Wellen als Ausweg G A Z A

Transkript

1 G A Z A Fotos: Alessandro Gandolfi Wellen als Ausweg Wellenreiten verbinden viele mit Hawaii oder Kalifornien. Mit durchtrainierten Körpern, Freiheit und Freude, nicht aber mit Blockade, Elend und Verwüstung. Reporterin Edith Daibel hat sich die palästinensische Surferszene angesehen. Sie traf Mohammed, den Surfpionier, sowie Shourook und Rawand, die ersten Surferinnen im Gazastreifen.

2 Trist ist er, der Al Sheikh Ejlien Beach. Ibrahim Arafat und Yosef Abu Ghanem auf dem Weg in die Wellen abenteuer und reisen 12/12 123

3 G A Z A Von der sehr provisorischen Aussichtsplattform des Annadi Al Bahri Marine Club halten Surfer Ausschau nach guten Wellen. Mahmoud Osama Al-Rayashi (unten) hatte einige Zeit später Glück und erwischte eine. Im Hintergrund ist eines der besseren Viertel von Gaza-Stadt zu sehen 124 abenteuer und reisen 12/11

4 Ende September war es so weit. Mohammed Alwan vom Gaza Surf Club überreichte Shourook Rajab Abo Ghanim und Rawand Jawad Abo Ghanim zwei Burkini -Wetsuits. Uns muslimischen Mädels ist es verboten, zu schwimmen oder zu surfen, ohne unser Haar zu bedecken, sagt die 15-jährige Shourook. Doch mit dem neuen Burkini, der in den USA designt wurde, kann ich jetzt jederzeit hinaus auf das Meer. Ein Surftag ist ein schöner Tag. Wenn ich den Ozean sehe, wie er daliegt, wenn die Wellen hoch sind, dann renne ich mit meinen Freunden los, mit dem größten Vergnügen und einem schönen Gefühl, sagt Mohammed Abu Giyab. Der 37-Jährige aus dem Flüchtlingslager al- Shati in Gaza-Stadt war der erste Surfer im Gazastreifen. Wir surften auf einem Brett, Ahmad und ich. Neun Jahre lang. Und wurden Pioniere in diesem Sport in Gaza. Der 33-jährige Ahmad Abu Hasseera erzählt weiter: Mohammed und ich trainierten allein. Wir waren komplett auf uns gestellt. Wir hatten keinen, der uns zeigte, wie man surft. Wir teilten uns das eine Brett. Wir sahen Fernsehbeiträge, lasen Magazine und so lernten wir langsam, die Wellen in Gaza zu reiten. Heute leben 70 bis 100 Surfer im Alter von 12 bis 40 Jahren im Gazastreifen. Der Alltag der rund 1,7 Millionen Palästinenser ist von Gewalt und sozialer Not geprägt. Der Nahost- Friedensprozess dauert seit Jahrzehnten und es ändert sich nichts. Seit 2007 kontrolliert die radikal-islamische Hamas den dicht bevölkerten, 42 Kilometer langen und 10 Kilometer breiten Küstenstreifen am Mittelmeer. Kaum einer kommt ins Land, fast keiner darf hinaus. Nur humanitäre Güter passieren die Grenze: Strom, Medikamente, Lebensmittel. Surfbretter zählen nicht dazu. Die derzeit 47 Surfbretter vor Ort gelangten auf recht schwierigem Weg in den Gazastreifen. Wenn Al Hindi Ashour am Stadtstrand mit Jugendlichen Trockenübungen in Sachen Wellenreiten macht, herrscht stets großer Andrang. Auch Mädchen wagen sich dabei auf die Bretter Surfen ist Ausdruck von Freiheit und Rebellion Weltklasse-Surfer Kelly Slater Eines Tages sah uns eine US-ameri - kanische Journalistin am Gazastrand surfen. Sie wunderte sich, junge Menschen in Gaza zu sehen, die surften. Sie sprach mit uns für einen Artikel, der im Juli 2007 in der,los Angeles Times erschien. Diesen Beitrag las auch die Surflegende Dorian Doc Paskowitz aus Kalifornien. Der fast 90-jährige ehemalige Arzt rief sofort Arthur Rashkovan an, Tel Avivs Surfguru.,In Gaza wohnen zwei Jungs, die dringend unsere Hilfe benötigen, sagte Paskowitz am Telefon, erzählt Rashkovan, als wir uns in dessen Wohnzimmer in Tel Aviv gegenübersitzen. Paskowitz brachte 1956 das erste Surfboard und damit den Surfsport nach Tel Aviv. Er war auch derjenige, der über 50 Jahre später den Grundstein dafür legte, dass wenig später die ersten Surfbretter in den Gazastreifen gelangten. Nur 60 Kilometer sind es von Gaza nach Tel Aviv. Bikinimädchen am Strand, in den Restaurants sitzen Geschäftsmänner in Anzügen vor ihren Laptops, im Wasser schmiegen sich sonnengebräunte Körper aneinander. Nur wenige Gehminuten vom Strand, in einer Seitengasse nahe der Ben Yehuda/Ecke Gordon Street lebt der Surfguru und Skateboard-Champion Rashkovan mit seiner kleinen Familie. Er begrüßt mich um 19 Uhr in Boardshorts, das von der Sonne gebleichte Haar noch nass. Er sei gerade erst vom Surfen zurückgekehrt, entschuldigt Rashkovan das Chaos im Wohnzimmer. Das Baby schreit im Nebenraum. An der Wand neben mir reihen sich ein Dutzend Surfbretter in verschiedenen Längen aneinander. An der Wand hängt auch ein gerahmtes Bild mit dem Titel God went surfing with the devil, so heißt Alexander Kleins 2010 gedrehter Dokumentarfilm über den Nahostkonflikt durch die Augen israelischer und palästinensischer Surfer. Im Film kommen Surfer in Tel Aviv genauso zu Wort wie arabische Wellenreiter in Jaffa. Die Kamera nimmt uns mit über die Grenze von Israel in den Gazastreifen. Erzählt davon, wie schwierig es ist, Surfbretter in diesen abgeschotteten Teil der Erde zu bringen. Und sie zeigt uns das normale Leben der Surfer in Gaza. abenteuer und reisen 12/12 125

5 G A Z A Politischem Zwist, tristen Siedlungen und der Enge (über Menschen leben im Flüchtlingslager al-shati auf einer Fläche von weniger als einem Quadratkilometer) entfliehen die Surfer aufs Meer. Ibrahim Arafat repariert sein Surfbrett im Annadi Al Bahri Marine Club (unten) Arthur Rashkovan ist einer der Mitbegründer von Surfing 4 Peace, ohne das es weder den Gaza Surf Club noch Bretter und Surfer im Gazastreifen gäbe. Nach dem Gespräch zwischen Paskowitz und Rashkovan kam Bewegung in das Vorhaben, den Gaza-Kids zu Boards zu verhelfen mit Unterstützung von Kelly Slater, dem weltbesten Surfer. Es sollte eine Weile dauern, bis alle Formalitäten und Rückschläge überwunden waren und die Boards tatsächlich im Gazastreifen landeten. Am 3. August 2010 war es so weit: 20 gespendete Surfbretter, Boardshorts und Wetsuits konnten an den Gaza Surf Club übergeben werden. Was treibt einen Israeli dazu, Palästinensern zu helfen? Es geht darum, Freundschaften zu schließen mit einigen Menschen, die als meine Feinde gelten. Menschen, die surfen, feuern keine Raketen ab. Auch will ich zeigen, dass wir Israelis nicht so schlecht sind, wie uns die Medien oft darstellen. Rashkovan nimmt einen selbst bemalten Teller von seiner Kommode. Das sei ein Geschenk von Mohammed und den anderen Gaza-Sur- 126 abenteuer und reisen 12/12

6 fern. In der Mitte der Scheibe das Logo von Surfing 4 Peace, auf dem Rand viele Namen, unter anderem der von Rashkovan. Während der Surfer den Teller dreht, spiegelt sich ein stolzes Lächeln auf seinem Gesicht. Auch freut er sich über den nächsten Coup: Im Rahmen des Burkini-Projekts wurden an der New Yorker Universität für die beiden Gaza-Girls Burkinis, muslimische Badeanzüge, designt, wie sie nun Shourook und Rawand tragen. Die beiden Jugendlichen entdeckten das Surfen vor drei Jahren. Inspiriert wurden sie von ihren Vätern und Verwandten: Wir surfen jede Woche, immer frühmorgens. Shourook träumt von Wettbewerben im Ausland, wo sie sich mit anderen Surferinnen messen könnte. Das nächste Projekt von Rashkovan? Mit je zwei Surfern aus Gaza, Jaffa und Is - rael nach Kalifornien zum gemeinsamen Wellenreiten reisen. Er arbeite schon an der Umsetzung. Für Mohammed und seine Surffreunde würde sich damit ebenfalls ein langer Traum erfüllen: Wir suchen stets nach einer Gelegenheit, ins Ausland zu reisen, um Kollegen aus aller Welt zu treffen, insbesondere in den Da kommt eine! Das Warten auf eine gute Welle hat ein Ende, auf ins Wasser zum nächsten Ritt! Richtig hoch sind die Wellen vor Gaza aber selten. Alle träumen davon, mal nach Kalifornien zu reisen Menschen, die surfen, feuern keine Raketen ab Arthur Rashkovan, Surfer aus Tel Aviv Ländern, die am Meer liegen. Dort wo es richtig hohe Wellen gibt, die wir hier in Gaza, hier in unserem Land, nicht haben. Einmal den eher trostlosen El-Meena- Strand in Gaza-Stadt eintauschen gegen den Waikiki Beach in Honolulu oder die traumhaften Wellenreiter-Reviere zwischen San Francisco und San Diego. Rauskommen, reisen, um ihr Hobby zu leben und sich mit anderen Surfern zu messen, das ist der Traum aller Gaza-Surfer, die ich treffe. Am 27. Dezember 2008 begann Israel die bisher schwerste Militäroffensive im Gazastreifen. Die Militäroperation Gegossenes Blei dauerte 23 Tage und markierte den bisherigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen im Gazastreifen. Dabei kamen 13 Israelis ums Leben und Palästinenser. Als die ersten Bomben herabfielen, saßen Mohammed Alwan und ein Kollege im Delice Coffee Shop in Gaza-Stadt. Die Fensterscheiben barsten, Glas fiel zu Boden. Frauen und Kinder weinten. Just zu diesem Zeitpunkt beendeten Mohammed Alwan und die Filmcrew von God went surfing with the devil die Dreharbeiten. Der Palästinenser will lieber nicht erinnert werden an die Kämpfe dieser Tage, an denen viel geschah. Es war eine schreckliche Zeit, sagt Alwan. Surfen erzeugt dieses Gefühl des Einverstandenseins. Ich denke an nichts anderes. Ich denke nur an die Wellen und daran, wie ich gut surfen kann. Dadurch ist es mir möglich, die schwierigen Umstände, unter denen wir leben, zu vergessen. Wenn ich nicht surfen gehe oder wenn es schwierig ist, im Meer zu sein, fühle ich mich eingesperrt oder wie in der Hölle. Der einzige Ausweg: die Wellen reiten, erzählt Mohammed. Und um dieser bedrückenden Enge, dem Gefängnis Gaza, zu entfliehen, müssen sie hinaus aufs Meer. Wellen bedeuten für die Gaza-Surfer nur eines: Freiheit. Damit trotzen sie allen, die ihre Träu - me kaputt machen. In diesem schwarzen Alltag, der bestimmt ist von Verboten, von Demütigungen und Perspektivlosigkeit, bieten die Wellen des Mittelmeers Zuflucht und versprechen Augenblicke der Freude. SERVICE Film Die DVD ist seit Mai 2011 auf dem Markt (Preis: ca. 15 ). Surf-Tipp Infos, arabische und israelische Surfer-Musik sowie Fotos und Events findet man auf abenteuer und reisen 12/12 127