21. Es ist notwendig, eine große Anzahl von Wirbelsäulen morphometrisch zu vermessen,

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Transkript:

35 4. DISKUSSION Vertebrale osteoporotische Frakturen werden häufig aufgrund von fehlenden klinischen Symptomen zum Zeitpunkt des Auftretens nicht diagnostiziert, im Gegensatz zu Radius- und Schenkelhalsfrakturen. Etwa die Hälfte aller Frauen mit morphometrisch gefundenen Wirbelsäulendeformationen geben keine Rückenschmerzen in der Vergangenheit an, bei ca. 2/3 der Frauen liegt keine klinische Diagnose einer Fraktur vor 15. Für eine möglichst exakte Bestimmung der Prävalenz bzw. Inzidenz von Wirbelkörperfrakturen ist es daher notwendig, Röntgenaufnahmen der Brust- und Lendenwirbelsäule anzufertigen und zu beurteilen. Obwohl der Zusammenhang zwischen Osteoporose und vertebralen Frakturen seit Jahrzehnten bekannt ist 16, erfolgte eine erste Erhebung der Prävalenz auf der Grundlage von Röntgenaufnahmen der BWS und LWS erst 1989 in Rochester, Minnesota 17. Die zu jenem Zeitpunkt bereits veröffentlichten Studien zur Prävalenz oder Inzidenz vertebraler Deformationen hatten nur unvollständige Röntgenbilder, also nur Aufnahmen der BWS oder der LWS zur Bestimmung herangezogen 18. Bereits die Studie in Minnesota zeigte das Problem der Definition einer vertebralen Deformation, so daß drei verschiedene Methoden zur Ermittlung der Prävalenz angewandt wurden. Neben der visuellen Beurteilung der Röntgenaufnahmen wurden auf der Grundlage einer morphometrischen Vermessung der lateralen Wirbelkörper zwei verschiedene Algorithmen zur Ermittlung einer Deformation eingesetzt. Der erste Algorithmus definierte eine Deformation als eine Verminderung der anterioren (a) oder medialen (m) Höhe um mehr als 15% im Vergleich zur posterioren (p) Höhe des zu beurteilenden Wirbelkörpers (a/p, m/p), sowie eine Verminderung der posterioren Höhe der direkt benachbarten Wirbelkörper (pup, plow) um mehr als 15% im Vergleich zur posterioren Höhe des zu beurteilenden Wirbelkörper

36 (p/pup, p/plow). Der zweite Algorithmus arbeitete nach den gleichen Kriterien wie der erste, wurde jedoch zusätzlich auf die normale Varianz der Wirbelkörperhöhen und formen adjustiert. Der Faktor dieser Anpassung wurde anhand eines Normalkollektives, das heißt an Patienten ohne erkennbare vertebrale Veränderungen, ermittelt. Seither wurden verschiedene weitere Algorithmen zur Wirbelkörpermorphometrie entwickelt, um insbesondere im Rahmen von epidemiologischen oder klinischen Studien eine möglichst objektive und reproduzierbare Methode zur Ermittlung von Prävalenz und Inzidenz der vertebralen Deformationen zu gewährleisten. Am weitesten verbreitet sind die Algorithmen nach Felsenberg/Kalender, Eastell, McCloskey, Melton sowie Minne. Allen Algorithmen gemeinsam ist die Art der Ermittlung der anterioren, medialen sowie posterioren Wirbelkörperhöhe mittels der 6-Punkte Methode (siehe Methodikteil), die Bestimmung der Schwellenwertes zur Definition einer Deformation ist jedoch unterschiedlich. Der in dieser Arbeit angewandte Algorithmus von Felsenberg/Kalender 19 berechnet aus der anterioren (a), medialen (m) sowie posterioren (p) Höhe des jeweiligen Wirbelkörpers die Indices a/p, m/p, p/pup und p/plow. Diese Indices werden nicht mit einen Referenzkollektiv verglichen. Die Schwellenwerte sind bei allen Indices gleich und lagen bei der hier beschrieben Studie bei 0.75. Das heißt, liegt einer der Indices unterhalb des Schwellenwertes von 0.75, so gilt der Wirbelkörper als deformiert. Der Algorithmus von Eastell 4 berechnet aus den Wirbelkörperhöhen ebenfalls die Indices a/p, m/p, p/pup und p/plow. Liegt einer dieser Indices unterhalb eines bestimmten Schwellenwertes, so gilt dieser Wirbelkörper als deformiert. Diese

37 Schwellenwerte wurden hier jedoch anhand eines Referenzkollektives, sogenannten supernormalen Probanden errechnet, bei denen keinerlei Veränderungen der Wirbelkörper vorlagen. Aus den gemessenen Höhen wurden Mittelwerte und Standardabweichungen ermittelt. Liegt ein Wirbelkörper mehr als drei Standardabweichungen unterhalb des Mittelwertes, so gilt er als deformiert. Der Algorithmus von Melton 17 berechnet ebenfalls aus den Wirbelkörperhöhen die Indices a/p, m/p, p/pup und p/plow. Liegt einer dieser Indices unterhalb eines bestimmten Schwellenwertes, so gilt dieser Wirbelkörper als deformiert. Die Schwellenwerte wurden im Gegensatz zum Algorithmus nach Eastell jedoch nicht an einer Population ohne jegliche vertebrale Veränderungen, sondern aus einer Querschnittspopulation errechnet. Weiterhin wurden die Mittelwerte getrimmt, um Ausreißer nach oben oder unten zu entfernen. Aus diesen Daten wurden dann wie für dem Algorithmus nach Eastell Mittelwerte und Standardabweichungen ermittelt. Liegt ein Wirbelkörper mehr als drei Standardabweichungen unterhalb des Mittelwertes, so gilt er als deformiert. Der Algorithmus von McCloskey 5 vergleicht ebenfalls die anteriore (a) sowie die mediale (m) Höhe eines Wirbelkörper mit der posterioren (p) Höhe des gleichen Wirbelkörpers und errechnet die Indices a/p und m/p. Zusätzlich werden sogenannte predicted posterior heights (pp) berechnet. Dazu werden Normwerte von posterioren Höhen von vier angrenzenden Wirbelkörpern herangezogen, bis auf Spezialfälle, wie BWK 4, BWK 5, LWK 3 und LWK 4, die zwei darüber und die zwei darunter liegenden Wirbelkörper. Um die zu erwartende Höhe für den jeweiligen Wirbelkörper zu berechnen, wird die gemessene Höhe eines angrenzenden Wirbelkörpers durch die Normhöhe des gleichen Wirbelkörpers geteilt und mit der Normhöhe des zu ermittelnden Wirbelkörpers multipliziert. Daraus ergibt sich die zu erwartende Höhe für den jeweiligen Wirbelkörper. Diese Berechnung wird für vier angrenzende

38 Wirbelkörper durchgeführt und aus den zu erwartenden Wirbelkörperhöhen ein Mittelwert gebildet. Die Normwerte wurden aus einer Querschnittspopulation berechnet. Bei diesem Algorithmus wird ein Wirbelkörper als deformiert bezeichnet, wenn (1) die Indices a/p und a/pp oder (2) die Indices m/p und m/pp oder (3) der Index p/pp unterhalb des jeweiligen Schwellenwertes liegen. Der Algorithmus von Minne 6 vergleicht die anteriore (a), mediale (m) und posteriore (p) Höhe eines jeweiligen Wirbelkörpers mit den entsprechenden Höhen des Wirbelkörpers BWK 4 (abwk 4, mbwk 4 und pbwk 4) und berechnet die Indices a/abwk 4, m/mbwk 4 und p/pbwk 4. Diese Indices werden mit aus einer Querschnittspopulation errechneten Schwellenwerten verglichen. Liegt einer der Indices unterhalb des jeweiligen Schwellenwertes, so wird der Wirbelkörper als deformiert bezeichnet. Bekannt ist dieser Algorithmus auch unter dem Begriff spinal deformity index (SDI). Der Algorithmus nach Felsenberg/Kalender ist somit im Gegensatz zu allen anderen aufgeführten, in epidemiologischen und klinischen Studien angewandten Algorithmen der einzige, für den nicht auf zuvor erhobene Daten eines Referenzkollektives zurückgegriffen werden muß. Dies stellt einen entscheidenden Vorteil dar. Die Bestimmung von Referenzwerten führt zu Problemen in bezug auf die Präzision und Genauigkeit und kann die Definition einer vertebralen Deformation erschweren 20, 21. Es ist notwendig, eine große Anzahl von Wirbelsäulen morphometrisch zu vermessen, um verläßliche Referenzwerte zu ermitteln 20-22. Weiterhin können schon kleine Unterschiede des Protokolls bezüglich der Röntgenaufnahmetechnik sowie der morphometrischen Messung zu verschiedenen Mittelwerten und Standardabweichungen führen. Ebenso können die Referenzwerte zwischen den verschiedenen Populationen variieren 21. Aus diesen Gründen unterscheiden sich die Referenzwerte der morphometrischen Wirbelsäulenindizes deutlich bei den verschiedenen Quer-

39 schnittsstudien, so daß die Empfehlung gegeben wurde, für jede Studie und jedes Studiencenter neue Referenzwerte zu bestimmen 20, 21. Neuere Veröffentlichungen 39 empfehlen die Anwendung von morphometrischen Algorithmen, denen keine Referenzwerte zugrunde liegen, wie z.b. die Methode nach Felsenberg/Kalender 22. Die aufgrund der alleinigen Anwendung von morphometrischen Algorithmen gefundenen Deformation erlauben keine Differentialdiagnose zur Ursache dieser Deformation. Jede Fraktur eines Wirbelkörpers führt zu einer Verformung, aber nicht jede Verformung entspricht einer Fraktur. Daher wurden in der vorliegenden Arbeit alle morphometrisch ermittelten Wirbelkörperdeformation zusätzlich auch einer visuellen radiologischen Beurteilung unterzogen. Dadurch wurde eine Abgrenzung der Prävalenz von allen Wirbelkörperdeformationen gegenüber der Prävalenz rein osteoporotisch bedingter Frakturen ermöglicht. In der Arbeit von Leidig-Bruckner et al 23 wurden verschiedene morphometrische Algorithmen mit einem neu entwickelten, sogenannten Algorithmus für eine radiologische Differentialdiagnose (RDC) verglichen. Hierbei zeigte sich eine deutlich höhere Assoziation zwischen der Knochendichte und dem RDC verglichen mit den rein morphometrisch definierten vertebralen Deformationen. Ein hoher Anteil der Deformationen beruht in der untersuchten Population im Alter zwischen 50 und 80 Jahren sowie insbesondere bei Männern auf degenerativen Veränderungen mit Schwerpunkt im Bereich des Scheitelpunktes der Brustwirbelsäulenkyphose 24. So waren bei den im Rahmen der EPOS Studie untersuchten Männern 45,9% und bei den Frauen 30,9% der morphometrisch gefundenen Deformationen auf nicht-osteoporotische Ursachen zurückzuführen (Mittelwert für Europa). Die häufigsten Ursachen für nicht osteoporosebedingte Deformationen waren degenerative Erkrankungen (Osteochondrose, Spondylosis deformans, M. Forestier), M. Scheuermann, M. Bechterew und traumatische Frakturen.

40 Infolge der Differenzen der in Querschnittstudien zugrundeliegenden Algorithmen, der unterschiedlichen Populationen sowie der in der vorliegenden Arbeit zusätzlich erfolgten visuellen Differentialdiagnose der Deformationen ist von abweichenden Zahlen für die Prävalenz und Inzidenz im Vergleich zu anderen Studien auszugehen. Die Prävalenz der vertebralen osteoporotischen Fraktur betrug in dieser Arbeit bei den Männern 12,02% (Tabelle 10) sowie bei den Frauen 9.02% (Tabelle 11) (alle Zentren ohne Unterscheidung nach Altersgruppen). Im Vergleich hierzu lag die Prävalenz der vertebralen Deformationen in der EVOS-Studie für die deutschen Zentren bei Männern zwischen 15,5% und 22,1%(Methode nach Eastell) bzw. zwischen 7,7% und 13,6% (Methode nach McCloskey). Bei den Frauen lag die Prävalenz zwischen 15,3 und 22,9% (Methode nach Eastell) bzw. zwischen 7,6% und 14,8% (Methode nach McCloskey) 25. Die deutlichen Unterschiede haben verschiedene Ursachen: Ein direkter Vergleich der Prävalenz ist nicht möglich, da in dieser Arbeit die Prävalenz auf osteoporotischen Deformationen / Frakturen beruht, während in der oben zitierten Veröffentlichung die Prävalenz aller vertebralen Deformationen angegeben wird. Es wurden unterschiedliche Algorithmen zur Bestimmung der Deformationen angewandt. Wie bereits erwähnt, verlor die Studie in dem Intervall zwischen EVOS und EPOS insbesondere die Älteren und Kranken, so daß von einem relevanten Selektionsbias und nicht mehr von der ursprünglichen Querschnittspopulation auszugehen ist. Der eingesetzte morphometrische Algorithmus beeinflußt nicht nur die Prävalenz, sondern wirkt sich auch auf die Inzidenz von Wirbelkörperdeformationen aus.

41 In der vorliegenden Arbeit lag die Inzidenz über drei Jahre für vertebrale osteoporotische Frakturen für Frauen (gesamt) bei 3.16% (Tabelle 8), bei den Männern (gesamt) bei 3.22% (Tabelle 9). Zusätzlich erfolgte eine Unterteilung neu aufgetretener Frakturen in zwei Gruppen: 1. Inzidente Frakturen bei Wirbelsäulen, die in der Erstuntersuchung keine osteoporotische Deformation aufwiesen (fxi, Tabellen 3 und 4). Bei der Betrachtung dieser Untergruppe ergibt sich eine Inzidenz von 2,11% bei Frauen sowie 2,23% bei Männern über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren (Inzidenz pro Jahr 0,7% bzw. 0,74%). 2. Inzidente Frakturen bei Studienteilnehmern, bei denen in der Erstuntersuchung bereit eine osteoporotische Fraktur vorlag. Dies umfaßt sowohl eine neu aufgetretene Fraktur an einem vorher undeformierten Wirbelkörper als auch eine Verschlechterung, daß heißt eine Höhenreduktion um mehr als 15% eines bereits frakturierten Wirbelkörpers (fxa, Tabellen 5 und 6). Bei der Betrachtung dieser Untergruppe ergibt sich eine Inzidenz von 13,86 % bei Frauen sowie 9,80 % bei Männern über eine Beobachtungszeitraum von drei Jahren (Inzidenz pro Jahr 4,62 % bzw. 3,27%). Bei bereits vorliegenden Frakturen von Wirbelkörpern zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung hatten demnach Frauen ein 6,6fach höheres Risiko, Männer ein 4,7fach höheres Risiko, eine inzidente Fraktur zu erleiden im Vergleich zu Probanden ohne prävalente Fraktur. Dies entspricht insbesondere für die Frauen den Ergebnissen anderer Arbeiten. Für Männern hingegen liegen bisher noch keine Zahlen in der Literatur vor. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß Osteoporose lange Zeit als eine vor allem Frauen betreffende Erkrankung galt, so daß Studien mit Männern nicht durchgeführt wurden.

42 1999 veröffentlichten Black et al. die Ergebnisse einer Studie zur Inzidenz von Wirbelkörperdeformationen 26. Grundlage war eine Querschnittsstudie an 7238 weißen Frauen in einem Alter über 65 Jahren. Alle Frauen unterzogen sich einer Baselineund Follow-up-Röntgenuntersuchung der BWS und LWS mit einem mittleren Abstand von 3,7 Jahren. Dies ist gut vergleichbar mit dem weiblichen Kollektiv der EPOS-Studie (in EPOS wurden jedoch Probanden in einem Alter über 50 Jahren untersucht). Eine inzidente Wirbelkörperdeformation lag vor, wenn ein Wirbelkörper eine Verminderung der anterioren, medialen oder posterioren Höhe um 20% und 4mm im Vergleich zur Erstuntersuchung aufwies. Die Inzidenz über durchschnittlich 3,7 Jahren lag bei 5,4% (1,56%/Jahr), bei Vorliegen von prävalenten Deformationen ergab sich ein 5,4fach höheres Risiko, eine inzidente Fraktur zu erleiden. Betrachtet man in der vorliegenden Arbeit nur die Daten der Frauen im einem Alter über 65 Jahren, so ergibt sich eine Inzidenz von 5%, sowie bei Vorliegen von prävalenten Deformationen ein 3fach höheres Risiko, eine inzidente Fraktur zu erleiden. Klotzbuecher et al 27 gaben in einer Veröffentlichung auf der Grundlage einer Recherche veröffentlichter Studien ein durchschnittlich 4,4fach erhöhtes Risiko einer inzidenten vertebralen Deformation bei prävalenten Deformationen an. Beinhaltet in diesem Mittelwert sind auch Studien, bei denen mindestens 2 prävalente vertebrale Frakturen vorlagen. Jede zusätzliche prävalente Fraktur erhöht das Risiko für eine weitere Fraktur. So lag das Risiko bei Frauen 35facher höher bei Vorliegen von mehr als 5 prävalenten Frakturen im Vergleich zu Studienteilnehmern ohne prävalente Frakturen 28. Nevitt et al. 29 fanden im Plazeboarm einer Studie bei 3042 Frauen zwischen 55-81 Jahren folgende Inzidenzen vertebraler Deformationen über eine Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 2,9 Jahren in bezug auf die Anzahl der prävalenten Deformationen:

43 1 prävalente Deformation Inzidenz 8,9% 2 prävalente Deformationen Inzidenz 19,4% 3-4 prävalente Deformationen Inzidenz 30,8% 5+ prävalente Deformationen Inzidenz 54.2% Tabelle 11 und 12 dieser Arbeit zeigen ebenfalls eine deutliche Zunahme der Inzidenz mit steigender Anzahl prävalenter Frakturen sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Da nur geringe Fallzahlen mit >4 prävalenten Frakturen vorlagen, wurden sie gemeinsam gezählt. Im Vergleich zu der oben erwähnten Studie von Nevitt et al. liegen die hier gefundenen Inzidenzen bei 2 oder 3 prävalenten Deformationen etwas niedriger. Möglicherweise liegt dieser Differenz das Einschlußkriterium einer Knochendichte im Schenkelhals von > -1,6SD in der Studie von Nevitt et al. zugrunde, daß heißt, in seiner Studie wurden ausschließlich osteopenische Frauen eingeschlossen. Die verminderte Knochendichte könnte zu einer insgesamt höheren Inzidenz geführt haben als in einer Querschnittspopulation ohne Berücksichtigung der Knochendichte. In der vorliegenden Arbeit erfolgte weiterhin eine Unterteilung der Frakturen in ihre Form sowie in ihre Lokalisation. Sowohl bei den gesamten Wirbelkörperdeformationen als auch nur bei den inzidenten Deformationen zeigten sich Spitzenwerte im Bereich der mittleren BWS (BWK 6-8) und im thorakolumbalen Übergang (Tabellen 13-16). Die Häufung von Frakturen in diesen beiden Bereichen war bei Männern etwas stärker ausgeprägt als bei den Frauen. Die hier gefundene Verteilung der Frakturen über die Wirbelsäule deckt sich gut mit den Ergebnissen aus anderen Studien 17, 30-36. Ursächlich für die Bevorzugung der genannten Bereiche könnte eine erhöhte biomechanische Kraft in diesen Bereichen der Wirbelsäule sein. Studien zu dieser Fra-

44 gestellung sind zur Zeit jedoch noch nicht durchgeführt oder nicht publiziert worden. Insbesondere der mittlere Bereich der Brustwirbelsäule ist auch ein Schwerpunkt von degenerativen Verformungen der Wirbelsäule. Diese Tatsache spiegelt sich bei verschiedenen Algorithmen mit Referenzkollektiven in den Schwellenwerten wieder, die im Bereich der mittleren BWS deutlich niedriger liegen als bei den übrigen Wirbelkörpern. Bei Algorithmen ohne Referenzkollektiv bzw. gleichen Schwellenwerten für alle Wirbelkörper führt es zu einer Überschätzung der Anzahl der osteoporotisch bedingten Verformungen im mittleren BWS-Bereich, eine zusätzliche visuelle Beurteilung ist hier besonders wichtig. Da eine Häufung von Deformationen in diesem Bereich jedoch auch bei der Bestimmung der Inzidenz vorliegt, erweist sich ein möglicher Verdacht, daß es sich hier ausschließlich um degenerative Veränderungen handelt, als falsch. Die am häufigsten auftretende Frakturform bei inzidenten Frakturen ist in der vorliegenden Arbeit die konkave Fraktur, also ein Einbruch der Grund- oder Deckplatte des jeweiligen Wirbelkörpers. Die konkave Fraktur tritt ebenso wie die deutlich seltener auftretende bikonkave oder crush-förmige Fraktur über die gesamte Wirbelsäule verteilt auf. Keilförmige Frakturen finden sich vorwiegend im Bereich der BWS, in zwei Fällen trat diese Form der Frakturen bei LWK 1 auf. Eine mögliche Erklärung bieten hierfür die normalen anatomischen Unterschiede der Wirbelkörper. Im Bereich der unteren LWS ist die anteriore Höhe der Wirbelkörper häufig größer als die entsprechende hintere Höhe 20, 37. Dadurch muß ein Wirbelkörper im Bereich der Vorderkante deutlich stärker an Höhe vermindert sein, um von einem Algorithmus mit einem einheitlichen Schwellenwert für alle Wirbelkörper als deformiert erkannt zu werden. Imail et al. 38 untersuchten die Form und Lokalisation von vertebralen Deformationen bei 6362 Männern und 7200 Frauen in Europa. Als Definition einer Deforma-

45 tion wurde der Algorithmus nach McCloskey verwendet. Als häufigste Deformation fand sich hier eine keilförmige Deformation mit einer bei Männern deutlich stärker ausgeprägten Konzentration im Bereich der mittleren BWS sowie einem bei beiden Geschlechtern zweitem Deformationsmaximum im Bereich des thorakolumbalen Überganges. An zweiter Stelle lagen konkave oder bikonkave Deformation mit einer gering ausgeprägten Konzentration im Bereich der LWS. Crush-Deformationen fanden sich nur in geringer Anzahl ohne erkennbare Schwerpunkte. Die Tatsache, daß im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit keilförmige Deformationen am häufigsten auftraten, ist möglicherweise auf eine nicht durchgeführte Differentialdiagnose zurückzuführen. Vor allem keilförmige Deformationen sind, insbesondere bei Männern, häufig degenerativer Genese. Insgesamt ist die Lokalisation und Häufigkeit der Frakturformen jedoch mit dieser Arbeit gut vergleichbar. Studien zur Prävalenz sowie Inzidenz vertebraler Frakturen bei Männern sind bisher nur in sehr geringem Maße durchgeführt worden, da Osteoporose lange Zeit als typische Frauenerkrankung angesehen wurde. Die vorliegende Arbeit zeigt jedoch Prävalenzen und Inzidenzen bei Männern, die in gleicher Höhe wie bei Frauen liegen. Hier sind weitere prospektive Studien notwendig.