Medienpädagogische Trends



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Transkript:

Autor/en: Titel: Quelle: Verlag: Röll, Franz Josef. Medienpädagogische Trends. Ganguin, Sonja / Meister, Dorothee (Hrsg.): Digital native oder digital naiv? München 2012, S. 55 65. kopaed verlagsgmbh. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Die Zahlen in eckigen Klammern kennzeichnen das Seitenende der Originalausgabe. Franz Josef Röll Medienpädagogische Trends Wegen dem ständigen Wechsel an technisch-medialen Ausdrucksformen entsteht permanent ein Gap zwischen den medialen Erfahrungswelten von Medienpädagog Innen und denen von Kindern und Jugendlichen. Im Folgenden möchte ich beispielhaft einige gesellschaftliche Trends sowie neue Techniken beschreiben, die eine Herausforderung bilden könnten. Wie ich auch zeigen werde, haben einige MedienpädagogInnen und MedienkünstlerInnen bereits konzeptionell reagiert. Konsumorientierung multiversale Angebote Der Kauf eines Konsumartikels bedeutet für Kinder und Jugendliche nicht nur ein Produkt zu kaufen, sondern sich zugleich mit dem Produkt einer Interessen- und Neigungsgruppe zuzuordnen. Konsum bedeutet damit Inklusion und auch Exklusion. Kompetente Konsumentscheidungen werden zu einem wichtigen Erfolgsgaranten der Integration in lokale Lebensverortungen. Immer bedeuten Konsumentscheidungen zugleich auch eine Auswahl zu haben. Dies führt zu Wahrnehmungsskripten, die im Widerspruch stehen zu den Alltagserfahrungen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit. Zeitgemäße Medienpädagogik muss diese Erfahrungsmuster aufnehmen und pädagogische Konzepte anbieten, bei denen Wahlmöglichkeiten «bedient» werden. Kinder und Jugendliche müssen da abgeholt werden, wo sie stehen. Projekte müssen so gestaltet sein, dass eine Binnendifferenzierung möglich ist und sowohl handlungs- als auch gestaltungsoffene Räume angeboten werden und damit Wahlmöglichkeit gegeben ist. Wahlmöglichkeiten anzubieten enthält auch die Implikation, Lernerfahrungen offen zu gestalten. Die Lernenden werden als aktive Personen wahrgenommen, die bei der Wahl als auch der Umsetzung und der Ziele beteiligt sind, sie werden zu Ko-Konstrukteuren des intendierten Lernprozesses. [55] 1

Amateur und Profi Im ursprünglichen Sinne bedeutet Profi, sich disziplingetreu zu verhalten, d.h. sich der Logik und dem Selbstverständnis einer Disziplin «unter» zu ordnen. Auch in der Wissenschaft gilt der als «wissenschaftlich professionell», der sich einer Denk-Schule zuordnet und ausgehend von dieser Perspektive Welt und Wirklichkeit deutet. Es gibt bei uns eine Bevorzugung in sich abgeschlossener, isolierter Theorien gegenüber einer Selektion zutreffender Aussagen aus verschiedenen Theorien. Die Disziplinlosigkeit des Amateurs eröffnet neue Schnittstellen. Ganzheitliche Sichtweisen, Bezugssysteme und Verknüpfungen werden erkennbar. Während das einer Disziplin verbundene Denken, die sequentielle Logik, den rationalen Diskurs und kognitive Denkleistung begünstigt, fördert die Disziplinlosigkeit das assoziative, das emotionale und das rhizomartige Denken. Auch Sampling und Mashups sind methodische Verfahren, ausgehend von vorhandenem Datenmaterial, sich einem Thema zu nähern und Neues zu gestalten. Auch in Anbetracht beschränkter Ressourcen bedarf es der Fähigkeiten, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen. Derartige Fähigkeiten passen genau in das Anforderungsprofil, dem Jugendliche in der Wissensgesellschaft gegenüberstehen. Komplexe und kreative Lösungen auf anstehende Herausforderungen werden immer wichtiger und zugleich die Fähigkeit, sie aus unterschiedlichen Perspektiven auf ihre Sinnhaftigkeit reflektieren zu können. Beispielhaft für das Spannungsverhältnis von Amateur und Profi verweise ich auf den Film animoto high res (http://www.youtube.com/watch?v=odtnbohcxc8 [Stand: 06.12.2011]). Fotos und Videos werden zu einem Amalgam verdichtet, die Bildwelten stehen in keinem narrativen Zusammenhang, die gezeigten Bilder folgen dem Rhythmus der Musik, zugleich werden in komplexer Weise durch den Zusammenprall der Bilder (Montage) anregende Assoziationen ausgelöst. Kein Bild ist selbst kreiert, alle Bilder sind aus unterschiedlichen Quellen. Es gibt kein eigenständig geschaffenes Ausgangsmaterial und doch ist das Gesamtwerk ein originäres (Kunst-)Werk. Zugleich vermittelt das Produkt die Gewissheit, dass es nur eine von vielen möglichen Lösungen ist, jederzeit könnten Bilder ausgetauscht und/oder verändert werden, ohne dass die zentrale Aussage des Films dadurch verändert wird. Deutlich wird somit, dass es keine universellen Lösungen gibt. Die Mashup-Kultur fördert somit das multiverselle Denken. [56] Aufmerksamkeit In den achtziger Jahren war die handlungsorientierte Medienpädagogik geprägt von zwei unterschiedlichen Konzepten. Während eine Richtung sich bemühte, ästhetisierte Produkte zu erzeugen, die am Ende einer Projektphase der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten, stellte die prozessorientierte Konzeption die kommunikativen und sozialen Erfahrungen in das Zentrum des Lernprozesses. In den neunziger 2

Jahren kam es zu einer Verschmelzung beider Konzeptpositionen. Es standen halbprofessionelle Techniken zur Verfügung, die es erlaubten, auch bei geringem Budget vorzeigenswerte Produkte zu erzielen. Die in diesem Jahrzehnt deutlich zu beobachtende Ästhetisierung der Lebenswelt begünstigte den Trend, auch in der prozessorientierten Medienpädagogik ästhetische Ausdrucksformen verstärkt bei den Produkten zu berücksichtigen bei gleichzeitiger Beachtung der Prozesse. Der aktuelle Trend verweist auf sich veränderte Sehgewohnheiten. Nicht mehr die Qualität des Produkts (Ästhetik) ist entscheidend, ob ein Beitrag in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sondern der (virtuelle) Ort der Präsentation. Ein Produkt bekommt Anerkennung, wenn es an einem Ort präsentiert wird, der von den Jugendlichen anerkannt ist und zugleich dieser Ort Beziehungskonstellationen ermöglicht (Freundesnetzwerke). Dieser Ort ist für die filmische Ausdrucksform YouTube. Für Filme und andere visuelle Ausdrucksformen, die mit dem Handy produziert wurden, ist es qeep. Anerkannt sind nicht nur Filme, die nach dem traditionellen Verständnis gut gemacht sind, sondern vor allem Filme, die ungewöhnlich sind, unkonventionell, witzig, ironisch, ausdrucksstark, die ungewohnte Perspektiven zeigen. Dies bedeutet für die Medienpädagogik, dass die Integration von erstellten Produkten in vorhandene Freundes-Netzstrukturen und die Nutzung von virtuellen Kommunikations- und Beziehungskulturen zur universellen Schnittstellen für die Medienpädagogik werden. Beispielhaft möchte ich auf das von einer Salzburger Schulklasse produzierte Video Girls/Boys hinweisen (http://www.youtube.com/watch?v=p5fpfc8tcrc [Stand: 06.12.2011]), das u.a. von Iwan Pasuchin betreut wurde. Bei dem Produkt ist es in faszinierender Weise gelungen, Jugendliche zu motivieren, sich mit geschlechtsspezifischen Wahrnehmungsmustern auseinanderzusetzen. Interaktion, Beziehung, Handlung, Körper sind Stichworte, die andeuten, wie das Thema angelehnt an die HipHop Kultur, unter Nutzung der Sampling-Technik auf kongeniale Weise bearbeitet wird und zugleich kommt in dem Produkt Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit zum Ausdruck. [57] Fotobücher Digitale Fotografie Zwar lässt sich das Bild weiterhin als Basismedium der technologischen Abbildung und der visuellen Gestaltung bezeichnen, allerdings verliert das Bild als unikate Darstellung zunehmend an Bedeutung, aber als Teil von multimedialen Produkten ist es weiterhin unverzichtbar. Fotos können so mit Grafik, Tabellen und Text strukturell miteinander verbunden werden. Das Arrangement folgt jedoch nicht mehr den bisher verwandten dramaturgischen Regeln. Notwendig werden hypertextuale, netzartige Verknüpfungen, die eine individuelle, interaktive Bedienung der späteren Produkte erlauben. 3

Aber es lassen sich auch ebenso «traditionelle» Projekte mit dem Medium «digitale Fotografie» umsetzen, wenn die Themen dem Erwartungsprofil von Jugendlichen entsprechen. Wenn man ein Fotoprojekt «Casting», «Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken» oder als Fälscherwerkstatt anbietet, bei dem die Jugendlichen lernen können, wie digitale Bilder «verändert» werden, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Interesse geweckt wird. Es bedarf daher «nur» der Notwendigkeit, die Fotografie neu zu rahmen. Eine Möglichkeit wäre, Fotokalender zu machen, auch Fotobücher sind geeignete Folien, um sich mit dem eigenen Selbst, der Lebenswelt und/oder der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Abb. 1: HDA 2011, Fotobuch: Occupy Als geeignete Methode haben sich auch Sozialraumerkundungen und Projekte erwiesen, bei denen ein Begriff (z. B. Integration) im Zentrum der Recherchen steht. Die didaktischen Methoden der «Fotografie» können bewahrt bleiben, neu ist die Postproduktion. Neben der Verbesserung der Bilder können Montagen (Bildgegenüberstellungen) gemacht werden. Die Ergebnisse werden dann als narrative Erzählung in das Fotobuch integriert. Wiederum lernen die Kinder/Jugendlichen, dass es keine universellen Lösungen gibt, sondern eine Vielzahl von Variationen. [58] Ton-Dia reloaded Digitale Multivision Die Ton-Dia-Schau ist nicht zu Unrecht bereits seit Jahren eine museale Erinnerung. Verblüffend ist allerdings, dass die avancierte Form der Ton-Dia-Schau, die digitale Multivision, die digitale Fotografie und Ton mit dem Medium Computer (Steuereinheit) verknüpft, in der Medienpädagogik als Medium nicht eingesetzt wird, zumal bessere Steuerungstechniken und Software, die die Multivision bereits im Computer simuliert, technisch anspruchsvolle Beamerprojektionen ermöglichen. Nunmehr ist es problemlos möglich, Videos zu integrieren, Fotos zu animieren, Text und Grafik hinzuzufügen und durch Split-Screen lassen sich effektvoll komplexe Aussagen gestalten. Die eigentümliche Faszination, die von der Dia-Multivision ausgeht, beruht einerseits auf der ästhetischen Wirkung von groß projizierten Einzelbildern, andererseits auf der Verbindung von diesen Einzelbildern zu einer rhythmischen Collage. Durch die Verknüpfung von Bildern zu Sequenzen kann eine Beziehung zwischen den Bildern hergestellt werden. Die unter systematischen Gesichtspunkten in eine Reihenfolge 4

gebrachten Bildsequenzen können in einer Tonfolge zu einem synthetischen Gesamtwerk zusammengefügt werden. Noch gibt es keinen Trend, die digitale Multivision in der Medienpädagogik einzusetzen, aber es wäre wünschenswert. Abb. 2: HDA 2010, Digitale Multivision [59] Interaktive Filme YouTube-Videoanmerkungen Videoanmerkungen oder Annotations werden die Möglichkeiten genannt, interaktive webbasierte Videos herzustellen (http://www.youtube.com/t/annotations_about [Stand: 12.12.2011]). Nonlineare Inhalte können mithilfe von Anmerkungen, Beifügungen oder Hinzufügungen (Button) erzeugt werden. Jederzeit kann von einer Szene heraus eine andere Szene eingeblendet und/oder eine Texterklärung hinzugefügt werden. Bei den Annotationen handelt es sich um hypertextuale Erweiterungen, um Zusatzinformationen, die den Hauptstrang der Erzählung um wichtige Zusatzinformationen erweitern. Ohne die story structure zu stören oder die Narration des Films zu unterbrechen, können weitere Inhalte innerhalb der Ordnung des Filmes auf Seitenlinien platziert werden. Ebenso können Hintergrundinformationen und Metadaten in das Video eingefügt werden. Die Zuschauer werden beteiligt, unter verschiedenen Variationen sich für eine Geschichte zu entscheiden. Ebenso können Links zu anderen YouTube-Videos eingefügt werden. Der Inhalt, die Platzierung und die Zeit für die Einblendung der Anmerkungen werden von den Autoren festgelegt. Bei einer Tagung über «Neue körper- und raumbezogene Technologien in der Schule» des IQSH, Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig Holstein (Martina Ide) und der Schülerakademie der Universität zu Lübeck (Thomas Winkler) hatte ich die Gelegenheit zu beobachten, wie Schüler ihre Lehrer ausbilden, einen interaktiven Film mit YouTube-Annotations herzustellen. In faszinierender Weise offenbarten sich hier komplementäre Lernszenarien. Lehrende werden zu Lernenden, Lernende zu Lehrenden. 5

Selbstnarration Die Identitätsarbeit ist nach Auffassung von Heiner Keupp (1999) nie abgeschlossen, da in der Postmoderne davon ausgegangen werden kann, dass Jugendliche instabile Teilidentitäten entwickeln. Bei der Identitätsentwicklung handelt es sich daher um einen lebenslangen offenen Prozess. Identität ist heute als relationale Verknüpfungsarbeit, als Konfliktaushandlung, als Ressourcen- und Narrationsarbeit zu verstehen. Identität ist nach diesem Verständnis vergleichbar einem Projekt, das mithilfe von Selbstreflexion sich ständig verändert. Dadurch rückt die Selbsterzählung in den Mittelpunkt. Alle für das Selbst relevanten Erfahrungen müssen aufeinander bezogen werden. Es entstehen situationale Selbstthematisierungen, Teilidentitäten, aber auch teilidentitätsübergreifende Konstruktionen. [60] Das Web 2.0 bietet Kindern und Jugendlichen einen Erfahrungsraum für die Exploration ihrer Teilidentitäten und den Umgang mit ihnen. Bei ihrer Suchbewegung hin zu einer Kernnarration, der narrativen Verdichtung der Darstellung der eigenen Person, kann das Internet eine beachtliche Hilfestellung leisten, da die User im Internet ihre Identitäten nicht in einem Bewusstseinsakt gestalten, sondern im Kontext des aktuell geführten Dialogs. Die Synchronizität und die Interkonnektivität des Internets erlauben neue Formen von Beziehungen zwischen den Netzbenutzern und dem Kommunikationsraum, dabei eröffnet das Internet Zusatzräume, neue virtuelle Möglichkeitsräume. Da es keine einseitigen Diskurse gibt, impliziert dies eine Demokratisierung der Subjektkonstitution. Das Wiedererkennen, die Kontextualisierung und das Reflektieren der eigenen Person geschieht über Geschichten erzählen, das Spielen mit Sprache, Bildern und Tönen. Die Selbstdarstellungen in den Sozialen Netzwerken, die Präsentationen auf YouTube belegen diese Tendenz. Beispielhaft sei verwiesen auf Animoto Fun (http://www. youtube.com/watch?v=9uotmrcu808 [Stand: 12.12.20111]), Trend ist es, Software aus der Cloud zu nutzen. Ein sehr geeignetes Tool gerade für die Medienpädagogik ist Animoto (Werbeslogan: The end of slide shows). Eine Story-Engine-Maschine generiert Bilder, die auf einer Zeitleiste miteinander verbunden sind, zu einem professionellen Bilderfilm. DieJugendlichen können sich rechtefreie Musik aussuchen und haben die Möglichkeit, unterschiedliche Templates und Montageverknüpfungen auszusuchen. 6

Abb. 3.: Wiesbadener Kinder- und Jugendseiten [61] Ein Beispiel für Identitätsarbeit wurde von Verena Ketter betreut. In dem Projekt Ich, das Leben und die Liebe Bekenntnisse, Geständnisse, Enthüllungen und Entblößungen präsentieren Mädchen ihre multimedialen Selbstnarrationen (Teilidentitäten) in einem geschützten Raum (Pseudonym) und setzen sich dabei interaktiv mit der Selbstkonstruktion ihrer Identität auseinander. Tanzmedia Physical Cinema Katja Batzler von medien+bildung.com hat transmediale Ideen in ihr Konzept Tanzmedia integriert. Sie verknüpft Tanz, Choreografie, Körper- und Raumwahrnehmung, audiovisuelle Gestaltung und Dramaturgie zu einem Ensemble. Jugendliche entwickeln eigenständig Szenen, die sie in einem vorgegebenen Erfahrungsfeld, Vordergrund (Nähe, Gefühl, Emotion), Mittelraum (Handlungsebene in der Normalsicht) und Hintergrund (Aktionsraum der Distanz) darstellen. Die Aktionen werden mit Video aufgenommen und sind zeitgleich auf einer Leinwand zu sehen. Bei diesen Projekten kommt es zu einer Verarbeitung multioptionaler Sinneswahrnehmungen (Körper, Bild, Teamerinnen, Peers). Die Koordination von Seh-, Körper- und Raumwahrnehmung begünstigt die kreuzmodale Wahrnehmung, es kommt zu einer sensorischen Verknüpfung unterschiedlicher Sinneserfahrung. Die Sensibilisierung für musikalische Ausdrucksformen (Laufen im Rhythmus der Musik) wird gesteigert und Körper, Sinne und Kognition werden als Erfahrungsraum interpretiert, der sich permanent gegenseitig inspiriert. Das Projektergebnis der «Zaubertreppe» ist hier zu finden: http://www.medien-bilden.de/video/tanzmedia-experimente---srh-heidelberg/8022 737aa764c8200993ab751dbfa73b [Stand: 12.12.20111]. 7

Medien Streetart (mobiles Lernen) Medien Streetart nennt Verena Ketter ihr Konzept, mit mobilen Geräten Lebenswelt zu erkunden, mithilfe von Animoto Bilderclips zu erstellen und in Google Maps sowohl Fotos und Videospots zu integrieren als Konkretisierung einer subjektzentrierten Aneignung der Lebenswelt von Kindern. In Wiesbaden ist nach diesem Prinzip bereits eine Sozialraumkarte «Wiesbaden & Du» entstanden, die die komplexen Aktivitätsräume von Kindern und Jugendlichen dokumentiert und zugleich durch die Einbindung in die Kommunikationskultur des Web 2.0 den Jugendlichen die Möglichkeit bietet, sich und ihre Lebenswelt einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen. [62] In ihrem Konzept der mobilen Jugendarbeit ist ebenso das Entschlüsseln von QR- Codes, die Lösung von spannenden, kniffligen, actionreichen Aufgaben und/oder eine Schatzsuche mit Geocaching enthalten. Mit QR-Codes kann man Texte aller Art kodieren. QR-Codes sind zweidimensionale Codes, mit denen Texte, Bilder, Videos, Links uvm. verschlüsselt und z. B. mit der kostenlosen Software Kaywa (http://reader. kaywa.com/de [Stand: 12.12.2011)) auf dem Handy ausgelesen werden können. Ortungsdienste und Augmented Reality Das Handy könnte auch das Medium sein, mit dem ganz neue Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe erschlossen werden könnten. Der primär über Handy-Apps genutzte Ortungsdienst Gowolla verknüpft mithilfe von Geodaten einen interaktiven Fremdenführer und ein Tool für spontane Verabredungen mit spielerischen Komponenten. Mit diesem Tool kann aufgezeigt werden, welche Restaurants, Sehenswürdigkeiten oder sonstige interessante Örtlichkeiten sich in der Nähe des Nutzers befinden. Durch so genannte Badges, kleine virtuelle Aufzeichnungen, die sich im Profil des Nutzers wiederfinden, lädt der Dienst zu persönlichen Recherchen ein. An öffentlichen Plätzen, Kneipen und/oder Museen kann man nicht nur «einchecken», sondern auch Tipps hinterlassen. So lernt man Aspekte der «eigenen» Stadt aus personalisierter Sicht kennen, die einem bislang unbekannt waren und hat für «fremde» Städte einen perfekten Reiseführer, der vor allem Insider-Tipps enthält. Sobald man sich an einem Ort aufhält, den man anderen mitteilen möchte, kann man dort einchecken. Sollten sich Freunde des Nutzers in der Nähe aufhalten, informiert Foursquare (https:// de.foursquare.com) darüber und ermöglicht so spontane Treffen. In den gleichen Kontext passt die «augmented reality» (erweiterte Realität). Es handelt sich dabei um eine computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Mittels Einblendung/Überlagerung von Bildern, Videos, computergenerierten Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten kann die normale visuelle Wahrnehmung ergänzt werden. Michael Lange von Metaversa hat bereits Pilotprojekte umgesetzt. Er nennt seine Adaption Surfing the streets. Es handelt sich dabei um eine Handyrallye zu Drehorten des 1927 gedrehten Berlin-Films Sinfonie einer Großstadt (http:// 8

surfingthestreets.wordpress.com [Stand: 12.12.2011]). Mithilfe des Augmented Reality Browsers «Layar» werden Jugendliche zu ausgewählten Orten durch die Berliner Innenstadt geführt. Sie müssen Aufgaben lösen und erfahren dabei Interessantes über das Berlin der 20er-Jahre. [63] Ubiquitos & Wearable Computing «Ubiquitos computing» bezeichnet die Allgegenwärtigkeit rechnergestützter Informationsverarbeitung. Auf Mark Weiser (1988; vgl. 1991) geht die Vision zurück, dass der Computer als Gerät verschwindet und durch «intelligente Gegenstände» ersetzt werden wird. Immer kleinere Computer sollen Menschen unterstützen ohne abzulenken oder überhaupt aufzufallen. Beispiele für diese Computer sind Brillen, deren Innenseiten als Bildschirm dienen oder Armbanduhren, die ständig den Puls messen sowie Kleidungsstücke, in denen elektronische Hilfsmittel eingearbeitet sind, die zur Kommunikation und Musikwiedergabe dienen. Mit «Wearable Computing» bezeichnet man die Entwicklung von tragbaren Computer systemen, wie z. B. ein Hörgerät. Wenn ein Computersystem während der Anwendung am Körper des Benutzers befestigt ist, wird es auch Wearable Computer genannt. Während bei mobilen Computersystemen (Handy) die hauptsächliche Tätigkeit des Benutzers eine Transaktion mit dem Computer selbst ist, handelt es sich beim Wearable Computing um eine durch den Computer unterstützte Tätigkeit in der realen Welt. In der Medienpädagogik wird dieses Konzept in Form des Gestaltens und Programmierens von interaktiver Bekleidung und interaktivem Schmuck von Martina Ide eingesetzt. Damit ist eine Erweiterung eigener Körperdarstellung als Teil einer nach außen gerichteten Identität möglich. Schwarmprodukte Social Media fördert nicht nur das kollaborative Schreiben (Wiki, Etherpad), das gemeinsame Entwickeln von Anwendungen (Open Source-Bewegung), sondern auch das kollektive Produzieren von kreativen Ausdrucksformen. Es wird vermutet, dass durch die gemeinsame Produktion «Kollektive Intelligenz» erzeugt wird. Diese besonderen Fähigkeiten von Gruppen werden auch Schwarmintelligenz genannt. Bei diesen Schwarmprodukten verliert der einzelne als Autor seine exklusive Bedeutung. Wie gemeinsam Produkte erstellt werden können, möchte ich am Beispiel Life in a day aufzeigen (http://www.youtube.com/watch?v=xmxuoccn100 [Stand: 12.12.2011]). Nachdem YouTube seine User aufgerufen hatte, Erlebnisse, Erfahrungen und Beobachtungen, die am 24. Juni 2010 gemacht wurden, in einem Video zu dokumentieren, wurden insgesamt 80.000 Filme mit insgesamt 4500 Stunden Material aus 192 Ländern eingeschickt. 9

Drei Fragen wurden gestellt: Was liebst du? Was hast du in der Tasche? Was fürchtest du? Entstanden ist ein Film mit vielen Gegensätzen, dessen Dramaturgie sich zwischen Geburt (Geburt eines Kindes) und Tod (Love Parade, Duisburg) bewegt. Kein einzelner Filmemacher wäre in der Lage gewesen ein so vielfältiges Material zusammenzutragen. Dieses von den Filmemachern Ridley Scott und Kevin Macdonald umgesetzte Projekt sollte als Anregungsmaterial für eigene Schwarmprojekte anregen. Literatur Keupp, Heiner (1999): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek bei Hamburg. Weiser, Mark (1991): The Computer for the Twenty-First Century. In: Scientific American, pp. 94-10, September 1991. 10