässig begangen wurde Strafrecht auf dem Bau 57

43 Vorsatz Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder ein Vergehen, wer eine Tat mit Wissen und Willen ausführt Mit Wissen handelt, wem die wesentlichen Umstände einer Straftat bewusst sind und wer den Zusammenhang zwischen einem strafbaren Verhalten und dem strafrechtlich verpönten Ergebnis erkennt Mit Willen handelt, wer den Willen hat, eine Straftat zu begehen Direkter Vorsatz: Der Täter will das strafrechtlich verpönte Ergebnis (z.b. den Tod eines Menschen) verwirklichen Eventualvorsatz: Der Täter will die Verwirklichung einer Straftat zwar nicht, er hält sie aber für möglich, und nimmt in Kauf, dass das strafrechtlich verpönte Ergebnis eintritt Strafrecht auf dem Bau 58

44 Fahrlässigkeit Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt Unvorsichtig handelt wer das strafrechtlich verpönte Ergebnis seines Verhaltens überhaupt nicht in Erwägung zieht, oder wer das Ergebnis zwar für möglich hält, jedoch leichtfertig hofft, dass es schon nicht eintreten wird Pflichtwidrig unvorsichtig handelt wer die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist: massgebend sind die Umstände des Einzelfalles und die persönlichen Verhältnisse des Täters. Das strafrechtlich relevante Ergebnis des Verhaltens muss für den Täter zudem voraussehbar und vermeidbar sein Strafrecht auf dem Bau 59

45 Zur Abgrenzung Begehungsdelikt / Unterlassungsdelikt Eine Straftat kann durch eine aktive Handlung (Begehungsdelikt) oder durch Nichtvornahme einer gebotenen Handlung, d.h. durch Unterlassen (Unterlassungsdelikt) verwirklicht werden Das Unterlassungsdelikt ist zum Begehungsdelikt subsidiär Voraussetzung der Strafbarkeit ist bei einem Erfolgsdelikt der Kausalzusammenhang zwischen der Tat und dem «Erfolg» bei einem Unterlassungsdelikt die hypothetische Kausalität: Hätte der verpönte Erfolg nach der allgemeinen Lebenserfahrung abgewendet werden können, wenn der Täter die ihm gebotene Pflicht zu handeln beachtet hätte? Ein Begehungsdelikt kann jedermann begehen Ein Unterlassungsdelikt kann nur begehen, wer aufgrund einer Garantenstellung zum Handeln verpflichtet ist Strafrecht auf dem Bau 60

46 Zur Garantenstellung Ein Verbrechen oder Vergehen kann durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden Pflichtwidrig untätig bleibt aber nur, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtsstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: des Gesetzes bei engen persönlichen Beziehungen, z.b. im Familienrecht z.b. Bestimmungen, die eine Person zur Überwachung einer Gefahrenquelle anhalten: Geschäftsherr bzw. Arbeitgeber für seine Hilfspersonen, Tierhalter, Werkeigentümer, Halter eines Motorfahrzeuges; Amts- oder Berufspflichten eines Vertrages: eine Person verpflichtet sich vertraglich, die Rechtsgüter des andern zu schützen; die Pflicht zur Verhütung einer Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter muss zum zentralen Vertragsinhalt gehören einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder der Schaffung einer Gefahr: Wer eine Gefahrensituation verursacht, ist verpflichtet dafür zu sorgen, dass sich die bestimmte Gefahr nicht verwirklicht; er hat die notwendigen Vorsichts- und Schutzmassnahmen zu ergreifen Strafrecht auf dem Bau 61

47 2. Straftatbestände auf dem Bau Strafrecht auf dem Bau 67

48 Straftatbestände, welche auf dem Bau oft vorkommen Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben: Fahrlässige Tötung Fahrlässige schwere Körperverletzung Fahrlässige einfache Körperverletzung Strafbare Handlungen gegen das Vermögen Sachbeschädigung Strafrecht auf dem Bau 68

49 Bauspezifische Straftatbestände Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (Art. 229 StGB) Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen (Art. 230 StGB) Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (Art. 228 StGB) Verursachen einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227 StGB) Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben Strafrecht auf dem Bau 69

50 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (I) Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerkes oder eines Abbruches die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Mitmenschen gefährdet macht sich strafbar. Auch die fahrlässige Tatbegehung ist strafbar Strafrecht auf dem Bau 75

51 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (II) Art. 229 StGB als konkretes Gefährdungsdelikt: Es muss eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben der Mitmenschen bestanden haben; eine abstrakte oder bloss mögliche Gefährdung reicht nicht Es braucht also keine Verletzung von Leib und Leben, für Strafbarkeit genügt die Gefährdung Werden keine Menschen gefährdet, besteht keine Strafbarkeit, auch dann nicht, wenn die Regeln der Baukunde verletzt sind: Das Eigentum oder Vermögen von Mitmenschen ist kein von Art. 229 StGB geschütztes Rechtsgut; die Gefährdung fremden Eigentums bleibt straflos Keine Strafbarkeit besteht bei Gefährdung von Leib und Leben, wenn keine Regeln der Baukunde verletzt werden Strafrecht auf dem Bau 76

52 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (III) «Täter»kreis: alle Personen, die im Rahmen der Leitung oder Ausführung von Bauarbeiten oder beim Abbruch eines Bauwerks für die Einhaltung der Regeln der Baukunde verantwortlich sind In bauleitender Funktion: z.b. Architekten, Ingenieure, Bauleiter In bauausführender Funktion: z.b. Unternehmer (als Arbeitgeber), Bauführer, Bauarbeiter Strafrecht auf dem Bau 77

53 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (IV) Als Bauwerke gelten sämtliche baulichen und technischen Anlagen, die fest mit dem Grund und Boden verankert sind Hilfskonstruktionen Zum Beispiel alle Hoch- und Tiefbauten (wie Häuser, Bahnen, Strassen, Kanäle etc.) blosse Teile derartiger Bauten (wie Brücken, Tunnels, Leitungen, Treppen, Aufzüge etc. Teilabbrüche Strafrecht auf dem Bau 78

54 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (V) Die Ausserachtlassung der Regeln der Baukunde ist durch ein aktives Tun durch Unterlassen der gebotenen Sicherungsmassnahmen möglich. Art. 229 StGB begründet eine Garantenstellung des Täters durch Schaffung einer Gefahr (Art. 11 Abs. 2 lit. d StGB); Personen, denen die Leitung oder die Ausführung von Bauwerken obliegt, haben für die von ihnen geschaffene Gefahr die Sicherheitsregeln einzuhalten Strafrecht auf dem Bau 79

55 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (VI) Regeln der Baukunde sind vorgeschriebene oder ihrer Natur nach gebotene Grundsätze, von denen die einwandfreie Beschaffenheit eines Bauwerkes abhängt; z.b. Regeln für die Planung/Berechnung, Regeln für die technische Konstruktion Regeln für die handwerksmässige Ausführung Sowohl bei der Werkerstellung (also bei der Ausführung der Bauarbeiten) Als auch am fertigerstellten Bauwerk Strafrecht auf dem Bau 80

56 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde (VII) Anerkannt ist eine Regel der Baukunde dann, wenn sie von der Praxis der Bauenden als richtig übernommen wird. Also Regeln, die praktiziert werden, sich verfestigt haben und allgemeine Akzeptanz erfahren Massgeblich ist die Durchschnittsmeinung der Fachleute des jeweiligen Baugewerbes Strafrecht auf dem Bau 81