Michael Sommer Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Rede zur Eröffnung der Ausstellung Zerschlagung der Mitbestimmung 1933

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B

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Transkript:

Michael Sommer Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Rede zur Eröffnung der Ausstellung Zerschlagung der Mitbestimmung 1933 am 8. April 2013 in Berlin (FES) 1

Inhalt Begrüßung S. 3 Themenjahr Zerstörte Vielfalt S. 3 Ausstellung zeigt Vielfalt der Mitbestimmung S. 3 Vorbild Betriebsrätegesetz 1920 S. 5 2. Mai 1933: Zerschlagung der Gewerkschaften S. 7 Frühjahr 1933: Zerschlagung der Mitbestimmung S. 9 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (20.1.1934) S. 11 Ende der Mitbestimmung und Tarifautonomie S. 11 Neuanfang: Einheitsgewerkschaft, Mitbestimmung, Tarifautonomie S. 14 Ende: Dank an Ausstellungsmacher S. 16 2

Lieber Kurt Beck, sehr geehrter Prof. Mommsen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Berliner Senat hat unter der Überschrift Zerstörte Vielfalt ein Themenjahr initiiert, das an die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor achtzig Jahren und ihre Folgen erinnern soll. Es soll darstellen, wie bunt und vielfältig, ja wie lebendig die Weimarer Demokratie bis zu ihrem Zusammenbruch noch war. Das galt trotz vieler Schwierigkeiten auch für die Demokratie in der Wirtschaft, für die Mitbestimmung. Es ist das Verdienst der Ausstellung, die wir heute eröffnen, dass endlich einmal ausführlich die Vielfalt der Mitbestimmung und ihre Errungenschaften ins Gedächtnis gerufen und dargestellt werden. Sie gehören auch und ganz wesentlich zur Geschichte der Weimarer Republik. Und sie wurden unmittelbar nach der Machtübernahme von den Nationalsozialisten zerschlagen genauso wie die Gewerkschaften insgesamt. 3

Denn mit dem 30. Januar 1933 begann eine zwölfjährige Gewaltherrschaft, eine in der Menschheitsgeschichte einmalige industrielle Massenermordung europäischer Juden, die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma, sogenannter Asozialer und politisch Andersdenkender und ein sechsjähriger Angriffskrieg, an dessen Ende über 60 Millionen Tote zu beklagen waren. All dies ist mehr als nur ein Anlass zum Gedenken. Es ist, es muss ständige Mahnung, Verantwortung und Verpflichtung sein nicht nur Verantwortung und Verpflichtung für eine ständige Arbeit an der Erinnerung an die auf eine grausame Weise perfektionierte nationalsozialistische Diktatur, sondern auch Verantwortung und Verpflichtung für den Erhalt und den Ausbau demokratischer Strukturen in einer freien Gesellschaft. 4

Für die deutsche Arbeiterbewegung gehören freie Gewerkschaften, Mitbestimmung und Tarifautonomie zu den Grundbedingungen einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft. Sie waren und sind keinesfalls natürliche Gegebenheiten eines demokratischen Staates. Sie sind nach dem Ende des 1. Weltkrieges von der deutschen Arbeiterbewegung hart erkämpft worden. Denn diese Grundbedingungen sollten das Fundament der ersten Demokratie auf deutschen Boden bilden der Weimarer Republik. Und sie waren von Anfang an umstritten und wurden mit allen Mitteln bekämpft, insbesondere von den Industriellen aus der Schwerindustrie und dem Bergbau. Und doch: Mit dem Betriebsrätegesetz 1920 war Deutschland zum Vorreiter der Mitbestimmung in Europa geworden. Wie sie trotz aller Widerstände gelebt wurde, das veranschaulicht die Ausstellung auf wirklich nachdrückliche Art und Weise. 5

Die Ausstellung macht deutlich, dass für eine funktionsfähige Demokratie neben engagierten Staatsbürgern auch Arbeitsbürger in den Betrieben, in der Wirtschaft notwendig sind. Und sie gibt ungeachtet vieler Schwierigkeiten denen ein Gesicht und auch eine Stimme, die die Demokratie gelebt haben und die deswegen immer im Visier der Feinde der Freiheit standen. Betriebsräte waren in der Weimarer Republik Träger und Praktiker der Betriebsdemokratie und nicht, wie einige ideologisch motivierte Geschichtsdeutungen unterstellen bzw. kritisieren entmannte Arbeiter- und Soldatenräte. Und sie waren schon gar nicht Klassenverräter oder gar Vorläufer der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft. 6

Denn auch das zeigt die Ausstellung auf sehr prägnante Weise: die Nationalsozialisten und mit ihnen die Deutsche Arbeitsfront pervertierten die Idee und Realität einer Interessensvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und versuchten, diese Pervertierung mit Propagandarhetorik zu kaschieren. Doch das reichte den Nazis nicht: sie wollten die Mitbestimmung, die Gewerkschaften und alle die, die sie trugen, vernichten. Dafür steht der 2. Mai 1933. Ein Tag, der für die deutsche Arbeiterbewegung bis zu heutigem Tag von herausragender Bedeutung ist. An diesem Tag mussten die Freien Gewerkschaften die schwerste Niederlage in ihrer langen Geschichte erleben. Wir werden daran an anderem Ort erinnern! Nachdem die Nazis den 1. Mai als Feiertag der nationalen Arbeit inszeniert hatten, besetzten und verwüsteten SA-Kommandos Gewerkschaftshäuser, Büros und Wohnungen. Viele Gewerkschafter wurden, sofern sie nicht schon untergetaucht oder ins Exil gegangen waren, verhaftet oder in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert und nicht wenige wurden ermordet. 7

Die Zerstörung der Freien Gewerkschaften begann jedoch schon eher: Schon 1932 wurde das Tarifrecht aufgelockert, Tarifunterschreitungen von bis zu 50 Prozent wurden legalisiert. Und auch der Terror von SA und SS gegen Gewerkschaftsmitglieder und - funktionäre setzte vor dem 2. Mai ein. Seinen ersten blutigen Höhepunkt hatte er im März 1933. Allein am 13. März gingen beim Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Schreckensmeldungen aus über zwanzig Orten ein. 8

Anrede, anders als der Terror, die Besetzung und Verwüstung von Gewerkschaftshäusern oder die Verhaftung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern blieb für viele Bürgerinnen und Bürger die Zerschlagung der Mitbestimmung im Verborgenen. Wer wusste schon, dass die Freien Gewerkschaften bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 1933 fast drei Viertel der Stimmen erhalten hatten. Dagegen konnte die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, anders als die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März, in den Betrieben keine Mehrheiten erzielen. Dieser Umstand ist auch heute nur einer kleinen Gruppe von Historikern und wenigen an Gewerkschaftsgeschichte Interessierten bekannt. Dank der Ausstellung kann und wird sich das ändern! Sie zeichnet den Weg von der Mitbestimmung in die Betriebsdiktatur eindrucksvoll nach. 9

Dass die Nazis die Ergebnisse der Betriebsratswahlen des Frühjahrs 1933 auf ihrem Marsch in den totalitären Staat störten, verwundert nicht: Neben den Gewerkschaften waren es allein die Betriebsräte, die ihnen noch hätten gefährlich werden können. Unterstützt von weiten Kreisen der Schwerindustrie, die die Weimarer Republik als Gewerkschaftsstaat diffamierten, setzten die Nationalsozialisten am 25. März, also einen Tag nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, die Betriebsratswahlen bis zum 30. September 1933 aus. Mit dem Gesetz über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen vom 4. April 1933 wurde das Betriebsrätegesetz von 1920 und damit die Betriebsdemokratie endgültig beseitigt. Frei gewählte Betriebsräte wurden abgesetzt, unter Androhung von Gewalt aus ihren Ämtern gedrängt. All das geschah unter dem Deckmantel der Legalität. 10

Denn das verabschiedete Gesetz ermöglichte das Entfernen bzw. die Entlassung von Betriebsratsmitgliedern aufgrund einer staats- oder wirtschaftsfeindlichen Einstellung. Damit war anstelle des Rechts auf einen Einspruch gegen eine Kündigung durch Anrufung des Betriebsrates vor allem wenn diese möglicherweise wegen politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung erfolgte eine in Gesetzestexte gehüllte Willkür getreten. An die Stelle des Betriebsrätegesetzes trat schließlich das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (20. Januar 1934) maßgeblich mitverfasst von sozialreaktionären Sekundanten der Schwerindustrie. Auch ihnen gibt die Ausstellung übrigens ein Gesicht. Es wundert also nicht, dass dieses Gesetz von der Wirtschaft freudig begrüßt wurde. Mit ihm waren das Ende der Mitbestimmung und Tarifautonomie besiegelt. Denn mit der Einführung des Führerprinzips in den Betrieben war das vorindustrielle, feudale Herr-Knecht-Verhältnis wieder hergestellt. 11

So heißt es in den ersten beiden Paragraphen ich zitiere : Im Betriebe arbeiten die Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gemeinschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat. Und weiter: Der Führer des Betriebs entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten, soweit sie durch dieses Gesetz geregelt werden. Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten. (Ende des Zitats) Die dem Betriebsführer damit eingeräumte unbeschränkte Herrschaft gegenüber der Belegschaft stellt die von den Nationalsozialisten propagierte Werkgemeinschaft als zynische Floskel dar. 12

Löhne, Arbeitszeiten und betriebliche Sozialleistungen unterlagen der Willkür des Unternehmers und dienten oftmals als Diziplinierungsmittel. Durch die Individualisierung der Arbeitsbeziehung, also letztendlich die Atomisierung des einzelnen Beschäftigten, war ein kollektives Vorgehen gegen unternehmerische Willkür oder für mehr Lohn kaum möglich. Dennoch hatten immer wieder Einzelne den Mut zu Arbeitsniederlegungen und Bummelstreiks - allerdings nicht von Dauer und ohne große Unterstützung. Ein Eingreifen der Gestapo, willkürliche Verhaftungen oder die Drohung mit dem Konzentrationslager hielten viele davon ab, mit derartigen Aktionen ein Risiko einzugehen. Die vollkommene Entrechtung der Beschäftigten und die Willkürherrschaft der Unternehmer in einer auf einer Rassenideologie aufgebauten Diktatur bildeten schließlich den Rahmen und die Voraussetzung für die Entmenschlichung von Millionen von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern und Kriegsgefangenen einer Entmenschlichung, die für viele zum Tod durch Arbeit führte. 13

Anrede, es ist gut, dass die Ausstellung nicht mit diesem Kapitel endet. Denn es waren die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der Ersten Stunde, die noch vor dem Kriegsende sofort nach der Befreiung durch amerikanische und britische Truppen sich in spontan gebildeten Betriebsausschüssen für einen gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Neuanfang einsetzten. Sie retteten Betriebe vor der Zerstörung durch die Nazis, während sich viele Unternehmer abgesetzt hatten. Sie setzten alle Kraft daran, das materielle Elend zu beseitigen. Und sie schrieben den Aufbau der Einheitsgewerkschaft, von Mitbestimmung und Tarifautonomie auf ihr tagespolitisches Programm. 14

Aus den Erfahrungen mit einer in Richtungsgewerkschaften gespaltenen Arbeiterbewegung und deren Zerschlagung durch die Nationalsozialisten zogen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aller politischen und religiösen Weltanschauungen die gemeinsame Lehre, wie sie auf einer Betriebsversammlung formuliert worden ist: Ich zitiere: Der Bruderkampf aus der Vergangenheit darf nicht fortgesetzt, sondern es muss eine einheitliche Gewerkschaftsorganisation aufgebaut werden. (Ende des Zitates) 15

Anrede, es ist das Verdienst der heute eröffneten Ausstellung und ihrer Macherinnen und Macher der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Historiker Werner Milert und Rudolf Tschirbs die Zerschlagung der Mitbestimmung und das damit verbundene Ende der ersten deutschen Betriebsdemokratie einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Ich danke ihnen herzlich für ihre Pionierarbeit auf gewerkschaftshistorischem Feld. Und ich empfehle Ihnen Allen schon jetzt einen ausführlichen Blick in den wundervollen Ausstellungskatalog, in dem sie die Früchte dieser Pionierarbeit nachlesen können. Schließlich verbinde ich mit meinem Dank die Hoffnung, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit bald auch in Schulbüchern für Geschichte und Gesellschaftskunde zu finden sind und in Hochschulseminaren für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftswissenschaften zur Kenntnis genommen werden. 16