Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland in Deutschland e. V. gegr. 1953 Kurfürstendamm 72 D-10709 Berlin (030) 32 79 62 60 www.vakjp.de 30. Januar 2014 Stellungnahme der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten (VAKJP) zur Veranstaltung Reform der Psychotherapeutenausbildung am 19. Februar 2014. Die VAKJP ist der größte Berufs- und Fachverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Deutschland. Die 1600 Mitglieder der VAKJP sind Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -therapeuten mit der Fachkunde in analytischer und/oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie, sowie die 25 staatlich anerkannten VAKJP- Ausbildungsstätten für analytische und tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Die Frage der Ausbildungsreform wird innerhalb der VAKJP seit Jahren intensiv und teilweise kontrovers diskutiert. Ein großer Teil der Mitglieder und der Vorstand haben sich darauf verständigt, dass es sinnvoll ist, für einen Beruf und eine Approbation auszubilden mit entsprechender umfassender Schwerpunktsetzung in Bezug auf die Theorie und Praxis der Behandlung von Kindern und Jugendlichen bzw. Erwachsenen Altersgruppen und eines oder zwei wissenschaftlich anerkannte Psychotherapieverfahren im zweiten Teil der Aus- oder in einer Weiterbildung. Was wäre, wenn...... Psychotherapeuten zukünftig in den gleichen Strukturen aus- und weitergebildet würden wie andere akademische Heilberufe?...wären Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten durch ein wissenschaftliches Studium an einer Hochschule qualifiziert vorbereitet auf die Tätigkeit im Bereich der Heilkunde, der Lehre und Forschung und/oder in anderen Tätigkeitsfeldern wie der Rehabilitation....wären Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten finanziell und in Bezug auf den gesellschaftlichen Status den anderen Heilberufen gleichgestellt....würden KJP und PP gemeinsam ausgebildet und könnten sich für den jeweils anderen Bereich nachqualifizieren....würde der Kampf bei den Landesprüfungsämtern um die Bachelor- oder Masterqualifikation wegfallen....würden sich Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit dem Schwerpunkt KJP selbst ausbilden können, auch in Bezug auf die Lehrtherapie....würde aber auch die höhere Berufs- und Lebenserfahrung der Ausbildungskandidaten, die in der postgradualen Ausbildung durch das Studium und die Vorberufe eher vorhanden ist, wegfallen....würde die Zentrierung auf Psychotherapieverfahren (momentan die Verhaltenstherapie), die an Hochschulen mit entsprechend besetzten Lehrstühlen gelehrt werden, eine Schieflage in der Versorgung der Bevölkerung zur Folge haben. 1
Ziel der psychotherapeutischen Ausbildung sind wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die zu eigenverantwortlicher und selbständiger psychotherapeutischer Berufsausübung sowie zur Reflexion dieser Tätigkeit und u.a. weiterhin zur Ausübung von Forschung und Lehrtätigkeit (s. Entwurf des Berufsbildes der AG des Länderrats und des VS der BPtK) befähigt sind. Innerhalb der Ausbildung müssen grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden, die eine Approbation rechtfertigen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind mit Erhalt der Approbation befähigt ihren Beruf selbständig und eigenverantwortlich auszuüben. Dies bezieht sich auf alle Altersgruppen. Wegen der besonders schnell voranschreitenden körperlichen und psychischen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter, der speziellen Form verbaler und nicht-verbaler Kommunikation, der erhöhten Vulnerabilität in diesen Entwicklungsphasen sowie bei defizitären Entwicklungen der daraus entstehenden Folgeerkrankungen, sollte in der Ausbildung zu einem Beruf auf die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Behandlung auch der genannten Altersgruppe ein besonderer Schwerpunkt gelegt werden. Die Ausbildung muss also sowohl eingehende psychotherapierelevante wissenschaftliche Kenntnisse vermitteln als auch praxis- und patientenbezogene Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dazu zählt auch die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen psychotherapeutischen Tätigkeit. Diese sollte bereits im Studium in qualifizierter Supervision und einer verfahrensspezifischen Selbsterfahrung erworben werden (vgl. Lehndorfer/Timmermann 2013). Für die Tätigkeit in der umfassenden Versorgung psychisch kranker Menschen in der GKV und auch für verantwortungsvolle Tätigkeit in der stationären Versorgung ist bei einem Aus- und Weiterbildungsmodell eine entsprechende Fachgebietsweiterbildung (Altersschwerpunkt zur Behandlung von Kindern, Jugendlichen bzw. Erwachsenen, wissenschaftlich anerkanntes psychotherapeutisches Verfahren) nötig. In Bezug auf die Voraussetzungen orientieren wir uns an der von Kahl-Popp (2007) vorgeschlagenen Definition und Unterteilung in drei Grund-Befähigungen: 1. Personale Kompetenz: Die Fähigkeit des Psychotherapeuten, mit seiner Persönlichkeit günstige Voraussetzungen für ein psychotherapeutisches Arbeitsbündnis zu schaffen und zu dessen Aufrechterhaltung beizutragen. 2. Relationale Kompetenz: Die Fähigkeit, das psychotherapeutische Arbeitsbündnis als psychotherapeutische Beziehung zu gestalten. 3. Konzeptionelle Kompetenz: Die Fähigkeit, mit einem Behandlungskonzept ein für den Patienten heilsames Arbeitsbündnis zu verwirklichen (Kahl Popp 2007:88ff). Die theoretische Ausbildung sollte nach einem Grundlagenstudium, wie von J. Körner (2013) als Kontextstudium und Studium Generale beschrieben, nicht nur theoretische Kenntnisse über alle Psychotherapieverfahren vermitteln, sondern bereits entwicklungspsychologische und krankheitsspezifische Grundlagen lehren: Sozial-, persönlichkeits- und neuropsychologische Grundlagen Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie Psychologie des Denkens, der Motivation, des Lernens Eingehende Kenntnisse über Lebenswelten von Familien Allgemeine und spezielle Krankheitslehre im Kindes- Jugend- und Erwachsenenalter Allgemeine Krankheitslehre, Krankheitsbilder (Erklärungsmodelle) Psychosomatische Krankheitslehre Psychiatrische, einschließlich kinder- und jugendpsychiatrische Krankheitslehre Geschichte der Psychotherapie Techniken der Gesprächsführung Theorie und Praxis der Diagnostik bei unterschiedlichen Altersgruppen Diagnostik und Indikationsstellung unter Berücksichtigung der Krankheitslehren aller wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren und Methoden 2
Medizinische und pharmakologische Grundkenntnisse Methoden und Erkenntnisse der Psychotherapieforschung Berufsethik und Berufsrecht, medizinische und psychosoziale Versorgungssysteme, Organisationsstrukturen des Arbeitsfeldes, Kooperation mit Ärzten und anderen Berufsgruppen Prävention und Rehabilitation Die praktische Ausbildung erfolgt zuerst in Form von Hospitationen z. B. durch Teilnahme an diagnostischen Sitzungen und/oder hinter der Einwegscheibe. Die Studenten lernen so nicht nur die Theorie sondern erarbeiten sich anhand des Gesehenen oder Erlebten die Bedeutung der Symptomatik auf dem Hintergrund der Lebensgeschichte, des sozialen Kontextes und der Beziehungsgestaltung. Dabei können sowohl psychodynamische als auch systemische, verhaltenstherapeutische und gesprächstherapeutische Theorien zugrunde gelegt und auf die Praxis angewandt werden. Das gemeinsame Lernen und Arbeiten dürfte das Wissen über die Gesamtheit der wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren und Methoden fördern, aber auch Fähigkeiten zur differentiellen Indikationsstellung vermitteln. Die Reflexion und Auswertung von psychotherapeutischen Sitzungen kann an den Hochschulen nur durch in dem jeweiligen Verfahren ausgebildete Dozenten erfolgen. Die Selbsterfahrung bzw. Reflexion eigenen Handelns kann während des Studiums in Gruppen, aber auch in Einzelsitzungen angeboten werden. Ähnlich wie die praktische Ausbildung ist die Selbsterfahrung u. E. nur verfahrensspezifisch möglich. Sie kann darüber hinaus Erfahrungen in zwei oder mehreren psychotherapeutischen Verfahren und Methoden beinhalten. Vertiefung: Je nach der Struktur der Ausbildung erfolgt die Vertiefung entweder im fortgeschrittenen Ausbildungsteil oder nach dem Erwerb der Approbation in einer Weiterbildung: Behandlungskonzepte und -techniken in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen oder Erwachsenen (bei psychodynamischen Verfahren: Differenzierung von psychoanalytischer und tiefenpsychologisch fundierter Anwendung Verfahrensspezifische Diagnostik: z. B. szenisches Geschehen und Interaktion, Träume und Phantasien, therapeutisches Spiel, bildnerisches und plastisches Gestalten, Symbole, Mythen und Märchen in Diagnostik und Therapie Dynamik der Beziehungen zwischen Therapeut und Kind / Jugendlichen / Adoleszenten im psychotherapeutischen Behandlungsprozess: Übertragung und Gegenübertragung, Motivation, Widerstand Theorie und Technik der begleitenden Psychotherapie der Bezugspersonen des Kindes oder Jugendlichen / Adoleszenten im Hinblick auf deren psychische Beteiligung an der Erkrankung des Kindes oder Jugendlichen und im Hinblick auf deren Bedeutung für die Herstellung und Wiederherstellung der psychischen Gesundheit für das Kind oder den Jugendlichen / Adoleszenten Säuglings- und Kleinkindbeobachtung und Umgang mit Störungen der frühen Vater- Mutter-Kind-Beziehung Behandlungstechnik bei Langzeittherapie von Kindern und Jugendlichen / Adoleszenten und den bedeutsamen Beziehungspersonen in beiden psychodynamischen Verfahren Behandlungstechnik bei Kurzzeittherapie von Kindern und Jugendlichen / Adoleszenten und den bedeutsamen Beziehungspersonen Behandlungstechnik bei Kriseninterventionen von Kindern und Jugendlichen / Adoleszenten und den bedeutsamen Beziehungspersonen 3
Fallbesprechungen bzw. kasuistisch-technische Seminare Theorie und Technik der Fokusbildung und der Fallkonzeptualisierung Verstehen der intra- und interpersonellen Aspekte psychischer und psychisch mitbedingter Störungen in Paarbeziehungen, Familien und Gruppen, Behandlungskonzepte bei Familien- und Gruppentherapie Konzepte zur Dokumentation sowie zur quantitativen und qualitativen Evaluation von psychoanalytischen und tiefenpsychologisch fundierten Behandlungsverläufen Selbständige Durchführung von Behandlungen unter Supervision Gründliche Reflexion innerhalb einer Lehrtherapie bzw. bei analytischen Verfahren in einer die Ausbildung begleitenden Lehranalyse Jedes Psychotherapieverfahren dürfte bei der Zulassung zur Aus- bzw. Weiterbildung unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf die Lehre und die persönlichen Voraussetzungen der Studierenden für sich beanspruchen. Spezielle Kompetenzen für psychoanalytische Verfahren: In Bezug auf das Erlernen eines psychoanalytischen Verfahrens beschreibt Tuckett (2007), dass folgende spezifische Fähigkeiten erforderlich sind: 1. Relevantes Material (Affekte und unbewusste Bedeutungen) zu erspüren; 2. das Gespürte konzeptuell zu erfassen und 3. auf der Basis dessen Deutungen zu geben, sowie deren Wirkung zu spüren und konzeptuell zu erfassen (Tuckett 2006:53). Psychoanalytische Kompetenz kann nach Tuckett demnach folgendermaßen definiert werden: Sie umfasst die Fähigkeit, sich innerhalb dreier miteinander verbundener (und spezifisch psychoanalytischer) Rahmen zu bewähren (master) und zu arbeiten, die ich den teilnehmendbeobachtenden, den konzeptionellen und den Interventionsrahmen nenne. (ebd.). Wie bei der psychoanalytischen und tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie von Erwachsenen geht es auch bei der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie darum, die Bedeutsamkeit unbewusster Prozesse hinter dem auffallenden Verhalten und den Symptomen herauszuarbeiten und zu verstehen. Dabei wird immer auch die unbewusste Eltern-, Geschwister- und Familiendynamik berücksichtigt. Mit Hilfe von Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalyse wird das therapeutische Geschehen unter Nutzung regressiver Prozesse verstanden und durchgearbeitet. Bei Kindern wird der Entwicklung der Spielfähigkeit und Symbolisierungsfähigkeit besondere Bedeutung beigemessen (Baumeister-Duru, Hofmann, Timmermann, Wulf 2013). Psychoanalytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen erfordert insofern spezielle Kenntnisse, Erfahrungen und Handlungskompetenzen: Eingehende theoretische Kenntnisse und Erfahrungen über Entwicklungsphasen und Lebenswelten. Erfahrungen mit Kindern-, Jugendlichen bzw. Erwachsenen in sozialen und psychosozialen Feldern Beobachtung, Reflexion und Behandlung von Kindern und Jugendlichen in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen, beginnend mit der teilnehmenden Säuglingsbeobachtung, der Eltern-Kleinkind-Säuglingspsychotherapie, Vorschulkindern, Latenzkindern sowie Jugendlichen in der frühen, der mittleren und der Spätadoleszenz. Kenntnisse über Elternschaft als Entwicklungsphase, Ablösungs- und Trennungskonflikte bei Eltern, traumatische Erfahrungen und deren Weitergabe innerhalb der Generationen. Kenntnisse über die Auswirkung psychisch kranker Eltern auf die Entwicklung von Kindern. Kompetenzen im Umgang mit getrennt lebenden Eltern, insbesondere bei Sorgerechtsstreitigkeiten. Kenntnisse über familiäre Systeme, um die Familiendynamik erfassen und diagnostizieren zu können. 4
Erfahrung in Gesprächsführung mit Eltern, Geschwistern sowie Familien Besondere Fähigkeiten zur Triangulierung: Die psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfordert nicht nur den Blick auf das System, sondern darüber hinaus auch die Fähigkeit, sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen. In einer Kinderpsychotherapie ist es einerseits notwendig, den therapeutischen Raum mit dem Kind zu schützen und andererseits eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern der Patienten zu installieren, welche die Basis für das Arbeitsbündnis ist. Erstellung von Gutachten in der Forensik bzw. bei Familienrechtsstreitigkeiten Voraussetzungen dafür sind: Reflexion in Bezug auf die eigenen familiären Beziehungen, auch die Geschwister. Fähigkeit zu psychodynamischem Denken (s. personale und relationale Kompetenz). Empathiefähigkeit, Fähigkeit zur Rollenübernahme und zu angemessener Regulation von Nähe und Distanz (Abstinenz). Fähigkeit zur Wahrnehmung von Übertragungsphänomenen auf dem Hintergrund einer psychoanalytischen Selbsterfahrung in unterschiedlichen Settings (Einzel- Familie- Gruppe). Literatur Baumeister-Duru, A., Hofmann, H., Timmermann, H., Wulf, A. (2013): Psychoanalytische Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen und Depression Behandlungsmanual. Frankfurt: Brandes & Apsel. Lehndorfer, P., Timmermann, H. (2013): Übersicht über Inhalte und Standpunkte der Diskussion um die Novellierung der Psychotherapeutenausbildung. www.vakjp.de. Körner, J. (2013): Pladoyer fur eine Direktausbildung zum Psychotherapeuten Entwurf eines Studienganges "von der Profession her". Forum der Psychoanalyse, Bd. 29 (2). Kahl-Popp, J. (2007): Lernen und Lehren psychotherapeutischer Kompetenz am Beispiel der psychoanalytischen Ausbildung. Würzburg: Ergon. Tuckett, D. (2007): Ist wirklich alles möglich? Über die Arbeit an einem System zur transparenteren Einschätzung psychoanalytischer Kompetenz. Forum der Psychoanalyse, Bd. 23 (1). S. 44-64. 5