Nachhaltige Chemie was ist das? Leuphana Universität Lüneburg, 10. Januar 2012 Peak Oil ist jetzt die Nichtnachhaltigkeit der Petrochemie Jörg Schindler ASPO Deutschland e.v. 85521 Ottobrunn (schindler@lbst.de / joerg.schindler@mucl.de) 1
Überblick Einleitung Conventional Wisdom Muster der Ölförderung und Peak Oil Peak Oil ist jetzt Ein Peak Oil Szenario Peak Oil Aspekte und Indizien Die Internationale Energieagentur und Peak Oil Peak Oil zeigt die Nichtnachhaltigkeit der fossilen Energienutzung Aufbruch in die postfossile Welt 2
Einleitung - Conventional Wisdom - 3
Süddeutsche Zeitung über Peak Oil: Der Schrat 4
Cornucopia das Füllhorn: Energie im Überfluss! Ein Beispiel von vielen: New York Times vom 16. November 2010 Energy, and Plenty of it, for Decades to Come (Hauptüberschrift) There Will Be Fuel (Titel des Artikels) 5
IEA (WEO 2010) auch in Zukunft Business as Usual (BAU) 6 Quelle: International Energy Agency (IEA), World Energy Outlook 2010 Graphik: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)
Muster der Ölförderung und Peak Oil 7
Endlichkeit wie zeigt sich das beim Öl? Der letzte Tropfen? Wie lange reicht das Öl? Die falsche Frage führt zu falschen Antworten. Peak Oil! Wann folgt auf die Zeit jedes Jahr mehr die Zeit des jedes Jahr weniger? 8
Ölfunde und Ölproduktion Crude oil + NGL / Condensate 160 Largest oil field (Saudi Arabia) 140 Legend Onshore Deep water [Gb per year] 120 100 2nd largest oil field (Kuwait) 80 1st oil crisis (1973) 2nd oil crisis (1979) 60 Production 40 20 0 1920 9 1930 1940 1950 Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, 2007 Source: IHS Energy 2006 1960 1970 1980 1990 2000
Idealisiertes Profil der Ölförderung Förderrate onshore offshore Zeit 10
Typisches Muster der Ölförderung in einer Region 11
UK - Rohölförderung der einzelnen Felder 12
Die Ölförderung in Europa Geschichte und Prognose 13
Globale Ölförderung: nur noch wenige Länder vor dem Peak 14 Quelle: Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, 2010
Rohölförderung nach Entdeckungsjahr der Ölfelder 15 Darstellung: www.oljekrisa.no, 2011
Ölfunde und Ölförderung Bis heute hat man mehr als 47.500 Ölfelder entdeckt, doch die 400 größten Ölfelder (1%) enthalten mehr als 75% des gefundenen Öls. Die größten Ölfelder hat man vor mehr als 50 Jahren gefunden. Seit den 1960er Jahren nimmt die Rate der Ölfunde ab. Seit den 1980er Jahren übersteigt die jährliche Förderung die jährlichen Neufunde. Dem historischen Maximum der Ölfunde muss notwendig irgendwann ein Maximum der Förderung folgen. 16
Peak Oil ist jetzt 17
Plateau der konventionellen Ölförderung seit Mitte 2004 Mb pro Tag US$ pro Barrel 76 140 Weltweite Ölförderung in Mb pro Tag 74 72 105 70 68 70 66 64 35 Ölpreis (Nymax) in US$ pro Barrel 62 Jun 2010 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2008 Jan 2007 Jan 2006 Jan 2005 Jan 2004 Jan 2003 Jan 2002 Jan 2001 Jan 2000 Jan 1999 Jan 1998 Jan 1997 Jan 1996 0 Jan 1995 Jan 1994 60 Quelle: US Energy Information Agency EIA 2010, Darstellung Ludwig-Bölkow-Systemtechnik 18
Durchschnittliche globale Ölförderung pro Tag Crude Oil & Lease Condensates Jahr Tsd. Barrel pro Tag 2004 72 476 2005 73 718 2006 73 430 2007 72 988 2008 73 308 2009 72 314 2010 73 497* * Durchschnitt Januar bis Oktober 19 Quelle: US Energy Information Agency EIA, Januar 2011
Durchschnittliche globale Ölförderung pro Tag Crude Oil & Lease Condensates Jahr Tsd. Barrel pro Tag 2004 72 564 2005 73 801 2006 73 518 2007 73 052 2008 73 717 2009 72 355 2010 74 062 Quelle: US Energy Information Agency EIA, September 2011 20
Auf dem Weg zu transparenteren Daten 21
Durchschnittliche globale Ölförderung pro Tag Crude Oil & Lease Condensates Jahr EIA JODI Tsd. Barrel pro Tag 2004 72 564 70 500 2005 73 801 72 100 2006 73 518 72 500 2007 73 052 71 800 2008 73 717 72 000 2009 72 355 69 700 2010 74 062 70 600 Quelle: 22 US Energy Information Agency EIA, September 2011 JODI, Datenlücken plausibel ergänzt
Peak Oil Szenarien 23
Szenario der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik Peak Oil ist jetzt 24
Peak Oil ist jetzt Halbierung der Ölförderung bis 2030 und Szenario (2010-2050) Quelle:Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, 2010 25
Zukunft der globalen Ölförderung nach Jean Laherrere 26
Peak Oil Aspekte und Indizien 27
Oil was ist das? Das Problem unterschiedlicher Definitionen 28 (1) Konventionelles Öl: Crude Oil & Lease Condensates (C&C) (2) Öl aus Teersanden und Schwerstöle (3) NGL (Natural Gas Liquids): 70% des volumetrischen Energieinhalts (4) Refinery Gains (5) Ethanol: 60% des volumetrischen Energieinhalts (6) Biodiesel C&C JODI: (1) C&C EIA : (1)+(2) All Oil BP: (1)+(2)+(3) All Liquids EIA und IEA: (1)+(2)+(3)+(4)+(5)+(6) NGL? Nicht wirklich Öl und irreführend in bbl-gleichsetzung! Biogene Kohlenwasserstoffe: Nicht Öl, sondern Substitut für Öl!
The power of depletion Die momentan bestehende globale Förderkapazität nimmt wegen der Erschöpfung der Felder jedes Jahr um etwa 5% ab. Bezogen auf die all oil Förderung von 82 Mb/Tag (BP) heißt das: Es müssen jedes Jahr neue Felder mit einer Förderkapazität von 4,1 Mb/Tag angeschlossen werden, nur um die Förderung konstant zu halten! 29 Das entspricht in etwa der aktuellen Förderung von Iran, dem viertgrößten Förderer weltweit.
Der Rückgang der globalen Netto-Exporte 30 Die globalen Netto-Exporte werden schneller zurückgehen als die globale Förderung wegen des steigenden Eigenverbrauchs der Förderländer. Das ist jetzt schon zu sehen (BP-Zahlen und CIA Factbook): - Das Maximum war 2005 erreicht mit 45,9 Mb/Tag - Rückgang bis 2010 auf 42,7 Mb/Tag (minus 3,2 Mb/Tag) - und das bei laut BP konstanter Förderung. Prominentes Beispiel: Rückgang der Exporte Saudi Arabiens seit 2005 um 20% (von 9,1 auf 7,2 Mb/Tag)! Aber auch UK: in nur 6 Jahren nach dem Peak in 1999 vom Netto-Exporteur zum Netto-Importeur geworden. Rückgang des Verbrauchs der OECD vom Maximum von 50 Mb/Tag in 2005 auf 46,4 Mb/Tag in 2010 (minus 5,4 Mb/Tag).
Erschließungskosten für zusätzliche Förderkapazitäten Billiges Öl kann es nicht mehr geben! Mögliche neue Öl und NGL Förderkapazitäten 2011 bis 2016 und wahrscheinliche Förderkosten Quelle: Chris Skrebowski, ODAC Newsletter, Sept. 16, 2011 31
Ölpreise: ein klarer Trend trotz großer Volatilität Im Trend sind die Ölpreise seit 2003 jedes Jahr um 10 $/bbl gestiegen. Rekord-Ölpreis im Jahr 2011: Brent im Jahresdurchschnitt bei 111,26 $/bbl. Darstellung: Chris Skrebowski, ODAC Newsletter, Sept. 16, 2011 32
Die Internationale Energieagentur (IEA) und Peak Oil 33
Die prägende Rolle der IEA für die öffentliche Wahrnehmung Die Internationale Energie Agentur (IEA) in Paris ist der 'energy watchdog' der OECD-Staaten seit den Ölpreiskrisen der 1970er Jahre. Sie wurde gegründet als Gegengewicht zur OPEC. Die IEA projiziert über die Jahre eine ungebrochene Zukunft, business as usual (BAU) - einerseits. Andererseits kommen alte Gewissheiten in's Wanken. So werden die Berichte der IEA von Jahr zu Jahr widersprüchlicher: langsame Annäherung an die Realität bei gleichzeitiger Leugnung des Offensichtlichen. Man muss die Berichte der IEA lesen, wie früher die Prawda. 34
World Energy Outlook 1998 der IEA Oil Supply Profiles 35
Die IEA und Peak Oil Im World Energy Outlook 1998 (WEO 1998) wurde Peak Oil diskutiert: - faire Schilderung der Argumente - IEA sieht Versorgungslücke irgendwann im nächsten Jahrzehnt... In den folgenden Jahren ist das Thema (und der Begriff) tabu: ungebrochenes künftiges Wachstum soweit das Auge reicht. 36
World Energy Outlook 2004 der IEA Reference Scenario 37
Die IEA und Peak Oil Nach 1998 war für die IEA Peak Oil ein Tabu. Dann die große Überraschung im WEO 2010: Der Peak der konventionellen Ölförderung war schon im Jahr 2006 {... und keiner hat's gemerkt...} Macht aber nichts (war gar nicht so wichtig), weil...... Oil production becomes less crude. Im neuen WEO 2011 wird diese Aussage in einer Fussnote halbherzig korrigiert: Eine Revision der Daten habe ergeben, dass die Förderung in 2008 geringfügig höher war als 2006. 38
IEA: Peak der konventionellen Erdölförderung war bereits im Jahr 2006...... Crude oil output reaches an undulating plateau of around 68 69 mb/d by 2020, but never regains its all time peak of 70 mb/d reached in 2006, while production of natural gas liquids (NGLs) and unconventional oil grows strongly. [Page 6]
World Energy Outlook 2010 der IEA 40
IEA: Ölförderung in 2030 langsame Annäherung an die Realität Quelle: ChrisMartenson.com 41
Der WEO 2010 A Cry for Help? Kjell Aleklett, President of ASPO International: In WEO 2010 the IEA presents facts that mean only one thing the peak of oil production is imminent. By showing this data without announcing this obvious conclusion the IEA is making a cry for help to do what, for them, is politicly impossible. WEO 2010 is a cry for help to tell the truth about peak oil. 42
Peak Oil zeigt die Nichtnachhaltigkeit der fossilen Energienutzung 43
Die Folgen des Erfolgs: die Nichtnachhaltigkeit zeigt sich jetzt Das westliche Entwicklungsmodell beruhend auf reichlicher und billiger Energie weist eine beispiellose Dynamik auf und ist attraktiv. Die nachholende Entwicklung in (ehemaligen) Schwellenländern hat sich von Mal zu Mal beschleunigt: Japan, Südkorea, China... Die Folgen des Erfolgs: Weil das Entwicklungsmodell so erfolgreich war, kommt es umso schneller an ein Ende. Peak Oil markiert den Anfang vom Ende des nichtnachhaltigen Ressourcenverbrauchs. Das Entwicklungsmodell ist nicht verallgemeinerbar (nicht für alle Menschen auf der Welt, nicht für künftige Generationen) Es geht nicht so weiter, weil es nicht so weiter gehen kann! 44
Das fossile Buffet 45
Ein Steinkohle-Szenario: China und GUS-Länder dominieren Maximum laut IEA im WEO 2010 Quelle: Ludwig-Bölkow-Systemtechnik 46
Peak Oil leitet den Peak aller fossilen Energiequellen ein Peak um 2015 47
Aufbruch in die postfossile Welt 48
Peak Oil leitet das Ende von Business as Usual ein Erdöl (und allgemein Energie) billig und reichlich : Diese implizite Grundlage unserer Wirtschafts- und Lebensweise kommt an ein Ende. In Zukunft muss mit Energie gewirtschaftet werden. Knappheiten werden spürbar. Als erstes wird der moderne fossil angetriebene Verkehr betroffen sein. Der Raumwiderstand wird steigen. Zeitlich versetzt werden Knappheiten auch für die Petrochemie spürbar. Längerfristig bricht die Grundlage für die Petrochemie ganz weg. 49
Die postfossile Welt wird keinen Rückschritt darstellen Was bestimmt die postfossile Welt? Wird die Zukunft sein wie die Zeit davor? Präfossil? Die postfossile Welt wird sich grundlegend von der präfossilen Welt unterscheiden. Grund dafür sind Basisinnovationen des fossilen Zeitalters: - die Nutzung der Elektrizität, - die Nutzung des vollen Spektrums erneuerbarer Energien, - die Technologien der Datenverarbeitung und der Kommunikation, - das Fahrrad - das erste postfossile Verkehrsmittel! 50
Leitplanken für die künftige Entwicklung Unser Weltbild ist geprägt von der fossil getriebenen industriellen Revolution. Doch der Treiber für eine andauernde Beschleunigung fällt weg, die Zukunft wird anders sein. Energiequellen werden erneuerbar sein müssen. Dazu braucht es Flächen, Rohstoffe und Kapital. All das ist begrenzt. Die Welt muss mit weniger Energie auskommen. Die ethische Maxime: Verallgemeinerbarkeit der Lebensverhältnisse für alle Menschen und für künftige Generationen! Die Beendigung der Nichtnachhaltigkeit ist die große 51 Gestaltungsaufgabe für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Die Transition in eine postfossile Welt Damit sind wir am Beginn einer neuen Great Transformation (Karl Polanyi). Diesmal von einer fossilen zu einer postfossilen Welt. Für diese Transformation gibt es keinen Masterplan. Die Zeitskalen werden eine entscheidende Rolle spielen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Transformation ohne Verwerfungen abgehen wird. 52
Vom fossilen Verkehr zur postfossilen Mobilität VAS Verlag, Bad Homburg 2009 53
Buch in Zusammenarbeit von LBST mit Toyota Motor Europe Martin Zerta Werner Zittel Jörg Schindler Hiromichi Yanagihara AUFBRUCH UNSER ENERGIESYSTEM IM WANDEL Der veränderte Rahmen für die kommenden Jahrzehnte FinanzBuch Verlag München, 2011 54
Ölförderung in der Tiefsee das Endspiel des Ölzeitalters oekom Verlag München, März 2011 55
Links ASPO Deutschland e.v.: www.energiekrise.de Energy Watch Group: www.energywatchgroup.org Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH: www.lbst.de 56