Ansiedlung und Bestandsentwicklung des Schwarzkehlchens (Saxicola torquata) am Federsee
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- Alexander Schubert
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1 Jahreshefte für Baden-Württemberg Band 21, Heft 1 März 2005 Orn.Jh.Bad.-W ürtt.21, Ansiedlung und Bestandsentwicklung des Schwarzkehlchens (Saxicola torquata) am Federsee Jost Einstein Colonization and population trend of the Stonechat (Saxicola torquata) in the Federsee bog (South Germany). - The Stonechat ist breeding in the Federsee bog since The population increased to 22 territories occupied ranges in The Stonechats prefer moist or wet sedge areas with big plants of Carex appropinquata as well as old fallow lying, high and dense meadows. In younger fallow lying meadows there is competition between the Stonechat and the Whinchat {Saxicola rubetra) at which the Stonechat has always been stronger. Einleitung Das Schwarzkehlchen nimmt seit Mitte der 1980er Jahre als Brutvogel in Teilen Süddeutschlands im Bestand zu und breitet sich aus. In Baden-Württemberg hat es sich nicht nur im Verbreitungszentrum am Südlichen Oberrhein von 1985 bis 1995 stark vermehrt ( A n d r i s 1999). Auch am Bodensee hat es erheblich zugenommen ( G r a b h e r 1999). In Bayern entstanden vor allem in großen Moorkomplexen am nördlichen Alpenrand ab ca zahlreiche neue Brutplätze ( S c h e u e r l e i n & N i t s c h e 1994, N i t s c h e & R u d o l p h 1995, Lossow & F ü n f s t ü c k 2003, S t r e h l o w 2004). Seit 1999 brütet das Schwarzkehlchen auch am Federsee (Oberschwaben, 580 m N N ), dem größten Moor in Baden-Württemberg. Anschrift des Verfassers: Jost Einstein, NABU-Naturschutzzentrum Federsee, Federseeweg 6, D Bad Buchau, jost.einstein@nabu-federsee.de
2 2 Orn.Jh.Bad.-Württ.Bd.21. Heft 1, 2005 Material und Methode Meine Aufzeichnungen über die Vogelwelt des Federseemoors reichen bis Ende der 1960er Jahre zurück. Seit 1976 führe ich nach einem standardisierten Verfahren regelmäßige Brutbestandsaufnahmen auf Probeflächen und in einzelnen Jahren flächendeckende Erhebungen im Offenland durch. Die Schwarzkehlchen-Reviere wurden teils bei den systematischen Kartierungen, teils durch Zufall entdeckt. Nachdem sich die Habitatansprüche des Schwarzkehlchens im Federseemoor mehr und mehr abzeichneten, wurden 2004 auch einzelne gezielte Nachsuchen auf viel versprechenden Flächen durchgeführt. Eine kontinuierliche Beobachtung der Reviere und weitergehende brutbiologische Untersuchungen erfolgten jedoch nicht. Vorkommen und Bestandsentwicklung Das Schwarzkehlchen war im Federseegebiet bis in die 1990er Jahre eine Ausnahmeerscheinung. F i s c h e r (1923) erwähnt diese Vogelart für das Federseemoor noch nicht. Die ersten und lange Zeit einzigen Beobachtungen gelangen 1958 (ein cf von bis 1.3.) ( H a a s 1961a) und 1960 (1 cf + 1? am 5.3.) ( H a a s 1961 b). Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Dekade S I ! Okt Nov Dez Abb. 1. Jahreszeitliches Vorkommen des Schwarzkehlchens am Federsee Schwarze Felder: Dekaden mit Nachweisen einzelner oder mehrerer Individuen. Dann wurde erstmals im Dezember 1990 wieder ein Schwarzkehlchen gesehen. Nach der Beobachtung von einzelnen Vögeln jeweils im Frühjahr 1995 und 1996 kam es 1997 erstmals zu einem Nachweis eines <f in der Brutzeit hielt dann ein ci" über mehrere Wochen ein festes Revier besetzt. Eine Brut kann aber ausgeschlossen werden.
3 E in s te in, J.: Schwarzkehlchen am Federsee 3 Einen Überblick über das jahreszeitliche Vorkommen im Federseeried seit 1990 gibt Abb fand erstmals eine Brut statt (Nachweis fütternder Altvögel). Die Entwicklung der Revierzahlen seither ist - aufgeschlüsselt nach von Paaren und von unverpaarten <f besetzten Revieren in Abb. 2 dargestellt. Es ist anzumerken, dass 2002 nicht das gesamte Federseemoor kontrolliert wurde und deshalb vermutlich einzelne Reviere nicht gefunden worden sind. Möglicherweise ist 2003 und 2004 die Zahl der von Paaren gehaltenen Reviere etwas unter- und die der Männchen-Reviere entsprechend überrepräsentiert. Da sich die Weibchen während der Bebrütung der Gelege oft sehr unauffällig verhalten, sind eventuell nicht alle registriert worden <D tu V) t -S> TJ ie ä 2 C O E m. 5 r " M i w - - H _ U, H, lunverpaarte Männchen Paare Abb. 2. Bestandsentwicklung des Schwarzkehlchens im Federseeried Zwei Mal wurden Reviere gefunden, die nur von einem besetzt waren, das eindeutiges Brutverhalten zeigte. Sie wurden als Paar-Reviere gezählt. Das im Jahr 2003 warnte sehr heftig, das in 2004 trug sogar Futter. Wegen des ungewöhnlichen Befundes eines Brutverhalten zeigenden? ohne gleichzeitige Anwesenheit eines Männchen wurden die Reviere jeweils rund 0,5 Stunden beobachtet. Sogar durch die gezielte Provokation von Alarmstimmung über das Durchschreiten der Reviere (auf die die? sehr erregt
4 4 Orn.Jh.Bad.-Württ.Bd.21, Heft reagierten) erschienen in beiden Fällen keine cf Nach G lu t z v o n B l o t z h e im & B a u e r (1988) können? auch ohne cf Junge aufziehen. Im Jahr 2003 verschmolzen zwei benachbarte Reviere, von denen eines von einem Paar und eines von einem unverpaarten d" besetzt war, im Lauf der Brutzeit offenbar zu einem gemeinsamen: Am 24. April wurden die beiden cf bei Auseinandersetzungen an der Reviergrenze beobachtet. Am 4. Juni führten dort zwei cf und ein? gemeinsam 4 fast selbstständige Junge. Die cf saßen oft dicht beisammen und ließen keinerlei Aggression erkennen. Da sich die Untersuchungen lediglich auf die Bestandserfassung beschränkten, sind detaillierte Aussagen zum Bruterfolg nicht möglich. Zufallsbeobachtungen ergaben jedoch nahezu in jedem Jahr, dass erfolgreich Junge aufzogen wurden. Verbreitung und Habitat Die Verbreitung der Reviere zeigt Abb. 3. Es fällt auf, dass sich diese in bestimmten Gebieten deutlich häufen. Dies spiegelt die Habitatpräferenzen des Schwarzkehlchens Schwarzkehlchen H A / ', / ' W ege / \ / Straßen / \ / Hauptgräben Tiefenbach f l Inseln I Schilf g g Gebüsch [ IWhld Siedlungen 1000 Meters Abb. 3. Verbreitung der Schwarzkehlchen-Reviere
5 E in s te in, J.: Schwarzkehlchen am Federsee 5 am Federsee wider. Tabelle 1 zeigt, in welchen Pflanzengesellschaften (siehe hierzu G r ü t t n e r & W a r n k e - G r ü t t n e r 1996) die seit 1998 registrierten Reviere liegen. Tab. 1. Anzahl der Schwarzkehlchen-Reviere in den Pflanzengesellschaften Pflanzengesellschaften Anzahl Reviere Caricetum appropinquatae (Wunderseggenried) 11 Carex appropinquata-molinietalia-gesellschaft 9 Carex elata-carex appropinquata-scheuchzerietalia- 3 Gesellschaft Caricetum gracilis (Schlankseggen-Ried) 3 Cirsietum rivularis (Bachkratzdistel-Wiese) (verbracht) 6 Alte Grünlandbrachen mit Dominanzbeständen 7 feuchtgebietstypischer oder ruderaler Arten Nitrophytische Staudenflur/Filipendula-Gesellschaft 2 Summe 41 Abb. 4. Typisches Schwarzkehlchen-Revier im Federseemoor Foto: Jost Einstein.
6 6 Orn.Jh.Bad.-Württ.Bd.21, Heft 1, 2005 Das Schwarzkehlchen siedelt bisher im Federseeried ganz bevorzugt in sehr hochwüchsigen, nährstoffreichen Großseggenrieden, die in starkem Maß von bis zu 80 cm hohen Bulten der Wundersegge (Carex appropinquata) geprägt sind (s. Abb. 4). Zwischen den Bulten wachsen vor allem Teichschachtelhalm (Equisetum fluviatile), Mädesüß (Filipendula ulmaria), Waldengelwurz (Angelica sylvestris), Sumpfhaarstrang (Peucedanum palustre), Baldrian (Valeriana offincinalis) und andere Hochstauden. Von Beginn der Vegetationsperiode Mitte April bis Anfang Juni überragen die Seggenbulten die heranwachsenden Hochstauden deutlich. Dann verschwinden sie allmählich zwischen den Stauden, welche eine einheitliche, dichte Schicht bilden. Infolge ihrer Struktur fehlt den Gebieten ein eigentlicher Wiesencharakter Die Flächen sind sehr feucht bis nass, nach reichlichen Niederschlägen oftmals sogar überstaut. Auch einzelne Grauweiden-(5'a//;c cinerea) und Faulbaum-Büsche (Frangula alnus), manchmal auch Moorbirken (Betulapubescens), gehören zu diesem Schwarzkehlchen- Lebensraum. Gelegentlich grenzen die Reviere an kleine Gehölze und manchmal sogar an lichten Birkenwald, wobei exponierte Bäume auch als Sitzwarten genutzt werden. Auch Schilfröhrichte (Phragmites australis) schließen gelegentlich an die Reviere an und können randlich deren Bestandteile sein. Ein weiterer Schwerpunkt der Schwarzkehlchen-Vorkommen liegt in stärker verbrachten, ehemals zur Futtergewinnung genutzten Feuchtwiesen. Da diese sich in rascher Sukzession befinden, sind sie pflanzensoziologisch oft kaum einzuordnen. Mit längerer Dauer der Brache kommen zunehmend Hochstauden wie Mädesüß und Waldengelwurz oder Großseggen wie die Schlanksegge (Carex gracilis) zur Dominanz. In den älteren Brachen ist die Vegetation im Mittel 80 cm hoch und sehr dicht. Begleitarten und Konkurrenz zum Braunkehlchen (Saxicola rubetra) Regelmäßige Begleitarten in den Schwarzkehlchen-Lebensräumen sind Rohrammer (Emberiza schoeniclus), Feldschwirl (Locustella naevia), Dorngrasmücke (Sylvia communis) und Fitis (Phylloscopus trochilus). Das Braunkehlchen kommt in den Optimalhabitaten des Schwarzkehlchens nicht vor. Ihm ist die Vegetation dort viel zu dicht und zu hoch. Insofern scheinen die beiden Arten über ihre Habitatansprüche getrennt zu sein. Lediglich Brachen mittleren Alters bilden nach den bisherigen Beobachtungen einen Unschärfebereich, denn sie können noch vom Braunkehlchen und schon vom Schwarzkehlchen besiedelt werden. Hier kam es bisher mehrfach zu Konkurrenzsituationen, wobei sich in den mehr als 20 beobachteten tätlichen Auseinandersetzungen zwischen männlichen Braun- und Schwarzkehlchen immer das Schwarzkehlchen durchgesetzt hat. Es war stets der Verfolger und das Braunkehlchen der Gejagte. Schwarzkehlchen-Reviere waren demnach auch immer braunkehlchenfrei
7 E i n s t e i n, J.: Schwarzkehlchen am Federsee 7 Diskussion D ie A nsiedlung am Federsee passt ins Bild der Ausbreitung des Schwarzkehlchens im nördlichen Alpenvorland. Nachdem seit ca zahlreiche bayerische Moore besiedelt worden sind (S cheuerlein & N itsche 1994), scheint sich die Art nun auch in den großen oberschwäbischen Mooren zu etablieren fand erstmals auch eine Brut im Pfrunger R ied statt (Pia Wilhelm mündl.), dem zweitgrößten M oor Baden-W ürttembergs. A uch im B odenseeraum hat das Schwarzkehlchen in mehreren Feuchtgebieten Fuß gefasst und sich stark vermehrt (B auer & H eine 1992, Grabher 1999, Siegfried Schuster mündl.). Lokale und regionale Zu- und Abnahmen, die oft gegenläufig verlaufen, sowie w echselnde Arealausweitungen und -kontraktionen sind typisch für das Schwarzkehlchen. Die Ursachen hierfür sind oft kaum zu erklären ( G l u t z v o n B l o t z h e i m & B a u e r 1988). Auch für die unvermittelte Ansiedlung in zahlreichen Mooren des nördlichen Voralpenraums in den letzten 20 Jahren lässt sich kein triftiger Grund erkennen. Das Habitatspektrum des Schwarzkehlchens ist breit und reicht von trocken bis nass, wenn nur die Strukturen stimmen. W enngleich es trocken-warme Gebiete eindeutig zu bevorzugen scheint (z. B. A ndris 1999), kann es auch in M ooren leben (G lutz v o n B lotzheim & B auer 1988). D ass die B esiedlung der voralpinen M oore a u f die Klimaerwärmung zurückzufuhren ist, ist unwahrscheinlich. D ie in den letzten 20 Jahren besiedelten M oore sind, auch wenn das Klima insgesamt wärmer geworden ist, nach w ie vor als ausgesprochen feucht-kühl einzustufen. Sogar gegenüber ihrer direkten U m gebung zeichnen sie sich durch ein sehr ausgeprägtes Sonderklim a aus: Der nasse B oden erwärmt sich im Frühjahr nur langsam und N achtfröste mit m orgendlichem R aureif bis in den Frühsommer hinein sind nicht selten. Außerdem sind die Niederschläge im Nordstau der Alpen recht hoch. M it der These der Klimaerwärmung könnte allenfalls die A nsiedlung und Ausbreitung des Schwarzkehlchens am B odensee oder in ähnlich m ilden G ebieten erklärt w erden, k ein esfalls jed och in den kühlen M ooren des Voralpenraumes. Scheuerlein & N itsche (1994) halten veränderte K lim abedingungen ebenfalls nicht für ursächlich. Auch Veränderungen im Habitat scheiden als Grund für die A nsiedlung in den Voralpenmooren aus. In den bayerischen M ooren (S cheuerlein & N itsche 1994) w ie am Federsee sind die heute besiedelten Habitate seit Jahrzehnten in unveränderter Form vorhanden. Die Ansiedlung im Federseeried verlief wie in den bayerischen Mooren zunächst über unverpaarte, übersommernde Männchen mit anschließender Etablierung einzelner Brutpaare (vgl. S c h e u e r l e i n & N i t s c h e 1994). Die anschließende starke Bestandszunahme dürfte, wie in Bayern, nicht auf Zuzug zurück zu führen sein, sondern auf gute Bruterfolge in den Vorjahren (s. auch S c h e u e r l e i n & N i t s c h e 1994). Von den vorhandenen Habitaten her wäre am Federsee das Potential für eine weitere Bestandszunahme gegeben.
8 8 Orn.Jh.Bad.-Württ.Bd.21, Heft 1, 2005 Zusammenfassung Das Schwarzkehlchen ist im Federseemoor seit 1999 Brutvogel. Der Bestand stieg bis 2004 auf 22 Reviere. Bevorzugt besiedelt werden sehr feuchte bis nasse Großseggenriede mit großen Bulten von Carex appropinquata sowie auch ältere, hohe und dichte Brachen von Futterwiesen. In Brachen mittleren Alters kann es zur Konkurrenz zwischen Schwarzkehlchen und Braunkehlchen kommen, wobei sich das Schwarzkehlchen bisher immer durchgesetzt hat. Literatur A ndris, K. (1999): Saxicola torquata - Schwarzkehlchen. In: Hölzinger, J.: Die Vögel Baden-Württembergs, Band 3.1, Singvögel. Stuttgart (Ulmer). B auer, H. G. & G. Heine (1992): Die Entwicklung der Brutvogelbestände am Bodensee: Vergleich halbquantitativer Rasterkartierungen 1980/81 und 1990/91. J. Orn. 133: Fischer, W. J. (1923): Vögel des Federsees. Beiträge zur Naturdenkmalpflege 8: G lutz von B lotzheim, U.N. &K. M. Bauer (1988): Handbuch der V ögel M itteleuropas 11. W iesbaden (Aula-Verlag). - Grabher, M. (1999): Schwarzkehlchen - Saxicola torquata. In: Heine, G., H. Jacoby, H. Leuzinger& H. Stark: Die V ögel des B od en seegebietes. Om. Jh. Bad.-W ürtt. 14/15: G rüttner, A. &R. W arnke-g rüttner (1996): Flora und V egetation des N atu rsch u tzgeb ietes Federsee. B eih. V eröff. Naturschutz Landschaftspflege Bad.-Württ. 86: Haas, G. (1961a): Die Vögel des Federseegebiets nach ihrem jahreszeitlichen Vorkommen. In: Der Federsee. Natur- und Landschaftsschutzgebiete Bad.-Württ. 2: Stuttgart. - Haas, G. (1961b): Federsee-Jahresbericht Anz. Om. Ges. Bayern 6: Lossow, G. V. & H.-J. Fünfstück (2003): Bestand der Brutvögel Bayerns Orn. Anz. 42: N itsche, G. & B.-U. Rudolph (1995): Habitat und Siedlungsdichte des Schwarzkehlchens {Saxicola torquata) in einem oberbayerischen Hochmoorkomplex. Om. Anz. 34: Scheuerlein, A. & G. N itsche (1994): Brutbestand und Verbreitung des Schwarzkehlchens {Saxicola torquata) im bayerischen Alpenvorland. Orn. Anz. 33: Strehlow, J. (2004): Die Vogelwelt des Ammersee-Gebiets Avifaunistik in Bayern 1:
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