Musikalische Geschichten von Heimat und Fremde

Transkript

1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 MusikGlobal Tamburi Mundi 2016 Grooves n Roots Musikalische Geschichten von Heimat und Fremde Von Anette Sidhu-Ingenhoff Sendung: Dienstag, 28. Februar 2017, Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 MusikGlobal sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/ Bestellungen per SWR2Mitschnitt@swr.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 Grooves n Roots musikalische Geschichten von Heimat und Fremde waren das Motto des 11. Tamburi Mundi Festivals Anfang August Viele Auftritte kreisten um das Thema Roots, also um kulturelle und musikalische Wurzeln. Wir bringen jetzt Ausschnitte aus dem Eröffnungskonzert vom 30. Juli. 7 Musiker aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern werden spielen: Türkei, Israel, Iran, Syrien, Mongolei und Schweiz. Woher komme ich? Was hat mich bis heute geprägt? Was habe ich verlassen und wo bin ich angekommen? Wie spiegelt sich meine Lebensreise in meiner Musik? Das waren für sie wichtige Fragen beim gemeinsamen Spiel. Es musizieren der israelische Percussionist Zohar Fresco zusammen mit Murat Coskun, dem Leiter des Festivals, der syrische Oud Spieler Samir Mansour, die Santur Solistin Arezoo Rezvani aus dem Iran, Badamkhorol und Badamkhand aus der Mongolei und Bettina Castano aus der Schweiz, sie hat sich neben den Traditionen aus Appenzell auch intensiv mit spanischem Flamenco befaßt. Hier aus dem ersten Konzertteil Rezitationen und Improvisationen. Eine Idee von Murat Coskun: die Texte sollen auf die Musik einstimmen. In seinem Text heißt es: Mein einziger treuer Freund, das ist die schwarze Erde. Er bezieht sich damit auf ein Lied von Kara Toprak: Veysel Schwarze Erde, ein Gedicht von den Wurzeln in der Erde, die Heimat geben. Murat Coşkun: 1. Rezitation "Asik Veysel" - 2. Black Earth 2:43 Murat Coşkun (Sprecher) Rahmentrommel,Perkussion)(Türkei / Deutschland) 1. Rezitation - 2. Caravan 9 54 Samir Mansour (Sprecher) Arezoo Rezvani (Santur)(Iran / Deutschland) Samir Mansour (Oud)(Syrien / Deutschland) Black Earth mit dem Percussionisten Murat Coskun und Caravan aus dem Konzert vom 30. Juli vom Tamburi Mundi Festival in Freiburg. Groove n Roots bringt aber nicht nur das Thema Heimat, sondern auch die Entwurzelung als Künstler und Mensch biographisch zur Sprache. Murat Coskun spürte immer die Trauer seiner Eltern um die türkische Heimat. Melancholie und Heimweh waren ein ständiger Begleiter seiner Kindheit und Jugend. Durch die Musik fand er einen Weg, zu den verlorenen Wurzeln der Eltern und zur eigenen Herkunft zurück zu finden und diese hier in Deutschland frei und kreativ auszuleben. Zum Festival in diesem Jahr sagt er: Das Thema stand schon länger in der Luft, nach den Wurzeln zu fragen, Leute mit trad. Musik ist interessant, das Festival selber lädt immer wieder Musiker aus Kulturen ein, die ihre Wurzeln mitbringen, deswegen war das als Thema da, der Zeit entsprechend kommt momentan die Flüchtlingskrise dazu, das ist der Punkt, wo wir nach den Wurzeln schauen. 2

3 Der Lauten Solist Samir Manspour sangt von sich Als mein Leben in Deutschland begann - das war hatte ich immer das Gefühl, wie eine Baum zu sein: meine Wurzeln sind in Syrien und mein Stamm ist hier. Das beschreibt ungefähr das Lebensgefühl nahezu aller Künstler in diesem Konzert. Die beiden Sängerinnen Badamkhorol und Badamkhand sind spezialisiert auf den Gesang der Mongolei und Bettina Castano aus Appenzell fühlt sich der Schweiz, aber auch dem spanischen Flamenco verbunden. Dann haben wir noch Arezoo Rezvani. Sie ist ist eine Santur-Solistin aus Isfahan, immer wieder eingeladen, letztes Jahr Konzert, nach Auftritten im Ausland hat sie Probleme bekommen in ihrer Heimat, vor allem von der Familie und den Verwandten, sie bekam starken Druck: geh nicht nach Europa, spiele nicht mit den europäischen und Israelischen Musikern. Es gab Mitglieder der Familie, die ihr mit Gewalt gedroht haben. Sie sah die einzige Möglichkeit für sich, nach Deutschland zu flüchten und hier zu bleiben, das war im Dezember Die Santur ist die trapezförmige asiatische Kastenzither. Arezoo Rezvani liest jetzt eine Rezitation aus dem Persischen und spielt die Santur, dazu gibt es El bint Shelebiyya gespielt von der ganzen Gruppe. Was sie vorliest heißt übersetzt: Musik ist in mir verwurzelt, je näher ich diesen Wurzeln komme, desto näher komme ich Gott. Traditional: 1. Rezitation - 2. El Bint Shelebiyya 3 15 Arezoo Rezvani (Sprecher) (Santur,Singstimme)(Iran / Deutschland) Samir Mansour (Oud,Singstimme)(Syrien / Deutschland) Bettina Castaño (Perkussion)(Schweiz / Spanien)(Flamenco-Tanz) Traditional: 1. Taksim-Improvisation - 2. Faramarz Payvar 7 27 Arezoo Rezvani (Santur)(Iran / Deutschland) Samir Mansour (Oud)(Syrien / Deutschland) Bettina Castaño (Perkussion)(Schweiz / Spanien) In SWR 2 MusikGlobal hören Sie heute: Grooves n Roots, musikalische Geschichten von Heimat und Fremde, ein Konzert des 11. Tamburi Mundi Festivals vom 30. Juli in Freiburg. Warum werden den Musiken Rezitationen voran gestellt? 3

4 Ich finde es selbst immer spannend, das mongolische ist eine unglaubliche Sprache. Es war die Idee, die Sprache in das Programm mit rein zu bringen. Und die Möglichkeit, so viele Sprachen, arabisch, persisch, mongolisch türkisch mit rein zu bringen, klanglich und auch inhaltlich, ist interessant. Wir haben es übersetzt, damit man versteht worum es geht. Badamkholrol Samdandamba singt mongolische Lieder und spielt Pferdkopfgeige, ihre Schwester Badamkhand Samdandamba singt und spielt dazu die Laute. In das Konzert in Freiburg bringen die beiden ihre heimatliche Musik ein, die geprägt ist vom Leben in den Jurten - den Nomadenzelten - von den Tieren, Seen und Bergen der Mongolei. Die Mutter der beiden Lkundev Gonjiv ist Trägerin des UNESCO Weltkulturerbes, denn sie kennt noch all die alten Lieder der mongolischen Nomaden. Grundlage dafür ist der Urtiin Du, der mongolische Kehlkopfgesang, der von einer Pferdekopfgeige begleitet wird. Der Urtin duu ist durch langsame, unbestimmte Rhythmen mit großen Intervallen gekennzeichnet. Die Lieder bestehen aus separaten Strophen ohne Refrain. Der typische Gesang geht bis auf die Zeit von Djingis Khan zurück. Er dient dem Dialog mit der weiten Steppe und dem blauen Himmel, der in der Mongolei als Gottheit verehrt wird. Der Kontakt zu BADAMKHOLROL kam durch ein Festival in der Mongolei usw die Mongolei ist ein Kulturraum, in dem schamanistische Trommeln Platz haben. Kontakt zu Badamkhorol durch ein Festival in Mongolei, wo wir Austausch gesucht haben, das ist in die Lieder eingeflossen, sie ist eine Vertreterin der mongolischen Kultur, die sie hier in D-land aufleben lässt, hier auch neu für sich entdeckt. Eine kulturelle Botschafterin. Und das sind natürlich rituelle Instrumente in der Mongolei, Schamanentrommeln. Sie werden nur in Ritualen eingesetzt. Wir hören jetzt Altai Magtaal, Loblied auf das Altai Gebirge mit den beiden Sängerinnen. Traditional: Altai Magtaal Badamkhorol + Badamkand Samdandamba Gesang & Geige (Mongolei) Und beim Wasserhöttli Zäuerli aus Appenzell mit Bettine Castano und den Samdandamba-Schwestern zeigt sich, dass es zwischen der Schweiz und der Mongolei ungeahnte Verwandtschaften gibt: 4

5 Traditional: Wasserhötli Zäuerli (Zuspiel: trad. mehrst. Jodelgesang aus der Schweiz) 4 34 Shar taliin tsetseg (Die gelben Blumen der Steppe) Badamkhorol (Künstlername: Baadma) Samdandamba (Singstimme)(Mongolei / Deutschland) Bettina Castaño (Perkussion)(Schweiz / Spanien)(Flamenco-Tanz) Die Schweizerin Bettina Castano war hier mit von der Partie. Sie schreibt: Meine Wurzeln sind in den Bergen von Appenzellerland. Die alten Naturjodel mit ihren Klängen und Harmonien berühren mich tief, sowie auch der Flamenco Gesang meine Ur-Ahnung berührt. Die Kuhglocken der Silvester-Kläuse aus altem Appenzeller Brauch schlagen rhythmisch in Dreiklängen, sie schlagen im Flamenco Tango Rhythmus und die Schellenweiber tanzen und hüpfen im Flamnco Tanguillo Rhythmus. Solche Beziehungen würde vielleicht keiner vermuten! Sie mögen weit hergeholt scheinen, sind es aber bei Bettina Castano nicht. Sie liebt es, Verwandtschaften zwischen so fernen Kulturen wie der von Appenzellerland und Andalusien zu erspüren. Mit viel Temperament, wie wir gleich hören werden. Bei Bettina ist es vor allem die brillante Fußtechnik, sie hat eine große Vielfalt an Rhythmen, sie ist Schweizerin, arbeitet mit vielen Percussionisten zusammen, hat Kontakte über Jahre hinweg Sie hat die Vielfalt an Rhythmen in den Füßen, hat das über Jahre entwickelt. Sie hat sehr viel Erfahrung, Kontakte zu Hakim Ludin, reist auch oft nach Indien. Letztes Jahr war sie mit Flamenco im Dialog hier. Den Flamenco interpretiert sie ganz neu und anders, mit ihrem background gibt sie ihm eine ganz andere Farbe. Die weiteren Solisten des Abends sind übrigens: Zoltan Fresco. Er ist Israeli, Komponist und Virtuose an der Rahmentrommel. In der israelischen Band Bustan Abraham spielt er Jazz und tritt auch gerne mit dem polnischen Pianisten Leszek Mozdzer oder mit dem schwedischen Jazz-Bassisten Lars Danielsson auf. Samir Mansour ist im Kreis der Musiker ein faszinierender Solist an der Laute Oud. Der Syrer lernte am Institut für Freies Theater in Damaskus, lebt seit 1999 in Deutschland und versteht sich als Botschafter der orientalischen Kultur. U.a. gründete er mit Daniel Barenboim in Jordanien das Palästinensische Jugendsymphonieorchester, begleitete viele Jahre ein interkulturelles Projekt in Tübingen und ist seit September 2015 Dozent an der Popakademie Mannheim für arabische Oud. Im Gespräch mit Murat Coskun interessierte mich, wie der Auftritt in Freiburg vorbereitet und geprobt wurde? Das war dann in der Vorbereitung Wir haben Musik jedem geschickt,. Die Idee war die Frage: Was ist für dich Trauer in der Musik. Aber wir waren schon 5

6 vorbereitet. Man musste doch daran proben. Von der Idee her war das komplett das Stück. In der folgenden Session kommen nun alle 7 Musiker zusammen. Die Sigueriya ist eine der ältesten Formen des Flamenco, es ist ein langsamer Rhythmus, der Traurigkeit und Schmerz ausdrückt. Diese Gefühle werden auch im Tanz von Bettina Castano sichtbar bzw. hörbar gemacht. Gedanken von Schmerz, Tod und Trennung werden hier interpretiert, von jedem auf seine Weise. Alle versuchen, Lebenserfahrungen solcher Art mit den entsprechenden Gefühlen in das Spiel zu integrieren. Bettina Castaño / Sigueriya Badamkhorol (Künstlername: Baadma) Samdandamba (Singstimme,Morin Khuur,Tov Shuur)(Mongolei / Deutschland) Arezoo Rezvani (Santur,Singstimme)(Iran / Deutschland) Samir Mansour (Oud,Singstimme)(Syrien / Deutschland) Bettina Castaño (Perkussion)(Schweiz / Spanien)(Flamenco-Tanz) Samir Mansour (Oud)(Syrien / Deutschland) Zohar Fresco (Rahmentrommel,Perkussion,Singstimme)(Israel) Badamkhorol (Künstlername: Baadma) Samdandamba (Singstimme)(Mongolei / Deutschland) Arezoo Rezvani (Santur)(Iran / Deutschland) In SWR 2 MusikGlobal hörten Sie heute Grooves n Roots musikalische Geschichten von Heimat und Fremde. Ausschnitte aus dem Eröffnungskonzert des 11. Tamburi Mundi Festivals vom 30. Juli 2016 im E-Werk in Freiburg. Mit Badamkhol und Badamkhand Samdandamba, mongolischer Gesang, Samir Mansour: arabische Laute Oud, Arezoo Rezvani an der persischen Kastenzither Santur, Zohar Fresco und Murat Coskun, Rahmentrommeln und Percussion sowie Bettina Castano, Flamenco Tanz. Das nächste Rahmen-Trommel-Festival Tamburi Mundi findet wieder im Sommer statt, vom 28. Juli bis 6. August in Freiburg. Am Mikrofon war Anette Sidhu-Ingenhoff. 6