Off-Label-Use in der Arzneimitteltherapie

Ähnliche Dokumente
Begutachtung 31 Abs. 6 neu

Kostenantrag. Vorbemerkungen

Pressekonferenz Cannabis-Report

Pressekonferenz Cannabis-Report

SOZIALGERICHT BREMEN BESCHLUSS

Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften


Lilly Jahressymposium 2008 zur Versorgung von Krebspatienten Nicht kommerzielle Studien in der Onkologie zu Lasten der GKV?

V I N VerordnungsInfo Nordrhein

Alte und neue Regelungen bei der Arzneimittelerstattung für Kinder und Jugendliche

Andreas v. Blanc, MPH. Cannabisverordnung aktuelle Entwicklungen für die Praxis

Off label use Umgang in der Klinik

Cannabinoide in der Palliativmedizin: Erfahrungen und Perspektiven

Stellungnahme. des Medizinischen Dienstes. des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) zum Gesetzentwurf der Bundesregierung

Was muss vor der ersten Verschreibung eines Cannabisarzneimittels beachtet werden?

Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom

Zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln im Rahmen klinischer Studien ( 35c SGB V)

ALS-Tag Cannabishaltige Medikamente Behandlungsergebnisse und neue Gesetzgebung

Therapie mit Cannabidiol bei Epilepsie

Stellungnahme der Bundesärztekammer

Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung - Details

Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes zur Verbändeanhörung am Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher

BAnz AT B2. Beschluss

V I N VerordnungsInfo Nordrhein

Neue Rechtslage bei Off-Label-Use- und Compassionate Use-Verordnungen zu Lasten der GKV bzw. PKV

Extrakt aus Cannabis Sativa L., folium cum flore (Wirkstoffkombination Delta-9- Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol)

Stellungnahme der unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 16. September 2016

Off Label Use Rechtsprechung des BSG

TEIL 2 - Aktuelle Themen

BESCHLUSS. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 405. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung)

Aktuelles zu Cannabis-Arzneimitteln - Praktische Umsetzung weiterhin schwierig

Die neue Arzneimittel-Richtlinie und das Modul Arzneimittel der Verfahrensordnung des G-BA

Off-Label-Use in der Palliativmedizin: keine Kassenleistung?

Stellungnahme. des Medizinischen Dienstes. des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS)

Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung Fragen und Antworten

Leistungsanspruch Durch die neue Regelung erhalten Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung Cannabis

Cannabidiol. Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht

Off-Label Use in der Onkologie

Off-label-use von Arzneimittel in der Palliativmedizin

Medizinalhanf. Ein Systembruch in Arzneimittelentwicklung und Versorgung? Diskussionsforum SEG 6 & KCPP Medizinisches Cannabis in der GKV

Orphan Drugs. Arzneimitteltherapie seltener Krankheiten

B N H O. BERUFSVERBAND DER NIEDERGELASSENEN HÄMATOLOGEN UND INTERNISTISCHEN ONKOLOGEN IN DEUTSCHLAND e.v.

Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Antrag bei der Krankenkasse Zur Übernahme der Behandlungskosten - Off Label Therapie bei Uveitis - Patient:, geb. Datum:

28. Oktober 2015 I Seite 1. Der Vertragsarzt im Spannungsfeld zwischen Verordnungsfähigkeit und Regressgefahr

Frühe Nutzenbewertungen nach AMNOG: Einblicke in die aktuellen Verfahren und mögliche Auswirkungen für Ärzte und Patienten

Cannabinoid-Verordnungen in der Praxis

Erforderliche Angaben auf einer Verordnung von Cannabisblüten

Erstattungsfähigkeit komplementärer Verfahren

Ausnahmemedizin Cannabis

Cannabisarzneimittel auch in der Palliativmedizin?

Cannabis alte Pflanze mit neuer Karriere. Referent: Elmar Thome

L. Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien gemäß 35c SGB V

SEMINARE. Seminare. Patientenrechte - Krankenkasse - Pflegestufe , Rheinsberg. R. Müller

Stellungnahme. des Medizinischen Dienstes. des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.v. (MDS) zur Erörterung des Referentenentwurfs

Cannabis als Medizin Probleme bei der Übernahme der Kosten

Cannabis als Medizin: Bisherige Erfahrungen des BfArM und Aufgaben der Cannabisagentur. Dr. Peter Cremer-Schaeffer,

Referent: Dr. rer. nat. Udo Kranich Fachpsychologe für Verkehrspsychologie Psychologischer Psychotherapeut

SOZIALGERICHT BREMEN BESCHLUSS

Arbeitshilfe zur Begutachtung von Arzneimitteln im Krankenhaus. Dr. Johannes Lemminger Leiter SEG 4 MDK Baden-Württemberg

Cannabis in der Therapie

Waltraud Timmermann. Stellvertretende Vorsitzende

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die frühe Nutzenbewertung und ihre rechtlichen Herausforderungen

Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin Am Mildenweg Ruethen Tel.:

BAnz AT B6. Beschluss

Off-Label in der Onkologie. Ulrich Keilholz Charité Berlin Deutsche Krebsgesellschaft Vorsitz Expertengruppe off-label Onkologie (BfArM)

Frühe Nutzenbewertung aus Sicht des IQWiG. Jürgen Windeler

Dr. Michael Hörnig Deutsche Arzneimittel Codex Neues Rezeptur Formularium Eschborn

zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP Medizinalcannabis-Anbau zum Export ermöglichen (Bundestagsdrucksache 19/4835),

Tragende Gründe zum Beschluss. des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL):

Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Wie Sie wissen, ob eine neue Medizin für Sie geeignet ist

V~6--~ Barbara Steffens 16/4151. An die Präsidentin des Landtags Norc;frhein-Westfalen Frau Carina Gödecke MdL Platz des Landtags 1.

Tragende Gründe. Vom 28. Mai Inhaltsverzeichnis. 1. Rechtsgrundlagen. 2. Eckpunkte der Entscheidung. 3. Beratungsverlauf

Tragende Gründe. Vom 18. Oktober 2018

AMB 2015, 49, 41. Cannabinoide als Arzneimittel

Arzneimittelverordnung in der Arztpraxis. Strategien zur Regressvermeidung

Stellungnahme. der. zum. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher. und

Anlage 1 Beschlüsse des G-BA über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie

MDK Begutachtung bei SAPV und stationärer Hospizversorgung. Dr. med. Carmen-J. Steiger MDK Nord MDK-Tag Essen

Off-Label-Use. von Arzneimitteln. Dissertation. zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. rer. nat.) der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät

Cannabis in der Praxis

BAnz AT B1. Beschluss

Abgrenzung von Arzneimitteln zu Lebensmitteln Arbeitsweise des BfArM

Stellenwert der Cannabinoide in der Schmerzbehandlung. Kirsten R. Müller-Vahl

Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung des Beschlusses zur Neufassung der Arzneimittel-Richtlinie

INFORMATIONEN FÜR DIE PRAXIS

Antwort. Deutscher Bundestag Drucksache 18/ der Bundesregierung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Cannabis und Multiple Sklerose

Translationale Zentren

Rechtliche Grundlagen der Indikationsstellung für GKV- Leistungen

Forum Gesundheit des IKK e.v. am 6. März 2012 in Berlin Ulrich Wenner

Transkript:

Off-Label-Use in der Arzneimitteltherapie MDK im Dialog mit der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft NRW Dr. rer. nat. Nina Mahnecke-Sleyoum, M.P.S. Apothekerin

Arzneimittelbegutachtung - welche Infos benötigt der MDK? Diagnose Befunde (Arzt-, Krankenhaus-, Reha-Berichte ) Angaben zur geplanten Therapie Welches Arzneimittel/Produkt konkret? (Wirkstoff, Handelsname, Applikationsart, Applikationsschema ) Angaben zur vorangegangenen Therapie Studien/Publikationen Zulassungsstatus im Ausland bei Einzelimport 73 AMG Seite 2

Abgrenzungen Arzneimittelähnliche Medizinprodukte Medizinprodukte Hilfsmittel Diätetika bilanzierte Diät Fertigarzneimittel Lebensmittel/ Nahrungsergänzungsmittel Rezepturarzneimittel Verbandstoffe Kosmetika/ Hautpflege Seite 3

Was ist Off-Label-Use? Jede Abweichung von der Zulassung (Fachinformation) Indikation Kontraindikation Applikation/Darreichungsform/Anwendungsschema Dosis Einschränkungen zum Anwendungsort/-bedingungen (z. B. Propofol) Seite 4

Gesetzliche Regelungen zum Off-Label-Use Haftung Off-Label-Use Indirekt im AMG o 28 Abs. 3a AMG (Anwendungsbeobachtungen) o Haftung nach 84 Abs. 1 Nr. 1 AMG (bestimmungsgemäßer Gebrauch) o Wenn Unternehmen von regelmäßiger Anwendung außerhalb der Zulassung hätte wissen können, haftet das Pharmaunternehmen Erstattungsfähigkeit Off-Label-Use 35c SGB V BSG-Urteil vom 19.03.2002 (Az.: B 1 KR 37/00 R) BVerfG-Beschluss vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) Seite 5

Erstattungsfähigkeit Off-Label-Use I 35c SGB V Expertengruppen BfArM, Anlage VI der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA (Teil A) o o Gabapentin zur Behandlung der Spastik im Rahmen der Multiplen Sklerose Amantadin bei der Multiplen Sklerose zur Behandlung der Fatigue (Teil B, NICHT erstattungsfähig) In klinischen Studien, Kostenübernahme GKV möglich auf Antrag bei G-BA Seite 6

Erstattungsfähigkeit Off-Label-Use II BSG-Urteil vom 19.03.2002 (Az.: B 1 KR 37/00 R) Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung (lebensbedrohlich/lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt) und keine andere Therapie (medikamentös/nicht-medikamentös zulasten GKV) verfügbar ist und aufgrund Datenlage begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg (zulassungsreife Daten/Phase-III-Daten) Seite 7

Erstattungsfähigkeit Off-Label-Use III BVerfG-Beschluss vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) Akut lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich und keine andere Therapie (medikamentös/nicht-medikamentös zulasten GKV) verfügbar und Indizien (nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Einwirkung auf Krankheitsverlauf) Seite 8

Cannabis als Medizin 31 Abs. 6 SGB V Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Seite 9

Cannabinoide Produkte - Grundlagen Hanf als Arzneimittel I Cannabis sativa enthält 85 Phytocannabinoide aus der Gruppe der Terpenphenole, die bisher in keiner anderen Pflanze entdeckt wurden, die wichtigsten: Δ9Tetrahydrocannabinol (THC) o stärkste Wirksubstanz des Cannabis o psychoaktiv o relaxierend, sedierend und antiemetisch (?) Cannabidiol (CBD) o schwach bis gar nicht psychoaktiv o entzündungshemmend, anti-schizophren und anti-epileptisch (?) o modulierend auf THC, ggf. Abschwächung der THC-Wirkung und so antipsychotisch Seite 10

Cannabinoide Produkte - Grundlagen Hanf als Arzneimittel II Vielzahl von Nicht-Cannabinoiden, über 120 verschiedene Terpene und 21 Flavonoide mit verschiedenen pharmakologischen Eigenschaften Seite 11

Cannabinoide Produkte - Grundlagen Wirkstoffe Cannabispflanze = Hauptwirkstoffe THC und CBD sowie diverse Nabiximol = Pflanzenextraktmischung aus den Blättern und Blüten der Hanfpflanze (Cannabis sativa L) mit THC und CBD Dronabinol = teilsynthetisches THC Nabilon = vollsynthetisches THC Alle unterliegen dem BtMG Seite 12

Cannabinoide Produkte I Cannabisblüten Dronabinol als Rezeptursubstanz Eingestelltes, raffiniertes Cannabisölharz als Rezeptursubstanz Marinol (Wirkstoff Dronabinol) Canemes (Wirkstoff Nabilon) Sativex (Wirkstoff Nabiximol) Rezeptursubstanzen (?!) der Firma Tilray (THC und CBD) Seite 13

Cannabinoide und die Patienten Alle ersten Verordnungen sind genehmigungspflichtig Ausnahme In-Label-Use-Verordnungen der zugelassenen Arzneimittel Sativex und Canemes o Sativex wird angewendet zur Symptomverbesserung bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von MS, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Bisherige Ausnahmegenehmigung führt nicht automatisch zu einem Anspruch nach 31 Abs. 6 SGB V Ausnahmegenehmigungen sind inzwischen alle erloschen Seite 14

Cannabinoide und schwerwiegende Erkrankung Rechtsprechung des BSG und Arzneimittel-Richtlinie: o lebensbedrohlich oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt viele Erkrankungen verlaufen in verschiedenen Stadien und haben unterschiedliche Ausprägungen individuelle Situation des Patienten berücksichtigen Seite 15

Cannabis und Evidenz nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome o (bisher) keine eindeutige Definition dieser Formulierung o Beschluss des BVerfG (sog. Nikolaus-Beschluss vom 6. Dezember 2005) nicht ganz entfernt liegende Aussicht (der umstrittenen Methode) auf spürbare positive Wirkung Hinweise können sich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben Aussicht auf spürbare positive Wirkung umso größer, je schwerwiegender eine Erkrankung und je hoffnungsloser die Situation des Patienten ist Seite 16

Cannabinoide und Leistungsträger Der MDK kann, muss aber nicht, hinzugezogen werden ( 276 Abs. 4 SGB V) nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse ( 31 Abs. 6 SGB V) Krankenkasse entscheidet, ob und wann sie den MDK beauftragt Auftragserteilung nur sinnvoll, wenn eine ärztliche Bestätigung der Cannabinoidverordnung gemäß 31 Abs. 6 SGB V vorliegt Übliche Fristen/Abläufe gemäß 13 Abs. 3a SGV V, bei Anwendung im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) innerhalb von 3 Tagen Begutachtungsanleitung Sozialmedizinische Begutachtung von Cannabinoiden nach 31 Absatz 6 SGB V Hervorhebung durch die Verfasserin Seite 17

Cannabinoide und der MDK Bei Antragseingang mit einer ärztlichen Verordnung fordert der MDK die für die Begutachtung relevanten Unterlagen bei dem Behandler bzw. ggf. Patienten an Arztfragebogen aus Begutachtungsanleitung als Beispiel für notwendige Informationen Sozialmedizinische Bewertung durch den MDK Entscheidung für oder gegen Genehmigung der (ersten) Verordnung ausschließlich durch die Krankenkasse Seite 18