Die Wiege der Alphornmusik

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Transkript:

Die Wiege der Alphornmusik von Hans-Jürg Sommer Die Wiege der Alphornmusik 1

2 Die Wiege der Alphornmusik

Die Wiege der Alphornmusik Kurzreferat im Rahmen eines Workshops am «2. Euregio Musikfestival» in Sonthofen/Allgäu, 2001. Einige Gedanken aus schweizerischer Sicht zu diesem Thema: Falls Sie es nicht bereits dem Programmheft entnommen haben, werden Sie trotzdem gleich nach meinen ersten Worten gemerkt haben... meine Wiege stand in der Schweiz. Obwohl wir die gleiche Sprache (Deutsch) sprechen und dazu die gleichen Schriftzeichen verwenden, gibt es da offensichtlich Unterschiede... wir nennen diese Unterschiede Dialekte. Genauso verhält es sich mit der Musik. Selbst aufgeschriebene, in Notenzeichen gesetzte Musik wird von den Interpretinnen und Interpreten in ihren Dialekt umgewandelt. Bitte denken Sie während meinen nachfolgenden Erläuterungen über die Alphornmusik immer auch an Sprache, an sprachliche Dialekte, so genannte Mundarten. Geburtsort und -stunde des Alphorns sind bis heute unbekannt. Noch weniger hat man über die Musik herausgefunden, welche in früherer Zeit auf diesem Instrument geblasen wurde. In Berichten aus dem 16. Jh. oder später wird von Signalrufen, «Kühreihen» aber auch von «Jodlern» gesprochen. Noten oder gar Tonaufzeichnungen dieser Melodien gibt es jedoch nur ganz wenige und oft nur in Fragmenten. Die älteste bis heute in der Schweiz gefundene Notation eines Kühreihens datiert um das Jahr 1700. Dass dieser Kühreihen (aus dem Appenzell) sich vorwiegend im Tonraum der Naturtonreihe bewegt, könnte den Schluss zulassen, dass er auch auf dem Alphorn geblasen wurde. Die Melodie bewegt sich zwischen dem 6. und 16. Naturton - d.h. relativ (in C) vom g bis zum c! In den hohen Lagen kommt sowohl das B als auch das H vor. Zur Erinnerung: die heutigen Melodien bewegen sich nur sehr selten höher als bis zum 12. Naturton (g ). Die Frage sei erlaubt, ob die Bläser in früherer Zeit wirklich bis in diese hohen Lagen blasen konnten. Spätere Aufzeichnungen von Alphornmelodien (auch hier meist nur Fragmente) bewegen sich oft nur im Tonraum zwischen dem 6. und dem 10. Naturton und ohne das etwas schief klingende B. Da aber die Instrumente in dieser Zeit kürzer gebaut wurden, kann man davon ausgehen, dass eigentlich im Tonraum zwischen dem 3. und 5. Naturton geblasen wurde. In dieser Region der Naturtonreihe gibt es gar kein B oder Fa. Dass in früheren Zeiten Melodien aufgezeichnet wurden, hing von vielerlei Faktoren ab. Mit grösster Sicherheit kannten die damaligen Bläser gar keine Noten. Es musste also ein Notenkundiger zum genau richtigen Zeitpunkt am genau richtigen Ort anwesend sein und die Fähigkeit haben, gehörtes aufschreiben zu können. Offensichtlich war dies nie der Fall oder die eventuell aufgezeichneten Noten gingen verloren. Die Wiege der Alphornmusik 3

Die ersten Aufzeichnungen von Alphornmelodien, die auch als solche deklariert sind, datieren aus der Mitte des 19. Jh. und stammen von A. de Torrenté, H. Szadrowsky und Ernst Heim. Es sind meist nur kurze litaneiartige Fragmente (zwischen 3. und 6. Naturton) oder Kühreihen auch in Kurzform (zwischen 6. und 12. Naturton). In der Sammlung «Schweizer Kühreihen und Volkslieder» von 1826 finden wir einige Melodien, welche sich in der Naturtonreihe bewegen und daher auf dem Alphorn geblasen werden können. Diese sind jedoch nicht ausdrücklich als Alphornmelodien deklariert. Noch bis ins Jahr 1980 wurde an den Wettspielen der Alphornbläser in der Schweiz die «Originalität» einer Melodie in die Bewertung einbezogen. Man meinte damit die typischen, regionalen alphornmelodischen Merkmale aus der Gegend des vortragenden Bläsers. Diese Merkmale wurden jedoch nie genau definiert! Es wurde also den Juroren überlassen, ob sie die Melodie als typisch «bernisch», «zentralschweizerisch» oder z.b. «westschweizerisch» empfanden. Eine Faustregel besagte, dass Melodien aus dem Bernbiet eher langsam und getragen gespielt werden sollen. Melodien aus der Westschweiz dagegen etwas beweglicher, fliessender. Der wichtigste Einfluss auf die Melodik und die Spielweise der Alphornmusik hatten jedoch unbewusst die Bläser und Juroren selbst. Wo sich die Bläser am Anfang des 20. Jahrhunderts noch aus den Reihen der Jodlerklubs rekrutierten, entdeckten mit der Zeit mehr und mehr Blasmusikanten das Alphorn. Ab der Mitte des letzten Jahrhunderts (um 1950) stammten ausnahmslos alle einflussreichen Leute (Kursleiter, Juroren, Komponisten und der grösste Teil der Bläserelite) aus den Reihen der Blasmusikanten. Die musikalische Kinderstube der Alphornbläser liegt, seit dieser Zeit, nicht mehr im Haus des Jodelgesanges, sondern im Haus der Blasmusik. Das hat von den meisten unbemerkt einen grundlegenden Stilwandel herbeigeführt. Der so genannte «Alphorn-Choral» wird heute von vielen als typische Alphornmelodie bezeichnet und empfunden. Dieser «Alphorn-Choral» ist jedoch nachweislich eine «Erfindung» des Alphornbläsers und Komponisten Robert Körnli (1903-1974) ebenfalls ein Blasmusikant. Körnli hat in den 1950er-Jahren die ersten «Choräle» für Alphorn geschrieben. Die zunehmende Beliebtheit des Instruments führte zu Zusammenschlüssen von Bläsern zu lokalen oder regionalen Übegemeinschaften. Der Verband organisierte schon seit einigen Jahren Kurse. Hier versammelten sich zu dieser Zeit 30 und mehr Bläser zum gemeinsamen Spiel. Um dieses Spiel und die entsprechende Schulung gezielt fördern zu können, schrieb Körnli einfache, getragene Melodien in einem dreistimmigen Satz und nannte sie «Choral». 4 Die Wiege der Alphornmusik

Die blasmusikgeschulten Bläser konnten nun, im Gegensatz zu ihren Vorgängern die Noten lesen, und da es fast keine anderen Noten für Alphorn gab, übte man diese Choräle auch in den lokalen Gruppen. Die am Abend oder an einem Sonntag Morgen am Waldrand übenden Bläser wurden von der Bevölkerung gehört, so dass mit den Jahren diese Form des Alphornspiels in der Erinnerung als typisch haften blieb. Blasmusik und auch der Chorgesang unterscheiden sich jedoch stilistisch stark vom Volksmusikgesang. Dieselben Noten werden anders interpretiert. Ein typisches Merkmal des Jodelgesanges ist beispielsweise die fast übertriebene Agogik (das Langsamerresp. Schnellerwerden). Ein anders Merkmal ist das Legato (gebundenes Spiel). Die Solmisation im Jodelgesang kennt fast keine harten Tonanschläge. Ein Jodel kann nicht in Marschmusikmanier vorgetragen werden. Im Blasmusik-Choral wird die Agogik eher zurückhaltend eingesetzt. So hat sich vor allem durch den Einfluss der alphornspielenden Blasmusikanten in den vergangenen ca. 60-70 Jahre die Interpretation, die Vortragsweise, der Stil der Alphornmusik geändert. Alphornmusik erklingt heute eher wie Blasmusik statt wie geblasener Jodel. Das Alphorn ist ursprünglich jedoch ein Hirteninstrument. Hirtenmusik im Alpenraum ist in seinen Ursprüngen jodeln, jauchzen. Die Wiege der Alphornmusik stand in der gleichen Stube wie diejenige des Jodels, des Alpengesanges. Alphornbläser sollten sich daher vermehrt und vertieft mit den typischen Merkmalen des Volksgesang, in ihrer Region auseinandersetzen. Ein in dieser Hinsicht äusserst erfreuliches Ereignis hat mir diese These bestätigt. Ein von mir in Noten gesetztes Alphornstück wurde von der Familie Hartmann aus Seifen (DE) in echter allgäuischer Manier vorgetragen. Es wirkte auf mich wie eine in schriftdeutsch geschriebene Geschichte, die im allgäuer Dialekt erzählt wurde. Ich würde diese Melodie anders spielen, in meiner schweizerischen Mundart. Das Geheimnis liegt also nicht in den Noten selbst, sondern in der Art und Weise wie diese Noten gespielt werden. Jede Alphornmelodie kann auch auf einem beliebigen Fanfareninstrument geblasen werden. Es muss also etwas anderes sein, das eine Melodie zur Alphornmelodie werden lässt. Ich rufe daher alle Alphornbläserinnen und -bläser auf, sich auf die Suche nach der Wiege der Alphornmusik zu machen. Die Ohren zu öffnen um das typische des regionalen Volksmusikgesanges erkennen zu können. Damit sie künftig auf dem Alphorn nicht blasen sondern in ihrem Dialekt singen lernen. H.-J. Sommer, im Frühjahr 2001 Die Wiege der Alphornmusik 5

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