Kühe aus der Herde filtern

Transkript

1 T E C H N I K Die Selektionseinrichtungen sind meist im Rücktrieb vom Melken installiert. Kühe aus der Herde filtern Mit Selektionsboxen lassen sich einzelne Kühe schnell und sicher aus der Herde sortieren. Doch wann sind die Anlagen sinnvoll? Und was ist zu beachten? top agrar diskutiert mit Beratern und Herstellern. werden soll, wird markiert. Betritt sie die Selektion, wird sie anhand ihres Transponders identifiziert. Daraufhin öffnet sich das Sortiertor und die Kuh wird in eine Bucht geleitet. Das Tor schließt hinter ihr wieder und die nachfolgenden Kühe gehen den normalen Weg. Noch eben schnell zwei Kühe zur Besamung fixieren und dann wird gefüttert. Doch aus dem eben schnell wird für viele Milchviehhalter eine langatmige Prozedur. Denn häufig ist es extrem aufwändig, die entsprechenden Kühe im Laufstall zu finden gerade in wachsenden Herden. Zudem bedeutet das Treiben der Kühe Stress für Tier und Mensch. R 24 top agrar 5/2010 Abhilfe schaffen automatische Selektionseinrichtungen: Während bei der Ein- Weg-Selektion nur ausgewählte Kühe bestimmte Stallabteile betreten dürfen, lassen sich mit der Mehr-Wege-Selektion einzelne Rinder gezielt aus der Herde sortieren (Übersicht 1). Das Funktionsprinzip stark vereinfacht: Die Selektionseinrichtung befindet sich in einem Treibgang. Die Kuh, die selektiert Einzelne Tiere selektieren Mit dem Werkzeug Selektionseinrichtungen können einzelne Tiere oder Tiergruppen somit in abgetrennte Stallbereiche geleitet werden. Je nach Ausbau des Selektionsbereichs können dort Besamungen, Untersuchungen, Klauenpflege, Impfungen usw. durchgeführt werden (siehe Seite R 28). Berater sehen darin ei-

2 nen großen Vorteil. Die Automatisierung spart Arbeitskosten und Arbeitszeit, weil kein Treiber mehr erforderlich ist und die Arbeiten an einer zentralen Stelle durchgeführt werden. Außerdem steigt die Arbeitsqualität und die Unfallgefahr sinkt, sagt Sibylle Möcklinghoff-Wicke vom Innovationsteam Milch Hessen. In Neubauten ein Muss Vor allem aufgrund der Arbeitszeiteinsparung ist vermutlich das steigende Interesse an den automatischen Selektionseinrichtungen zu erklären. Nach Auskunft der Hersteller wird ein Großteil der Neubauten für 100 bis 300 Kühe mit Tierselektionen ausgestattet. Auch Ralf Harms von der Niedersächsischen Landgesellschaft hält die Selektionseinrichtungen für Neubauten ab 100 Kühen für ein Muss. Zudem würden sich viele Milcherzeuger mit Altgebäuden beim Bau eines neuen Melkzentrums für eine Tierselektion entscheiden. In neuen Ställen werden die Selektionseinrichtungen fast ausschließlich im Rücktrieb vom Melken installiert. Um einen Rückstau zu vermeiden, sollte die Anlage mindestens 5 bis 6 m vom Melkausgang entfernt sein. Der Treibgang sollte nicht breiter als 0,90 bis 1,20 m sein, damit sich die Kühe nicht überholen können, da es sonst zu Fehlselektionen kommen kann. Der Platzbedarf einer Mehrwegeselektion liegt bei etwa 6 m. Da Melkkarusselle sowie Melkstände mit Nachwartehof in der Regel nur einen Rücktrieb haben, ist dort nur eine Selektionseinrichtung erforderlich. Bei Melkständen ohne Nachwartehof sind hinge- Übersicht 2: Was die Hersteller bieten (Auswahl) 1 Hersteller Fabrikat Technische Daten Material Rahmen Boumatic Dairymaster DeLaval Gea Automatisches 2/3-Wege- DSG 2/3 AutoSelect Sortiertor Selektion 3000 Antrieb der Tore Druckluft Druckluft Vakuum Vakuum Anzahl/Art der Antennen Steuerung Betriebssystem 1/Ringantenne HerdMetrix Nahezu alle Melktechnik-Hersteller bieten Selektionseinrichtungen an. Meist haben sie sowohl relativ einfache als auch sehr komplexe Mehr-Wege-Systeme im Programm. Die einfachste und kostengünstigste Variante ist das halbautomatische Sortiersystem. Es arbeitet ohne Tiererkennung. Das Selektionstor wird manuell per Knopfdruck vom aus geöffnet und schließt nach der aussortierten Kuh wieder. Dieses System ist vor allem für klei- 2/Plattenantennen 1/Fuß- oder Durchlaufantenne Dairymaster- Systeme 1/Portalantenne Alpro Dairy Plan 21 autonomes System möglich ja ja nein ja Raumbedarf Selektionseinheit (in cm) Länge 330,3 524,4 502,0 560,0 Breite 91,4 127,0 85,0 90,0 Höhe 221,0 231,3 222,0 210,0 empfohlene Länge/ min. 60,0/ 300,0/91,4 Breite Zutriebweg max. 120,0 /100,0 150,0/90,0 Abstand Tiererkennung Selektionstor 86,4 220,0 200,0 430,0 Selektion Wo werden Kühe markiert? max. Anzahl Selektionswege Wie werden Fehlselektionen vermieden? Preis 2 Anschaffungspreis o. MwSt Texastor, Smart ID Texastor Eingangstor schließt sich ca ) Herstellerangaben 2) ohne Transponder, Montage und MwSt. top agrar Übers. 1: Aufbau von Tierselektionen (schematisch) 1-Weg-Selektion Zutritt ja oder nein Tor oder Tiererkennung 2-Wege-Selektion Kuhstall Selektionsbucht 3-Wege-Selektion Strohstall Kuhstall Gruppenstand Bei Ein-Weg-Selektionen dürfen nur ausgewählte Tiere bestimmte Stallabteile betreten. Bei den Mehr-Wege-Selektionen können einzelne Tiere gezielt aus der Herde sortiert werden und in bestimmte Stallabteile geleitet werden. Zeichnung: Orb top agrar gen meist zwei Selektionseinrichtungen für jede Seite eine nötig. Das erhöht die Kosten. Ob sich die Tierselektionen auch in Altgebäuden integrieren lassen, hängt von dem vorhandenem Platz ab. Keinesfalls darf durch den Einbau der Anlage der Tierfluss ins Stocken geraten. Einfache und komplexe Systeme top agrar 5/2010 R 25

3 T E C H N I K Offen: Soll das Tier nicht selektiert werden, bleibt das Tor starr und das Tier muss geradeaus laufen. nere Herden und Betriebsleiter, die aufwändige Techniklösungen scheuen, geeignet, sagt Bauberaterin Christiane Brandes vom Innovations Team aus Heiddorf. Bei den vollautomatischen Systemen sind die Zwei- bzw. Drei-Wege-Selektionen am gängigsten. Das heißt, die Kühe können gezielt in zwei oder drei unterschiedliche Richtungen geleitet werden. Eine Auswahl dieser Systeme haben wir in Übersicht 2 zusammengestellt. Bei den meisten Herstellern lässt sich die Anzahl der Selektionswege noch durch zusätzliche Tore aufstocken. Aufbau und Ablauf der automatischen Selektionseinrichtungen sind ähnlich: Aufbau: Die Tierselektion ist im Treibgang integriert. Sie lässt sich auf Spaltenböden mit Spaltenanker und auf planbefestigten Böden mit Dübeln anbringen. Die Rahmenkonstruktion und die Selektionstore sind aus verzinktem gefertigt. Die Tore werden bei Boumatic und Dairymaster über Druckluft-, bei DeLaval und Gea WestfaliaSurge über Vakuumzylinder angetrieben. Auswählen der Tiere: Wenn der Betrieb über keine automatische Tiererkennung verfügt, bieten Boumatic, Dairymaster und Gea WestfaliaSurge ein autonomes System an. Hierbei wird den zu selektierenden Kühen im ein Transponder um den Fuß oder Schwanz angelegt. Daran werden die Kühe bei der Selektion identifiziert. Hat der Betrieb bereits eine automatische Tiererkennung (Transponder), können die entsprechenden Kühe bereits im Vorfeld am Computer oder über das terminal markiert werden. R 26 top agrar 5/2010 Geschlossen: Soll das Tier selektiert werden, schwenkt das Tor herum und das Tier wird in eine Bucht geleitet. Tiererkennung: Die Tiererkennung läuft über Antennen. Wo diese angebracht werden, hängt davon ab, ob die Tiererkennung statisch oder dynamisch abläuft: Bei der statischen Tiererkennung müssen die Tiere unmittelbar vor dem Betreten der Selektionseinrichtung vor einem Texastor (Saloontor) stehen bleiben. Dort befindet sich die Antenne. Erst wenn die Kuh erkannt ist, öffnet sich das Tor und die Kuh kann die Selektion betreten. Das verbessert die Erkennungsrate, stoppt aber den Tierfluss. Bei der dynamischen Tiererkennung wird die Antenne im Treibgang installiert. Die Tiere werden über Antennen erkannt, die im Treibgang installiert sind. Fotos: Heil (3), Werkbilder Die Kuh wird somit im Vorbeigehen erkannt und kann direkt die Selektionseinrichtung betreten. Vorteil der dynamischen Erkennung ist der ungehinderte Tierfluss, Nachteil ist die erhöhte Gefahr von Fehlselektionen. Ablauf der Selektion: Ist die Kuh erkannt, übernimmt die Selektion die Verkehrsführung. Soll die Kuh nicht selektiert werden, bleibt das Selektionstor starr und die Kuh wird zurück in den Stall geleitet. Soll sie selektiert werden, schwenken die Selektionstore herum und die Kuh wird in eine der Buchten geleitet. Sobald die Kuh das Tor passiert, löst sie einen Kontakt aus (z. B. Lichtschranke) und das Tor schließt wieder. So wird verhindert, dass nachfolgende Tiere die Bucht betreten können. Mit einer Selektion lassen sich auch Tiergruppen bilden: Werden beispielsweise zwei Fütterungsgruppen zusammen zum Melken getrieben, können sie anschließend wieder getrennt und in unterschiedliche Stallabteile geleitet werden. Fehlselektionen vermeiden: Zu fehlerhaften Selektionen kann es beispielsweise kommen, wenn die Kühe bei der dynamischen Tiererkennung an der Antenne nicht erkannt werden. Einige Hersteller bieten deshalb optional ein zusätzliches Texastor mit zweiter Antenne unmittelbar vor der Selektion an. Wird die Kuh an der ersten Antenne identifiziert, öffnet sich das Texastor und die Kuh kann direkt die Selektion betreten. Wird sie hingegen nicht erkannt, muss sie vor dem geschlossenen Texastor stehen bleiben. Erst wenn die zweite Antenne sie erfasst hat, kann sie die Selektion betreten. Das zusätzliche Texastor mit Antenne verbessert die Trefferquote, verteuert allerdings die Anlage. Zusatzaustattungen: Einige Hersteller bieten Zusatzausstattungen wie einen Dippbalken oder eine Tierwaage an, die sich in die Selektionseinrichtung integrieren lassen. Kosten: Die in der Übersicht 2 aufgeführten Varianten kosten zwischen und (o. MwSt., Montage und Transponder). Je komplexer die Anlagen werden, desto teurer werden sie jedoch. Laufende Kosten sollen laut den Herstellern außer bei Reparaturen nicht entstehen. Hinzu kommen aber noch die Kosten für den Ausbau der Selektionsbereiche. Trefferquote muss noch besser werden Sibylle Möcklinghoff-Wicke hat bisher überwiegend positive Erfahrungen mit den Selektionseinrichtungen gesammelt. Vor allem auf wachsenden Betrieben vereinfachen sie das Herdenmanagement, so die Beraterin. Deshalb rechnet

4 sie zukünftig mit einer steigenden Nachfrage nach Selektionseinheiten. Ähnlich sieht das Christiane Brandes. Allerdings zeigt die Bauberaterin auch Grenzen auf. Keinesfalls dürften die Selektionsanlagen baulich noch länger werden. Denn das erhöht die Baukosten und den Zeitaufwand für das Reinigen, so Brandes. Zudem sieht sie noch Verbesserungspotenzial in der Erkennungsrate (Trefferquote): In der Praxis werden leider noch zu viele Tiere nicht richtig erkannt oder trotz Erkennung falsch sortiert. Hier sollten die Hersteller noch nachbessern! Neben technischen Mängeln können aber auch verdrehte Halsbänder oder Jungtiere, die die Antennen oder Tore zu schnell passieren, Probleme bereiten. Zudem dürfen die Antennen nicht zu nah am Nachwartehof platziert werden, da es sonst zu Störungen durch die Transponder der wartenden Kühe kommen kann. Berater schätzen die Trefferquote auf im Schnitt etwa 95 % ein. P. Liste Welche unterschiedlichen Sortierbuchten in der Praxis zum Einsatz kommen, lesen Sie ab Seite R 28. Um die Tiererkennung zu verbessern, bieten einige Hersteller optional ein zusätzliches Texastor (Saloontor) direkt vor der Selektion an. top agrar 5/2010 R 27

5 T E C H N I K Die richtige Sortierbucht wählen Einzel- oder Gruppenstand, Strohstall oder separates Stallabteil: Welche Sortierbuchten sind für welche Arbeiten geeignet? Die Sortierbuchten sind die Endstation der Selektionseinrichtungen. Sobald die Tiere die Selektionseinrichtung passieren, gelangen sie in die unterschiedlichen Buchten. Ausbau und Ausführung des Selektionsbereichs hängen davon ab, welche Arbeiten durchgeführt werden sollen und wie lange sich die Tiere dort aufhalten sollen. Zu beachten sind die zusätzlichen Baukosten für den Sonderbereich. Allein für den umbauten Raum, ohne Stalleinrichtung, muss mit Kosten von durchschnittlich 120 bis 150 /m 2 kalkuliert werden, sagt Uwe Weddige vom Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp (Schleswig- Holstein). Der Berater empfiehlt, die Aufteilung des Sonderbereichs genau zu überlegen. Zukünftige Wachstumsschritte sollten unbedingt berücksichtigt werden. Alle Bereiche müssen noch erweiterbar sein, so Uwe Weddige. Im Gruppenbehandlungsstand sind die Tiere wie in einem Fischgräten- aufgestallt. So lassen sich leicht größere Tiergruppen behandeln. Die dreieckige Tierführung verhindert, dass sich die Tiere im Gruppenstand umdrehen können. R 28 top agrar 5/2010 Einzelbuchten und Gruppenstände Folgende Varianten haben sich in der Praxis etabliert: Für die Untersuchung oder Behandlung von Einzeltieren oder kleineren Tiergruppen bieten sich Selektionsbuchten bzw. separate Stallabteile an. Deren Größe hängt davon ab, wie viele Tiere regelmäßig selektiert werden. Je nach Aufenthaltsdauer benötigen die Tiere dort Futter, Wasser und einen Liegebereich. Tierärzte, Besamungstechniker und Landwirte können hier Arbeiten durchführen. Vorteil ist, dass die Tiere hier sofern Futter, Wasser und Liegeplätze vorhanden sind längere Zeit bleiben können. Das kann z. B. nötig sein, wenn der Tierarzt erst einige Stunden nach dem Melken kommt, erklärt Uwe Weddige. Um die Rinder fixieren zu können, ist der Einbau eines Selbstfangfressgitters zu empfehlen. Relativ einfach integrieren lassen sich ein Behandlungs- oder Klauenstand. Wichtig sind auch ein Wasserund Stromanschluss, Lagermöglichkeiten für Medikamente sowie eine Ablage für Unterlagen, ergänzt Sybille Möcklinghoff-Wicke. Nachteilig ist allerdings der zusätzliche Aufwand für die Reinigung der Buch-

6 ten und ggf. das Füttern der Tiere. Nach der Behandlung/Untersuchung werden die Tiere wieder in die Herde integriert. Immer beliebter wird das Aussortieren einzelner Kühe in einen Strohstall. Besonders Frischmelker und Problemkühe werden in das Wellness-Abteil geleitet, das sie nur zum Melken verlassen. Allerdings sollten frischmelkende und kranke Kühe immer in unterschiedliche Strohställe selektiert werden. In Amerika Standard, in Deutschland auf dem aufsteigenden Ast, ist der Gruppenbehandlungsstand, die so genannte Palpation rail. Er gleicht einem einseitigen Fischgrätenmelkstand mit einem Aufstellungswinkel zwischen 45 und 80. Die Behandlungsstraße punktet vor allem bei der Untersuchung und Behandlung von größeren Tiergruppen (z. B. Blutentnahme, Impfung). Auch das Fruchtbarkeits-Management ist hier einfach zu handhaben. Bei Systemen mit relativ einfacher Bauweise (ab ca ohne Montage und MwSt.) sind die Tiere nur durch ein Rohr vom Landwirt, Besamer oder Tierarzt abgegrenzt. Dadurch sind die Tiere für Behandlungen sowohl von vorne als auch von hinten gut zu erreichen. Allerdings neigen die Kühe dazu, sich umzudrehen, wenn der Gruppenbehandlungsstand nicht voll besetzt ist. Das wird bei aufwändigeren Behandlungsständen durch eine spezielle Konstruktion verhindert. Eine dreieckige Tierführung im vorderen Bereich des Standes verhindert, dass sich die Tiere drehen können. Allerdings gibt es diese Stände erst ab ca aufwärts. Neben einigen Melktechnik-Herstellern bieten auch Firmen wie z. B. De- Boer und Duräumat Behandlungsstraßen im Baukastenprinzip an. Dabei ist bspw. die Anzahl der Plätze im Stand erweiterbar. Da die Kühe im Gruppenstand weder fressen, saufen noch liegen können, muss die Behandlung parallel zum Melken oder unmittelbar danach erfolgen. -pl- Viele Betriebe sortieren Frischmelker oder Problemkühe in Strohställe aus. Fotos: Einhoff, Heil, Weddige top agrar 5/2010 R 29