Überblick. Das französische Sprechtheater des 17. Jahrhunderts. Ringvorlesung Theatergeschichte bis 1900 WS 17/18
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- Uwe Sternberg
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1 Dr. Johanna Zorn Das französische Sprechtheater des 17. Jahrhunderts Ringvorlesung Theatergeschichte bis 1900 WS 17/18 1. Historische Verortung und kultureller Kontext Regierungszeit von Ludwig XIII ( ) und seinem Ersten Minister Kardinal Richelieu ( ) Regierungszeit von Ludwig XIV ( ) und Kardinal Mazarin ( ) Pompöse Festkultur: ballet de cour Trägerschicht des Theaters: la cour et la ville noblesse de robe (franz. Amtsadel): Kauf politischer Ämter durch reiche Bürger Théâtre de la Foire Ludwig XIV. als Sonne im Ballet royal de la nuit, 1653 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 3 Überblick Markante theaterhistorische Ereignisse 1. Historische Verortung und kultureller Kontext 2. Theaterhistorische Einflüsse 3. Poetische Programmatik 4. Pierre Corneille: Le Cid 5. Jean Racine: Phèdre 6. Molière: Tartuffe 1548 Confrérie de la Passion, Hôtel de Bourgogne 1629 Verleihung des Titels Comédiens du Roi an die Theatertruppe des Hôtel de Bourgogne 1634 Théâtre du Marais (später Fusion mit Théâtre Guénegaud) 1641 Ehrenerklärung für den Schauspielerstand (späte Reaktion auf Theaterverbot von 1588) 1680 Gründung der Comédie Francaise Ab 1570 Gastspiele der italienische Commedia dell Arte Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 2 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 4
2 Kulturelles Leben Théatre Italien honnêteté politesse préciosité (Ehrbarkeit, Anstand, Kultiviertheit) Entwicklung der Salonkultur: Salon de Mme de Rambouillet (1618); Salon de Madeleine de Scudéry (1650er) Gründung der Académie Francaise (1634) und zahlreicher weiterer Akademien Gründung der Société de Cinq Auteurs (Mitglied: Pierre Corneille) Pantalone -> Sotinet, Gorgnard, Géronte, Oronte Dottore -> Arzt Capitano -> keine Entsprechung Arlequin Pierrot Diener-Rollen rücken ins Zentrum Konkreter Zeitbezug Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 5 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/ Theaterhistorische Einflüsse Theaterarchitektur Spanisches Theater des 16. u 17. Jahrhunderts Übernahme von Dramenstoffen Theaterorganisation Aufwertung des Schauspielerstands Hôtel de Bourgogne, 1647 Comédie Italienne in Paris Ab Ende des 16. Jahrhunderts Gastspiele von Truppen der Commedia dell Arte Protektorat des Königs: Comédiens du Roi (1629) Comédie Italienne im Hôtel de Bourgogne (1680) Finanzielle Privilegierung Mimisch-Gestisches und tänzerisches Virtuosentum Théâtre du Marais, 1644 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 6 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 8
3 Theaterarchitektur: Palais Royal doctrine classique Postulat der Vernunft Wiedergabe der Natur vraisemblance: Wahrscheinlichkeit -> dramaturgische und theaterästhetische Kategorie bienséance: Angemessenheit -> Ausschluss des Hässlichen Moralisch-pädagogischer Zweck Drei Einheiten Vorrangstellung der Tragödie vor der Komödie Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 9 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/ Poetische Programmatik Dramenpoetiken des 17. Jahrhunderts Die Renaissancedichter schrieben für Gelehrte; die Klassiker verachteten das Schulwissen. Dem 16. Jahrhundert genügten wenige Regeln; das siebzehnte bedurfte einer exakten Methode. Die frühere Epoche erstrebte ein Maximum an individueller Freiheit; die spätere war getragen vom Willen zu Einordnung. Jules de Mesnadière: Poétique, 1639 Abbé d Aubignac: Pratique du Théâtre, 1657 Nicolas Boileau: Art poetique, 1674 Manfred Fuhrmann: Einführung in die antike Dichtungstheorie, 1973, S Pierre Corneille: Trois discours sur le poème dramatique, 1660 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 10 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 12
4 Abbé d Aubignac: Pratique du Théâtre Man darf nicht vergessen (und dies ist vermutlich nicht einer der minder wichtigen Bemerkungen, die ich über Theaterstücke gemacht habe), daß das Thema nie von Erfolg gekrönt sein wird, wenn es nicht den Sitten und Ansichten der Zuschauer entspricht [...]; denn die dramatischen Dichtungen müssen verschieden sein, je nach den Völkern, von denen sie ausgeführt werden sollen [...]. Pierre Corneille Vater der französischen Bühne (Voltaire) Komödien und Tragödien Mitglied der Académie Francaise und der Cinque Auteurs * Le Cid: Durchbruch und Ausgangspunkt heftiger Kontroversen Querelle du Cid Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 13 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 15 Abbé d Aubignac: Pratique du Théâtre So genossen die Athener in ihrem Theater die Grausamkeiten und Mißgeschicke der Könige, die Schicksalsschläge berühmter Familien und den Aufstand der Volksmassen wegen der Missetat eines Herrschers. Da der Staat, in dem sie lebten, eine Volksregierung war, wollten sie diesen Glauben nicht antasten, daß die Monarchie immer tyrannisch ist, mit dem Ziel, allen Großen ihrer Republik den Wunsch auszutreiben, sich ihrer zu bemächtigen, und zwar aus Angst, der Wut eines ganzen Volkes ausgesetzt zu werden, und dies hielt man für richtig. Bei uns jedoch können die Achtung und die Liebe, die wir für unsere Fürsten empfinden, nicht zulassen, daß man dem Publikum diese entsetzlichen Schauspiele bietet; wir können nicht glauben, daß die Könige böse sein können, noch dulden, daß deren Untertanen, obwohl anscheinend mißhandelt, sich an ihren geheiligten Personen vergreifen noch sich gegen ihre Macht empören [...]. UA 1636, Théâtre du Marais Le Cid Historische Figur: spanischer Nationalheld (El Cid = der Herr) Vorlage: Las mocedades del Cid (1618) von Guillén de Castro Transformation der Vorlage: 3 Jahre -> 24 Stunden Viele Schauplätze -> Handlungsort Sevilla Äußere Handlung -> Innerer Konflikt Bekenntnis zur politischen Konzeption Richelieus Verstöße gegen klassizistische Regelnorm (vraisemblance u. bienséance) Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 14 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 16
5 Le Cid Le Cid Don Rodrigue Chimène Infantin Don Diègue (Vater) Don Gomès (Vater) König (Vater) Enge Verknüpfung der Szenen Verdeckte Handlung DON RODRIGUE: Welch harte Kämpfe ich da ahne! Gegen meine eigene Ehre nimm meine Liebe Partei. Ich muß meinen Vater rächen und darüber meine Geliebte verlieren: Das eine feuert mich an, das andere fällt mir in den Arm. Vor die traurige Wahl gestellt, entweder meine Liebe zu verraten Oder als Ehrloser zu leben, Ist beide Male mein Leid grenzenlos. [...] Ich schulde alles meinem Vater, und dann erst der Geliebten. (I, 6) Verknüpfung von privater und politischer Sphäre Bindende Moral für alle Figuren Analyse des eigenen Innenlebens (rhetorische Sprache) Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 17 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 19 Le Cid CHIMÈNE: Ich habe, zu meinem Kummer, Mein Ansehen zu stärken und meinen Vater zu rächen. Doch ach, meine Liebe zu dir läßt mich verzweifeln: Hätte irgendein anderes Unglück mir den Vater geraubt; Meine Seele hätte in dem Glück, dich zu sehen, Die einzige Linderung gefunden, die ihr vergönnt gewesen wäre, Und Zauberwirkung hätte es auf meinen Schmerz gehabt, Wenn eine so liebe meine Tränen getrocknet hätte. Doch ich muß auch noch dich verlieren, nachdem ich ihn verloren habe; Dies Überwinden meiner Liebe steht meiner Ehre zu; Und diese schreckliche Pflicht, die mir auferlegt ist Und mich schier umbringt, Zwingt mich dazu, selbst auf deinen Untergang hinzuarbeiten. (III, 4) Jean Racine Einfluss des Jansenismus Vier große Stücke über Frauen: Andromaque (1667) Bérénice (1670) Iphigénie (1674) Phèdre (1677) Nach Phèdre Rückzug vom Theater Historiograph des Königs * Mitglied der Académie Francaise Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 18 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 20
6 Phèdre PHÄDRA Ah! Welch nie gefühlter Schmerz! Welch neuer Qual hab ich mich aufgespart! Alles, was ich erlitten habe, meine Ängste, meine Gefühle, Das Rasen meiner Liebe, die Greuel meiner Reue, Die unterträgliche Kränkung, grausam verschmäht zu werden, All das war nur, eine schwache Probe der Qual, die ich jetzt erdulde. Sie lieben sich! Durch welchen Zauber haben sie meine Augen getäuscht? Wie haben sie sich gesehen? Seit wann? An welchen Orten? (IV, 6) Jean-Baptiste Poquelin Molière Wichtigster Komödiendichter des 17. Jh 1645 Anschluss an Wandertruppe 1658 Rückkehr nach Paris * Einflüsse aus der Commedia dell arte und der Farce PHÄDRA Allzeit glaube ich, vor meinen Augen, den Gemahl zu sehen. Ich sehe ihn, ich spreche mit ihm und mein Herz... Ich rede wirr, Herr; gegen meinen Willen erklärt sich mein wahnsinniges Glühen. (II, 5) Charakterkomödie Tartuffe ou L impositeur (1664/1669) Le Misanthrope (1666) Amphitryon (1668) L Avare (1668) Le malade imaginaire (1673) Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 21 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 23 Phèdre Tartuffe Stoff aus der griechischen Mythologie (Antike Dramen: Euripides, Seneca) Zahlreiche dramaturgische Änderungen Bruch mit den Idealen der vraisemblance und der bienséance Leidenschaft dominiert über Vernunft Jansenismus: Tragische Gnadenlosigkeit Uraufführung Misserfolg Dies ist eine Komödie, um die viel Aufhebens gemacht wurde, die lange angefeindet worden ist; und die Leute, die sie auf die Bühne bringt, haben recht deutlich gezeigt, daß sie in Frankreich mächtiger waren als all die, die ich mir bisher vorgenommen habe. Die Marquis, die Preziösen, die Gehörnten und die Ärzte haben es über sich ergehen lassen, daß man sie auf die Bühne brachte, und taten so, als ob sie sich mit allen anderen an den Darstellungen ergötzten, die man von ihnen gab. Aber die Heuchler haben keinen Spaß verstanden. Sie waren sogleich aufgestört und fanden es unglaublich, daß ich die Kühnheit besäße, ihr Gehabe zu verspotten und einen Stand in Verruf bringen zu wollen, zu dem sich doch so viele ehrenwerte Leute zählten. Dies ist ein Verbrechen, das sie mir nicht vergeben können; uns sie alle sind in fürchterlicher Erbitterung gegen meine Komödie zu Felde gezogen. Molière im Vorwort zu Le Tartuffe ou L Imposteur, Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 22 Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 24
7 Tartuffe ou l Imposteur Tartuffe ou l hypocrite (1664) Tartuffe ou l Imposteur (1669) Frontalangriff auf die Heuchelei Meistgespieltes Stück des klassischen französischen Theaters Charakterkomödie: Tartuffe als unanfechtbarer Mittelpunkt der Komödie Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 25 Literatur Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne. Bd. 2, Stuttgart 1996, Goldmann, Lucien: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den Pensées Pascals und im Theater Racines, Frankfurt a.m Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft, Darmstadt Fischer-Lichte, Erika: Geschichte des Dramas, Bd. 1, Tübingen Hösle, Johannes: Molière. Sein Leben, sein Werke, seine Zeit, München Stenzel, Hartmut: Die französische Klassik. Literarische Modernisierung und absolutistischer Staat, Darmstadt Zweisprachige Ausgaben der behandelten Dramen: Corneille, Pierre: Der Cid, Frz./Deutsch. Hg. und übers. von Hartmut Köhler, Stuttgart Molière: Tartuffe, Frz./Deutsch. Hg. und übers. von Hartmut Köhler, Stuttgart Racine, Jean: Phädra, Frz./Deutsch. Hg. und übers. von Wolf Steinsieck, Stuttgart Dr.JohannaZorn RingvorlesungTheatergeschichtebis1900 LMUInstitutfürTheaterwissenschaftWS2017/18 26
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