Privatrecht I. 8 Vertragsverhandlungen. u b. Prof. Susan Emmenegger
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- Felix Heidrich
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1 Privatrecht I 8 Vertragsverhandlungen u b Prof. Susan Emmenegger 1
2 Vertragsverhandlungen Wenn potentielle Vertragsparteien miteinander im Hinblick auf einen Vertragsabschluss miteinander in Kontakt treten, so entsteht daraus ein Rechtsverhältnis: Das Vertragsverhandlungsverhältnis Zum Inhalt dieses Verhältnisses gehört insbesondere die Pflicht zu einem Verhalten nach Treu und Glauben. 2
3 Verhalten nach Treu und Glauben Einzelpflichten: Die Pflicht zum ernsthaften Verhandeln Die Pflicht zur Rücksichtnahme Die Pflicht, den Verhandlungspartner nicht zu täuschen Die Pflicht, Schutzmassnahmen zu treffen Rechtsfolge im Falle einer Pflichtverletzung: Haftung aus culpa in contrahendo 3
4 Haftung aus culpa in contrahendo// Beispiel 1. Esther zu Karla: Ich verkaufe Dir mein Mountainbike. Es steht bei meinen Eltern im Wallis in der Garage. Du kannst es am Wochenende abholen." Als Esther ihre Mutter am selben Abend anruft, erfährt sie, dass ihr jüngster Bruder zwei Wochen zuvor das Fahrrad "repariert" hatte und es in der Folge entsorgt werden musste. Karla steigt am Samstag früh in den Zug und fährt ins Wallis. Sie kehrt ohne ihr Fahrrad und ziemlich verärgert am Samstag Abend nach Bern zurück. Welche Ansprüche hat Karla gegen Esther? 4
5 I. Was will Karla? Ersatz der Reisekosten (mindestens) II. Prüfung der Anspruchsgrundlagen Vertrag: entfällt wegen ursprünglicher Unmöglichkeit (Art. 20 OR) Delikt: Prüfung der einzelnen Haftungsvoraussetzungen 5
6 I. Haftungsvoraussetzungen der Deliktshaftung (Art. 41 OR) 1. Schaden: Verminderung der Aktiven, Vergrösserung der Passiven, entgangener Gewinn. 2. Widerrechtlichkeit: Verletzung eines absoluten Rechtsguts = Leben, Leib, Persönlichkeit, Eigentum, Besitz; oder Verletzung einer einschlägigen Schutznorm = Norm, die genau den Schutz vor Schäden in der Art des (konkret) eingetretenen Schadens bezweckt. 3. Kausalzusammenhang: Natürlich = Handlung ist conditiosine qua non für Schaden; Adäquat = Handlung ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, einen Schaden in der Art des eingetretenen zu bewirken. 4. Verschulden: Vorwerfbarkeit in der Form der Absicht oder der Fahrlässigkeit. 6
7 II. Haftungsvoraussetzungen der Culpa-Haftung 1. Vertragsverhandlung: Rechtsbeziehung von potentiellen Vertragsparteien im Vorfeld eines Vertrages 2. Pflichtverletzung: Verletzung der Pflicht zum Handeln nach Treu und Glauben (insb. Treue und Informationspflicht) 3. Schaden: Verminderung der Aktiven, Vergrösserung der Passiven, Entgangener Gewinn. 4. Kausalzusammenhang: Natürlich = Handlung ist conditiosine qua non für Schaden; Adäquat = Handlung ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, einen Schaden in der Art des eingetretenen zu bewirken. 5. Verschulden: Vorwerfbarkeit in der Form der Absicht oder der Fahrlässigkeit. Haftung aus culpa in contrahendo zu bejahen 7
8 Notwendigkeit der Culpa- Haftung (Fazit) Die Culpa-Haftung ist eine Hilfsfigur, die dazu dient, eine «Haftung zwischen Vertrag und Delikt» zu begründen, weil im konkreten Fall eine Vertragshaftung nicht vorliegt und die Deliktshaftung zu stossenden Ergebnissen führt. Nachteile der Deliktshaftung: Widerrechtlichkeitsbegriff deckt den reinen Vermögensschaden nicht Beweislastverteilung für den Geschädigten strenger Haftung für Hilfspersonen für den Anspruchsgegner milder 8
9 Vorteile der Culpa-Haftung: Haftung auch für "reine" Vermögensschäden Beweislast für fehlendes Verschulden liegt beim Schädiger Haftung für Hilfspersonen wie im Vertragsrecht (Art. 101 OR) 9
10 Haftung für (reine) Vermögensschäden: Wie im Vertragsrecht Vertrag (97 OR) Personenschäden (Leib, Leben, Gesundheit) Sachschäden (Eigentum) Vermögensschäden Delikt (41 OR) Personenschäden (Leib, Leben, Gesundheit) Sachschäden (Eigentum) Vermögensschäden nur bei Vorliegen Schutznorm Culpa in contrahendo Personenschäden Sachschäden Vermögensschäden 10
11 Haftungsmodalitäten Beweislast für Verschulden: Haftung für Hilfspersonen Verjährung Vertrag (97 OR) Schädigerin (97 OR, kein Verschulden) Volle Haftung (101 OR) 10 Jahre (127 OR) Delikt (41 OR) Geschädigte (41 OR, Verschulden Schädiger) Entlastung (55 OR) 1 Jahr/10 Jahre (60 OR) Culpa in contrahendo Beweislast Hilfspersonen Verjährung Schädigerin (97 OR) Volle Haftung (101 OR) 1 Jahr/10 Jahre (60 OR) 11
12 Culpa-Haftung und Vertrauenshaftung Vertrauenshaftung Culpa-Haftung Culpa-Haftung: Pflichtverletzung bei Vertragsverhandlungen Vertrauenshaftung: Haftung aus erwecktem und pflichtwidrig enttäuschtem Vertrauen 12
13 Vertrauenshaftung // Beispiele Werbeveranstaltung der UBS: Empfehlung von Subprime- Papieren Nicht-UBS-Kunde kauft gestützt darauf Subprime-Papiere Marktzusammenbruch: Anleger erleidet Verluste 13
14 Notwendigkeit der Vertrauenshaftung (Beispiel) I. Was will der Anleger? Ersatz des Anlageschadens (mindestens) II. Prüfung der Anspruchsgrundlagen Vertrag entfällt, da kein Vertrag Delikt entfällt, da reiner Vermögensschaden Culpa-Haftung entfällt, da keine Vertragsverhandlung Hilfskonstruktion Vertrauenshaftung 14
15 III. Haftungsvoraussetzungen der Vertrauenshaftung 1. Rechtliche Sonderverbindung: Besonderes Näheverhältnis 2. Schutzwürdiges Vertrauen: Berechtigtes Vertrauen 3. Treuwidrige Enttäuschung des Vertrauens 4. Schaden: Verminderung der Aktiven, Vergrösserung der Passiven, Entgangener Gewinn 5. Kausalzusammenhang: Natürlich = Handlung ist conditiosine qua non für Schaden; Adäquat = Handlung ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, einen Schaden in der Art des eingetretenen zu bewirken. 6. Verschulden: Vorwerfbarkeit in der Form der Absicht oder der Fahrlässigkeit. Haftung aus Vertrauenshaftung (wohl) zu bejahen 15
16 Vertrauenshaftung: Haftungsmodalitäten Beweislast für Verschulden: Haftung für Hilfspersonen Verjährung Vertrag (97 OR) Schädigerin (97 OR, kein Verschulden) Volle Haftung (101 OR) 10 Jahre (127 OR) Delikt (41 OR) Geschädigte (41 OR, Verschulden Schädiger) Entlastung (55 OR) 1 Jahr/10 Jahre (60 OR) Vertrauenshaftung Beweislast Hilfspersonen Verjährung Schädigerin (97 OR) Volle Haftung (101 OR) 1 Jahr/10 Jahre (60 OR) 16
17 Vertrauenshaftung: Swissairfall IGR AG Golftourismus IGR ist ein Tochterunternehmen der Swissair Überall wo IGR steht, steht Swissair darunter. Und selbstverständlich auch dahinter. (Auszug aus dem Prospekt) 17
18 Vertrauenshaftung: Ringerfall Mündliche Zusicherung der Teilnahme an der WM durch den Verband nach Bestehen der regulären Selektionskämpfe. Änderung der Selektionskriterien 3 Wochen vor der WM. Nomination eines anderen Kämpfers. 18
19 SAirGroup GV April 2001 VR-Präsident Corti: Milliarden-Kredit von Credit Suisse und anderen Banken Anwesend: Lukas Mühlemann, CEO Credit Suisse, VR Swissair Oskar Weiss, Schreinermeister: Kauft Swissair-Obligationen September Swissair- Grounding 19
20 Vertrauenshaftung Vertrauenshaftung: Rechtliche Sonderverbindung Schutzwürdiges Vertrauen Treuwidrige Verletzung des Vertrauens Schaden Verschulden [Kein bewusster Verzicht auf eine mögliche und geschäftsübliche Abrede] 20
21 Vertrauenshaftung Vertrauenshaftung: Rechtliche Sonderverbindung Schutzwürdiges Vertrauen verneint für Käufer von Swissair- Obligationen* Treuwidrige Verletzung des Vertrauens Schaden Verschulden [Kein bewusster Verzicht auf eine mögliche und geschäftsübliche Abrede] *(BGer 4C.70/2005) 21
22 Bauprojekt Bauinvestor sucht Projektbeteiligte Kreditzusage der Banken Rückzug der Kreditzusage der Bank Projekt scheitert, Investoren erleiden Schaden 22
23 Vertrauenshaftung Vertrauenshaftung: Rechtliche Sonderverbindung Schutzwürdiges Vertrauen Treuwidrige Verletzung des Vertrauens Schaden Verschulden [Kein bewusster Verzicht auf eine mögliche und geschäftsübliche Abrede] 23
24 Haftung gegenüber anderen Projektbeteiligten Vertrauenshaftung: Rechtliche Sonderverbindung Schutzwürdiges Vertrauen Treuwidrige Verletzung des Vertrauens Schwierigkeit (auch) bei Bauprojekten. Bank darf und muss Kreditvergabe und Kreditbelassung von den Regeln des sorgfältigen Bankgeschäfts abhängig machen. Schaden... etc. FAZIT: Haftung der Bank für Rücknahme der Kreditzusage dann, wenn sie im Wissen um die verbleibenden Kredithürden gegen aussen den Anschein eines definitiven Kreditengagements erweckt. 24
25 Haftung gegenüber anderen Projektbeteiligten Fehlallokation von Baugeldern durch den (General-)Unternehmer/Haftung der kontoführenden Bank* Konkurs BauKons GU GU-Bank SUB-Konto 3.7 Mio. Allg. Projekt- Konto Bis Konkurs GU: SUB bezahlt ABER: Fehlallokation von 800'000 Sfr. durch GU mit Wissen der GU-Bank (Lohnzahlungen Angestellte GU) *(BGE 136 III 14) 25
26 Haftung gegenüber anderen Projektbeteiligten Haftung der kontoführenden Bank aus Vertrauen? Bundesgericht: BauKons kann sich gegen Fehlallokationen vertraglich absichern. Unterlässt es dies, muss es "assumer les consequences". Präzisierende Rechtsprechung zur Vertrauenshaftung 26
27 Haftung gegenüber anderen Projektbeteiligten Präzisierende Rechtsprechung zur Vertrauenshaftung GU-Fall reflektiert Vorentscheide: Gotthardtunnel (BGE 133 III 449), Interbank-Garantie (BGer 4A_306/2009): Vertrauenshaftung namentlich dann, wenn Vertragsschluss aufgrund ungleicher Machtverhältnisse nicht möglich und Verzicht auf Geschäftsabschluss nicht zumutbar. ABER: Vertrauenshaftung nicht ausschliesslich bei hierarchisch bedingten Vertragshürden, sondern namentlich in solchen Fällen. FAZIT: Keine Vertrauenshaftung, wenn Vertragsschluss möglich und geschäftsüblich ist. 27
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