Interview zum Thema E-Collaboration in der Automobilbranche Name: Stefan Bihler Organisation: Siemens Business Services in Stuttgart Position: Programm Manager Automotive Kurzeinführung in das Titel-Thema: Unter dem Stichwort E-Collaboration rückt die webbasierte, unternehmensübergreifende Zusammenarbeit mehr und mehr in den Mittelpunkt strategischer Überlegungen. Vor allem in der Automobilindustrie findet dieser Ansatz immer mehr Befürworter. Stefan Bihler, Programm Manager Automotive bei Siemens Business Services geht in diesem E-Interview auf die Chancen und Risiken von E-Collaboration ein. Außerdem gibt er Ratschläge für die Einführung von E-Collaboration sowie eine Prognose über die zukünftige Entwicklung. Sehr geehrter Herr Bihler, Warum wird das Thema E-Collaboration Ihrer Meinung nach im Moment so heftig diskutiert? Nachdem in der Industrie in den letzten zehn Jahren vor allem die Optimierung der innerbetrieblichen Abläufe mit Hilfe der Informationstechnologie im Vordergrund stand, neigt sich diese Entwicklung nun langsam dem Ende zu, da der zu betreibende Aufwand in den meisten Fällen in keinem sinnvollen Verhältnis mehr zu dem erwarteten Nutzen steht. Die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ist dagegen für viele Unternehmen mittlerweile überlebenswichtig geworden, denn wer sich im immer härter werdenden Wettbewerb behaupten will, tut gut daran, seine
Kosten zu senken und neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen als die Konkurrenz. Dieser Druck lässt sich nur durch die Externalisierung der Geschäftsprozesse auffangen und vor diesem Hintergrund gewinnt die Kollaboration mit allen an der Wertschöpfungskette beteiligten Partnern zunehmend an Bedeutung. Die Automobilindustrie gilt allgemein als Vorreiter für E-Collaboration. Wie lässt sich dies erklären? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer der wichtigsten ist sicherlich, dass man in der Automobilindustrie sowohl aktuelle Markt- und Branchentreiber, als auch geeignete Strukturen und Anwendungsfälle findet, um die Idee der webbasierten Zusammenarbeit schnell und durchgreifend umzusetzen. Aufgrund der relativ wenigen Marktteilnehmer ist das Segment Automotive zudem überschaubarer als andere Branchen, hat darüber hinaus aber in allen wesentlichen unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen identische Abläufe und war schon immer Vorreiter bei der Standardisierung von elektronischen Geschäftsprozessen. Außerdem gibt es eine sehr enge Bindung zwischen Herstellern und Lieferanten, was die Einführung neuer Technologien begünstigt. Schließlich beginnt sich gerade bei den Fahrzeugherstellern die Wertschöpfungskette deutlich zu verändern, denn nahezu alle führenden deutschen Automobilkonzerne gehen mittlerweile dazu über, größere Teile der Entwicklung und der Wertschöpfung an externe Spezialisten auszulagern. In welchen Bereichen der Automobilbranche wird E-Collaboration eingesetzt? Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Die Audi AG in Ingolstadt hat beispielsweise in einem Pilotversuch eine Lösung zur kooperativen Produktentwicklung eingeführt. JointX ist ein Tool der Siemens Business Services, welches es den Entwicklern des Autokonzerns ermöglicht, sich via World Wide Web über bestimmte
Prozesse abzustimmen, auf Dokumente zuzugreifen und gemeinsam an Plänen und CAD-Modellen zu arbeiten, selbst wenn ein Mitarbeiter beispielsweise gar nicht vor Ort ist, sondern in seinem Home-Office ein paar hundert Kilometer weiter arbeitet. Daneben kommt E-Collaboration auch bei den Firmen zum Tragen, die für den Einbau der elektronischen Systeme in ein Fahrzeug verantwortlich sind. Denn: In einem Fahrzeug der Premium Klasse kommen heute rund 40 verschiedene elektronische Steuergeräte zum Einsatz und diese Geräte können ihr volles Potenzial nur dann entfalten, wenn sie untereinander kommunizieren können. Da die Elektronik in der Regel aber nicht ausschließlich von einem Hersteller stammt, ist die webbasierte Zusammenarbeit dieser Firmen im Vorfeld besonders wichtig. Ohne E- Collaboration würde es sehr viel schwieriger sein, die elektronischen Steuergeräte ineinander greifen zu lassen. Neben den Autobauern erkennen aber auch viele Zulieferer beim Thema webbasierte Zusammenarbeit ihre Chancen. Unternehmensportale wie etwa das des weltweit führenden Automobilzulieferers Johnson Controls, in dem das Unternehmen mit seinen Kunden und Partnern gemeinsam ein Produkt entwickeln und bestimmte Prozesse optimieren kann, haben Hochkonjunktur. Wie wird bei dieser Art der Zusammenarbeit die Sicherheit der Daten gewährleistet? Um bei der Übertragung von einem Firmennetzwerk ins andere die Sicherheit der Daten zu gewährleisten, werden in den meisten Fällen so genannte Virtual Private Networks (VPN) aufgebaut, die eine sichere Datenkommunikation über die öffentlichen Netze ermöglichen. Für Außenstehende ist lediglich erkennbar, dass eine Kommunikation stattfindet, die Inhalte der ausgetauschten Daten können jedoch nicht eingesehen werden. Jedes Unternehmen bildet sein eigenes auf dem Internet Security Standard (IPSec) basierendes VPN, das durch eine individuelle Verschlüsselung gegenüber Außenstehenden abgesichert ist. Die für die Verschlüsselung benötigten Zertifikate werden von einem anerkannten Trust Center
bereitgestellt. So kann also jede Firma den gewünschten Geschäftspartnern Zugang zu ihrem persönlichen Virtual Private Network ermöglichen. Was sind die konkreten Vorteile der webbasierten Zusammenarbeit? E-Collaboration bietet vor allem den Firmen enorme Vorteile, die in übergreifende Prozessketten eingebunden sind. Zu nennen wären hier beispielsweise Kostensenkungen und größere Effizienz, wie das Projekt jointx bei der Audi AG zeigt. Seit der Einführung dieses Tools müssen keine aufwendigen Treffen mehr arrangiert werden, sondern Probleme und offene Fragen können schnell und unkompliziert und wenn nötig auch ad hoc geklärt werden. Zudem zeigt die Erfahrung, dass eine solche Zusammenarbeit in der Regel die Innovationskraft fördert, da die webbasierte Zusammenarbeit oft genau die Impulse gibt, die man für einen erfolgreichen Abschluss eines Projektes braucht. Was müssen Unternehmen beachten, die E-Collaboration umsetzen wollen? E-Collaboration ist nicht käuflich. Das heißt, es reicht nicht aus, nur eine Softwarelösung zu installieren, sondern es muss immer auch ein strategisches Konzept hinter den eigentlichen Prozessen stehen. Ist die virtuelle Zusammenarbeit nicht in die Geschäftsprozesse eingebunden, dann erleben die Unternehmen mit E-Collaboration meist eine böse Überraschung. Die größte Herausforderung liegt auch eigentlich nicht im Bereich der Software, sondern in der Integration der verschiedenen Partner auf der Prozess-Ebene. Denn solange sich eine Firma nicht über die strategische Relevanz einzelner Abläufe im Klaren ist, wird auch die Integration externer Partner keine Vorteile in der Geschäftsabwicklung bieten. E-Collaboration verändert die etablierten Geschäftsmodelle. Diese neuen Business-Konzepte zu entwickeln und deren Potenzial zu beschreiben sollte deshalb die Basis eines jeden erfolgreichen
Konzeptes sein. Ansonsten beschränkt sich E-Collaboration bestenfalls auf einen Datenaustausch, der auch per herkömmlicher E-Mail zu leisten wäre. Was bietet Siemens Business Services seinen Kunden in diesem Bereich an? Entscheidet sich ein Unternehmen für den Einsatz eines E-Collaboration-Konzepts, ist der erste Schritt meist der so genannte Electronic@Business Check. In diesem Prozess werden die Entscheidungsträger zunächst für das Thema sensibilisiert und der mögliche E-Collaboration-Ansatz in die E-Business-Strategie des Unternehmens eingeordnet. Danach folgt eine Phase, in der die Key-Business-Treiber und E-Collaboration-Potenziale der einzelnen Geschäftsprozesse bestimmt und in einem weiteren Schritt in Teilprojekte zerlegt werden. Im Anschluss erfolgt eine Nutzenbewertung und eine Kosten-Nutzen-Analyse. Sind diese Vorarbeiten abgeschlossen, entwickeln die Systemintegratoren von Siemens Business Services ein Implementierungskonzept, wählen die notwendigen Softwaretools aus und realisieren das Projekt. Der entscheidende Vorteil dieser Strategie liegt für den Kunden darin, dass er nicht nur sämtliche Leistungen aus einer Hand erhält, sondern auch eine individuelle Betreuung für seine Anforderungen, was gerade in der Automobilindustrie von entscheidender Bedeutung ist. Denn: Lösungen von der Stange haben in diesem Segment keine Chance. Wie sehen sie die zukünftige Entwicklung der webbasierten Zusammenarbeit in der Automobilindustrie? Die Unternehmen der Branche unterscheiden sich mittlerweile nicht mehr in erster Linie durch Produkte und Services. Heute macht derjenige das Rennen im globalen
Konkurrenzkampf, der die wettbewerbsfähigste Wertschöpfungskette besitzt, und zwar über die Firmen- und Abteilungsgrenzengrenzen hinweg. Im Moment muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, da die Mitarbeiter einer Firma dazu gebracht werden müssen, ihre Informationen mit Partnerfirmen oder Abteilungen auszutauschen. Eine der wesentlichen Hürden für die Verwirklichung ist dabei die Tatsache, dass es bis jetzt noch keine etablierten Spielregeln für beispielsweise den Umgang mit Innovationen gibt. Die verschiedenen Partner müssten hier quasi als Bestandteil des neuen Geschäftsmodells der unternehmensübergreifenden Collaboration im Prinzip etwas ähnliches einführen wie den Patentschutz. Mit einem solchen Konzept wäre es sicherlich wesentlich einfacher, web-basierte Collaboration umzusetzen. Trotz dieser Schwierigkeiten bin ich allerdings optimistisch, dass sich das Konzept durchsetzen wird, denn Unternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, ihre Partner nicht in ihre Prozessketten einzubinden. Tun sie es nicht, verlieren sie den Anschluss und damit längerfristig auch ihre Position auf dem Markt. Vielen Dank, Herr Bihler, für dieses Interview!