Qualitätssicherung bei der Versorgung des diabetischen Fußes Dr. Friederike Bischof Dr. Carsten Meyerhoff 2004
Der Fall Die 65-jährige Patientin hatte aufgrund einer Verletzung bei der Nagelpflege mit anschließender Infektion ihre rechte Großzehe verloren bei dieser Gelegenheit wurde auch der Diabetes festgestellt, der schon längere Zeit bestanden haben muss. Seither wurden ihr orthopädische Schuhe verordnet. Sie wußte, dass ihre Füße durch Amputation gefährdet sind, und beschloß, hierzu keinerlei Risiko einzugehen. Sie hatte erfahren, dass sie auf keinen Fall normale Konfektionsschuhe tragen durfte, sondern dass sie immer und ausschließlich orthopädische Schuhe mit ausreichender Weite und Höhe tragen muss. Bei einer Verletzung, und sei sie auch noch so klein, muss sie sofort einen Arzt aufsuchen. Die Patientin hatte panische Angst vor einer weiteren Amputation und hat die Anordnungen des Diabetologen und sonstiger Fachleute immer peinlich genau befolgt.
Nachdem die Patientin das erste Paar Schuhe (blaue Schuhe) zwei Jahre ohne Probleme getragen hatte, waren diese durch den häufigen Gebrauch schon sehr abgetragen und unansehnlich geworden. Die Hausschuhe waren zwar noch gut, aber sie konnte sie nicht auf der Straße tragen, und das Wechselpaar waren Winterstiefel; sie waren für die Jahreszeit oft viel zu warm. Da die Krankenkasse alle zwei Jahre neue Straßenschuhe bezahlt, ließ sich die Patientin eine ärztliche Verordnung für ein weitere Paar Schuhe beim Diabetologen ausstellen (schwarze Schuhe) und gab diese Schuhe bei ihrem Orthopädieschuhmacher in Auftrag. Bei der Aushändigung dieser schwarzen Schuhe wies sie der OSM darauf hin, dass sie die Schuhe erst zuhause stundenweise einlaufen soll, bevor sie den ganzen Tag getragen werden dürfen. Bei Problemen solle sie sich sofort wieder vorstellen, ansonsten in ca. zwei Wochen wiederkommen, ein fester Kontrolltermin wurde nicht vereinbart. Nachdem die Patientin genau nach Anweisung die Schuhe zuerst nur stundenweise zuhause getragen hatte und dabei keine Probleme aufgetreten waren, trug sie die Schuhe für einen längeren Marsch in der Stadt. Danach entdeckte sie eine blutige Blase an der Unterseite des Endgliedes ihrer linken Großzehe.
Um die Blase behandeln zu lassen, suchte die Patientin unverzüglich ihren Diabetologen auf. Dieser sah als Ursache der Verletzung die Schuhe an und verbot der Klägerin das weitere Tragen dieser Schuhe. Er schickte sie in ein Fußpflegeinstitut, wo die Patientin schon bekannt war und die Fußpflege durchführen ließ, zur Abtragung der Blasen und abgestorbenen Haut sowie zur Entfernung von Hornhaut und sonstigen Schwielen und Druckstellen. Die Blase heilte dann auch problemlos ab. Da die Patientin jedoch einen Verband um die Zehe tragen musste, passte sie in dieser Zeit in keine normalen Schuhe hinein. Deswegen trug sie Verbandschuhe, solange der Verband notwendig war. Natürlich reklamierte sie die verletzungsträchtigen schwarzen Schuhe beim OSM mit dem Hinweis auf den Diabetologen, der gesagt hatte, diese Schuhe taugten nichts, sie wären zu klein. Der OSM sah jedoch keinen Grund zur Nachbesserung oder Änderung an Schuhen oder Fußbettungen. Er war der Ansicht, er habe die Schuhe einwandfrei nach der Verordnung des Arztes gemacht.
Da der Arzt der Patientin das Tragen der schwarzen Schuhe streng verboten hatte, die Krankenkasse die telefonische Auskunft gab, dass sie auf keinen Fall sofort wieder ein neues Paar bezahlen würde, und der OSM eine Nachbesserung verweigerte, hatte die Patientin das große Problem, welche Schuhe sie jetzt tragen könne. Sie glaubte, dass ihr nach Abheilung der Blase gar nichts anderes übrig bleiben würde, als wieder die alten blauen Schuhe zu tragen und zu warten, bis sie ein neues Paar bekommen würde. Wenige Monate später trat an der selben Stelle an der linken Großzehe eine weitere Blase auf, diesmal hervorgerufen durch die alten blauen Schuhe. Wieder war eine Behandlung beim Diabetologen und im Fußpflegeinstitut notwendig, wieder musste die Patientin einen Verband und Verbandschuhe tragen und war in ihrem Aktionsradius stark eingeschränkt. Aber auch diese Blase heilte durch die gute und konsequente Therapie ohne größere Komplikationen ab.
Als sich jedoch drei Monate später schon wieder die Bildung einer Blase abzeichnete (der Sommer war noch nicht vorbei und die Patientin hatte wieder die blauen Schuhe getragen), riss ihr der Geduldsfaden. Sie hatte große Angst, ins Krankenhaus zu müssen und auch am anderen Fuss amputiert zu werden. Sie suchte also einen anderen OSM in einer anderen Stadt auf, um sich beraten zu lassen. Dieser empfahl ihr das Tragen von Diabeteskonfektionsschuhen mit Weichbettung und wies sie darauf hin, dass die Krankenkasse derartige Schuhe nicht in ihrem Leistungskatalog vorgesehen habe, da sie nicht individuell angefertigt sind. Die Patientin kaufte diese Diabeteskonfektionsschuhe auf eigene Kosten und zeigte sie dem Diabetologen, der ihr das Tragen dieser Schuhe daraufhin genehmigte. Sofort wurden ihre Beschwerden deutlich besser, und auch die dritte Blase heilte unter der Therapie des Fußpflegeinstituts wieder ab. Die Patientin zeigte alle vom ersten OSM gefertigten Schuhe dem zweiten OSM, der sie darauf hinwies, dass die Schuhe/Bettungen aus seiner Sicht fachlich unrichtig, weil zu hart, gefertigt worden seien.
Die Patientin suchte infolge dieser Auskunft wieder den ersten OSM auf und verlangte von ihm die Erstattung ihrer Auslagen für die Fahrten zur Behandlung und die Kosten der Diabeteskonfektionsschuhe. Beide Seiten regten sich auf, es fielen böse Worte und Beleidigungen, der Streit eskalierte, schließlich machte der OSM von seinem Hausrecht Gebrauch und warf die Patientin aus dem Geschäft. Daraufhin schaltete die Patientin einen Rechtsanwalt ein, der den ersten OSM auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagte. Die Haftpflichtversicherung des OSM leistete kulanterweise eine Zahlung von 1.900 DM an die Patientin, die jedoch weit mehr verlangte. Der Prozeß zog sich über vier Jahre hin, mehrere Gutachten wurden angefordert. Der Streitwert erreichte schließlich 6.700 DM (d.h. über den bereits gezahlten Betrag hinaus!), zusätzlich fielen Gerichtskosten von mindestens der gleichen Höhe an, dazu kam noch das Honorar der Rechtsanwälte. Die Korrespondenz füllte mehrere Leitordner.
Vor Gericht verwickelte sich die Patientin in Widersprüche zum zeitlichen Ablauf des Schuhkaufs, des Tragens der Schuhe und der Blasenentstehung. Nach etlichem Hin- und Her wurde die Klage der Patientin abgewiesen und sie blieb auf den Kosten sitzen. Die Begründung des Gerichts sagt lapidar: Der Klägerin stehen keine weitergehenden Schadensersatzansprüche zu. Es kann dahinstehen, ob die streitgegenständlichen Schuhe handwerklich mangelhaft gefertigt wurden. Wegen des in sich widersprüchlichen Sachvortrags der Klägerin konnte sich das Gericht keine Überzeugung davon verschaffen, dass die vom Beklagten gefertigten streitgegenständlichen Schuhe ursächlich für die von der Klägerin behaupteten Verletzungen und die angeblich hierdurch verursachten Schadenspositionen sind. (AZ 2C0638/01 Amtsgericht Günzburg). Aber was wäre gewesen, wenn das Gericht die handwerkliche Ausführung der Schuhe zu beurteilen gehabt hätte? Was wäre gewesen, wenn ein mehrere 10.000 teuerer Krankenhausaufenthalt oder gar eine Amputation die Folge gewesen wäre? Urteilen Sie selbst!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!