Fliegen in der Schule



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Transkript:

Fliegen in der Schule Philipp Öhler 26. November 2004

Inhaltsverzeichnis 1 Gründe und Ziele dieser Arbeit 1 2 Fluid-Dynamik im Physikunterricht 4 2.1 Was möchte man Schülern aus der Fluid-Dynamik vermitteln?..... 6 2.2 Was davon wurde bereits Wie in den österreichischen Schulbüchern behandelt? 6 2.3 Aufbereitung in leicht zugänglicher Literatur................. 8 3 Einmal Teilchenmodell, und dann? 11 3.1 Was versteht man unter dem Begriff Fluid?................ 12 3.2 Ein einfaches Fluid - Modell......................... 12 3.3 Präkozepte zum Begriff Druck......................... 16 4 Der Traum vom Fliegen 20 4.1 Welche Kräfte wirken auf ein Flugzeug?.................... 21 4.2 Wie kann sich ein 400 t schweres Flugzeug in die Luft schwingen?..... 27 4.3 Falsche Erklärungen des Phänomens Auftrieb............... 33 4.3.1 längerer Weg.............................. 33 4.3.2 Venturi................................. 34 5 Andere Phänomene der Fluid-Dynamik 36 5.1 Kleine und große Windräder und Propeller.................. 36 5.2 Regentropfen, oder manchmal regnet es Hamburger............. 39 5.3 Fallende Eiskristalle erzeugen Halos...................... 40 5.4 Aerodynamik bei Ballsportarten........................ 43 i

INHALTSVERZEICHNIS ii 5.4.1 Die Grenzschicht, Stromlinien und Wirbel.............. 43 5.4.2 Aerodynamik im Golfsport....................... 48 5.4.3 Bogenschüsse im Fußball........................ 49

Kapitel 1 Aus welchen Gründen und mit welchen Zielen diese Arbeit geschrieben wurde Die Reform des Oberstufenlehrplanes ist noch im Gange, doch zumindest der neue österreichische Lehrplan für die 6. Schulstufe (AHS und Hauptschule) schreibt als Kernstoff nacheinander die Kapitel Alle Stoffe bestehen aus Teilchen und Der Traum vom Fliegen vor. Schaut man sich aber die neueren Schulbücher darauf hin an, welche Art der Vermittlung dieser beiden Gebiete vorgeschlagen werden, dann ist man als didaktisch einfühlsamer (angehender) Physiklehrer einigermaßen verblüfft. Denn in der Präambel zum Lehrplan wird einerseits nachdrücklich empfohlen, die Physik als eine Wissenschaft vorzustellen, die systematisch vorgeht. Dort ist nämlich nachzulesen, dass der Unterricht das Ziel hat, den Schülerinnen und Schülern das Modelldenken der Physik (Realwelt - Modell - Modelleigenschaften - Realwelt) zu vermitteln und physikalisches Wissen in größere Zusammenhänge zu stellen. Insbesondere wird festgehalten, dass Modellvorstellungen - wie etwa das Teilchenmodell - und grundlegende Begriffe an allen geeigneten Stellen zur Erklärung von Vorgängen in Natur und Technik heranzuziehen sind, um altersadäquat aufbereitet immer tiefgreifendere Verständnisebenen zu erreichen. Unter anderem bedeutet dies, den Schülerinnen und Schülern nicht für jedes Phänomen eine eigene Erklärung anzubieten, sondern im Gegenteil möglichst viele zunächst verschieden an- 1

KAPITEL 1. GRÜNDE UND ZIELE DIESER ARBEIT 2 mutende Phänomene auf möglichst wenige gemeinsame Grundprinzipien zurückzuführen. In wie weit gelingt es nun den Schulbüchern, diesen Auftrag umzusetzen? Bei der Umsetzung der Lehrplanvorgabe Alle Stoffe bestehen aus Teilchen wird den Schülerinnen und Schülern erwartungsgemäß erklärt, dass auch der Stoff Luft ein aus solchen Teilchen bestehender gasförmiger Körper sei, in dem sich die Teilchen ständig in heftiger Bewegung befinden (vgl. z. B. [6], Seite 58). In manchen Schulbüchern wird auch noch unter der Überschrift Kinetische Wärmetheorie oder Kinetische Gas Theorie der Druck auf die Wände eines mit Luft gefüllten, auf dem Labortisch stehenden Zylinders als von den Luftteilchen verursacht gedeutet, die in großer Zahl und heftig auf die Wände stoßen. Wenn sich diese Schulbücher jedoch anschließend dem Lehrplanauftrag Der Traum vom Fliegen zuwenden, dann ist bei der Luft, die zwar noch immer ruht, aber nicht mehr von ruhenden Wänden umgeben ist, sondern von den Außenwänden eines Tragflügels mit konstanter Geschwindigkeit durchpflügt wird, von diesen Luftteilchen plötzlich keine Rede mehr! Und dies, obwohl den Schülerinnen und Schülern die beiden Situationen als eng verwandt erscheinen müssen! Stattdessen wird nach Erklärungen mit Hilfe der Werkzeuge Stromlinien, Bernoulli-Gesetz und umgelenkte Luftmassen gesucht. Das ist doch eine ganz und gar unphysikalische Vorgangsweise. Wie bereits betont, ist es doch das Wesen der Physik, Ordnung in unsere Weltsicht zu bringen, in dem sie möglichst viele Phänomene auf möglichst wenige Grundprinzipien zurück zu führen versucht. Und in einem solchen Programm ist es doch unabdingbar, die gleiche Luft immer mit dem gleichen Teilchenmodell zu beschreiben. Natürlich muss man in Kauf nehmen, dass man beim Traum vom Fliegen auf der Grundlage des Teilchenmodells in seinen Vorhersagen grob qualitativ bleiben muss, aber dies ist ja auf der Grundlage des Satzes von Bernoulli oder der umgelenkten Luftmassen - was in der fachdidaktischen Literatur heute ganz allgemein als Reaktionsmodell bezeichnet wird - auch nicht anders! Aus diesen Betrachtungen folgt ganz klar meine Zielsetzung für diese Arbeit: Diese kann und soll keine neuen Beiträge zur Theorie der Fluid-Dynamik liefern, denn es gibt bereits eine sehr gut funktionierende Theorie in dem Sinne, dass sie mit der Realität gut übereinstimmende quantitative Vorhersagen macht. Vielmehr soll sie im Geiste der Physik möglichst viele Strömungs-Phänomene aus der Erlebenswelt der Schülerinnen und Schüler

KAPITEL 1. GRÜNDE UND ZIELE DIESER ARBEIT 3 auf der Grundlage des Teilchenmodells der Luft erklärt werden. Jedes Modell hat seine Grenzen, und Aussagen jenseits dieser Grenzen besitzen keine Entsprechungen mehr beim Rückübersetzen in die reale Welt. Den Schülern werden dabei immer wieder die Grenzen dieser Konzepte durchaus bewusst gemacht, und man sollte auf diese Fallen immer wieder hinweisen. Dabei erhebt sich die Frage, warum man diese Konzepte überhaupt verwendet, wenn man um deren schnell erreichte Grenzen weiß? Warum verwendet man nicht ein all-umfassendes Konzept, mit dem man alle in der Natur vorkommenden Phänomene beschreiben kann? Die Beantwortung dieser Fragen in knappen Worten: Diese im folgenden vorgeschlagenen Konzepte und Modelle sind sehr einfach und anschaulich, während ein all-umfassendes Konzept so viel Information enthalten müsste - um eben dem Anspruch all-umfassend gerecht zu werden - dass sicher keine altersadäquaten Darstellungsmittel für die Schüler zur Verfügung stehen würde. Es ist nicht die Aufgabe des Physikunterrichts, quantitative Ergebnisse zu erzielen, zum Beispiel aufwändige Zahlenbeispiele aus dem Bereich der Aerodynamik an den Haaren herbei zu ziehen, nur damit man sieht, dass die Reynolds-Zahl eines Ford Fiesta eine andere ist als die eines Ferraris. Diese Aufgabe sollte wohl eher einem Physik-Institut für Aerodynamik übergeben werden, das mit der dafür notwendigen Rechnerleistung ausgestattet ist, die man benötigt, um die zugehörigen Gleichungen der Aero- und Hydro-Dynamik numerisch zu lösen. Als Leser-Zielgruppe sehe ich nicht nur meine Kollegen unter den Studenten des Lehramtes im Unterrichtsfach Physik, sondern auch die aktiven Physiklehrer. Wer sich von diesen Lesern bereits eingehend mit der Lösung der Navier-Stokes-Gleichung beschäftigt hat, wird natürlich einen ganz anderen Zugang zu einigen Themen haben, aber auch diese Personengruppe kann durchaus Brauchbares aus dieser Arbeit entnehmen, um Phänomene der Strömungsphysik anderen ohne großen Formelapparat anschaulich verständlich zu machen.

Kapitel 2 Fluid-Dynamik im Physikunterricht Jeder Mensch hat in seinem Leben mit strömender Luft Bekanntschaft gemacht, sei es nun beim Atmen, Pfeifen, Drachen steigen lassen, Hut-Festhalten oder Beobachten von Flugzeugen. Aber welcher Schüler hat sich schon einmal über strömende Gase und Flüssigkeiten konkret Gedanken gemacht? Welche Vorstellungen Schüler von Flüssigkeiten und Gasen (Fluids) haben, lässt sich nicht so einfach sagen, aber es würde sich lohnen, eine kleine Unterrichtseinheit dafür zu opfern. Ich werde noch ausführlich auf ein Modell von strömenden Flüssigkeiten und Gasen zu sprechen kommen, welches auf einfachste Art und Weise qualitative Aussagen über den Ausgang von Experimenten ermöglicht. Daneben ist notwendig, über die Herangehensweise zum Thema der Fluid-Dynamik zu diskutieren. Dies zeigt die - leider wahre - Geschichte von [23]. Um unseren Schülern ähnliche Konflikte zu ersparen, sei sie hier noch einmal erzählt: Im Physikunterricht wird zur Erklärung des Auftriebs von Flugzeugen die Bernoulli- Gleichung herangezogen. Dabei wird das Zustandekommen des Auftriebs auf die sich unterschiedlich schnell bewegenden Teilströme unterhalb und oberhalb der Tragfläche zurück geführt. Dies wird wiederum durch die verschieden gekrümmte Tragflügelober- und Tragflügelunterseite erklärt. Als ich meinen Lehrer fragte, wie denn dann ein Flugzeug kopfüber fliegen könne, geriet dieser völlig aus der Fassung und bestritt sogar, dass dies möglich wäre. 4

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 5 Als interessierter Schüler ist man manchmal nicht so leicht zu stoppen. Ich machte mir die Mühe und brachte am nächsten Tag einen selber gebastelten Flieger aus Balsaholz mit. Dieser Flieger hatte als Tragflächen überhaupt nur eine dünne Holzplatte (also nichts von unterschiedlich gekrümmten Oberflächen), die auch umgedreht werden konnte, so dass die Unterseite der Tragfläche dann zur Oberseite wurde und umgekehrt. Ich wollte damit der ganzen Klasse beweisen, dass der Physiklehrer nicht recht hatte, mit dem was er sagte. Die Folge war, dass ich einen Termin beim Schuldirektor hatte. Der Vorwurf war, dass ich mit Papierfliegern den Unterricht gestört hatte. Nach der Verwarnung des Direktors wandte ich mich an meinen Mathematiklehrer. Dieser empfahl mir, mich in die Bibliothek zu setzen und selbst heraus zu finden, warum Flugzeuge fliegen. Zu meiner Überraschung stimmten aber alle in den Büchern angeführten Argumente mit denen meines Physiklehrers überein. Einerseits war es ein Schock festzustellen, dass mein Lehrer und sogar die Bücher aus der Bibliothek mit ihren Ansichten falsch liegen könnten. Andererseits war es auch eine Offenbarung, dass man auch trotz einer so starken Opposition (Lehrer und Bücher) sich auf die eigenen Gedanken verlassen kann. Jef Raskin war Professor an der Universität von Kalifornien in San Diego und am Entwicklungsprozess des Macintosh Computers von Apple beteiligt. Sein Spezialgebiet ist aber nach wie vor der Modellflugzeugbau. Bei der Fluid-Dynamik geht es also um jene Vorgänge, bei denen ein strömendes Fluid (egal ob Luft oder Wasser) eine entscheidende Rolle spielt, aber auch um Vorgänge, und das sind eigentlich die meisten, bei denen sich ein Objekt durch mehr oder weniger in Ruhe befindliche Luft bewegt. Nach der Newtonschen Mechanik spricht natürlich nichts gegen einen Wechsel des Bezugssystems, der aus der Bewegung eines Körpers in ruhender Luft einen ruhenden Körper in strömender Luft macht. Notwendig ist dies allerdings nur für Werkzeuge wie Stromlinien und Bernoulli-Gleichung. Denn diese haben eben ihre Berechtigung nur bei Anwesenheit eines strömenden Gases oder einer strömenden Flüssigkeit.

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 6 2.1 Was möchte man Schülern aus der Fluid-Dynamik vermitteln? Ich möchte den Schülerinnen und Schülern anhand von Beispielen aus ihrer Erlebniswelt ein grundlegendes Verständnis der Fluid-Dynamik vermitteln. Die Suche nach geeigneten Beispielen fällt nicht schwer, da unsere technisierte Welt voll von Phänomenen der Fluid- Dynamik ist. Als Paradebeispiel möchte ich hier den Traum vom Fliegen anführen, der sogar als eigener Lehrstoff-Kernbereich im Lehrplan Physik angeführt ist. Auch in Ballsportarten wie Fußball, Golf und Tennis spielt die Fluid-Dynamik eine wichtige Rolle. Darüber hinaus gibt es auch eine Menge Phänomene aus der Erlebniswelt der Schüler, die erst auf den zweiten Blick mit der Fluid-Dynamik zusammenhängen, zum Beispiel fallende Regentropfen, oder die Entstehung von Halos. Weiter sollten die Schülerinnen und Schüler dadurch angehalten werden, mit offenen Augen unsere Welt wahrzunehmen und in der Lage sein, selbstständig einfache und qualitativ richtige Erklärungen von Phänomenen aus der Fluid-Dynamik zu finden. 2.2 Was davon wurde bereits Wie in den österreichischen Schulbüchern behandelt? Da Der Traum vom Fliegen einen Kernbereich des österreichischen Lehrplans darstellt, fehlt in keinem der von mir gefundenen Schulbücher eine Erklärung des aerodynamischen Auftriebes. Auf den ersten Blick schauen diese Erklärungsversuche ziemlich verschieden aus. Doch bei genauerer Betrachtung erkennt man eine Gemeinsamkeit: In allen Zitaten wird der Auftrieb als Kraft beschrieben, deren Ursprung in der charakteristischen Wölbung, Form der Tragfläche (Oberseite mehr gewölbt als die Unterseite), Flügelform und konsequentes Anwenden der Bernoulli-Gleichung liegt. So erklärt [17]: Infolge der Flügelform entstehen oberhalb des Tragflügels enge Stromlinien und somit nach dem Gesetz von Bernoulli ein Unterdruck, unterhalb desselben weite Stromlinien und daher ein Überdruck. Die durch den Überdruck entstehende senkrecht nach oben gerichtete Kraft wird als aerodynamischer Auftrieb bezeichnet.

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 7 Ganz ähnlich argumentiert [30]: An Tragflächen, deren Oberseite mehr gewölbt ist als die Unterseite, ist die Geschwindigkeit der Luftströmung an der Oberseite größer als an der Unterseite. Dadurch entsteht an der Tragflächenoberseite ein Unterdruck, der als Luftkraft auf die Tragfläche nach oben wirkt. Die Luftkraft und damit der aerodynamische Auftrieb werden darüber hinaus durch den Anstellwinkel der Tragfläche gegen die Luftströmung bestimmt. An zu steil angestellten Tragflächen reißt die glatte Strömung der Luft ab, es entstehen Luftwirbel hinter der Tragfläche mit einer die Fluggeschwindigkeit und Stabilität des Flugzeuges stark vermindernden Sogwirkung. In [19] kann man lesen: Bewegt man eine gewölbte Tragfläche (engl. wing) relativ zur Luft, erfährt sie eine Auftriebskraft. Wegen der besonderen Form dieser Tragfläche (Profil) strömt die Luft oberhalb der Fläche mit einer größeren Geschwindigkeit als unterhalb. Die unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bewirken nach dem Bernoulli-Gesetz oberhalb der Tragfläche einen Unterdruck. In [26] liest man: Die Stromlinien werden oberhalb der Tragfläche zusammengedrängt, d.h. die Strömungsgeschwindigkeit ist oberhalb der Tragfläche größer als unterhalb. An der Oberseite entsteht ein Unterdruck, an der Unterseite ein Überdruck. Beide wirken so zusammen, dass eine Kraftwirkung normal zur Strömungsrichtung zustande kommt. Dabei beeinflusst der Anstellwinkel zwischen der Strömungsrichtung und der Tragflügelsehne die Strömungsverhältnisse um den Körper wesentlich. Auf eine kurze Erklärung beschränkt sich [14]: Die Form der Tragfläche bewirkt, dass die Luft an der Oberseite schneller strömt als unten. Dadurch herrscht oben ein kleinerer Druck als unter der Tragfläche. Dieser Druckunterschied bewirkt eine nach oben gerichtete Kraft - die aerodynamische Auftriebskraft. In [27] ist diese Erklärung zu finden: Durch die charakteristische Wölbung des Tragflächenprofils werden die Stromlinien oben zusammengedrängt, während sie unter der Tragfläche einen größeren Abstand voneinander haben. Die Luftteilchen bewegen sich also längs der Oberseite wegen des längeren Weges rascher als längs der Unterseite. Infolgedessen ist der Druck auf der Oberseite geringer als der Druck, der auf die Unterseite der Tragfläche einwirkt. Die Fläche wird daher im Luftstrom des Fahrtwindes gehoben. Sie erfährt einen hydrodynamischen Auftrieb. Dass dies so auf keinen Fall stimmen kann, wissen wir bereits aus der Geschichte von

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 8 Jef Raskin. Und natürlich wird das tatsächliche zustande Kommen des Auftriebs später (vgl. Kapitel 4 auf Seite 20) von mir ausführlich diskutiert. Über Ballsportarten im Zusammenhang mit der Fluid-Dynamik habe ich in den österreichischen Schulbüchern nichts gefunden. In [27] wird zwar der schiefe Wurf behandelt, allerdings unter Vernachlässigung des Luftwiderstandes. Ähnlich verhält es sich in anderen Schulbüchern. Bei der Suche nach anderen Phänomenen, die auch mit Hilfe der Fluid-Dynamik durch die geeignete Beschreibung mittels Teilchen Modells erklärt werden können, sind die meisten Schulbücher leider nicht sehr einfallsreich. Allerdings kann man als Entschuldigung auch anführen, dass die Suche nach solchen Phänomenen, nicht unmittelbar aus dieser Klasse von Vorgängen erkennbar, sehr Zeit aufwendig ist. 2.3 Was davon wurde bereits Wie in anderer, dem Lehrer bzw der Lehrerin leicht zugänglicher Literatur aufbereitet? Zur Fluid-Dynamik gibt es schon eine Menge von Büchern, Zeitschriften, Artikeln, Beiträgen im Internet,.... Im Rahmen einer Literatursuche für den Unterricht sind nach wie vor Zeitschriften wie The Physics Teacher, Physik in der Schule, Praxis der Naturwissenschaften, Physik oder Plus Lucis am verlässlichsten. Aber auch einige Adressen im Internet haben sich als sehr hilfreich herausgestellt (vgl. [31], [8] und [21]). Exemplarisch möchte ich die Artikel von Klaus Weltner (vgl. [29]), Christian Rühenbeck (vgl. [24],[25]) und Klaus Liebers (vgl. [18]) hervorheben. In seinem Unterrichtsvorschlag für eine Behandlung der Auftriebskraft schreibt Liebers: Die Lösung des Problems kann für uns nur im weiteren Suchen eines Weges bestehen, der in einer die Möglichkeiten der Schüler berücksichtigenden Weise auf dem Fundament des Bernoulli-Gesetzes besteht. Er fordert damit nicht die mathematische Gleichung oder alle Inhalte dieses Gesetzes im Unterricht zu berücksichtigen oder die Bezeichnung dieses Gesetzes einzuführen. Aber von der Grundidee her muss nach Liebers die Erklärung des Auftriebs über die Druckverhältnisse ober- und unterhalb des Tragflügels erfolgen.

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 9 Nach Rühenbeck scheint der Kern der Erklärung jener zu sein, der seit Kutta (1902) und Joukowsky (1906) in der Literatur existiert. Er schreibt: Durch Umstände, die in der Literatur an dieser Stelle leider nicht in unmissverständlicher Klarheit beschrieben werden, wird die Umströmung eines angestellten Flügels so verändert, dass eine Querkraft, ein aerodynamischer Auftrieb entsteht. Diese Querkraft vermag ein Gewicht zu kompensieren, d.h. ein Flugzeug zu tragen. Weiter schreibt Rühenbeck: Zur Erklärung dieser Querkraft wird das mathematische Modell einer Zirkulationsströmung um den angestellten Flügel herum verwendet, zusammen mit zwei Erfahrungen aus der Strömungslehre, der Bernoulli- Gleichung und der sogenannten Kuttaschen Abflussbe-dingung. Nach Weltner wiederum stützt sich eine korrekte und vollständige Erklärung des aerodynamischen Auftriebs auf die Grundgesetze der Mechanik und die den Schülern bekannten Rückstoßphänomene. Die horizontal durch die ruhende Luft bewegte Tragfläche beschleunigt die Luft in ihrer Umgebung nach unten. Diese Vertikalbeschleunigung der Luft lässt sich durch einfache Versuche zeigen (vgl. [29]). Dafür muss von der Tragfläche eine Kraft auf die Luft ausgeübt werden. Die entsprechende Reaktionskraft ist der Auftrieb. Von der Unterseite wird die Luft nach unten gedrückt, von der Oberseite wird die Luft nach unten gesogen. Mit dieser Druckverteilung erfolgt die Kraftübertragung zwischen Tragfläche und Luft. Weltner diskutiert auch die problematischen Erklärungsversuche des Auftriebs mittels Bernoulli-Gleichung: Bei dieser Erklärung wird zunächst das Bernoullische Gesetz über den gegenläufigen Zusammenhang zwischen Druck und Geschwindigkeit in strömenden Flüssigkeiten und Gasen dargestellt. Manchmal wird dieser Zusammenhang als Tatsache mitgeteilt und an Beispielen demonstriert, manchmal wird das Gesetz mit Hilfe von Energiebetrachtungen abgeleitet. Als Vergleich lassen sich die meisten heute gebräuchlichen Schulbücher anführen (vgl. [17], [19], [14] und [27]). Nach dieser Vorbereitung wird darauf aufbauend der aerodynamische Auftrieb erklärt. Dabei wird die Druckdifferenz zwischen Oberseite und Unterseite der Tragfläche durch eine Geschwindigkeitsdifferenz der beiden Teilströme und Anwendung der Bernoulli-Gleichung erklärt. Die meisten Lehrbücher umgehen die Frage nach der physikalischen Ursache der Geschwindigkeitsdifferenz ganz oder geben nichtssagende Begründungen wie charakteristische Wölbung, Form der Tragfläche (Oberseite mehr gewölbt als die Unterseite), Flügelform. Die Hypothese, dass vor der Tragfläche

KAPITEL 2. FLUID-DYNAMIK IM PHYSIKUNTERRICHT 10 benachbarte Luftteilchen, auch hinter der Tragfläche wieder zusammentreffen müssten, ist schon gar nicht haltbar. Diese Erklärung wird daher gerade von denjenigen Lehrern und Schülern als unbefriedigend empfunden, die gründlicher nachdenken. Die Erklärung der Geschwindigkeitsdifferenz mit Hilfe des Begriffs der Zirkulation, wie sie von Rühenbeck vorgeschlagen wird, ist einerseits für die Schule (6.Klasse AHS) unbrauchbar und andererseits keine Erklärung, sondern lediglich eine begrifflich präzisere Beschreibung der Tatsache, dass die Geschwindigkeit an der Tragflächenoberseite größer ist als die an der Tragflächenunterseite. [29]: Eine Zirkulation liegt vor, wenn Geschwindigkeitsdifferenzen vorhanden sind. Sie ist nicht die Ursache für die Geschwindigkeitsdifferenzen, sondern eine mathematische Beschreibung derselben. Einzig Weltners Erklärung des aerodynamischen Auftriebs scheint eine in sich geschlossene, anschauliche und altersadäquate Beschreibung zu sein, abgesehen von der unglücklichen Wortwahl des Saugens. An dieser Stelle muss der Einwand, dass es saugen in unserem Modell gar nicht gibt, schon hervorgehoben werden. Wie sollte dieses Saugen zustande kommen? Besser sagt man: an der Unterseite der Tragfläche herrscht Überdruck, an der Tragflächenoberseite dagegen Unterdruck. Dieser Druckunterschied ist als Ursache für die Kraft, die ein Flugzeug am Himmel hält anzusehen! Die Anforderungen des Lehrplans besagen, dass den Schülerinnen und Schülern das Modelldenken der Physik (Realwelt - Modell - Modelleigenschaften - Realwelt) zu vermitteln und physikalisches Wissen in größere Zusammenhänge zu stellen ist. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind dabei Modellvorstellungen - wie etwa das Teilchenmodell - und grundlegende Begriffe an allen geeigneten Stellen zur Erklärung von Vorgängen in Natur und Technik heranzuziehen. Es ist unabdingbar, die Luft im Rahmen der Fluid- Dynamik mit Hilfe desselben Teilchenmodells zu be-schreiben, das im Unterricht zuvor zur Beschreibung anderer Vorgänge aus der Erlebniswelt der Schülerinnen und Schüler schon eingeführt und mehr oder weniger ausgiebig benutzt wurde.

Kapitel 3 Wer im Physikunterricht für Luft einmal das Teilchenmodell verwendet hat, muss dabei bleiben Es widerspricht dem Geist der Physik, für Phänomene, bei denen Luft eine wichtige Rolle spielt, für diese Luft ganz verschiedene Modelle zu verwenden, je nachdem welchem physikalischen Gebiet das betrachtete Phänomen zugeordnet wird. Dennoch wird in allen Physikschulbüchern in der Wärmelehre die ruhende Luft unter dem Abschnitt Kinetische Gas Theorie durch ein Modell von herumschwirrenden Luftmolekülen beschrieben, die auf die Wände des sie einschließenden Behälters prasseln und auf diese Weise den vom Beobachter festgestellten Druck erzeugen. Wir unternehmen also einige Anstrengungen, um den Schülern beizubringen, dass zum Beispiel der Luftdruck um und der Überdruck in einem Mountainbike-Reifen vom Bombardement der Luftmoleküle herrührt. Blättert man jedoch zum Traum vom Fliegen weiter, so ist dieses Modell für Luft wieder vollkommen verschwunden. Denn obwohl beim Auftrieb sehr ein-gehend vom verschiedenen Druck unter- und oberhalb des Tragflügels die Rede ist, ist die Ursache dieses Drucks plötzlich nicht mehr das Aufprasseln von Molekülen sondern eine abstrakte und den Schülern anschaulich nicht einsichtige Bernoulli-Theorie. Und dies, obwohl im Lehrstoff Kernbereich Physik, 2.Klasse steht: Alle Körper bestehen aus Teilchen. Ausgehend von Alltagserfahrungen sollen die Schülerinnen und Schüler immer intensiver mit dem Teilchenmodell und seinen 11

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 12 Auswirkungen auf diverse Körpereigenschaften vertraut gemacht werden. Das heißt aber doch, dass für Gase und Flüssigkeiten immer das Teilchenmodell angewendet werden soll. Alles andere ist schlechte Didaktik. 3.1 Was versteht man unter dem Begriff Fluid? Sowohl Flüssigkeiten als auch Gase können strömen. Ursache einer Strömung ist immer eine Druckdifferenz, die mannigfache Ursachen haben kann. Was kennzeichnet eine Strömung? Am anschaulichsten ist wohl das Bild eines kleinen Bachs der einfach seinem Bett folgt, Hindernisse (große Steine) umströmt, Wirbel bildet, einmal recht schnell fließt und dann wieder langsam dahin plätschert. Abgefallenes Laub, das der Bach mit sich führt verrät uns Genaueres über die Eigenschaften der Strömung. Blätter die zu Beginn ihrer Reise ganz nahe beisammen waren, müssen sich einige Zeit später nicht mehr nahe sein. Ähnliches kann man auch beobachten, wenn eine Windböe über den Sandstrand fegt. Auch die einzelnen Sandkörner entfernen sich im Zeitablauf unter Umständen weit von einander. Die ist ein Beispiel für eine Luftströmung, wobei die Sandkörner als Marker wirken, die uns mehr über die Bewegung der Luft verraten. Von einer Strömung kann also sowohl in Luft als auch in Wasser die Rede sein. Im Englischen gibt es auch einen Begriff der beide Arten des Aggregatzustandes zusammenfasst: Gases as well as liquids flow; Hence, both are called fluids. 3.2 Ein einfaches Fluid - Modell Jeder Körper besteht aus Teilchen. Bei der Genauigkeit, mit der wir für die Zwecke der Fluid-Mechanik hinschauen sind diese Teilchen Atome und Moleküle (bei noch genauerem Hinschauen bestehen diese wieder aus Elektronen, Protonen und Neutronen, aber das ist eine andere Geschichte). Unter normalen Umstanden existieren Körper in den drei Aggregatzuständen Festkörper, Flüssigkeit oder Gas. Luft, die unsere Atmosphäre ausmacht, ist ein Gas. Jedes Gas besteht aus einer großen Anzahl von Molekülen, die sich frei im Raum bewegen und von einander nur etwas spüren, wenn sie sich sehr nahe kommen. Diese mikroskopische Sichtweise eines Gases heißt

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 13 die Kinetische Gas Theorie. Abbildung 3.1: Mikroskopisches Modell eines Gases Die Moleküle eines Gases sind sehr klein im Vergleich zu den Abständen zwischen den einzelnen Molekülen. Sie bewegen sich durch den ihnen zur Verfügung stehenden Raum, und kollidieren ständig untereinander und mit den Wänden des begrenzenden Behälters (sofern das Gas in einem Behälter eingesperrt ist). Die Moleküle werden von uns als Massenpunkt mit den Eigenschaften Masse, Impuls und Energie modelliert. Diese Eigenschaften der einzelnen Moleküle ergeben in einer makroskopischen Sicht Eigenschaften wie Dichte, Druck und Temperatur. In einem Fluid nennt man die Anziehungskraft der Moleküle untereinander Kohäsion während die Anziehungskraft zwischen den Molekülen des Fluids und den Molekülen des einschließenden Behälters oder denen von anderen Hindernissen als Adhäsion bezeichnet wird. Bei Gasen treten die einzelnen Moleküle untereinander nur dann in Wech- selwirkung, wenn sie sich sehr nahe kommen. Dies ist sicher nicht so oft der Fall wie bei Flüssigkeiten oder gar Festkörpern. Dort sind die Moleküle so nahe aneinandergebunden, dass sie ständig in Wechselwirkung miteinander treten. Wasser nimmt dabei eine Sonderstellung in unserem Leben ein (schon [Davis, 1961] nennt Wasser einen ungewöhnlichen Stoff oder um es mit den Worten von [2] zu sagen: Cosmic Juice. Adhäsion ermöglicht den Molekülen an Oberflächen zu haften. Aus der Kohäsion ergibt sich eine weitere wichtige Eigenschaft der Fluids: die Reibung der Fluidteilchen untereinander (konsequenter Weise ist diese Reibung der Fluidteilchen untereinander nichts anderes als die Kohäsion). Am einfachsten lässt sich diese Eigenschaft

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 14 am Beispiel des Föhns darstellen: Warum ist der Luftstrahl direkt nach der Öffnung des Föhns am stärksten, und in einer Entfernung von zwei, drei Metern kaum noch spürbar? Die Abbremsung des Luftstrahls erfolgt ausschließlich durch Reibung in der Grenzzone zwischen Strahl und umgebenden Luftteilchen. Ursprünglich ruhende Luft (besser sagt man: durch Kollisionen in ungeordnete Bewegung versetzte Luftmoleküle) in der Grenzzone wird dabei einfach mitgenommen. Dabei weitet sich der Strahl langsam auf und durchmischt sich mit der umgebenden Luft und nimmt an Geschwindigkeit ab. Aufgrund der Kohäsion und Adhäsion kommt es bei Umströmung von festen Hindernissen zur Ausbildung einer sogenannten Grenzschicht (boundary layer). Diese Grenzschicht ist nichts anderes als eine rasche Zunahme der Geschwindigkeit von der Grenzfläche in die Strömung hinein (Geschwindigkeitsprofil). Sie kommt zu Stande, weil durch die Adhäsion die Fluidmoleküle am Hindernis haften, also die Geschwindigkeit Null besitzen. In geringem Abstand vom Hindernis strömt das Fluid jedoch mit einer endlichen Geschwindigkeit. Durch die Reibung (hervorgerufen durch die Kohäsion zwischen den haftenden Molekülen und mit endlicher Geschwindigkeit am Hindernis vorbeiströmender Moleküle) entsteht dann eben dieses Geschwindigkeitsprofil (vgl. Föhn von vorhin). Wenn sich ein Objekt durch ein Fluid bewegt, gibt es auch Situationen, bei denen die Zusammendrückbarkeit (Kompressibiltät) des Fluids eine Rolle spielt. Die Fluidmoleküle bewegen sich um das Objekt, wenn sie dieses passieren. Die Moleküle werden näher zusammen gedrängt, also die Dichte des Fluids ändert sich, was wiederum eine Auswirkung auf die resultierenden Kräfte, die an dem Objekt angreifen, mit sich bringt. Wasser kann in den meisten Fällen als inkompressibel modelliert werden. Bestes Anschauungsbeispiel für die Schüler dafür ist der Sprung im Hallenbad vom Fünfmeterturm ins Sprungbecken. Der Aufprall auf die Oberfläche kann unter Umständen recht hart sein, weil das Wasser nicht wie eine dicke Schaumgummischicht ist, sondern nur verdrängt werden kann. Damit bei Wettkämpfen im Turmspringen das Wasser dennoch weich wirkt, wird aus dem Sprungbeckenboden ein dicker, dichter Strahl von Luftblasen gepresst. Wenn der Springer nun eintaucht, presst das von ihm verdrängte Wasser teilweise diese Luftblasen zusammen, was leichter zu bewerkstelligen ist. Bei der Fortbewegung in Luft mit Schallgeschwindigkeit oder darüber wird der Vorgang noch einmal komplizierter, denn es werden sogenannte Schockwellen erzeugt, die

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 15 ebenfalls Auswirkungen auf Auftrieb und Luftwiderstand haben. Hier beschränken wir uns jedoch auf die Beobachtung jener Flugzeuge, die mit einer Geschwindigkeit weit unterhalb der Schallgeschwindigkeit fliegen. Jedes Fluid besitzt Eigenschaften, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Die Temperatur eines Fluids, abzulesen an der Höhe einer Quecksilbersäule, ist ein Maß für die kinetische Energie der Moleküle. Der Druck eines Fluids ist die Kraft pro Fläche, welche die Moleküle bei ihren Kollisionen mit den begrenzenden Flächen auf diese ausüben (vgl. Abb 3.1). Druck ist selbst keine Kraft, sondern beschreibt das Gepresstsein eines Gases oder einer Flüssigkeit. Stellt man jedoch in das Fluid eine Hindernisfläche, so bewirkt der Druck eine Kraft senkrecht zu dieser Fläche. Formelmäßig ausgedrückt heißt dies also F = p A (3.1) wobei der Vektor A die Größe der Hindernisfläche angibt, und seine Richtung die Richtung der Flächennormale der Hindernisfläche (das Minuszeichen rührt daher, dass man sich geeinigt hat, die Flächennormale gegen das anströmende Fluid zeigen zu lassen). Die Werte und Relationen der Eigenschaften ergeben den Zustand eines Fluids. Die Größen Druck, Temperatur und Volumen, wie oben beschrieben sind von einander abhängig. Dies spiegelt sich in der ersten Zustandsgleichung der Kinetischen Gas Theorie wieder: p V T = const. (3.2) Bei zum Beispiel konstant gehaltenem Volumen sind Druck und Temperatur direkt proportional. Wird die Temperatur erhöht, also die kinetische Energie der Gasmoleküle größer, werden auch sicher die Stöße mit der Gefäßwand stärker, dadurch auch der Druck größer und umgekehrt. Soweit stimmen die Schulbücher auch mit dem Teilchenmodell überein. Aber dies ändert sich gravierend, wenn es darum geht, dass sich zum Beispiel ein Tragflügel durch ruhende Luft bewegt. Oder bei anderer Sichtweise (im Flugzeug sitzend), dass der Tragflügel von Luft umströmt wird.

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 16 3.3 Präkozepte zum Begriff Druck Es gibt in der Literatur so viele Untersuchungen über die Schwierigkeiten der Schüler mit dem Konzept Druck (vgl. [9]), dass ich mich nur mit der Angabe der richtigen Relation (vgl. Gl. 3.1) nicht zufrieden gebe, sondern auch die vorherrschenden Präkonzepte diskutieren möchte. Diese Präkonzepte, die in den didaktischen Grundsätzen des Lehrplans nicht direkt angesprochen werden, müssen vom Lehrer jedoch sehr sorgfältig ausgeräumt werden, denn schon Nachtigall warnt nach-drücklich davor, die Schüler mit leeren Flaschen zu vergleichen, die nur mehr mit den Wahrheiten des Schulbuches gefüllt werden müssen [20]. Christian Pronegg unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Hauptgruppen solcher Präkonzepte [22]: Intuitionskonzepte sich aus den Erfahrungen, die wir Menschen in unserer Welt sammeln. Für gewisse Situationen, die wir in unserer Erlebniswelt immer wieder beobachten, legen wir uns Theorien zurecht, die uns den Ausgang dieser Situationen vorhersagen. Nehmen wir als Beispiel den freien Fall verschieden schwerer Körper: Jedes Kind kann beobachten, dass Schneeflocken wesentlich langsamer zu Boden fallen als Regentropfen; oder eine Feder länger braucht, um am Boden aufzutreffen als ein aus der selben Höhe losgelassener Stein. Das Kind legt sich auf Grund dieser wiederholten Beobachtungen das Konzept zurecht, dass eben schwere Körper schneller zu Boden fallen als leichte. Laienkonzepte werden durch den Gebrauch von Wörtern, Worterfindungen, bedeutungsloser Floskeln verursacht, die uns die Medien, insbesondere die Werbung, aber auch andere Laien in den Mund legen. Ein gutes Beispiel hierfür wäre die Idee, dass gewisse Edel- und Halbedelsteine aufgrund von Strahlungen positive Reaktionen im menschlichen Körper hervorrufen. Möglicherweise liest man auf der Verpackung eines solchen Halbedelsteins, dass die vom Kristallgitter des Edelsteines erzeugte Strahlung mit dem körpereigenen Strahlungsfeld des Menschen interferiere und dadurch den gewünschten Effekt erziele. Im Falle solcher Laienkonzepte ergeben sich für den Lehrer nicht wirklich Schwierigkeiten, diese Vorurteile zu beseitigen. Schwieriger ist es mit den Intuitionskonzepte: Diese Konzepte haben sich durch mehrfache Bestätigung aus unseren Erfahrungen in unseren Köpfen festgesetzt. So kann eben jedes Kind beobachten, dass eine Feder aus dem

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 17 Kopfkissen viel langsamer zu Boden fällt als ein Stein. Oder ein anderes aristotelisches Präkonzept, das sich z.b. aus dem Erfahrungsbereich des Sports ergeben könnte: Ein Körper bewegt sich nur dann, wenn auf ihn eine Kraft wirkt, ansonsten hat er das Bestreben, in Ruhe zu verharren. Dieses Bild wird durch viele Erlebnisse gestützt: Zum Beispiel wird dies so mancher Fußballspieler bestätigen, da der Ball ständig angestoßen werden muss, damit er in Bewegung bleibt. Oder auch ein Golfspieler berichtet von derselben Erfahrung, wenn er verärgert einem missglücktem Putt-Versuch nachweint, bei dem der Golfball zwar die richtige Richtung hatte, aber knapp vor dem Loch am Green liegen blieb. Als ersten Schritt muss der Lehrer klären, ob die Voraussetzungen für dieses Thema vorhanden sind, zum Beispiel ist die Vorstellung der Schüler über Druck in Gasen oder Flüssigkeiten die richtige? Kein Gebiet der Naturwissenschaften und insbesondere speziell die Physik, scheint von solchen Vorurteilen verschont zu bleiben. Exemplarisch wird die Situation am Beispiel des Drucks in ruhenden Fluids dargestellt. Wenn im Alltag vom Druck in fließendem Wasser oder strömender Luft die Rede ist, meint man damit z.b. den Druck mit dem das Wasser aus einem Schlauch spritzt, oder den Druck den man spürt, wenn man seine Hand in einen Wasserstrahl oder einen Bach hält. Höhere Geschwindigkeit ist in all diesen Fällen mit höherem Druck verknüpft. Wollte man diesen Druck messen, könnte man die Kraftwirkung auf eine Fläche bestimmen, die man der Strömung aussetzt. Dies wäre eine nahe liegende Übertragung der Beziehung Druck ist Kraft pro Fläche. Dies zeigt auch schon das Hauptproblem [9] beim Druckbegriff, nämlich das Problem der Differenzierung zwischen Druck und Kraft. Die zu Grunde liegenden Präkonzepte können so formuliert werden: Druck ist... die Kraft, die auf Gegenstände wirkt. eine Kraft, die Gegenstände an die Seite drückt. eine Kraft, due etwas fortbewegt. eine Kraft, die auf etwas drückt. wenn eine Kraft auf eine andere Sache einwirkt.

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 18 Diesen Präkonzepten liegt also die Vorstellung zu Grunde, der Druck sei selbst eine Kraft, also eine vektorielle Größe. Andererseits ist im Klassenzimmer-Physikunterricht der Lehrer in der Regel zufrieden, wenn Schüler auf die Frage, was Druck ist, antworten: Druck ist Kraft pro Fläche: p = F/A. Neu ist hier das auftauchen einer Fläche. Obwohl dies hier wohlweislich unterbleibt, kann sich ein Schüler über p und F einen Vektorpfeil denken, und damit den obigen Präkonzepten sehr nahe kommen. Doch neben einigen anderen hat auch McCelland darauf hingewiesen, dass der Druck eben keine Vektorgröße sei: Pressure is a scalar quantity, but teachers and authors do not appear to believe this in their hearts. [McClelland, 1987], sondern in der Beziehung (vgl. Gl. 3.1) seinen richtigen Platz findet. Also nochmals: Druck ist keine Kraft, sondern beschreibt das Gepresstsein eines Gases oder einer Flüssigkeit. Abbildung 3.2: aufgeblasener Luftballon Betrachten wir als nicht gar zu einfaches Beispiel einen aufgeblasenen Luftballon. Dann bewirkt auf eine heraus gegriffene kleine Fläche der äußere Luftdruck eine Kraft nach innen. F außen = p außen A außen (3.3) Dazu kommt eine elastische Kraft, F elast = k A außen (3.4) die von der gedehnten Hülle des Ballons nach innen ausgerichtet wird. Diesen beiden Kräften hält der innere Luftdruck p innen über F innen = p innen A innen ( A innen = A außen ) (3.5)

KAPITEL 3. EINMAL TEILCHENMODELL, UND DANN? 19 das Gleichgewicht. Insgesamt gilt F innen + F außen + (F ) elast = 0 (3.6) oder Aaußen (p innen p außen k) = 0. (3.7) Daraus folgt, das einleuchtende Ergebnis, p innen = p außen + k (3.8) dass also der Innendruck größer als der Außendruck sein muss. Wenn sich die Fluidteilchen zusätzlich zu ihren Zufallsbewegungen auch noch im Mittel in eine bestimmte Richtung bewegen, wie bei einem strömenden Fluid, darf sich nichts an dieser Vorstellung vom Druck ändern.

Kapitel 4 Wie Der Traum vom Fliegen im Physikunterricht erklärt werden soll Abbildung 4.1: der Traum vom Fliegen Dieses Kapitel soll einen Physiklehrer ermöglichen, in einfacher Art und Weise den Traum vom Fliegen in seinen Unterricht einzubauen. Aus dem vorhin besprochenen Gründen ist es unumgänglich dazu das einfache Teilchenmodell (welches ja auch in den Schulbüchern in den vorangegangenen Kapiteln so erfolgreich eingeführt wurde) zu ver- 20

KAPITEL 4. DER TRAUM VOM FLIEGEN 21 wenden. Auch wenn dies bedeutet, dass nur quantitative Erkenntnisse aus dieser Theorie herauszuholen sind. Diese sind dafür von jedem Schüler leicht wieder in seine Erlebniswelt rück zu übersetzen. Bisher wurde nicht wirklich zwischen Flüssigkeiten und Gasen unterschieden. Das soll jetzt nachgeholt werden. In unserem Modell bleiben zwischen Flüssigkeiten und Gasen nur zwei gravierende Unterschiede: Die Dichte der Stoffe in gasförmigem Zustand ist wesentlich geringer als jene in flüssigem Zustand. (Wir erinnern daran, dass die Dichte proportional zur Anzahl der Teilchen in einem bestimmten Volumen ist.) Auch die bezüglich der Zeit gemittelten Wechselwirkungen der Moleküle eines Gases untereinander sind viel schwächer als zum Beispiel die von Wassermolekülen in flüssigem Wasser (im Moment eines Zusammenstoßes zwischen zwei Luftmolekülen ist die Wechselwirkung natürlich groß, wegen der großen gegenseitigen Abstände der Luftmoleküle - relativ zur Molekülgröße - sind diese Zusammenstöße aber so selten. dass die zeitgemittelte Wechselwirkung ziemlich klein ist). Dass Fliegen im Wasser genau so vorkommt wie in unserer Atmosphäre, kann den Schülern leicht am Beispiel der Pinguine aufgezeigt werden. Ein interessante Homepage zu diesem Thema wird von der Technischen Universität Berlin geführt (vgl. [3], [4] und [16]). 4.1 Welche Kräfte wirken auf ein Flugzeug? Abbildung 4.2: Kräfte, die auf ein Flugzeug wirken Ein Flugzeug ist vier wesentlichen Einflüssen unterworfen: Dem Gewicht (weight), dem Auftrieb (lift), dem Antrieb (thrust) und dem Luftwiderstand (drag). Das Gewicht

KAPITEL 4. DER TRAUM VOM FLIEGEN 22 eines Flugzeuges hängt von der Masse aller festen Flugzeugteile, von der Menge des vorhandenen Treibstoffes, vom geladenen Gepäck und von der Anzahl der beförderten Passagiere ab. Daraus wird deutlich, dass die Beiträge zum Gesamtgewicht über das gesamte Flugzeug verteilt sind. Diese Verteilung kann sich während des Fluges ändern, wenn z. B. der in den Flügeltanks befindliche Treibstoff allmählich verbraucht wird, oder wenn sich z. B. viele Passagiere gleichzeitig ins Heck des Flugzeuges begeben. Damit sich etwa eine an die 400 t schwere Boing 747 in die Luft schwingen kann, muss offenbar der Einfluss der Gewichtskraft durch einen entsprechenden anderen Einfluss kompensiert werden. Dieser Einfluss ist der Auftrieb (lift, aerodynamic lift), der durch die Bewegung des Flugzeugs durch die Luft erzeugt wird ( aero = Luft, dynamic = Bewegung). Wie beim Gewicht trägt genau genommen jeder Teil des Flugzeugs zum Auftrieb bei. Der bei Weitem größte Anteil wird aber von den Tragflügeln erzeugt, viel weniger schon von den Heckflügeln. Und wie beim Gewicht kann sich auch die Verteilung des Auftriebes ändern, wenn etwa der Pilot an nur einem der Tragflügel oder an den Heckflügeln eine bestimmte Veränderung vornimmt. Einer Bewegung durch die Luft setzt diese einen Widerstand entgegen. Dieser als Luftwiderstand (drag) bezeichnete Widerstand wird von der Form des Flugzeugs, von seiner Geschwindigkeit und von der Zähigkeit der Luft wesentlich beeinflusst (gegenüber zähflüssigen Fluiden wie Motoröl oder Honig ist die Zähigkeit der Luft zwar klein aber nicht Null!). Und wie bei Gewicht und Auftrieb trägt auch zum Luftwiderstand jeder einzelne Teil der Oberfläche des Flugzeugs bei: Z. B. die Nase durch den Aufprall der Luftmoleküle und die Seitenwände des Rumpfs durch die Reibung der Luftmoleküle. Die Reibung an mehr oder weniger parallel zur Luftströmung liegenden Flächen eines Flugzeuges ist messbar: Ein Testflugzeug, dessen Flügel mit einer der Haifischhaut (die besonders wenig Strömungswiderstand besitzt) nachempfundenen Folie beklebt sind, verbrauchen weniger Treibstoff (vgl. [4]). Interessant dabei ist, dass diese Folien nicht glatt sind, sondern wie die Haifischhaut ganz bestimmte Rauhigkeiten zeigen. Auch im Schwimmsport finden wir ein Beispiel für den Sachverhalt, dass eine glatte Oberfläche nicht den geringsten Widerstand bietet: Vielmehr ergibt im Spitzensport die Verwendung von speziell angerauten Ganzkörperschwimmanzügen eine Verminderung des Wasserwiderstandes um 7 Prozent, oder - umgerechnet auf eine Strecke von 200 m - eine Wegersparnis von 6 m (vgl. [16]).

KAPITEL 4. DER TRAUM VOM FLIEGEN 23 Um den Luftwiderstand zu überwinden, besitzen Flugzeuge - mit Ausnahme der sogenannten Segelflieger - einen Antrieb (thrust). In Abbildung 4.2 ist dieser Antrieb durch zwei Turbinen unter jedem Flügel sichtbar. Wie bringen wir nun die Verteilung der vier Einflüsse Gewicht Auftrieb Vortrieb und Luftwiderstand über das ganze Flugzeug mit den bloß vier dicken blauen Pfeilen in Einklang, die in Abb. 4.2 an bestimmten Stellen des Flugzeuges eingezeichnet sind. Wie kann etwa der - zwar an den Flügeln konzentrierte - aber dennoch über das gesamte Flugzeug verteilte Auftrieb durch einen einzigen Pfeil an einer bestimmten Stelle dargestellt werden? Einerseits erinnern wir uns aus der Mechanik, dass wir einen äußeren Einfluss (hier den Auftrieb) auf einen betrachteten Körper (hier das Flugzeug) nur dann durch einen Pfeil sinnvoll modellieren können, wenn die Fläche, auf welcher der Einfluss wirksam ist, nur einen sehr kleinen Teil der Fläche des betrachteten Körpers ausmacht. Andererseits haben wir uns gerade über-legt, dass dies bei unserem Flugzeug bestenfalls für den Vortrieb erfüllt ist, für den wir aber auch nicht einen Pfeil, sondern wohl durch deren vier - bei jedem Triebwerk einen - andeuten müssten. Aber Auftrieb und Luftwiderstand wirken auf die gesamte Oberfläche des Flugzeuges und keineswegs nur auf einen kleinen Teil davon, und zum Gewicht trägt überhaupt jeder einzelne Teil des Flugzeuges bei! Ein Gedanke, der uns in dieser Situation in Anlehnung an unser Mechanikwissen und an unsere frühere Diskussion des Druckes kommen könnte, wäre die Zerlegung der Oberfläche des Flugzeuges in lauter kleine Flächenelemente und die Zuordnung eines Auftriebspfeils zu jedem solchen Flächenelement. Den Auftriebspfeil d F Auftrieb würden wir immer senkrecht zum Flächenelement d A zeichnen, mit einer Länge, die unserer schon mehrfach verwendeten Beziehung d F Auftrieb = p d A entspricht, mit p als dem Luftdruck, der an dem gerade betrachteten Flächenelement herrscht. Unter den Tragflügeln hätten wir also große Auftriebspfeile zu zeichnen, wobei auch diese an verschiedenen Stellen des Tragflügels verschieden groß sein müssten, unter dem Rumpf sehr kleine. Darüber hinaus würden wir tangential in Richtung des Luftwiderstandes an dieser Stelle an jedes dieser Flächenelemente einen Luftwiderstandspfeil d F Luftwiderstand anbringen, dessen Länge proportional zur Größe des betrachteten Flächenelementes und zur Luftreibung an dieser Stelle ist. Andererseits würden wir die Antriebspfeile auf den Bereich der Triebwerke beschränken - und ein Antriebspfeil pro Triebwerk erschiene uns als eine plausible Model-

KAPITEL 4. DER TRAUM VOM FLIEGEN 24 lierung. Schließlich würden wir noch das gesamte Flugzeug in Volumselemente zerlegen, und an jedem dieser Volumselemente senkrecht nach unten einen Gewichtspfeil anbringen, dessen Länge proportional dem Gewicht des dazugehörigen Volumselementes ist. Damit hätten wir unser Flugzeug mit einer großen Zahl von, das Flugzeug dicht bedeckenden, Einwirkungspfeilen überzogen. In der Physik nennen wir die zum Gewicht gehörenden Pfeile das Gewichtsfeld die zum Auftrieb gehörenden Pfeile das Auftriebsfeld usw. Es stellt sich nun die Frage, auf welchem Weg wir von diesen Pfeilfeldern auf die vier in Abbildung 4.2 blau eingezeichneten Pfeile kommen. Diesen Weg gibt es in der Tat, und die Gewichtskraft aus der Mechanik weist uns in die zielführende Richtung. Denn unser oben in Erinnerung gerufene Satz: Wir können einen äußeren Einfluss auf einen betrachteten Körper nur dann durch einen Pfeil sinnvoll modellieren, wenn die Fläche, auf welche der Einfluss wirksam ist, nur einen sehr kleinen Teil der Fläche des betrachteten Körpers ausmacht. Nun ist aber die Schwere doch ein Einfluss, der immer an jedem Element eines betrachteten Körpers wirksam ist, sei dieser nun groß oder klein. Wir müssten daher wie oben jeden betrachteten Körper in Volumselemente zerlegen, und an jedem Volumselement einen kleinen Gewichtspfeil anbringen. Dies ergäbe wieder ein Gewichtsfeld. Dennoch ersetzen wir die Schwere immer durch einen einzigen Pfeil. Wenn wir den betrachten Körper als Massenpunkt modellieren, dann ist es nur konsequent, das Gewicht durch einen einzigen Pfeil darzustellen, denn an einem Punkt kann es ja kein Pfeilfeld geben. Aber auch bei Körpern, bei deren Modellierung wir deren Ausdehnung berücksichtigen müssen, verfahren wir auf die gleiche Weise: Wir reduzieren das Pfeilfeld auf einen einzigen Pfeil, den wir im so genannten Schwerpunkt des Körpers wirken lassen. Rufen wir uns in Erinnerung, wie wir dies genau machten, weil wir hoffen können, auf diese Weise nicht nur das Gewichtsfeld unseres Flugzeuges auf einen Pfeil an der richtigen Stelle des Flugzeuges zu reduzieren, sondern mit einem daran abgeschauten Verfahren auch das Auftriebsfeld usw. auf einen einzigen Pfeil an der richtigen Stelle des Flugzeuges zu ersetzen. Dazu wählen wir bekanntlich irgend einen Punkt innerhalb oder außerhalb des betrachteten Körpers, ziehen von diesem Bezugspunkt einen Pfeil zu jedem Volumselement, und multiplizieren diesen mit der Masse dieses Volumselementes. Anschließend addieren wir alle diese Pfeile im Sinne der Vektoraddition der Mathematik, und dividieren diesen Summenvektor durch die Gesamtmasse M des Körpers (die wir offen-

KAPITEL 4. DER TRAUM VOM FLIEGEN 25 sichtlich durch Addition der Massen aller Volumselemente erhalten). Den daraus resultierenden Vektor heften wir an unserem Bezugspunkt an: Sein Endpunkt heißt Schwerpunkt des be-trachteten Körpers. An diesem Schwerpunkt bringen wir nun den Gewichtsvektor M g an, mit der senkrecht nach unten weisenden Schwerebeschleunigung g. Hier sollte der Lehrer auch die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, die Schüler daran zu erinnern, wodurch unsere ursprünglichen Pfeile zu Vektoren wurden: Nämlich dadurch, dass bei der Addition von zwei Gewichtspfeilen im Sinne der Vektoraddition der Mathematik wieder ein sinnvoller Gewichtspfeil wird. Dadurch besitzen unsere Pfeile alle Eigenschaften von den aus der Mathematik bekannten Vektoren und werden von uns daher in Hinkunft mit Fug und Recht als Vektoren bezeichnet. Abbildung 4.3: Holzlineal Nun wollen wir versuchen, unsere bei der Gewichtsfeld erfolgreichen Vorgangsweise auch auf das Auftriebsfeld anzuwenden. Dazu betrachten wir ein einfaches Experiment: Ein langes Holzlineal wird genau in der Mitte gelagert, und ein Schüler bläst von unten gegen ein Ende. Dadurch gerät das Lineal in eine Schräglage und rutscht möglicherweise von der Lagerung herunter. Bläst jedoch ein zweiter Schüler von unten gegen das gegenüberliegende Ende genau so fest wie der erste Schüler, so wundern wir uns nicht, dass das Lineal nunmehr im Gleichgewicht bleibt. In der Mechanik eines ausgedehnten Körpers (der im Gegensatz zum Massenpunkt am einfachsten als Starrer Körper modelliert wird) beschreiben wir diesen Sachverhalt so, dass wir sagen das gesamte Drehmoment ist Null : M = M Schüler1 + M Schüler2 = 0 (4.1)