1 Studie: Erfassung der inhaltlichen und methodischen Anforderungen an Beratungs- und Unterstützungsangebote für Unternehmer mit Migrationshintergrund Präsentation der ersten Teilergebnisse durch Ulrike Krämer und Norbert Trenkle (SFZ Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) Fragestellung der Studie: Haben Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund spezifische Probleme bei der Unternehmens- bzw. Existenzgründung und beim Bestehen auf dem Markt? Resultieren daraus inhaltliche und methodische Anforderungen an Beratungs- und Unterstützungsangebote für diese Zielgruppe? Untersuchungsdesign: Erste Phase: 7 qualitative Interviews mit Experten/innen verschiedener Institutionen aus dem Bereich Gründungs- und Unternehmens- bzw. Betriebsberatung. Zweite Phase: 18 qualitative Interviews mit Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund, davon ein großer Teil durch muttersprachliche Interviewerinnen in Türkisch und Russisch. Methoden der Befragung: Experteninterview und Leitfaden-Interview (teilstandardisiert und halbstrukturiert mit narrativen Passagen), die in Form einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden. 1. Ergebnisse aus den Experteninterviews 1 : Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund sind auf der einen Seite mit spezifischen Schwierigkeiten konfrontiert, können auf der anderen Seite jedoch auch spezifische Potentiale ausschöpfen: 1.2 Spezifische Schwierigkeiten a) Rechtliche Zugangsbarrieren bestehen, wenn der Aufenthaltstitel keine oder eingeschränkte Erlaubnis für selbständige Tätigkeit enthält. Hier ergeben sich Veränderungen durch das neue Zuwanderungsgesetz. 1 Das Merkmal Migrant bzw, Migrationshintergrund wird in der Regel von Beratungsinstitutionen nicht erhoben, so dass keine gesicherten Zahlen über diese Zielgruppe vorliegen. Jedoch haben alle befragten Expert/innen Erfahrung in der Beratung von Unternehmern/innen bzw. Existenzgründern/innen mit Migrationshintergrund. Als Experten/innen standen uns mit ihren Erfahrungen zur Verfügung: Frau Poller und ihre Kollegen von der IHK, Herr Singer, Herr Wägner und Herr Pfattheicher von der HWK, Herrn Ugurlu von TIAD, Herrn Alliochin vom AAU, Herrn Edenharter von Nexus und Herrn Dr. Oberlander aus der Gründungsberatung des Instituts für freie Berufe an der Universität Erlangen Nürnberg.
2 b) Sprachliche Probleme bestehen vor allem in der ersten und teilweise auch in der zweiten Einwanderergeneration. Das unzureichende Verständnis der Fachsprache von Behörden und Institutionen wirkt sich problematisch auf Existenzgründung und erfolgreiche Unternehmensführung aus. Teilweise ist auch ein rein subjektiv begründetes Gefühl der Sprachunsicherheit trotz guter Beherrschung der deutschen Sprache vorhanden. c) Defizite im Bereich Bildung und Ausbildung sowie bei formalen Bildungszertifikaten (z.b. anerkannte Schulabschlüsse, Gesellen- oder Meisterbrief) bestehen insbes. bei Migranten/innen der ersten Generation. Jedoch auch bei Angehörigen der 2. Generation ist die formale Bildung und Ausbildung aufgrund sozialer Schichtzugehörigkeit im Durchschnitt niedriger als in der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund. Besondere Defizite bestehen auch bei betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnissen. Häufig besteht fehlende Einsicht in die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer guten fachlichen Aus- und Weiterbildung und Qualifizierung; daher werden Angebote zur Weiterqualifizierung oft nicht im notwendigen Maß wahrgenommen. d) Fehlendes Vorverständnis für (steuer)rechtliche und sonstige institutionelle und ordnungspolitische Rahmenbedingungen: Migranten/innen v.a. der ersten Generation haben ein eher gering entwickeltes Vorverständnis über die Existenz und Relevanz dieser Rahmenbedingungen, deren Missachtung jedoch schwere rechtliche und finanzielle Folgen haben kann (z.b. Steuernachzahlungen). Das mangelnde Vorverständnis erschwert zugleich die Einsicht in die Notwendigkeit, sich zu informieren und beraten zu lassen. e) Finanzierung: Zugang zu Existenzgründungsdarlehen und anderen öffentliche Förderungen ist besonders schwierig (aufgrund mangelnder Kenntnis und Schwierigkeiten bei der Antragsstellung). Für Bankdarlehen fehlen zumeist die Sicherheiten (Grundproblem für kleine Existenzgründer/innen überhaupt), wobei zusätzlich mangelnde sprachliche Ausdrucksfähigkeit die überzeugende Präsentation eines Unternehmenskonzeptes behindern kann. f) Unkenntnis über Marktgepflogenheiten und das Fehlen einer längeren marktwirtschaftlichen Erfahrung vor allem bei Existenzgründern/innen und Kleinunternehmern aus Osteuropa führen immer wieder zum Abschluss ungünstiger Verträge bzw. Geschäfte und zur Ausnutzung durch Dritte (vor allem Subunternehmer/innen in Baubereich). g) Erschwerter Zugang zu Kunden/innen und Märkten außerhalb ethnischer Nischen: das Verlassen der ethnischen Nische fällt schwer, da es einer Neuorientierung auf dem Markt bedarf. Insbesondere Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe haben Schwierigkeiten, Privatkunden/innen außerhalb der ethnischen Nische zu gewinnen (häufiger Grund sind Vorurteile auf Seiten der deutschen Kunden/innen).
3 1.2 Spezifische Potentiale a) Das unternehmerische Selbstverständnis und der Drang zur Selbstständigkeit ist v.a. bei den Zuwanderern/innen aus dem Mittelmeerraum stark ausgeprägt. Wesentlicher Grund dafür ist die relativ späte Industrialisierung und die damit zusammenhängende längere Tradition des Kleingewerbes. Hieraus resultiert eine Fähigkeit zur Behauptung auf dem Markt. Dieses Potential ist jedoch meist an die Orientierung auf das ethnische Marktsegment gekoppelt und leidet, wenn diese Nische verlassen wird. b) Die starke Unterstützung durch den Familienverband stellt ein weiteres Potential dar. Im Falle einer Existenzgründung beteiligt sich die gesamte Familie sowohl tatkräftig als auch finanziell. Hier besteht allerdings die Gefahr, dass ein eventuell drohender Bankrott nur hinausgezögert und das Familienvermögen aufgefressen wird. 2. Interviews mit Existenzgründer/innen Die Interviews werden derzeit noch durchgeführt. Es können einige vorläufige Resultate vorgestellt werden. 2.1 Schwerpunkte der Befragung Die Schwerpunkte der Befragung orientieren sich an den Ergebnissen der Experteninterviews und wurden in einem Pretest überprüft und angepasst. Sie lassen sich folgendermaßen gliedern: a) Art der Schwierigkeiten in der Gründungsphase und den ersten Jahren b) Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten c) Art der Finanzierung (z.b. familiäre Unterstützung, öff. Förderung) d) Ethnische Zusammensetzung von Kundschaft und Belegschaft e) Ausbildungsaktivitäten bzw. bereitschaft 2.2 Vorläufige Ergebnisse Die vorläufigen Ergebnisse der Interviews decken sich in vieler Hinsicht mit den Erkenntnissen aus der Fachliteratur und aus den Experteninterviews und stellen damit eine Verifizierung für die Region Nürnberg dar. a) Wenig spezifische Schwierigkeiten für Existenzgründer/innen mit hoher formaler Qualifikation: Insbesondere eine Meisterausbildung aber auch vergleichbare Ausbildungen (z.b. kaufmännischer Art) gewährleisten einen relativ sicheren Start in die Selbstständigkeit, da die notwendigen Qualifikationen und Kenntnisse vorhanden sind.
4 b) Öffentliche Beratungsmöglichkeiten sind wenig bekannt oder werden wenig in Anspruch genommen, grundsätzlich ist jedoch die Bereitschaft vorhanden, Angebote in Anspruch zu nehmen. c) Die Beratung und Unterstützung erfolgt oft durch Familie, Bekannte, ehemalige Kollegen/innen oder Steuerberater/innen: Diese Form der Wissensvermittlung stellt zwar eine wichtige Ressource dar, ist jedoch nicht hinreichend, da wichtige Informationen oft nur teilweise und ungenau weitergegeben werden. d) Die Finanzierung erfolgt großenteils aus eigenem und familiärem Vermögen: Dies ist eine Konsequenz aus dem schwierigen Zugang zu öffentlichen Förderungen und Bankkrediten. Die familiäre Unterstützung erfolgt häufig in Form einer Finanzierung des Lebensunterhalts in den ersten Jahren der Existenzgründung. e) Öffentliche Förderungsmöglichkeiten sind wenig bekannt und werden kaum in Anspruch genommen: Ein wichtiger Grund dafür sind die hohen Hürden für öffentliche Förderungen. Direkte Unterstützungen wie insbesondere das Überbrückungsgeld der Arbeitsagenturen und die Starthilfen für Ich-AGs werden dagegen häufiger in Anspruch genommen. 3. Spezifischer Beratungsbedarf von Existenzgründer/innen bzw. Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund Als Konsequenz aus den vorläufigen Ergebnissen der Untersuchung zeichnen sich folgende erste Empfehlungen für die Ausgestaltung des Beratungsangebots für Existenzgründer/innen bzw. Unternehmer/innen mit Migrationshintergrund ab. 3.1 Inhaltliche Schwerpunkte der Beratung Die Inhalte der Beratung unterscheiden sich nicht prinzipiell von denen einer üblichen Gründungs- und Betriebsberatung. Allerdings müssen einige Schwerpunkte anders gesetzt werden. Sie sollten sich an den unter Punkt 2.1 aufgeführten spezifischen Schwierigkeiten orientieren. a) Klärung der rechtlichen Voraussetzungen (Aufenthaltsstatus) b) Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen c) Möglichkeiten der Fremdfinanzierung und der Förderung d) Möglichkeiten der Betriebsberatung vor allem in den erste Jahren e) Marktgepflogenheiten (u.a. Risiken des Subunternehmertums) f) Überschreiten der ethnischen Nische 3.2 Methoden und Strukturen der Beratung Es konnten eine Reihe von nicht-fachlichen Faktoren identifiziert werden, die den Zugang zur Beratung erschweren und deren Erfolg gefährden können. Dazu zählen insbesondere:
5 a) Mangelnde Deutschkenntnisse oder subjektive Sprachunsicherheit b) Interkulturelle Verständnisschwierigkeiten bzw. Gefühl kultureller Fremdheit c) Mangelndes Vertrauen gegenüber Beratung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft Die Methoden und Strukturen des Beratungsangebots sollten darauf ausgerichtet sein, diese Barrieren und Schwierigkeiten zu beseitigen. Als konkrete Maßnahmen können vorläufig empfohlen werden: a) Beratung in der Muttersprache b) Berater/innen mit Migrationshintergrund c) Beratungsnetzwerke von Existenzgründern und Selbstständigen