Das Geheimnis der ersten 9 Monate von Gerald Hüther & Inge Krens
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- Günter Kruse
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1 Das Geheimnis der ersten 9 Monate von Gerald Hüther & Inge Krens *** Die Gebärmutter ist auch das erste Zuhause für die Seele. Die Gebärmutter ist Teil des beseelten, lebendigen mütterlichen Organismus. Wer begreift, was für einen komplizierten Weg ein Kind bereits hinter sich hat, wenn es auf die Welt kommt, für den wird das Geheimnis der Schwangerschaft nur noch bewundernswerter und kostbarer. Neugeborene Kinder brauchen Geborgenheit und Sicherheit und eine einfühlsame, zugewandte Fürsorge von Müttern und Vätern, die bereit sind, sie mit Sensibilität und Liebe zu erkunden und ihre Bedürfnisse auf angemessene Art zu beantworten. Wir weinen immer dann, wenn die emotionalen Zentren in unserem Gehirn erschüttert werden. Eine Erschütterung der emotionalen Zentren wird auch immer dann ausgelöst, wenn wir spüren, dass etwas passiert, das uns über uns selbst hinauswachsen lässt. Wenn wir ahnen, dass wir zu etwas Verbindung bekommen, dass grösser und mehr ist als das, was wir derzeit sind. Wenn sich Eltern und Erziehende gefühlsmässig auf die Welt der Kinder einlassen, dann wird nicht nur der Werdegang der Kinder optimal gefördert. Auch die Eltern lassen sich dann auf einen emotionalen Entwicklungsprozess ein, der ihr Leben bereichert. Erkenntnisse: Um sich optional entwickeln zu können, brauchen sie die Erfahrung, willkommen zu sein. Sie suchen sich ihren Weg und erschliessen sich die Welt aus eigenem Antrieb: und wir können ihnen dabei Mut machen, ihnen mögliche Wege zeigen und sie unterstützen. Jeder Schritt auf dieser Entdeckungsreise wird durch all das bestimmt, was die Kinder im Verlauf ihres bisherigen Lebens bereits entdeckt und in ihrem Gehirn verankert haben. Vieles, was die Forscher in den letzten Jahren herausgefunden haben, spricht dafür, dass wir den spannendsten und aufregendsten Teil dieser Reise bereits hinter uns haben, wenn wir auf die Welt kommen. Im Kongo haben schwangere Frauen, z.b. die Gewohnheit, ihrem Kind im Bauch immer wieder dasselbe Lied vorzusingen. Nach der Geburt erinnert es sich daran. Die vertrauten Töne beruhigen es geben ihm Sicherheit. Bei den Quiché in Guatemala wird im siebten Monat eine Zeremonie begangen, bei der die Mutter ihrem Kind im Bauch mit lauter Stimme erzählt, wie die Wälder, Berge und Flüsse, also die Landschaft und die 1
2 Umgebung, aussehen, in die es bald hineingeboren wird. Es wird auf diese Weise willkommen geheissen und auf sein zukünftiges Leben vorbereitet. Werdende Eltern bilden nicht nur die physische, sondern auch die emotionale Matrix, in die sich das ungeborene Kind hineinentwickelt. Ebenso bedeutsam für die Lebenswelt des ungeborenen Kindes ist die Qualität der Beziehung, die seine Eltern miteinander leben. Besonders für eine Frau, die ihr erstes Kind erwartet, ist die Zeit der Schwangerschaft auch eine Vorbereitungszeit auf die Mutterschaft. Schliesslich wird ja nach neun Monaten nicht nur ein Kind, sondern auch eine Mutter geboren. Das Baby verlangt in den ersten Monaten seines Lebens Bei Tag und Nacht fast durchgängig ungeteilte Aufmerksamkeit. Es braucht also eine Mutter (und auch einen Vater) mit der Bereitschaft, sich emotional auf es einzustellen, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und so gut wie möglich zu befriedigen. Diese Integration neuer emotionaler Qualitäten in die eigene Identität bedeutet also eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Die Schwangerschaft ist eben nicht nur eine Zeit von himmelhochjauchzend, sondern auch manchmal von zu Tode betrübt. Weil so viele Menschen verlernt haben, ihre Aufmerksamkeit nach innen und damit auch auf das intensiv körperlich-emotionale Geschehen der Schwangerschaft zu richten, verpassen sie die Chance, sich diesem Geschehen hinzugeben. Die Fähigkeit das Kind als dritte Person gedanklich in die eigene Beziehungswelt zu integrieren, ohne sich selbst oder den Partner aus der Beziehung zum Kind auszuschliessen, ist ausserordentlich wichtig. Psychologische Untersuchungen belegen, dass Kinder von Paaren, die dazu schon während der Schwangerschaft in der Lage waren, im Kleinkindalter weniger aggressives Verhalten zeigen. Bei der Lösung von Konflikten sind diese Kinder flexibler und effektiver. Die Qualität der Dreier-Beziehung zwischen Mutter, Vater und Kind stellt also von Anfang an eine wichtige Einflussgrösse für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dar. Da die hormonellen Veränderungen beim Mann denen der Frau kurz vor und nach der Geburt ähneln, vermutet man, dass die Synchronisierung ihrer Physiologie durch die räumliche und emotionale Intimität zwischen den beiden Partnern zustande kommt. In dem Mass, wie sich der Körper im Verlauf der pränatalen Entwicklung immer weiter ausdifferenziert, entfaltet sich gleichzeitig und untrennbar damit auch die Psyche des ungeborenen Kindes. 2
3 Einmal pro Monat reift ein Ei in den Eierstöcken heran, springt heraus und wird vom Eileiter aufgefangen. Im Eileiter wandert es bis zur Gebärmuter, ist aber auf diesem Weg für nur ca. 24 Stunden befruchtungsfähig. Eine Ejakulation katapultiert bis zu 300 Millionen Samenzellen in einer Welle von Samenflüssigkeit in die Vagina. Die Samenzellen bestehen aus einem Kopfende, in dem sich das väterliche genetische Material befindet. Und einem Schwanz, mit dem sie sich wie mit einer Art Aussenbordmotor schwimmend fortbewegen können. Sofort nach dem Eindringen der Samenzelle kommt es in der Eizelle zu tief greifenden Veränderungen. Die Eizelle nutzt diese erste Zeit dafür, die Hälfte ihrer Gene in ein kleines Paket, den Polkörper, zu packen und ihn auszustossen. Der Schwanz des Spermiums ist inzwischen abgefallen. Sexuelle Erregung und orgastische Kontraktionen können ebenfalls in förderlicher Weise auf das Geschehen Einfluss nehmen, indem sie mehr Spermien in die Gebärmutter ziehen. Aus den äusseren Zellen entsteht die Plazenta. Das heisst, dass das spätere Versorgungssystem des Embryos nicht vom mütterlichen Gewebe abstammt, sondern seine eigene Kreation ist. Die Plazenta produziert Hormone und Immunstoffe, die die Schwangerschaft aufrecht erhalten. Ausserdem verhindert sie, dass vor allem Eiweisse, auch andere Stoffe aus dem Blut der Mutter in das des Embryos ungehindert übertreten können. Das Kind bezieht aus dem Blut der Mutter Sauerstoff, Nährstoffe und Flüssigkeit. Auf der anderen Seite gibt es die Abfallprodukte aus seinem Stoffwechsel an den mütterlichen Organismus ab. In gewisser Weise dient sie auch als Filter gegen Krankheitskeime und Schadstoffe. Die Plazenta wir z.b. auf Bali an einem besonderen Platz beerdigt, wo sie traditionell noch heute gewaschen, parfümiert und feierlich begraben wird. Sie gilt dort als spirituelle Geschwister des Kindes. Selbst bei Pflanzen leben diejenigen Arten am längsten, die sich, wie der Mammutbaum oder die Eiche, nicht besonders schnell, sondern besonders langsam entwickeln und deshalb in der Lage sind, ihr Wachstum besonders gut an die jeweils vorgefundenen Standortbedingungen und Erfordernisse anzupassen. Die Sinnesorgane sind sozusagen die Fühler, mit denen es nun auch die äussere Welt kennen lernt. Wenn wir von Sinnesorganen sprechen, meinen wir zunächst das Auge (Sehen), das Ohr (Hören und Gleichgewicht), die Nase (Riechen), Zunge (Schmecken) und Haut (Tasten). Sie alle liefern Informationen über den Zustand der äusseren Welt. Es gibt auch Rezeptoren, die die innere Welt registrieren wie bei Temperatur, Blutdruck oder Schmerz. Der Fötus kann sich aber auch aktiv und selbstständig auf die Suche nach sensorischen Eindrücken begeben, indem es z.b. an der Nabelschnur saugt oder mit ihr spielt oder seinen Kopf an die Plazenta legt. Schon im Alter von 8 Wochen reagiert der Fötus, wenn er an den Lippen berührt wird. Er ist zu diesem Zeitpunkt ungefähr 2,5cm gross. Im Laufe der Zeit weitet sich die Berührungsempfindlichkeit immer mehr aus: In der 14. Schwangerschaftswoche werden Berührungen ausser auf dem Rücken und 3
4 der Schädeldecke am ganzen Körper wahrgenommen. Interessant ist, dass sich die Empfindsamkeit zuerst in den Körperbereichen entwickelt, die später besonders sensibel wie Lippen, Gesicht und Genitalien. Es ist sicher kein Zufall, dass die Haut das erste Sinnesorgan ist, das seine Funktion aufnimmt. Die Haust ist das Sinnesorgan, das für das Überleben am wichtigsten ist. Sie ist lebensnotwendig. Im Gegensatz zu den anderen Sinnesorganen kann man auf sie nicht verzichten. Hätte man keine Hautwahrnehmungen, wüsste man nicht, wo der eigene Körper zu Ende ist. Das Kind sucht aber auch selbst aktiv nach Berührungskontakten mit seiner Umgebung. In Ultraschallaufnahmen lässt sich beobachten, wie manche Kinder z.b. mit der Nabelschnur spielen oder die Plazenta wie ein gemütliches Kissen benutzen. Das Kind berührt sich auch selbst. Es nuckelt an seinen Gliedmassen und fasst seinen Körper an. Zwillinge werden durch ihren Bruder oder ihre Schwester neun Monate lang kontinuierlich mit vielfältigsten Berührungsreizen konfrontiert. Und natürlich kommt es auch zu einer Berührung, wenn Mutter oder Vater die Hände liebevoll auf den Bauch legen. Viele Eltern bestätigen, dass das Kind diesen Kontakt wahrnimmt und aktiv danach sucht. Was wir empfinden, hat Einfluss darauf, was und wie wir uns fühlen. Je nach Ernährungsweise der Mutter bekommt das Fruchtwasser eine etwas andere Geschmacksrichtung. Offenbar nimmt das ungeborene Kind diese Unterschiede schon wahr; jedenfalls trinkt es regelmässig davon. In einem Experiment wurde einer Gruppe schwangeren Frauen, die eine Vorliebe für Anis hatten, erlaubt, Produkte mit Anisgeschmack nach Herzenslust zu essen. Eine andere Gruppe schwangerer Frauen nahm in dieser Zeit keinerlei Anis zu sich. Wie man weiss, verteilt sich Anis in alle Körperflüssigkeiten. Es gelangt also auch ins Fruchtwasser. Ein Fötus, der Fruchtwasser trinkt, kommt folglich auch in den Genuss von Anisaroma. Wenige Stunden nach der Geburt wurde den Neugeborenen für kurze Zeit ein Wattebausch mit Anisöl unter die Nase gehalten. Die Babys, deren Mütter Anis zu sich genommen hatten, reagierten darauf positiv. Die Babys der Kontrollgruppe zeigten keine Reaktionen. Das gleiche Experiment kann man übrigens auch mit Knoblauch durchführen. Es ist bekannt, dass die Ernährungsgewohnheiten der Mütter die geschmacklichen Vorlieben ihrer neugeborenen Kinder beeinflussen. Föten lieben aber vor allem Süsses : Je süsser das Fruchtwasser, desto mehr trinken sie. Setzt man ihm eine bittere Substanz zu, saugen und schlucken sie deutlich weniger. Übrigens mögen Föten auch kein Nikotinaroma, und auch Spuren von Alkohol im Fruchtwasser schmecken ihnen nicht. Die Tatsache, dass das ungeborene Kind schmecken und Geruchsstoffe wahrnehmen kann, hat eine besondere biologische Bedeutung. Das Kind erkennt seine Mutter später nach der Geburt am Duft der Muttermilch wieder. Ausserdem riechen die Brustwarzen der Mutter nach bestimmten Pheromonen (Duftstoffe), die auch im Fruchtwasser enthalten sind. Das Neugeborene braucht sich also nur an der vertrauten Duftnote zu orientieren, um den Ort zu finden, der Nahrung verspricht. Es sind also nicht irgendwelche Instinkte, die das Suchtverhalten nach der Brustwarze regeln, sondern es geht eigentlich nur der Nase nach. 4
5 Der Herzschlag der Mutter nimmt eine besonders wichtige Stellung ein. Seine Charakteristik wird schon im Mutterleib wahrgenommen. Neugeborene schreien weniger, verlieren weniger Gewicht und sind insgesamt entspannter, wenn ihnen eine Tonaufnahme des mütterlichen Herzschlags vorgespielt wird. Ganz offensichtlich erinnert sich das Kind an den vertrauten, kontinuierlichen Herzschlag, den es auch der Gebärmutter bereits kennt. Man braucht dem Kind aber kein Band vorzuspielen, um diesen Effekt hervorzurufen. Man braucht es nur im Arm zu halten. Denn die Nähe zum mütterlichen Herzen ist für das Baby der Lieblingsplatz. Oft wird berichtet, dass sich Föten Musikstücke, die während der Schwangerschaft häufig gespielt werden, merken können. So gibt es Berichte von Berufsmusikern, die bestimmte Musikstücke zu ihrer eigenen Überraschung so gut kannten, dass sie schon wussten, wie das Stück weitergeht, bevor sie das Notenblatt umgeschlagen hatten. Es stellte sich heraus, dass ihre Mutter genau diese Stücke während der Schwangerschaft intensiv geübt hatte. Diese Erinnerungsfähigkeit gilt übrigens nicht nur mit Blich auf berühmte Musikstücke, sondern auch hinsichtlich der Erkennungsmelodie einer englischen Seifenoper! Neugeborene von Müttern, die während der Schwangerschaft täglich eine solche Fernesehsendung gesehen hatten, reagierten mit sofortiger Beruhigung, wenn sie diese Musik hörten. Sie hatten als Föten gelernt, dass diese Melodie eine gemütliche Zeit einräumt. Ein sechs Monate alter Fötus: Da begegnet uns im Ultraschallbild ein kleines Kind das zweifellos sehr menschlich aussieht und sich auch entsprechend verhält. Manchmal schwebt es friedlich im Fruchtwasser und lässt sich von den gleichmässigen Geh-Bewegungen der Mutter in den Schlaf schaukeln. Manchmal schlägt es Purzelbäume und bewegt sich aufgeregt in der Gebärmuter hin und her. Wenn ihm etwas nicht gefällt, tritt es vehement gegen die Gebärmutterwand; wenn es sich bedroht fühlt, verzieht es sich in die hinterste Ecke. Es kann die Stirn runzeln, sich die Augen reiben und sich bei einem lauten Geräusch erschreckt zusammenziehen. Manchmal hat es Schluckauf, muss gähnen, es kratzt sich oder schluckt sichtbar Fruchtwasser. Schon jetzt saugt es genüsslich an seinem Daumen, seinen Füssen und Zehen. Es spielt mit der Nabelschnur und berührt die Plazenta. Es übt Atembewegungen, wobei sich sein kleiner Brustkorb hebt und senkt. Und es reagiert auf die Gefühlszustände der Mutter: Wenn sie aufgeregt ist, ist es auch aufgeregt. Beruhigt sie sich, entspannt auch es sich. Wenn sie raucht, raucht es mit. Wenn sie Alkohol trinkt, nimmt auch das Kind Alkohol zu sich. Mit Hilfe der dreidimensionalen Ultraschalltechnik, mit der man selbst die Bewegungen der Pupille wahrnehmen kann, ist sogar zu beobachten, dass das Kind ab der 26. Woche lächeln kann, eine Fähigkeit, die bis jetzt nur neugeborene Babys im Alter von sechs Wochen zugesprochen wurde. Und man sieht Föten, die zwar nicht hörbar weinen, denn dazu bräuchten sie Luft aber sie zeigen dieselbe Mimik wie ein weinendes Kind. Wenn sich die Mutter z.b. ängstlich fühlt, werden vermehrt Stresshormone, wie Adrenalin und Kortisol ausgeschüttet. Ihr Herz beginnt schneller zu schlagen, und möglicherweise wird die Sauerstoffzufuhr beeinträchtigt, weil Adrenalin die Blutgefässe der inneren Organe verengt. Alle Stresshormone überschreiten ohne Probleme die Plazentaschranke und stimulieren im Fötus die physiologische Reaktion auf genau dieses Gefühl von Angst und Furcht. 5
6 Ob das Kind daraufhin Angst erlebt, wissen wir nicht. Wenn man seine Reaktion im Ultraschall beobachtet, dann bekommt man allerdings den Eindruck, dass sein kleiner Körper in gewisser logischer Weise auf diesen Angstreiz reagiert. So wird von Föten berichtet, die unter solchen Bedingungen erstarren, andere strampeln wild um sich. Das ungeborene Kind ist eben immer dabei es ist ein Teil des emotionalen Lebens der Mutter. Das gilt natürlich nicht nur für die Angst, sonder für die ganze Palette von Gefühlen der Mutter. Natürlich auch für so schöne Empfindungen wie Freude und Liebe. So sammelt das Kind bereits vor seiner Geburt Erfahrungen mit verschiedensten Gefühlszuständen. Genauso wie es Saugen, Atmen und die Beweglichkeit seiner Gelenke übt, übt es sich auch in das menschliche Gefühlsleben ein. Angst mahnt uns zur Vorsicht und schützt uns vor gefährlichen Situationen. Wut hilft uns, unsere Lebensumstände aktiv in für uns positiver Weise zu gestalten. Eine Mutter, die sich erlaubt, die ganze Palette menschlicher Gefühle in sich zu fühlen, und sie in erwachsener Weise für sich nutzt, fördert sozusagen auf ganz grundlegender Ebene die emotionale Entwicklung ihres ungeborenen Kindes. Neben der Nabelschnurverbindung, durch die der mütterliche Organismus mit dem kindlichen kommunizieren kann, gibt es auch noch andere Kanäle, durch die die beiden verbunden sind und sich ihre Befindlichkeit mitteilen können. Neben der physiologischen Kommunikation durch die Nabelschnur geschieht das auch direkt: Die Mittler sind dabei die Sinnesorgane des Kindes. Über verschiedene Sinnesmodalitäten nimmt das Kind wahr, was die Mutter tut und wie sie sich fühlt. Ihre Befindlichkeit äussert sich z.b. in der Weise, wie sie sich bewegt: Ist sie niedergeschlagen, bewegt sie sich wahrscheinlich relativ wenig; steht sie unter Stress, bewegt sie sich eher fahrig, schnell und aufgeregt; ist sie ärgerlich, werden ihre Bewegungen vermutlich grob und ausladend: ist sie zufrieden, bleiben sie eher leicht und koordiniert. Das Kind wird mitbewegt und kann Bekanntschaft mit verschiedensten Gefühlszuständen machen und lernen, damit umzugehen. Die Beziehung zur Mutter wird auch durch die mütterliche Stimme vermittelt, die aus ihrer Welt in die des ungeborenen Kindes vordringt. Eine menschliche Stimme ist ohne die emotionale Färbung, die in ihr zum Ausdruck kommt, nicht denkbar. In ihr spiegelt sich in jeder Äusserung die emotionale Befindlichkeit der Mutter wider. Ultraschallbeobachtungen vermitteln den Eindruck, dass das Kind im Mutterleib bereits unterschiedlich auf freundliche oder aggressive Stimmen reagiert. Die Kommunikation und Beziehung zwischen Mutter und Kinder während der Schwangerschaft erfolgt auf der körperlichen Ebene durch physiologische Austauschprozesse, die sich dem Bewusstsein weitgehend entziehen. Auch unbewusst Bilder, Erinnerungen und Gefühlszustände der Mutter bestimmen die Beziehung zum Kind in ihrem Bauch. Viele Mütter erleben den Kontakt zu ihrem Kind als etwas Intuitives ; Sie spüren die Befindlichkeit des Kindes, ahnen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen in sich tragen, fühlen, wie das Kind unmittelbar auf bestimmte Gefühlszustände oder auch Worte reagiert. In gewisser Weise dient der Körper dabei in seiner Ganzheit als ein Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und vor allem als ein Interaktionsorgan. In der pränatalen Beziehung zwischen Mutter und Kind, die sich durch Nähe und emotionale Verbindung auszeichnet, wird das besonders deutlich. Aber auf der bewussten Eben beeinflusst die Mutter die Beziehung zu ihrem Kind. Die meisten Frauen sind sich ziemlich früh darüber im Klaren, dass sie schwanger sind. Das bewusste Verhalten gegenüber dem ungeborenen Kind hängt davon ab, wie die Frau die Situation bewertet: Eine Mutter, die gern schwanger ist, die die Schwangerschaft als eine persönliche 6
7 Katastrophe ansieht, wird vielleicht von Angst- und Hassgefühlen überwältigt, wenn das Kind auch einmal spürbar anwesen ist. In jeder bewussten Kontaktaufnahme mit dem Kind in ihrem Bauch kommt immer auch die Befindlichkeit und das Gefühl der Mutter ihm gegenüber zum Ausdruck: in der Art und Weise, wie sie sich und ihre Bewegungen und Aktivitäten auf die Anwesenheit des Kindes einstellt, ob und wie sie zu ihm oder über es spricht, sich Zeit und Musse für sich und die Veränderung gönnt, die sich in ihr und um sie herum vollziehen: ob sie Raum lässt für die Signale ihres Körpers; und natürlich ob und wie sie mit dem Kind aktiv in Kontakt tritt direkt durch die Berührung der Bauchdeck oder gefühlsmässig, indem sie ihre Aufmerksamkeit innerlich auf seine Anwesenheit und seine Befindlichkeit ausrichtet. Auch wenn wir es uns und unseren Kindern noch so sehr wünschen: Ein Leben ohne Probleme gibt es nicht. Diesen paradiesischen Zustand erreicht man erst dann, wenn man geistig, seelisch und schliesslich auch körperlich gestorben ist. Leben ist eben kein Zustand, sondern ein Prozess, oder genauer, ein Erkenntnis gewinnender, Erfahrungen in Strukturen verwandelnder Prozesse. Jede neue Erkenntnis, zu der man gelangt, weil man z.b. ein bisher rätselhaftes, unerklärliches, fremdartiges oder gar bedrohliches Problem verstanden hat, um jede neue Erfahrung, die man im Lauf seines Lebens macht und die man später nutzt, um solche und ähnliche Probleme auch weiterhin zu meistern, führt dazu, dass man sich selber verändert, dass man anders zu denken, zu fühlen und zu handeln beginnt, und damit ein anderer Mensch wird, als der, der man bisher war. *** 7
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