Auch im Konfirmandenunterricht hatte ich gelernt: Jesus ist die Wahrheit. Jesus lügt nicht und er hat auch keine Heimlichkeiten! Oder etwa doch?

Transkript

1 Predigt von Bettina Schwinn-Akehurst zu Markus 1, Gehalten am im Gemeindezentrum Fulerum Liebe Gemeinde, Mein Vater gab mir, als ich so etwa sechzehn Jahre alt war, einen guten Rat mit auf meinen Weg: Wenn Du bei irgendeiner Unternehmung das Gefühl hast, Du müsstest es geheim halten, dann ist es wahrscheinlich falsch! Dieser Rat hat mir beim Erwachsenwerden tatsächlich geholfen! Eine heimliche Zigarette auf dem Schulhof hinter dem Fahrradschuppen? Besser nicht! Auf der Party den Freund der besten Freundin küssen, wenn sie es nicht sieht? Darauf lass ich mich nicht ein. Unauffällig den schönen Kugelschreiber des Sitznachbarn ins eigene Mäppchen packen? Oh nein! Heimlichkeiten sind meistens falsch. Was man nicht offen und ehrlich tun kann, sollte man bleiben lassen. Auch im Konfirmandenunterricht hatte ich gelernt: Jesus ist die Wahrheit. Jesus lügt nicht und er hat auch keine Heimlichkeiten! Oder etwa doch? Als ich irgendwann in der Bibel auf die Geschichte stieß, die heute unser Predigttext ist, war ich doch einigermaßen überrascht. Jesus tut nämlich etwas, von dem er nicht möchte, dass es öffentlich bekannt wird! Er verbietet anderen Menschen, zu erzählen, was er gemacht hat! Jesus hat Heimlichkeiten! Wer hätte das gedacht? Hören Sie selbst: (Basisbibel, Mk 1, 40-45) 40 Einmal kam ein Mann zu Jesus, der an Aussatz erkrankt war. Er fiel vor ihm auf die Knie und flehte ihn an: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. 41 Jesus hatte Mitleid mit ihm. Er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will! Sei rein! 42 Im selben Augenblick verschwand der Aussatz und der Mann wurde rein. 43 Sofort schickte Jesus ihn weg. Er schärfte ihm ein: 44 Pass auf, dass du niemandem irgendetwas davon erzählst. Geh, zeige dich dem Priester und bring die Opfer, die Mose vorgeschrieben hat, um deine Reinheit wiederherzustellen. Das soll ihnen als Beweis dienen, das ich das Gesetz achte. 45 Aber der Mann ging weg und verkündete überall, was Jesus getan hatte. Bald konnte Jesus nicht mehr unerkannt in eine Stadt kommen. Deshalb blieb er an abgelegenen Orten. Trotzdem kamen die Leute von überall zu ihm.

2 Da kommt also ein Mann zu Jesus, dem es richtig schlecht geht. Aussatz das ist nicht einfach nur ein kleiner Ausschlag auf der Haut. Aussatz ist eklig. Aussatz ist hässlich. Aussatz stinkt. Und das ist noch das kleinste Übel! Aussatz macht einsam. Aussatz schließt einen von der Gemeinschaft mit anderen Menschen aus. Man hat keine Familie mehr, keine Freunde und keine Nachbarn. Die ekeln sich nämlich nicht nur vor der Krankheit, sondern sie sind überzeugt davon, dass man fürchterliche Sünden begangen hat, für die man von Gott mit Aussatz gestraft wird. Man ist nicht nur ein kranker Mensch man ist für die anderen ein schlechter Mensch. Und von so einem Menschen distanziert man sich besser. Man jagt ihn davon. Aber das Allerschlimmste ist: Man hat auch keinen Gott mehr. Gott wohnt im Tempel und dort darf man als Aussätziger nicht mehr hin. Selbst die Nähe Gottes ist einem verwehrt, wenn man unrein ist. Es ist die ultimative Einsamkeit. Dieser Mann hat Aussatz und er kommt zu Jesus. Das braucht viel Mut. Unreine Menschen müssen sich eigentlich von anderen Menschen fernhalten. Sie müssen Abstand halten und laut rufen: Unrein! Unrein!, wenn andere ihnen zu nahe kommen, damit die Unreinheit sich nicht überträgt. Aber unser Mann kommt zu Jesus und spricht ihn an: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Wenn du willst sagt er. Wenn du willst heißt: Ich weiß, dass du es kannst. Es kommt nur darauf an, ob du willst. Es könnte sein, dass du nicht willst, aber auch dann glaube ich, dass du es kannst. Ich glaube an dich und deine heilende Kraft. Ich vertraue Dir. Ich glaube, dass du mein Leben von Grund auf ändern kannst. Glauben wir auch heute noch so an Jesus? Vertrauen wir ihm, dass er unser Leben radikal verändern kann? Oder gehen wir sogar noch einen Schritt weiter und erwarten von Gott, dass er alle Missstände auf der Welt (besonders die, die uns persönlich betreffen), bitte sofort per Wunder zu beheben hat? Es macht mich immer wieder betroffen, wenn Menschen sagen: Dies oder jenes Schlimme ist mir passiert. Jetzt kann ich nicht mehr glauben. Der Glaube schützt uns nicht vor Leid und Schmerz, vor Krankheit oder Trauer. Das Wunder einer Heilung oder Bewahrung kann nicht die Bedingung sein für unser Vertrauen in Jesus als den, der unser Leben verändern kann. Das Wesentliche ist nicht das Wunder. Das Wesentliche ist der Glaube an die Möglichkeit des Wunders.

3 Wenn du willst, kannst du mich rein machen. sagt der Kranke. Und Jesus jagt ihn nicht davon, wie andere Leute es getan haben. Er zuckt nicht zusammen, weil der Mann so schlimm aussieht, Jesus rümpft nicht die Nase, weil der Mann so stinkt, Jesus geht nicht schnell ein paar Schritte rückwärts. Jesus hat Mitleid. Er leidet mit. Jesus leidet mit allen von uns, die Angst haben, Schmerzen haben und einsam sind. Er lässt sich anrühren von uns, und er rührt uns an. Jesus streckt die Hand aus und berührt den kranken Mann. Er fasst ihn an, er fasst ihn tatsächlich an. Seit dieser Mann krank geworden ist, hat ihn niemand mehr liebevoll berührt. Das allein ist schon sensationell für den Aussätzigen. Und dann spricht Jesus ihm auch noch zu: Ich will! Sei rein! Jesus spricht mit ihm, er gibt ihm eine Antwort auf sein Anliegen. Ich stelle mir vor, wie er dem Aussätzigen dabei in die Augen sieht. So lange schon hat dieser schwerkranke Mann nur Ekel und Abscheu in den Augen seiner Mitmenschen gesehen - wenn er überhaupt jemandem nah genug kommen durfte, um in seine Augen zu sehen. In Jesu Augen liegt weder Abscheu noch Ekel. Dort sieht der Mann Mitleid und Liebe. Jesus wird vom Schmerz des Anderen persönlich angerührt. Als mein Sohn sich als Kind einmal den Arm gebrochen hatte, stand ich vor dem weinenden Kind und hätte am liebsten mitgeheult. Wäre es mir möglich gewesen, hätte ich ihn sofort geheilt, oder wenigstens seine Schmerzen auf mich genommen. So steht Jesus vor diesem Menschen. Unmittelbar und persönlich angerührt von seinem Leiden, wie ich damals als Mutter vor meinem leidenden Kind. Ich will! Sei rein! Das ist die Erlösung. Das ist das, wovon der Mann schon nicht mehr zu träumen gewagt hat. Er ist gesund. Von jetzt auf gleich! Vollständig geheilt. Ein Wunder! Wenn er sich dem Priester zeigt, wird der ihm offiziell bestätigen, dass er wieder rein ist. Nach der vorgeschriebenen Zeit wird unser Mann ein Dankopfer im Tempel darbringen und dann wird er wieder ein Teil der Gemeinschaft sein. Gemeinschaft mit den Menschen und das Erleben von Gottes Nähe. Kein Aussatz mehr, keine Ablehnung, keine Einsamkeit mehr. Ja, das ist doch toll, oder? Das kann man doch ruhig an die große Glocke hängen, oder? Warum will Jesus das geheim halten?

4 Denn Jesus schickt unseren Freund weg. Erzähl keinem davon! mahnt er ihn. Halte die Vorschriften ein! Und denk dran: Pssst! Aber natürlich erzählt der Geheilte es trotzdem überall rum. Man kann ihn ja verstehen! Und ich kann es mir auch gut vorstellen, wie er losläuft und es nicht für sich behalten kann: Guck mal, guck hier: Da war eine Riesenkruste. Du hast mich doch gesehen, von Weitem, neulich, wie ich aussah! Und jetzt, guck hier: Alles weg! Saubere Haut. Kein Eiter, keine Wunden, kein Schorf! Ich bin gesund. Das war dieser Jesus! Jesus hat mich geheilt. Es ist ein Wunder. Jesus ist ein Wunderheiler! Es spricht sich rum. Und bald kann Jesus nirgends mehr hingehen, ohne dass er erkannt wird. Da kommt Jesus, der Wundertäter! rufen die Leute. Tja, und das ist der Grund, warum Jesus eigentlich gern gehabt hätte, dass die Heilung ein Geheimnis bleibt zwischen ihm und dem Geheilten. Denn das Wunderwirken ist nicht Jesu eigentliche Aufgabe. Jesu Auftrag ist es, uns Gott nahezubringen, und uns nah zu Gott zu bringen. Wir sollen lernen eine Beziehung zu Gott in liebendem Vertrauen zu führen. Das ist der Hauptauftrag. Wir sollen lernen, Gott zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzem Willen und ganzer Kraft. Und unsere Mitmenschen zu lieben wie uns selbst. mk12,30 Das ist nicht immer so leicht und selbstverständlich, wie es sich anhört. So zu lieben fordert uns und verlangt uns etwas ab. Diese Lehrtätigkeit Jesu wird jetzt etwas schwierig, weil der Geheilte das Geheimnis nicht bewahrt hat. Jesus kann nicht mehr unerkannt in eine Stadt kommen. Deshalb bleibt er an abgelegenen Orten. Und trotzdem kommen die Leute von überall her zu ihm. Er ist ein Superstar, der berühmte Wunderheiler, und die Menschen kommen, weil sie weitere Wunder von ihm erwarten. Das macht seine eigentliche Aufgabe sehr viel schwieriger, denn jetzt will sich niemand mehr verändern lassen, sich herausrufen lassen aus Egoismus und Bequemlichkeit. Es geht nur noch darum, dass Jesus Wunder produzieren soll. Wenn man heute Menschen fragt, wer Jesus ist, dann sagen viele (und auch viele Christen): Jesus? Das war ein guter Mensch, der viele Wunder getan hat. Er hat Menschen geheilt und aus Wasser Wein gemacht! Aber der Auftrag, mit dem Jesus in die Welt gekommen ist, ist eben nicht allein das Wunderwirken. Jesus heilt Menschen, weil er ihnen Gottes Liebe damit zeigen will. Jesus heilt, weil er mit den Kranken leidet. Aber das ist nicht der Hauptauftrag, sondern nur so eine Art Kollateralnutzen.

5 Jesus wollte diese Geschichte geheim halten. Aber das hat nicht funktioniert, denn der Geheilte hat sie allen erzählt, und alle, die sie hörten, haben sie weitererzählt, bis sie dann ihren Weg in die Bibel fand. Deshalb erzählen wir das Wunder der Heilung des Aussätzigen bis heute weiter. Und mal ganz ehrlich: Schlimm ist das nicht. Denn was könnte die große Liebe Gottes zu jedem einzelnen von uns besser zeigen als diese Begegnung Jesu mit dem kranken Mann? Diese Geschichte sagt uns: Jesus lässt sich von uns ansprechen und berühren. Jesus sieht uns und das, was uns belastet. Jesus ist der große Liebende, der uns ganz und gar annimmt, wie wir sind. Und er kann unser Leben ganz und gar verändern. Und das ist kein Geheimnis. Gott sei Dank! AMEN