HANDOUT ZUM VORTRAG MINDFULNESS BASED COGNITIVE THERAPY ZUR RÜCKFALLPROPHYLAXE BEI DEPRESSIONEN 30. Psychiatrietage Königslutter Dr. phil. Jörg Herdt, Dipl. Psych. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Überblick MBCT als achtsamkeitsbasiertes Verfahren: Einordnung Das MBCT-Programm Prinzipien, Ziele, Inhalte, Übungsbeispiele Evidenz und klinische Erfahrungen Voraussetzungen seitens Institution / Leitung / Klientel 2 1
Zum Einstieg: Eine Wahrnehmungsübung Hörmeditation (3-5 Minuten) 3 Prinzipien der Achtsamkeit Achtsamkeit = besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung absichtsvoll (nicht: zielorientiert) im aktuellen Moment nicht wertend Akzeptanzorientierung (vs. Veränderungsorientierung) Being = Sein-Modus (vs. Doing = Tun-Modus) Sein = experientiell; Gedanken als (mentale) Ereignisse Tun = konzeptuell; Gedanken als Realität 4 2
Achtsamkeit im therapeutischen Kontext Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), Jon Kabat-Zinn (2001) «Dritte Welle der Verhaltenstherapie»: heterogene Gruppe neuerer Methoden in der Verhaltenstherapie * Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) Akzeptanz and Committment Therapie (ACT) Schematherapie (ST) Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT) Metakognitive Therapie (MCT) Gemeinsamkeit: Skepsis gegenüber der Technik der kognitiven Umstrukturierung Neue Techniken und Themen: Metakognition, Akzeptanz, Werte, Beziehung, Spiritualität, Achtsamkeit * (nach Kahl et al., 2011) 5 «Dritte Welle der Verhaltenstherapie» DBT Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT), Linehan (1993) KVT basierte Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung Skillstraining zum Aufbau von funktionalen Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen beinhaltet u.a. Module zur Achtsamkeit und andere Strategien mit Bezug zu fernöstlichen Meditationstechniken. 6 3
«Dritte Welle der Verhaltenstherapie» ACT Akzeptanz and Commitment Therapie (ACT), Hayes et al. (1999) Verhaltenstherapeutische Methode, die Akzeptanzstrategien, Achtsamkeitsstrategien, Selbstverpflichtung und Verhaltensveränderungen nutzt. Akzeptanz als Alternative zum Vermeidungsverhalten. Innere Ereignisse wie Emotionen wahrzunehmen ohne mit ihnen zu kämpfen, ohne zu versuchen sie zu verändern. Kontakt mit dem gegenwärtigen Augenblick. Dem Patienten wird vermittelt in der Gegenwart mit der Umwelt und inneren Ereignissen in Kontakt zu bleiben ohne diese Ereignisse zu bewerten. 7 «Dritte Welle der Verhaltenstherapie» MCT Metakognitive Therapie (MCT), Wells (2009) ursprünglich an Angststörungen entwickelt und erfolgreich zur Behandlung der generalisierten Angststörung (GAS) eingesetzt. Modifikation von Metakognitionen und metakognitiven Prozessen (statt konkreter kognitiver Inhalte) Detached mindfulness (losgelöste Achtsamkeit): zehn Achtsamkeitstechniken Ziel: die Beziehung des Patienten zu seinen inneren Ereignissen verändern, einen flexiblen Wechsel zwischen Aktionsmodus und metakognitivem Modus ermöglichen, Beobachterposition gegenüber Gedanken und Emotionen einnehmen 8 4
MBCT: zugrunde liegendes Modell (1) Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression (MBCT) Segal, Williams und Teasdale (2002, dt. 2008) Störungsspezifisch: ursprünglich zur Rückfallprophylaxe für PatientInnen mit einer aktuell remittierten rezidivierenden depressiven Störung Achtsamkeitsbasierte Techniken, Schulung der Patienten in Hinsicht auf das frühe Wahrnehmen eines depressiogenen Denkstils Hypothese: Stimmung (Traurigkeit) kann bei remittiert depressiven Patienten jene Denkmuster reaktivieren, die während der Depression vorherrschten Rückfälle werden deshalb zunehmend leichter gebahnt 9 MBCT: zugrunde liegendes Modell (2) Differential Activation (Teasdale, 1988) 10 5
MBCT: zugrunde liegendes Modell (3) kein Rückfall negatives Denken nicht negatives Denken Negative Gedankenmuster frühzeitig erkannt und nicht weiterverfolgt depressive Episode Remission niedergeschlagene Stimmung reaktiviert negatives Denken Negative Gedankenmuster werden wiederhergestellt Rückfall Nach Barnhofer (2010) 11 Ziele des MBCT Programms Lernen, Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen von Moment zu Moment wahrzunehmen Unerwünschte Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen anzuerkennen, achtsam anzunehmen und nicht in die gewohnten Denkmuster zurückzufallen nicht ändern oder stoppen, sondern andere Haltung gegenüber Gedanken Eigene Bedürfnisse wahrnehmen lernen und sich selbst fürsorglich begegnen Frühwarnzeichen für einen Rückfall erkennen lernen 12 6
Das Original MBCT Programm Ambulantes Rückfallprophylaxeprogramm bei Depressionen Richtet sich an Personen, die aktuell nicht depressiv sind, aber bereits mehrere depressive Episoden erlebt haben Kombiniert Achtsamkeitsübungen aus dem MBSR-Programm mit störungsspezifischen kognitiv verhaltenstherapeutischen Therapieelementen 8 wöchentliche Sitzungen à 2 (2.5) Stunden max. 12 Patienten pro Gruppe Kontraindikation: Suizidalität oder akute depressive Episode Psychotische Störung Aktueller Alkohol- oder Substanzmissbrauch Cave bei PTSD oder dissoziativen Störungen 13 Adaptation des Programms in den UPK Basel Ambulante UND stationäre PatientInnen gegen Ende des Aufenthaltes, Gruppengrösse 5-10 PatientInnen Ausschlusskriterien (wie Originalprogramm) 9 Sitzungen à 75-90 min. Orientierungsgespräch (pre-class-interview) 3 Einführungssitzungen 6 weiterführende Sitzungen Reduzierung der kognitiven Themen, Kürzung langer Übungen 2 GruppenleiterInnen 14 7
MBCT Gruppenprogramm: Adaptierte Version UPK Pre-classinterview Sitzung 1 Sitzung 2 Sitzung 3 Sitzung 4 Sitzung 5 Sitzung 6 Sitzung 7 Sitzung 8 Sitzung 9 Interview zur Anamnese und Informationsvermittlung Erstevaluation: BDI, FFA, MAAS Der Autopilot Übungen: Atemmeditation (10 Min.); achtsames Essen (Rosine); achtsame Alltagsaktivitäten Umgang mit Barrieren Übungen: kurze Atemmeditation, (10 Min.); Bodyscan (20 Min.) Erlauben und geschehen lassen Übungen: Bodyscan (20 Min.); Sehmeditation, (10 Min.); 3-Minuten-Atemraum Zwischenevaluation: BDI, FFA, MAAS Übungsprotokolle In der Gegenwart präsent bleiben Übungen: 3-Minuten-Atemraum; achtsames Dehnen von Muskeln; Sitzmeditation (20 Min.) Gedanken, Gefühle und Körper Übungen: Sitzmeditation (20 Min.); achtsames Gehen 15 Min Gedanken sind keine Tatsachen Übungen: achtsames Gehen (15 Min.); Sitzmeditation (25 Min.) Wie kann ich mich am besten um mich selbst kümmern Übungen: Sitzmeditation (25 Min.); 3-Minuten-Atemraum Warnsignale erkennen Übungen: 3-Minuten-Atemraum; Bodyscan (20 Min.) Das gelernte weiterhin anwenden Übungen: Bodyscan (20 Min.); Abschlussmeditation in Anlehnung an die Rosinenübung Abschlussevaluation: BDI, FFA, MAAS, Übungsprotokolle, Patientenzufriedenheit Adaptierte Version und Originalprogramm im Vergleich Herdt, J., Bührlen, B., Bader, K. & Hänny, C. (2012). Participation in an Adapted Version of MBCT in Psychiatric Care. Mindfulness, 3, 218-226. 16 8
Methodik der Gruppenarbeit im MBCT Der Inquiry Process nach Williams & Barnhofer (2010) 17 Sitzungsinhalte UPK Basel Meditationsübungen Wahrnehmungsübungen («Rosinenübung») Sitzmeditation 3-Schritt-Atemraum Body Scan ( Reise durch den Körper ) Gehmeditation Seh- / Hörmeditation achtsame Alltagsaktivitäten Kognitive Inhalte (Auswahl) Der Autopilot Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen, Körper Konsequenzen der Bewertung eines Ereignisses (ABC-Modell) Energieampel als Modell für die Rückfallprophylaxe 18 9
MBCT-Gruppe in Zahlen (1) UPK Basel Teilnehmende 20 Gruppen seit 2007 (177 PatientInnen) 81 Männer, 96 Frauen, Ø-Alter = 50.06 (SD=13.7) 138 (78.0%) ambulante, 31 (17.5%) stationäre und 8 (4.5%) ambulant und stationäre PatientInnen. 37 (20.9 %) stationäre PatientInnen der Privatklinik der UPK Hauptdiagnosen: Depressive Störung: 101 (57.1%) Angst-/Zwangsstörung: 37 (20.9%) Substanzinduzierte Störungen: 11 (6.2%) Persönlichkeitsstörungen: 7 (4.0 %) 19 MBCT-Gruppe in Zahlen (2) UPK Basel Drop-Out 109 (61.6%) der 177 Teilnehmenden beenden alle 9 Sitzungen. 68 (38.4%) beenden die Teilnahme vorzeitig. Davon steigt die Mehrzahl 52 (76.5%) innerhalb der ersten drei Sitzungen aus 82.6% der Personen, die sich nach drei Sitzungen für die weitere Teilnahme entscheiden, beenden die Gruppe regulär. 20 10
MBCT-Gruppe in Zahlen (3) UPK Basel Prädiktoren für reguläre Beendigung des Programms Abschluss der Einführungsphase (Besuch aller drei Sitzungen) erwies sich als einziger Prädiktor für das Beenden des gesamten Programms*. Weder Geschlecht, Alter noch die Stärke der depressiven Symptomatik (BDI) oder das Ausmass vorhandener Achtsamkeit (FFA) (jeweils zu Beginn der Gruppentherapie erfasst) konnte eine vorzeitige Beendigung vorhersagen*. (Einschätzung der Motivation durch TherapeutIn im pre-classinterview korreliert mit Anzahl teilgenommener Sitzungen)**. (Vorhersage der regulären Therapiebeendigung durch TherapeutIn im pre-class-interview hängt mit tatsächlichen Abschluss zusammen)***. * Multiple log. Regression ** bivariat. nonparam. Korrelation (Spearman Rho) *** Chi 2 -Test 21 MBCT-Gruppe in Zahlen (4) UPK Basel Zufriedenheit der PatientInnen 88.7% von 53 Patienten beurteilten die Achtsamkeitsgruppe als wichtig und hilfreich 96.3% von 53 Patienten würden die Achtsamkeitsgruppe weiter empfehlen 22 11
MBCT-Gruppe in Zahlen (5) UPK Basel Patient-related outcomes of the program Pre-course (M, SD) Week 2 (M, SD) Significance (pre vs. week 2) a Post-course (M, SD) Significance (pre vs. post) a BDI (n=47) 14.2 (8.48) 10.7 (8.08) p=.005 8.34 (6.01) p<.001 FFA (n=48) 33.2 (7.49) 35.4 (7.10) p<.001 39.0 (6.97) p<.001 MAAS (n=28) 54.5 (11.10) 57.3 (11.6) p=.001 64.7 (10.55) p<.001 a Paired t-test, two-sided. BDI: Beck Depressions Inventar FFA: Freiburger Fragebogen zur Achtsamkeit MAAS: Mindfulness Attention Awareness Scale Cave: keine Therapie(-vergleichs)studie mit randomisierten, kontrollierten Bedingungen 23 Evidenz von MBCT (1) Originalprogramm - Depression 6 RCTs zur Wirksamkeit von MBCT bei Patienten mit remittierter, rezidivierender Depression (Piet & Hougaard, 2011) Überlegenheit gegenüber antidepressiver Therapie oder treatment as usual in Hinsicht auf das Auftreten von depressiven Rückfällen, depressiven Restsymptomen und Lebensqualität Wirksamkeit bei Personen mit 3 vorausgehenden Rückfällen (Teasdale et al., 2000; Ma et al., 2004) Rückfallprävention vergleichbar mit antidepressiver Dauermedikation (Kuyken et al., 2008) Symptomreduktion bei behandlungsresistenter Depression (Kenny & Williams, 2007, Eisendrath et al., 2008) akuter Depression (Finucane & Mercer, 2006; Kingston et al., 2007) chronischer Depression (Barnhofer et al., 2009) 24 12
Evidenz von MBCT (2) Originalprogramm weitere Störungen Wirksamkeit von MBCT wurde mittlerweile auch bei Patienten Angststörungen und bipolarer Störung und Suizidgedanken untersucht Meta-Analyse (Hofmann et al. 2010): MBCT gleich hohe Effektgrössen wie CBT bei Angst- und affektiven Störungen Positive Effekte bei Panikstörungen (Kim et al., 2009), generalisierter Angststörung (Craigie et al., 2008; Evans et al., 2008) und Sozialphobie (Kovovski, et al., 2009: Koszycki, et al., 2007) Reduktion von depressiven Symptomen und Suizidgedanken (teilweise auch manischer Symptome) bei Patienten mit bipolarer Störung (Miklowitz et al., 2009) Pilotstudien versprechen positive Effekte auch bei Gesundheitsangst (McManus et al, 2011) und Essstörungen (Rawal et al., 2009) 25 Klinische Erfahrungen / Empfehlungen (1) UPK Basel MBCT-Gruppe kann sehr hilfreich beim Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung sein Orientierungsgespräch («pre-class-interview») ausserordentlich wichtig zur Klärung der Motivation und der Erwartungen «Bauchgefühl» der TherapeutInnen (Motivation, vorzeitige Beendigung der Gruppe) ist oft zutreffend Konzept mit 3 Einführungssitzungen bewährt sich sehr gut PatientInnen berichten von zusätzlichem Nutzen bei mehrfacher Gruppenteilnahme 26 13
Klinische Erfahrungen / Empfehlungen (2) UPK Basel Haltung und eigene Praxis der Gruppenleiter wesentlich Hilfreich, wenn einzeltherapeutisches Vorgehen nicht dem MBCT-Ansatz widerspricht (Bewältigung vs. Akzeptanz) Sinnvolle Ergänzungen: Ambulante Einzeltherapie + MBCT Achtsamkeit (Übungen, Konzepte aus MBCT) in der Einzeltherapie 27 Voraussetzungen für MBCT (1): Institutionell / Gruppenleitung Passung ins Gesamtkonzept der Einrichtung Abstimmung mit anderen Angeboten (gleiche Konzepte, z.b. Akzeptanz vs. Verdrängung/ Bewältigung/ Aushalten) Anforderungen an Gruppenleitung: Eigene Praxis der Achtsamkeit Fortlaufende Auseinandersetzung mit eigener Praxis Mitüben der angeleiteten Übungen Austausch mit andern MBCT-Anwendern, Teachbacks 28 14
Voraussetzungen für MBCT (2): Klientel / Teilnehmende Eigene Bereitschaft Kognitive Fähigkeiten Commitment Hilfreich: Beharrungsvermögen /Frustrationstoleranz Vorerfahrungen Weisheit Berücksichtigung der Ausschlusskriterien 29 Literatur zum Programm Das Handbuch zum Programm Das Buch für PatientInnen 30 15
DANKE FÜR IHRE (ABSICHTSVOLLE) AUFMERKSAMKEIT! Dr. phil. Jörg Herdt, Dipl. Psych. Leiter Direktionsstab Organisationsentwicklung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Wilhelm Klein-Strasse 27 CH-4012 Basel Tel. 061 325 5116 joerg.herdt@upkbs.ch www.upkbs.ch 31 16