Prof. Dr.-Ing. Dieter Lorenz, Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft, Fachhochschule Gießen-Friedberg. www.fh-giessen-friedberg.de



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Das Büro Add-onLINE, Mai 2010 Rubrik: Interview Open-Space-Architekturen haben viele Vorteile, bringen aber auch einige Nachteile mit sich. Foto: Waldmann. Gefährdete Work-Life-Balance Fachbeiratsmitglied Prof. Dieter Lorenz im Gespräch So viele Themen, so viele Interessen der Bereich Office ist ein weites Feld. Um hier immer auf dem Laufenden zu bleiben, wird Das Büro von einem Fachbeirat unterstützt. Dr. Robert Nehring interviewte den Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Dieter Lorenz. Prof. Dr.-Ing. Dieter Lorenz, Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft, Fachhochschule Gießen-Friedberg. www.fh-giessen-friedberg.de Seite 1/7

Herr Professor Lorenz, seit fast 30 Jahren sind Sie ein ausgewiesener Ergonomie-Experte. Was waren Meilensteile Ihrer Forschung in Bezug auf die Büroarbeit? Mit der rapiden Verbreitung der Bildschirmgeräte gewann das Thema Ergonomie im Büro an Bedeutung. Gerade die optimale Anpassung aller Arbeitsmittel an den Menschen war eine interessante Forschungsaufgabe. Am Fraunhofer-IAO haben wir uns sowohl mit der Hard- als auch mit der Softwaregestaltung hierzu beschäftigt. So entstand mit einem Schweizer Büromöbelhersteller ein neuartiges, individualisierbares Büromöbelprogramm, das schon in den 80er Jahren ein Sitz-Steh-Konzept für unterschiedlich zonierte Arbeitsflächen beinhaltete. An der Büroraumplanung müssen die Beschäftigten von Beginn partizipieren. Büros müssen von innen nach außen geplant werden. Nachdem der Arbeitsplatz als Grundstein der Büroarbeit definiert war ging es darum, den Büroraum den Anforderungen von Organisation und Mensch anzupassen. In vielen Neubauprojekten wurde deutlich, wie wichtig es ist, die Beschäftigten in den Bauprozess zu integrieren. Sie liefern wertvolle Informationen zum täglichen Arbeitsablauf und können Optimierungspotenziale aufzeigen. Die partizipative Büroplanung war geboren. Und völlig neu für die Architekten damals war mein Postulat, Büros von innen nach außen zu planen. Aus diesem Konzept entstand das von mir in den 90er Jahren entwickelte Bürokonzept des Lean Office. In einem gleichlautenden Buch wurde das Konzept vorgestellt. Die bis dahin bearbeiteten Projekte von Büroneubauten hatten gezeigt, dass sich Unternehmen immer schneller verändern. Neue Organisationen und die bestehenden Raumkonzepte passten in Form und Größe plötzlich nicht mehr zusammen. Hier musste schnell eine Antwort gefunden werden, die heute unter dem Begriff des Reversiblen Büros bekannt ist. Ich habe damals gemeinsam mit einem Bauherrenberater einen Bürohaus-Grundriss entwickelt, der aufgrund seines Achsmaßes und der Gebäudetiefe geeignet war, alle bekannten Büroformen vom Zellen- über das Gruppen- und Kombibüro bis hin zum heutigen Open Space umzusetzen. Darüber hinaus konnte sogar eine Büroform kostengünstig in die nächste überführt werden. Vielleicht hat sich der damals von mir gewählte Name Lean Office auch deshalb nicht durchgesetzt, weil der Begriff geschützt war. Aber es freut mich sehr, dass mein Lean Office zum anerkannten Standard für Neubauten wurde. Seite 2/7

Heute interessiert mich vor allem das Thema Kunstlicht. Seit 2001 ist ein Rezeptor im menschlichen Auge bekannt, der auf den Blauanteil im Licht reagiert und unseren Tagesrhythmus steuert. In mehreren Forschungsprojekten arbeite ich in interdisziplinär besetzten Teams daran, welche spektrale Zusammensetzung und Intensität des Kunstlichtes sich positiv auf Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen auswirken. In diesem Kontext hat gerade ein neues Forschungsprojekt zur Büroarbeit begonnen, in dem es um weitere zukunftsweisende Entwicklungen geht. Den beliebten Ein- bis Zweipersonen- Zellenbüros geht es an den Kragen. Open- Space-Architekturen sind im Kommen, bringen aber große Probleme mit sich. Mit welchen Bürothemen haben Sie sich in den letzten Jahren vor allem beschäftigt? Die moderne Arbeitswelt fordert seitens der Beschäftigten immer mehr Selbstverantwortung, auch bezogen auf den eigenen Gesundheitsschutz. Büroarbeit findet nicht mehr nur in Bürogebäuden statt, in denen die Sicherheitsfachkräfte auf die richtige Gestaltung der Arbeitsplätze und Büroräume achten. Büroarbeit kann zu Hause, unterwegs oder überall stattfinden. Das richtige Verhalten seitens der Beschäftigten wird damit noch wichtiger. Die richtige Work-Life-Balance wird die Forschung in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen, um vor allem Selbstausbeutung zu vermeiden. Unternehmer und Gesetzgeber fragen sich daher zunehmend, ob starre gesetzliche Anforderungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sinnvoll sind. Hier habe ich an der europaweit durchgeführten Evaluation der Bildschirmarbeitsverordnung mitgewirkt. Unser deutscher Projektteil hat gezeigt, dass der Wortlaut oder die genauen Anforderungen der Verordnung weitgehend nicht bekannt sind. Was die Verordnung fordert, wird jedoch in der Praxis umgesetzt und das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird von der Mehrzahl der Unternehmen positiv beurteilt. Mit der wachsenden Zahl gut qualifizierter Facility Manager und der globalen Betrachtung von Büroarbeit steht derzeit der Flächenverbrauch in unseren Büros auf dem Prüfstand. Den von vielen Beschäftigten in unserem Land so sehr geliebten Ein- bis Zweipersonen-Zellenbüros geht es gewissermaßen an den Kragen. Arbeitsplätze im Open Space benötigen weit weniger Platz und tragen somit zur Flächenwirtschaftlichkeit bei. Büroformen und Flächenverbrauch sind jedoch national unterschiedlich. Angelsächsische Lösungen passen bei uns nicht unbedingt. Betrachtet man die Kosten im Büro, so entfallen über 90 % auf die Personal- Seite 3/7

kosten und nur ca. 7 % auf die Fläche. Sicherlich müssen wir auch mit so genannten C-Kosten wie der Bürofläche verantwortlich umgehen, wir dürfen aber dabei nicht vergessen, dass hohe Flächenverdichtung sowohl das subjektive Wohlbefinden und die Arbeitsmotivation der Beschäftigten mindern als auch aufgrund von visuellen und akustischen Störungen sogar objektiv zu Leistungsminderungen beitragen können. Hier sehe ich mit großer Sorge eine Fehlentwicklung und will versuchen, mit entsprechenden Untersuchungen nachzuweisen, dass eine übertriebene reine Flächenreduzierung zu keiner Kostensenkung, sondern im Gegenteil zu einer Gesamtkostensteigerung führt. Gerade hierfür wäre ein intensiverer Austausch zwischen Arbeitswissenschaftlern, Büroeinrichtern und Facility Managern dringend angeraten. Human FM sollte diese Plattform darstellen. Aber die Praxis zeigt, dass die Akteure nicht recht zusammenfinden, obwohl es in allen Disziplinen nur um eines geht den Menschen! Dieser sollte ja bekanntlich im Mittelpunkt stehen, ist damit aber den meisten wohl im Weg. Human FM Der Begriff bezeichnet seit etwa 2005 den Versuch einer engen Zusammenarbeit zwischen Arbeitswissenschaftlern, Facility- Management(FM)-Anbietern, Büroeinrichtern und Büromöbelherstellern bei der Einrichtung und Bewirtschaftung von Büroflächen. Zentral ist eine ganzheitliche und nachhaltige Betrachtungsweise, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht ihm sollen die Arbeitsmittel und -bedingungen so gut wie möglich angepasst werden. Die zurzeit von verschiedenen Akteuren stark vorangetriebene Büroform des Open Space (für bestimmte Arbeitsaufgaben sicherlich eine gute Lösung, aber eben nicht für alle!) ruft vor allem Probleme im Bereich der Arbeitsumgebung hervor: Akustische und visuelle Störungen nehmen zu, das Einheitsklima passt nicht zu den individuell unterschiedlichen Vorstellungen. Viel Geld wird für Akustikmaßnahmen, Rückzugsräume und modernste Klimatechnik investiert. Das ist für mich so ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich kann mich noch gut an die Diskussion über die Großraumbüros aus den 60er und 70er Jahren erinnern. Letztlich wurden all diese Büros zu Sanierungsfällen. Und so bin ich ziemlich sicher, dass die immer weniger werdenden, hoch qualifizierten Büroarbeiter der kommenden Generation das Ende der zu engen und überdimensionierten Open Spaces massiv einläuten werden. Wenn tendenziell immer mehr Menschen auf immer weniger Büroraum arbeiten müssen wo ist Ihrer Meinung nach die Grenze? Seite 4/7

Eine Flächenoptimierung steht in unserem Land sicherlich an. Auch die kommunikationsförderlichen Gruppenbüros werden zunehmend sinnvoller, da sich die klassische Einzelarbeit in vielen Unternehmen auf dem Rückzug befindet. Einerseits sollte sich die Anzahl der Personen in einem Gruppenbüro nach der Art der Arbeitsaufgaben bemessen: Gut funktionierende Teams haben eine Größe von ca. acht Personen. Andererseits sollte ausreichend Fläche für den einzelnen Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen haben sich zehn bis zwölf Quadratmeter ohne Bürozusatzflächen, wie Besprechungs-, Technik- und Regenerationsräume, Flure etc., als positiv herausgestellt. Was ist in Bezug auf die Bildschirmarbeitsverordnung wichtig für die Zukunft? Auch wenn die Inhalte des Gesetzes aus der arbeitswissenschaftlichen Forschung der 80er Jahre stammen, so hat es nach wie vor Gültigkeit. Auch der technische Fortschritt der Arbeitsmittel macht die Verordnung nicht überflüssig. Nur ein Beispiel: Die zu vermeidenden Reflexionen auf dem Bildschirm waren mit Flachbildschirmen eigentlich behoben. Die neue Generation der Laptops hat jedoch Anzeigeflächen, die so sehr spiegeln, dass sie sich durchaus zum Rasieren eignen. Auch wenn die Verhältnisprävention in unseren Büros schon viel besser geworden ist, so sehe ich noch immer ein Defizit in der Verhaltensprävention. Die in der Bildschirmarbeitsverordnung geforderte Schulung und Information der Beschäftigten ist im Zeichen sich rasch verändernder Arbeitsweisen für die Zukunft von besonderer Bedeutung, damit die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Büromenschen erhalten bleibt. Die Bildschirmarbeitsverordnung bleibt notwendig: Moderne Notebook-Displays spiegeln z. B. so sehr, dass man sich darin rasieren könnte. Anfang März fand erneut die Branchenmesse Facility Management statt. Bekannte Büromöbelhersteller suchte man erneut vergeblich. Ist das Projekt Human FM wirklich gescheitert? Facility Manager sind in meiner Wahrnehmung noch zu sehr an den so genannten harten Zahlen interessiert. Ich habe in Frankfurt die Session Human FM mit hochinteressanten Vorträgen namhafter deutscher Forscher und Praktiker geleitet. Die Zahl der Zuhörer war überschaubar. Zeitgleich fand im Nebenraum eine Session zu Kosten statt. Diese war so gut besucht, dass Stühle aus unserem Raum in Seite 5/7

den Nebenraum getragen werden mussten, um genügend Sitzplätze anbieten zu können. Die ganzheitliche und nachhaltige Sichtweise von Human FM scheint mir in der Branche noch nicht richtig verstanden zu werden. Weiche Faktoren werden für den Erfolg der Unternehmen in Zukunft immer wichtiger. Vermutlich kommt die Zeit für Human FM erst noch. Spätestens dann, wenn wir verstanden haben, dass es keinen Sinn macht zu sparen, koste es, was es wolle. Effektivität und Effizienz sind die Themen der Zukunft und das ist viel erfolgreicher als sparen! Der Themenkomplex Licht Luft Lärm gelangt immer mehr ins Bewusstsein von Herstellern, Planern und Office Workern. Worauf ist hier besonders zu achten? Auch wenn die Mehrzahl der Zellenbüros unseren heutigen Anforderungen an Büroarbeit nicht mehr gerecht wird, so haben sie doch einen ganz entscheidenden Vorteil: Der Beschäftigte kann seine Arbeitsumgebung (Klima, Beleuchtung, Akustik) weitgehend individuell gestalten. Mit der Verbreitung des Open Space geht die individuelle Einstellbarkeit der Umgebungsfaktoren deutlich zurück. Schlimmer noch: Die Störpotenziale können sogar zunehmen. Nur gut, dass alle an der Planung und Gestaltung von Büros Beteiligten dies verstanden haben und große Anstrengungen unternehmen, die Umgebungsbedingungen im Büro zu optimieren. Ein Open Space muss akustisch besonders sorgfältig gestaltet werden, damit die Vorteile der verbesserten Kommunikation nicht aufgrund zu hoher Störungen ins Gegenteil umschlagen. Biologisch wirksame Kunstlichtbeleuchtung wird immer bedeutender, da wir uns viel zu wenig bei Tageslicht im Freien aufhalten. Mit Blick auf den demografischen Wandel ist zu berücksichtigen, dass ältere Arbeitnehmer deutlich mehr Licht benötigen als zurzeit noch von der Norm vorgegeben wird. Der Begriff Telearbeit verschwindet immer mehr aus dem Sprachgebrauch. Wird es dem Thema bald ähnlich ergehen? Oft ist festzustellen, dass Themen, die in den Fachzeitschriften nicht mehr besonders behandelt werden, in der Praxis längst zur Realität geworden sind. Man könnte fast sagen, je mehr über ein Thema geschrieben wird, desto weniger ist es umgesetzt. Die Büroarbeit verändert sich mit der immer besser werdenden IuK-Technologie rapide. Telearbeit hat gewaltig zugenommen, aber sie wird mehr mit dem Begriff der mobilen Arbeit belegt. Arbeite im Büro, beim Kunden oder unterwegs: Büro ist überall. Immer öfter finde ich in den Signaturen zu E-Mails neben der Geschäftsadresse auch die Kontaktdaten zum Home Office. Moderne Technik, flexible Arbeitszeitmodelle und die sich ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen machen mobile Arbeit möglich und notwendig. Seite 6/7

Ich selbst habe neben meinem Büro an der Hochschule ein voll ausgestattetes Home Office. Da wird schon mancher Samstag zum ganz normalen Arbeitstag und mancher Feierabend noch mit Arbeit gefüllt. Mir macht es viel Freude, zu Hause und unterwegs arbeiten zu können. Ich spüre aber auch ganz persönlich eine neue Form der Bedrohung: Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen immer mehr. Es ist viel Selbstdisziplin gefordert, damit das Pendel nicht gänzlich zur Dauerarbeit umschlägt. Die früher festgeschriebene Zuordnung von Arbeit auf den Büroarbeitsplatz im Unternehmen gibt es künftig nicht mehr. Die benötigten Unterlagen werden nicht mehr in Papierform im Büroschrank, sondern an jedem Ort der Welt online zur Verfügung stehen (Stichwort Cloud Computing). Chancen, aber auch Risiken tun sich da auf. Ein neues Betätigungsfeld für uns Arbeitswissenschaftler. Trotz aller Vorteile: Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ist eine ernst zu nehmende Bedrohung. Worin bestehen die größten Produktivitätsreserven in der heutigen Büroarbeit? Nicht die immer besser und schneller werdende IuK-Technologie stellt die größte Produktivitätsreserve dar, sondern mit großem Abstand der Mensch. Wenn es uns gelingt, den Menschen im Büro interessante Aufgaben zu übertragen, mit ausreichend großen Handlungsspielräumen und Selbstverantwortung und das in Räumlichkeiten, die Kommunikation und Konzentration ebenso fördern wie Kreativität, Motivation und Wohlbefinden, dann sind wir hervorragend aufgestellt, um die schwierigen Aufgaben der Zukunft zu meistern. Worin liegen die Herausforderungen künftiger Büroarbeit? In der immer stärkeren Durchdringung von Arbeit und Freizeit: Das Halten der Work-Life-Balance! Damit Gesundheit, Familien und Beziehungen nicht an der sich immer mehr ausbreitenden Arbeit leiden oder gar zerbrechen. Die hohe Flexibilität und der zunehmende Zeitdruck bei der Büroarbeit stellen einen Paradigmenwechsel dar. Wir Menschen müssen erst lernen, mit dieser neuen Situation angemessen umzugehen. Sie sehen, ein großes Betätigungsfeld auch für Ihre Zeitschrift, hier Ihren Lesern die neuesten Erkenntnisse verständlich vorzustellen und praktische Hinweise zu vermitteln. Das nehmen wir uns zu Herzen vielen Dank für das Gespräch. Seite 7/7