Crashkurs Strafrecht Wintersemester 2018/19

Ähnliche Dokumente
Crashkurs Strafrecht Wintersemester 2017/18

Crashkurs Strafrecht Wintersemester 2017/18

F könnte sich durch die Messerattacke auf M wegen Totschlags gem. 212 I StGB strafbar gemacht haben.

AG im Strafrecht Modul S1 (2/8) - Michael Jahn - Wintersemester 2014/2015

Lösungsskizze Fall Tatkomplex: Schlagen durch A auf die Brust des D. Strafbarkeit des A

A. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB durch Schlagen des L mit der Tüte

Lösungshinweise Fall 11

Fall 6. A. Strafbarkeit der J wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB durch Werfen der Coladose

Lösungsskizze Fall 8

Fall 10. A. Strafbarkeit des V wegen Hausfriedensbruchs gem. 123 Abs. 1 StGB durch Betreten und Verweilen in der Wohnung des M

Körperverletzung 223 Qualifikationen

Wintersemester 2010 / Klausurenkurs zur Examensvorbereitung im Strafrecht. 2. Klausur / Tritte auf die Unrechtsseite

2. Nulla poena sine lege und andere verfassungsrechtliche Bezüge

Lösungsskizze Fall 8

Konversatorium Strafrecht Allgemeiner Teil I

Wiederholungsfall: Strafbarkeit der F gem. 212 StGB?

Fall 4. Indem R dem J mit dem Baseballschläger hart auf den Kopf schlug, könnte sie sich wegen Totschlags gemäß 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht haben.

Lösungsskizze Fall 5

Lösungsskizze Fall 3

Fall 1. Einleitender Obersatz für das jeweilige zu prüfende Delikt (hier: 303 Abs. 1 StGB)

Strafrecht I Allgemeiner Teil 1. Unzumutbarkeit ( 33, 35 StGB) Prof. Dr. D. Klesczewski

I. Strafbarkeit wegen Totschlags B könnte sich durch das Werfen mit dem Messer des Totschlags an G gemäß 212 StGB strafbar gemacht haben.

Lösungsskizze Fall 3

Probeklausur vom 17. Dezember 2014

HANLR 1/2018. Studienpraxis. StrafR I Rock

Begehungsdelikt Teil 1 (TB)

Universität Heidelberg Besprechungsfall 8 Wintersemester 2014/15

Strafrecht I Allgemeiner Teil 1. Einwilligung; mutmaßliche Einwilligung; Rechtswidrigkeit Prof. Dr. D. Klesczewski

Universität Heidelberg Besprechungsfall 3 Sommersemester 2014

Lösungsvorschlag Fall 4 Tatkomplex 1: Die Begegnungen zwischen N und V

C könnte sich durch das Töten der O des Totschlags gemäß 212 I StGB strafbar gemacht haben.

Tötungs- und Körperverletzungsdelikte

Fall 4 I. Strafbarkeit des K 1. Tatbestand

Anwendungskurs Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte. SoSe Fall 2: Lösungsskizze -

Lösung. A. Strafbarkeit des B. I. 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 1. Objektiver Tatbestand. a) Unfall im Straßenverkehr (+)

Einführung in das Strafrecht

Konversatorium Strafrecht Allgemeiner Teil I

Konversatorium Strafrecht III Nichtvermögensdelikte

Konversatorium zum Grundkurs Strafrecht I

besteht aus. a) Vorsatz. und

Lösungsskizze Fall 6

Crashkurs Strafrecht Wintersemester 2017/18

Anwendungskurs Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte

Fall 2. Variante 1. Variante 2

Universität Heidelberg Besprechungsfall 1 Sommersemester 2014

Konversatorium Strafrecht III Nichtvermögensdelikte

Europäisches Strafrecht

Fall 7. A. Strafbarkeit des A wegen Totschlags gem. 212 Abs. 1 StGB durch Erstechen des S

Lösungshinweise zur Probeklausur

2. Ergebnis A hat sich durch den Schuss auf X nicht wegen Totschlags nach 212 I StGB strafbar gemacht.

Anwendungskurs: Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte

I. Notstandslage 1. Gefahr (für beliebiges Rechtsgut), die 2. gegenwärtig und 3. rechtswidrig ist.

Klausurenkurs. Arbeitsgemeinscha. im Strafrecht. SoSe Ingo Albert

Examensrepetitorium Strafrecht AT. Rechtfertigungsgründe NOTWEHR 32 StGB

Universität Heidelberg Besprechungsfall 2 Sommersemester 2015

Lösungsvorschlag zu Fall 3

Fall 5 Grundfall: Die Auseinandersetzung in der Disco

Fall 8. A. Strafbarkeit des N wegen Körperverletzung gem. 223 Abs. 1 StGB durch die Magenoperation und die Entfernung der Zyste

Fall 3 I. Strafbarkeit des T 1. Tatbestand

Klausurenkurs im Strafrecht Lösungshinweise zur Klausur vom Diana Thörnich Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Mark A.

Konversatorium zum Grundkurs Strafrecht III

Erlaubnistatbestandsirrtum und Co - ein Webinar rund um die Irrtümer im Rechtfertigungsbereich Sabine Tofahrn. juracademy.de 1

Rechtfertigungsgründe

AG Modul Strafrecht I WS 15/16

Lösungsvorschläge für die Fälle 6 bis 9

Prof. Dr. C. Prittwitz Strafrecht I / WS 16/17 -Lösungsskizze Hausarbeit-

Andere Rechtfertigungsgründe im Strafrecht

AG Strafrecht I. Wintersemester 2018/19 Woche 7

BGH, Urteil vom 25. März 1952, BGHSt 2, 246 Exbraut

Anwendungskurs Strafrecht SoSe 2010 Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte - Wiederholungsfall - Fall 1 - Gutachten

A. Tatkomplex 1: Das Täuschungsmanöver gegenüber der Mutter - Strafbarkeit des A

Strafrechtliche Grenzen für MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen. Karin Bruckmüller (JKU Linz/ LMU München) Gewalt in der Pflege AK Stmk 1.6.

Methodik der Fallbearbeitung im Strafrecht Prof. Dr. Struensee Sommersemester 2000 Hausarbeit

Anwendungskurs: Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte

Examensrepetitorium Strafrecht AT

BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003, BGHSt 49, 34 Heroin

Anwendungskurs Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte - Mittelbare Täterschaft -

Jura Online - Fall: Latino Liebe - Lösung

Übung Strafrecht WS 2012/ 2013 Lösungshinweise Übungsfall 3

Lösung. Tatkomplex 1: Geschehen vor der Wohnung der A

Begleitkolleg zum Grundkurs I bei Wiss. Mit. Barbara Reich Fälle und Lösungen unter Vorüberlegung: Wer von wem was woraus?

Konversatorium zum Grundkurs Strafrecht III

Gliederung. I. Strafbarkeit des B, C und D nach 242 I, 243 I Nr. 2, Nr. 3, 25 II StGB

Universität Heidelberg Lösung 1. Klausur Sommersemester Lösungsskizze

10: Körperverletzung ( 223 StGB)

Strafrecht II Allgemeiner Teil 2. Unterlassen, Teil 2 Prof. Dr. D. Klesczewski

Konversatorium Strafrecht III Nichtvermögensdelikte

Lösungshinweise zu den Straftaten gegen das Leben (2)

Strafrecht und Ethik. Der Abschuss gekaperter Flugzeuge

BGH, Urteil vom 18. Mai 1993, BGH NStZ 1993, 489 Falscher Zeuge

Wiederholungs- und Vertiefungskurs Strafrecht II (BT)

BGH, Beschluss vom 18. März 1952, BGHSt 2, 194 Anwaltsnötigung. Materialien: Arbeitsblatt AT 26; Arbeitsblatt Examinatorium AT 27

Vorsätzlich vollendetes Begehungsdelikt Rechtswidrigkeit

Übung für Fortgeschrittene im Strafrecht

jeder Fahrlässigkeitstat =

Lösung zum Übungsfall Faschingskeilerei

Wiederholungs- und Vertiefungskurs Strafrecht II (BT)

Transkript:

Universität zu Köln Fachschaft Jura Crashkurs Strafrecht Wintersemester 2018/19 Fall 2 Schulhof Sachverhalt: A schlägt den körperlich stark unterlegenen B auf dem Schulhof. Nach mehreren Schlägen, die regelmäßig auf ihn einprasseln und bei B sowohl blaue Flecken als auch erhebliche Schmerzen verursachen, holt B ein Springmesser heraus und sticht A in den linken Arm. Daraufhin lässt A von seinen Schlägen ab. A war schuldunfähig. Für B war dies nicht erkennbar. Strafbarkeit der Beteiligten?

2 Strafrecht Fall 2 Lösungsvorschlag A. Strafbarkeit A A könnte sich gem. 223 I StGB strafbar gemacht haben, indem er B schlug. I. Tatbestand 1. objektiver Tatbestand a) Taterfolg Dazu müsste A den B körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands. - Hier: Schläge, blaue Flecken (+) Körperliche Misshandlung: jede nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit o Jedenfalls bei Vorliegen von Schmerzen (+) b) Tathandlung Die Schläge des A können nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele. Die Schläge sind, mangels entgegenstehender Hinweise auch objektiv zurechenbar. c) Zwischenergebnis Der objektive Tatbestand der Körperverletzung ist erfüllt. 2. subjektiver Tatbestand a) Vorsatz Vorsatz ist der Wille zur Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis aller objektiven Tatbestandsmerkmale. A wollte den B schlagen und wusste, dass dies den B verletzten würde. Vorsatz (+) b) Zwischenergebnis Er handelte vorsätzlich bzgl. der Körperverletzung

3 Strafrecht Fall 2 II. Rechtswidrigkeit (+) III. Schuld Laut Sachverhalt ist A schuldunfähig. IV. Ergebnis A ist nicht gem. 223 I StGB strafbar. B. Strafbarkeit B B könnte sich gem. 223 I, 224 I Nr. 2 Var. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er A in den Arm stach. I. Tatbestand 1. objektiver Tatbestand a) Taterfolg Dazu müsste B den A körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. - Gesundheitsschädigung: Jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands - Hier: Stichverletzung am Arm (+) - Körperliche Misshandlung: Jede nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit; hier Schmerzen durch den Stich (+) - Schnittwunde ist eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit b) Kausalität der Tathandlung (+) c) Qualifikation, 224 I Nr. 2 Var. 1 Dazu müsste B die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs bewirkt haben. - Waffe: Gegenstände, die allgemein dazu bestimmt sind, Menschen über eine mechanische oder chemische Wirkung zu verletzen (Prototyp: Schusswaffe) - Ob es sich um eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug handelt, hängt von der Art des Messers ab. Ein Springmesser ist eine Waffe; dafür spricht auch, dass es sich um eine Waffe im Sinne des Waffengesetzes handelt.

4 Strafrecht Fall 2 d) Zwischenergebnis Der objektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung ist erfüllt. 2. subjektiver Tatbestand B müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis aller objektiven Tatbestandsmerkmale. B wusste, dass er A am Körper verletzten würde und dies auch mittels des Springmessers. Dies wollte er auch. B handelte also vorsätzlich bzgl. der gefährlichen Körperverletzung II. Rechtswidrigkeit 1. Notwehr In Betracht kommt allerdings eine Rechtfertigung wegen Handelns in Notwehr gem. 32 StGB. Eine Rechtfertigung gemäß 32 setzt eine Notwehrlage (gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf notwehrfähiges Rechtsgut), eine Notwehrhandlung (jede zur Abwehr des Angriffs geeignete und erforderliche Handlung) und ein subjektives Rechtfertigungselement voraus ( um zu, handeln in Verteidigungsabsicht). a) Notwehrlage Eine Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf notwehrfähiges Rechtsgut voraus. aa) Notwehrfähiges Rechtsgut: - Körperliche Integrität des A (+) bb) Angriff: - menschliches Verhalten, in dessen Folge die Verletzung eines Individualrechtsguts droht hier (+) cc) Gegenwärtigkeit des Angriffs: - der Angriff muss unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch fortdauern hier schlägt A noch auf B ein, daher (+)

5 Strafrecht Fall 2 dd) Rechtswidrigkeit des Angriffs: - h.m.: Erfolgsunrechtskonzeption: entscheidend für die Rechtswidrigkeit des Angriffs ist ob die bewirkte oder drohende Rechtsgutsverletzung selbst durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist der Angegriffene muss sie dann dulden. Angriff des A war nicht gerechtfertigt, er war lediglich schuldunfähig. Angriff wäre somit rechtswidrig - t.v.a: Verengung des rechtswidrigen Angriffs auf einen rechtswidrigen, schuldhaften Angriff - Contra: Wortlaut (rechtswidrig vs. Schuldhaft); steht der Konzeption des schneidigen Notwehrrechts entgegen ee) Zwischenergebnis - rechtswidriger Angriff (+) - daher: Notwehrlage (+) b) Notwehrhandlung - Gerechtfertigt ist jede zur Abwehr des Angriffs geeignete und erforderliche Handlung- Geeignetheit des Stichs (+) - Erforderlichkeit des Schusses in einer solchen Situation: existiert ein milderes Mittel, das gleich geeignet gewesen wäre, den Angriff sicher und endgültig abzuwehren ("schneidiges Notwehrrecht")? - B ist körperlich stark unterlegen, zurückzuschlagen daher nicht gleich geeignet o Sonstige Mittel sind nicht ersichtlich, zumal es keine Ausweichobliegenheit gibt. - Daher: Erforderlichkeit (+) c) Gebotenheit - Gebotenheit der Notwehrhandlung: Sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts - Es findet grds. bei der Notwehrprüfung keine Verhältnismäßigkeitsabwägung statt. Dennoch gibt es Fallgruppen, in denen das schneidige Notwehrrecht nicht angepasst erscheinen. Im Sinne der Ganzheit der Rechtsordnung sind in diesen Konstellationen Anpassungen notwendig: entweder nur eingeschränktes Notwehrrecht in Form einer Abstufung oder völliges Ausscheiden des Notwehrrechts. - Notwehrrecht wird daher etwa bei erkennbar schuldunfähigen eingeschränkt - Vorliegend war dies für B allerdings nicht erkennbar - Daher Gebotenheit (+) d) subj. Rechtfertigungselement (+) 2. Zwischenergebnis A ist gem. 32 StGB gerechtfertigt.

6 Strafrecht Fall 2 III. Ergebnis A ist nicht gem. 223 I, 224 I Nr 2 Var. 2 strafbar. C. Gesamtergebnis: A und B sind straflos. Es handelt sich bei der Fallbearbeitung um einen Lösungsvorschlag, nicht um die Lösung. Alternative Klausuraufbauten und abweichende inhaltliche Lösungswege sind an vielen Stellen möglich. Verbesserungsvorschläge gerne an till.mengler@web.de.