Das militärische Schriftgut
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1 EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts : Von Dr. Thomas Menzel, Bundesarchiv Freiburg
2 Gliederung EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts Regelungen - Allgemeine Vorgaben 2. Die Struktur von Führungsstäben: Beispiel Heer 3. Wichtige Schriftguttypen - Kriegstagebücher (KTB) - Tätigkeitsberichte - Befehle / Meldungen - Sonderformen: Funksprüche, Fernschreiben, Telegramme - Karten allgemein, Lagekarten im besonderen 4. Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen in militärischen Akten 1/29
3 Regelungen grundsätzlich wie im zivilen Bereich: EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien Gemeinsame Geschäftsordnung für die höheren Reichsbehörden dazu spezielle Vorschriften und Erlasse für den militärischen Bereich vor allem: 2/29 HDv g2 Verschlußsachen-Vorschrift (1934) HDv g92 Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege (1939) HDv 30 Schrift- und Geschäftsverkehr der Wehrmacht (1939)
4 Regelungen EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts dazu spezielle Vorschriften und Erlasse für den militärischen Bereich vor allem: HDv 300 Truppenführung. Auszug: Meldedienst (1943) AHM 1940 darin u.a.: Bestimmungen für die Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten Geschäftsordnung für das Reichswehrministerium (1930) dazu: Geschäftsordnungen einzelner Kommandobehörden und Verbände (z.b. der Marinestation der Ostsee von 1937, des SS-Kavallerie-Regiments 1 von 1942, des Armeeoberkommandos 9 von 1944) 3/29
5 4/ Allgemeine Vorgaben EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts bis deutsche Schrift (Ausnahme: Hervorhebungen, fremdsprachige Wörter, Unterschriften), dann Ersetzung durch lateinische Schrift Zahlen und Ziffern arabisch; aber: für die Nummerierung militärischer Verbände und Einheiten arabische und römische Ziffern in festgelegtem Wechsel klare Zuständigkeiten durch die vorgegebene Einteilung der Stäbe oder besondere Geschäftsordnungen festgelegte Abfolge: Eingangsstelle, Eingangsstempel, Auszeichnung nach Geschäftsplan, Eingangsempfänger, Sichtvermerk oder Bearbeitung
6 Allgemeine Vorgaben Farbenspiel wie in der zivilen Verwaltung: Dienststellenleiter / Befehlshaber / Kommandant etc. Grünstift; Stellvertreter / Abteilungsleiter etc. Rotstift; darunter Blaustift; für alle Schwarzstift ABER: zahlreiche farbliche Abstufungen (lila, rosa, braun, grau, versch. Blautöne), die i.d.r. in den Geschäftsordnungen etc. nicht erklärt werden => aus dem Kontext zu erschließen! dazu: Kommandeure / Befehlshaber etc. benutzen ggf. verschiedene Stifte EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts 5/29
7 in blau: Übergabe Flugplatz Tempelhof durch Engländer EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts 1. Beispiel: BArch RW 44-I/37: Kapitulationserklärung Der deutschen Seite von den Briten in Tempelhof vorgelegter Text der Kapitulationserklärung, III. Fassung (Entwurf) (rot: verm. Generaloberst Alfred Jodl, Chef Wehrmachtführungsstab). Veränderung gegenüber letztem Textentwurf wird unterstrichen (Jodl) und als neu! (in blau, zuerst in Bleistift) markiert; neue Regelungen sollten von Generalmajor Erich Dethleffsen (Führerhauptquartier) befohlen werden (Bleistift links unten). Schlussendlich zeichnet Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel als Chef des OKW am ab (lila Paraphe rechts oben). 6/29 n[ach] R[ückkehr] G[ene]r[a]l Detleffsen das muß sofort noch befohlen werden
8 2. Beispiel: BArch RW 5/23 Amt Ausland/Abwehr: Bericht des Wehrmachtbefehlshabers in den Niederlanden an das OKW vom über die angebl. unerhörte Behandlung deutscher Reichsangehöriger vor dem Überfall auf die Niederlande im Mai Kenntnisnahme und Verfügung zum Vortrag durch Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel als Chef des OKW am (in lila). Diverse Bearbeitungsvermerke im Amt Ausland/Abwehr III 7/29
9 Beispiel Heer 2. Die Struktur von Führungsstäben EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts Gültig für die Oberkommandos von Heeresgruppen und Armeen, Generalkommandos von Korps, sowie Divisionsstäbe ChefGenSt = Chef des Generalstabs (bei Heeresgruppen, Armeen und Korps); erster Berater des oberen Führers (Befehlshabers) Ia Ib Ic Id IIa Führungs-Abteilung (Truppenführung) Quartiermeister-Abteilung (bei Korps: Qu; bei Armeen und Heeresgruppen: OQu mit Qu1 Versorgungswesen, Qu2 Sicherung, QuT Technik u.a.) Feindaufklärung und Abwehr; geistige Betreuung; Gehilfe des Ia bei Festlegung des Feindbildes Ausbildung 1. Adjutant (Offiziers-Personalien) 8/29
10 Beispiel Heer 2. Die Struktur von Führungsstäben EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts IIb III IVa IVb IVc IVd IVWi V VI VII 2. Adjutant (Personalien der Unteroffiziere und Mannschaften) Gericht Intendant (Rechnungswesen, allgemeine Verwaltung) Arzt Veterinär Geistlicher (ev.: evangelisch; kath.: katholisch) Wehrwirtschaftsoffizier Kraftfahrwesen [bei Stäben des Heeres nicht vorgesehen] Militärverwaltung (nur bei Bedarf in höheren Kommandobehörden; bei Kriegsbeginn: CdZ = Chef der Zivilverwaltung) 9/29
11 3. Wichtige Schriftguttypen Kriegstagebücher (KTB) werden geführt von Kommandobehörden (nach Führungsabteilungen), Truppenteilen ab Bataillon aufwärts, selbständig eingesetzten Kompanien verantwortlich sind die jeweiligen Führer, diese beauftragen die Durchführung die KTB-Führer sind laufend über Feindmeldungen, Lagebeurteilungen, Entschlüsse und Meldungen zu unterrichten, alle erforderlichen Unterlagen sind ihnen zugänglich zu machen das KTB ist täglich unter dem Eindruck des Geschehenen zu führen, die Grundlagen für das Handeln der Führer müssen erkennbar gemacht werden 10/29
12 3. Wichtige Schriftguttypen Kriegstagebücher (KTB) ggf. Beifügen von Lagekarten, Skizzen, Fliegerbildern, Lichtbildern, Befehlen, Meldungen in Aktenform zu führen (KTB und Anlagenbände!) als Anlagen sind beizufügen: Kriegsgliederungen, Operationsakten, Gefechts- und Erfahrungsberichte, Berichte über besondere Vorkommnisse, Karten, Skizzen, Fliegerbilder, Kriegsrangliste, Verlustlisten, Gefechts- und Verpflegungsstärken, ggf. Aufrufe, Verordnungen, Beutepapiere, persönliche Aufzeichnungen, Berichte von Angehörigen, Lichtbilder Abschluss der KTB: nach Beendigung größerer zusammenhängender Kampfhandlungen, beim Wechsel des Kriegsschauplatzes, wenn sie unhandlich werden 11/29
13 Kriegstagebuch BArch RM 92/5294 Kriegstagebuch 12/29 der Schleswig-Holstein vom , Angriff auf die Danziger Westerplatte
14 13/29 EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts
15 14/29 3. Wichtige Schriftguttypen Tätigkeitsberichte werden z.t. als Beilagen zum KTB geführt von einzelnen Führungsabteilungen bei Kommandobehörden, grundsätzlich mit wichtigen Sonderaufträgen betrauten Einrichtungen, Einrichtungen, bei denen für längere Zeit nicht mit Kampfhandlungen zu rechnen ist (Besatzungstruppen), vorübergehend aus ihrem Verband ausgeschiedenen Einheiten im Gegensatz zu den KTB zusammenfassender Überblick im großen über Tätigkeit, Ereignisse und Maßnahmen, auch unter den Gesichtspunkten Sammeln von Erfahrungen und Sammeln von Unterlagen für die Geschichtsschreibung die Form der Darstellung ist freigestellt in Aktenform zu führen EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts für den Inhalt sind die jeweiligen Führer verantwortlich, diese beauftragen die Durchführung
16 BArch RH 20-6/492 Armeeoberkommando 6: sehr kurzer Tätigkeitsbericht der Abteilung Ic (Feindaufklärung, Abwehr): Maßnahmen der Partisanenund Bandenbekämpfung werden nebenbei erwähnt 15/29
17 16/29 3. Wichtige Schriftguttypen Befehle / Meldungen EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts Grundsätze: rechtzeitiges Erreichen des Empfängers! klarer und bestimmter Ausdruck exakte Angaben, Vermutungen begründen keine Übertreibungen, keine Beschönigungen immer zu melden: erste Berührung mit dem Feind im Gefecht laufend zu melden: Erkenntnisse über den Feind, eigene Lage, Geländesituation, Munition; bei Eintritt der Dunkelheit Lage melden in dringenden Fällen zusätzlich Meldung an übergeordneten Truppenführer Nachbarn sind über die eigene Lage zu informieren Übermittlung durch technische Nachrichtenmittel, einzelne Personen, Stafetten, Brieftauben, Meldehunde, ggf. Einsatz von Fahrzeugen oder auch Pferden
18 17/29 BArch RH 20-14/105 Armeekommando 14, Abteilung Ic: Meldung über Einsatz gegen Partisanen
19 18/29 BArch RM 92/5297, Bl. 1: Anschreiben zum Operationsbefehl Nr. 1 Fall Weiß für das Linienschiff Schleswig- Holstein. Das Schiff ist unterwegs zu einem offiziellen Freundschaftsbesuch in Danzig. Der Operationsbefehl Fall Weiß regelt den überraschenden Feuerüberfall auf die Festung Westerplatte vor Danzig durch die Schleswig-Holstein (siehe KTB-Auszug). Stempel: Geheime Kommandosache = Geheimhaltungsgrad; Stempel: Chefsache! Nur durch Offizier = legt die Art der Beförderung fest; Eingangsstempel auf dem Schiff vom , dazu die Briefbuch-Nr. Geheime Kommandosache 141, 1 Anlage; in grün Paraphe des Kommandanten Kapitän z.s. Kleikamp mit Datum und Uhrzeit; gekreuzt = Zeichnungsvorbehalt; rechts unten Verfügung in grün: zu den Akten und zum Kriegstagebuch, Paraphe
20 19/29 3. Wichtige Schriftguttypen Sonderformen: Funksprüche, Fernschreiben, Telegramme Übermittlung durch spezielle Nachrichtenstellen -> Übertragung der Ausgabeformate in Klartext in der Regel auf speziellen Formularen; dabei selten Ausfüllen aller vorgesehener Felder Unterschiede zwischen Sendezeitpunkt und tatsächlicher Ankunft beim Empfänger -> Chiffrierung! verkürzter Sprachstil EHRI-Onlinekurs Aktenkunde des Holocausts Besonderheit Hellschreiber -Texte: Typenbildfeldfernschreiber, arbeitet mit 7x7 Bildpunkten pro Buchstabe und Doppellauf zum Ausgleich von atmosphärisch bedingten Verzerrungen des Textes; der Textstreifen wird zugeschnitten und aufgeklebt Die Grundlagen der Nachrichtenübermittlung und Chiffrierung sind in zahlreichen Vorschriften detailliert geregelt!
21 BArch RH 20-6/241 Armeeoberkommando 6, Abteilung Ia (Führungsabteilung): Funkspruch mit der Durchhalte- Entscheidung Hitlers als Anlage zum Kriegstagebuch "Festung Stalingrad als geheime Kommandosache an das Armee- Oberkommando 6: Führerentscheid: 6. Armee hält trotz Gefahr vorübergehender Einschließung. [ ] Bahnlinie möglichst lange offen halten. Über Luftversorgung folgt Befehl. 20/29
22 21/29 BArch RS 2-2/27 II. SS-Panzerkorps, Abteilung Ib (Quartiermeister): Fernschreiben als Hellschreiber -Text für sichere Übertragung
23 3. Wichtige Schriftguttypen Karten allgemein, Lagekarten im besonderen Vielzahl unterschiedlicher Kartentypen: z.b. Stellungskarte, Artilleriekarte, Luftlagekarte, Minenplan grundsätzlich: militärische Karten zeigen nicht die objektive Wahrheit, sondern bilden den Informationsstand des Kartenerstellers ab! wesentlich für die korrekte Interpretation: richtige Interpretation der Einzeichnung Grundlage für das korrekte Lesen v.a. von Lagekarten: HDv 272 Taktische Zeichen des Heeres mit Anhang Zeichen der Luftwaffe (1938) und HDV 272 Muster für Taktische Zeichen des Heeres ( ) 22/29
24 BArch RH 2 Kart/557: Lagekarte (Ausschnitt) des Generalstabs des Heeres zur Ostfront vom 21. Jan (Abendlage): Einzeichnung der Lage im Kessel von Stalingrad sowie östliche Linie der Heeresgruppe Don (blau: deutsche Kräfte, rot: sowjet. Kräfte) Im Kessel von Stalingrad: 6. Armee, darum herum 7 sowjetische Armeen und das Oberkommando der Stalingrad-Front römische Zahlen = Generalkommandos von Korps; im Kessel 5 deutsche arabische Zahlen = Divisionen, deutsche Divisionen im Kessel nicht eigens 23/29 aufgeführt, aber die sowjetischen darum herum
25 4. Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen in militärischen Akten Verbrechen werden in den militärischen Akten nicht als solche erwähnt: verharmlosende Umschreibungen; Vortäuschen normaler Abläufe; Verschweigen einzelne Aspekte scheinen dennoch auf: Verlustzahlen bei der Bandenbekämpfung ; Geiselerschießungen; Zusammenarbeit mit SS, SD, Gestapo, Milizen; Umgang mit Kriegsgefangenen; Einsatz von Zwangsarbeitern in der Regel sind weniger die Akten von Einheiten an der Front, als von solchen im rückwärtigen Gebiet einschlägig; grundsätzlich sind v.a. die Ic- und die Quartiermeister-Unterlagen relevant 24/29
26 4. Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen in militärischen Akten dazu die privaten Unterlagen: Feldpost, Tagebücher, Fotos => klare Belege der Teilnahme von Soldaten an Misshandlungen und Erschießungen => eindeutige Quellenlage: Wehrmacht und Waffen-SS haben sowohl Kriegsverbrechen als auch NS-Verbrechen begangen - waren Teil des Holocaust 25/29
27 BArch RH /15, Bl. 433a: Meldung des II. Bataillons des Infanterie- Regiments 724 (Stabsabteilung Ia) an den vorgesetzten Stab der 704. Infanterie-Division vom über erfolgte Geiselerschießungen. Eingangsstempel der 704. ID mit Paraphe R (links unten) und des Ia der 704. ID (oben in rot); oben rechts die Verfügung zum Kriegstagebuch in Bleistift KTB ; unten die Verfügung zu den Akten mit Paraphe R 26/29
28 27/29 BArch RH 26-56/21 Bd. 2, Abteilung Ia, Anlage zum Kriegstagebuch: Erschießung von Kindern bei Vergeltungsaktion im Partisanenkampf
29 28/29 BArch RH 19-II/127, OKH Lageberichte Ost, Heeresgr. Süd u. Nord, Abteilung Ia, Anlage zum KTB: Ablehnung der Erschießungen von Juden
30 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt bei Rückfragen: Dr. Thomas Menzel 29/29
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