Zur praktischen Anwendung des Beschleunigten Strafverfahrens Benjamin Ehlers, Rechtsanwalt, Potsdam In seinem NJ 2000, 399 ff., veröffentlichte Beitrag hat sich J. Herzler für eine Erweiterung der Möglichkeiten des Beschleunigten Strafverfahrens ausgesprochen. Anhand eines konkreten Beispiels zeigt der Autor des folgenden Beitrags noch bestehende Defizite in der Brandenburger Praxis auf und unterbreitet ebenfalls Vorschläge zur Fortentwicklung der gegenwärtigen Gesetzeslage. 1. Der Sachverhalt und die Entscheidung des LG Potsdam Gegenstand der Ausführungen ist ein Beschluss des LG Potsdam v. 28.1.2000 (23 Qs 216/99), mit dem das Gericht im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des amtsgerichtlichen Urteils über die Anwendung des Beschleunigten Verfahrens entschieden hat. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Gegen den mehrfach einschlägig vorbestraften Angekl. wurde ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr tateinheitlich mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft teilte gegenüber dem Verteidiger des Angekl. mit, dass sie die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens beabsichtige, sie bitte um Stellungnahme. Der Verteidiger erklärte nach Rücksprache mit dem Angekl., dass gegen die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens keine Bedenken bestehen. Daraufhin wurde zur Verhandlung im Beschleunigten Verfahren geladen. Von der Staatsanwaltschaft wurde nur der Angekl. und sein Verteidiger geladen; nicht geladen wurden die Beamten, die den Angekl. während der Trunkenheitsfahrt gesehen und ihn anschließend gestellt haben. Der Angekl. ließ sich zur Sache dergestalt ein, dass er eingestehe, am Tattag Alkohol getrunken zu haben und keine Fahrerlaubnis zu besitzen. Er bestreite jedoch, den PKW gefahren zu haben. Daraufhin unterbrach das Gericht die Verhandlung, da diese Angelegenheit nicht für das Beschleunigte Verfahren geeignet sei; eine Verhandlung im Beschleunigten Verfahren sei nur möglich, wenn der Angekl. geständig sei. Die Strafakte wurde daraufhin dem zuständigen Dezernenten des AG vorgelegt, der zur Hauptverhandlung lud, in der der Angekl. wegen der bezeichneten Delikte verurteilt wurde. Die sofortige Beschwerde richtete sich gegen die Kostenentscheidung, mit der dem Angekl. auch die Kosten für den Verhandlungstermin im Beschleunigten Verfahren auferlegt wurden. Kern der Argumentation war, dass das Beschleunigte Verfahren auch ohne das Geständnis des Angekl. hätte durchgeführt werden können. Es wäre lediglich darauf angekommen, ob die Polizeibeamten den Angekl. zweifelsfrei hätten wieder erkennen können. Dieser Beweis habe im Beschleunigten Verfahren jedoch nicht geführt werden können, da die Staatsanwaltschaft die Polizeibeamten nicht zu diesem Verhandlungstermin geladen hätte. Insofern müssten die durch den Termin im Beschleunigten Verfahren entstandenen Kosten im Wesentlichen die Rechtsanwaltsgebühren nicht dem Angekl., sondern der Staatskasse auferlegt werden. Dieser Argumentation folgte das LG Potsdam unter Bestätigung der amtsgerichtlichen Praxis nicht. Als zentrales Argument führte es an, nach der Mitteilung seines Verteidigers, dass gegen die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens keine Bedenken bestehen, habe man von einer geständigen Einlassung des Angekl. ausgehen können.
2. Kritik Die Entscheidung des LG Potsdam verstößt m.e. gegen die Grundsätze des Beschleunigten Verfahrens sowie gegen Grundsätze im Strafverfahren überhaupt. Nicht hinnehmbar für Angeklagten und Verteidiger ist, dass aus ihren Stellungnahmen an die Staatsanwaltschaft bzw. an das Gericht ein Mehr an Bedeutung hineininterpretiert wird, als in ihnen tatsächlich enthalten ist. Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall die Formulierung des Verteidigers in seinem Schriftsatz an die Staatsanwaltschaft, dass gegen die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens keine Bedenken bestehen. Eine vom LG Potsdam insoweit unterstellte geständige Einlassung des Angeklagten ist damit nicht angekündigt worden. Wie es diese Annahme aus dem Schriftsatz des Verteidigers herauslesen konnte, führt das Gericht nicht aus. Zu erklären ist dies nur dadurch, dass in seinem Landgerichtsbezirk die Übereinkunft zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaft besteht, im Beschleunigten Verfahren nur bei geständigen Einlassungen zu verhandeln. Wer diese stillschweigende Übereinkunft nicht kennt oder sich nicht an sie gebunden fühlt und sich mit der Durchführung des Beschleunigten Verfahrens einverstanden erklärt (weil z.b. die Fahrerlaubnis wegen eines Alkoholdelikts gem. 111a StPO vorläufig entzogen wurde und bei einem Freispruch die Zeit der vorläufigen Entziehung damit verkürzt werden kann), läuft bei dieser Praxis Gefahr, Erklärungen abzugeben, die vom Gericht fehlinterpretiert werden. Die Konsequenz wäre, dass ein Angeklagter, der nicht geständig sein möchte, die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens stets ablehnen müsste, um nicht in die Gefahr eines konkludenten Geständnisses zu kommen. Letzteres jedoch sieht die StPO nicht vor. Eine solche Umdeutung einer Erklärung untergräbt zudem die Gewähr für eine wirksame Verteidigung, die auch im Beschleunigten Verfahren notwendig ist. 1 Weiterhin verkürzt das LG Potsdam durch seinen Beschluss die Regelung des Beschleunigten Verfahrens in der Praxis unzulässigerweise auf den Fall des Geständnisses als nur einer Art des Beweises. Es blendet dabei aus, dass im Beschleunigten Verfahren solche Vorwürfe verhandelt werden, bei denen ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage vorliegt, wobei in der Literatur übereinstimmend zum Ausdruck gebracht wird, dass entgegen dem Wortlaut von 417 StPO wohl beide Voraussetzungen nicht alternativ, sondern kumulativ vorliegen müssen. 2 Durch die Argumentation des LG wird aber sowohl der einfache Sachverhalt als auch die klare Beweislage auf den Begriff des Geständnisses reduziert. Damit bevorzugte die gerichtliche Praxis entgegen den Ausführungen von Herzler 3 die Verurteilung aufgrund eines Geständnisses, weil ein Freispruch oder eine Einstellung über die Einlassung des Angeklagten die Erhebung weiterer Beweismittel und damit einen höheren Aufwand bei der Durchführung der Verhandlungen erfordern würden. Für eine Auslegung, wie sie durch das LG Potsdam vorgenommen worden ist, gibt der Gesetzestext keinen Anhaltspunkt. Die historische Auslegung lässt eher den Schluss zu, dass das Beschleunigte Verfahren nicht nur dazu dienen soll, zu Verurteilungen aufgrund von Geständnissen zu kommen. Der frühere 212 StPO führte noch in seinem Wortlaut aus, dass das Beschleunigte Verfahren dann durchgeführt werden soll, wenn der Sachverhalt einfach und die sofortige Aburteilung möglich ist. Auch schon nach diesem Wortlaut sollte ein Freispruch oder eine Einstellung nicht ausgeschlossen sein. 4 Die neue Fassung der 417 ff. StPO stellt auf die Voraussetzungen des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage 1 Schröder, Das beschleunigte Verfahren gem. 417 ff. StOP, 1998, S. 73. 2 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO-Komm., 44. Aufl., 417 Rn 16 mwn; siehe auch Herzler, NJ 2000, 399 ff. (400 f.). 3 Herzler, ebenda, S. 402. 4 Loos, in: Wassermann, Komm. zur StPO, 1992, 212 Rn 13.
ab. Diese historische Entwicklung lässt keinen Raum für die Gerichte, das Beschleunigte Verfahren nur bei Geständnissen, die zwangsläufig in der Praxis zu einer Verurteilung oder einer Einstellung gem. 153 ff. StPO, jedoch nicht zu einem Freispruch führen, anzuwenden. Das LG Potsdam hat jedoch entgegen dieser historischen Auslegung und auch der zu begrüßenden Auffassung von Herzler, dass die Gerichte ohne Voreingenommenheit das Beschleunigte Verfahren durchführen sollen, für die Strafrichter in seinem Gerichtsbezirk ein anderes, eindeutiges Zeichen gesetzt. Es hat damit das von Herzler beschriebene Spannungsfeld zwischen Schnelligkeit und Gerechtigkeit zugunsten des Prinzips der Schnelligkeit entschieden. Angesichts der Überlastung der Amtsgerichte im Land Brandenburg mag dies im Hinblick auf die Belastung der einzelnen Strafrichter verständlich sein. Diese Erwägungen dürfen jedoch bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen nicht berücksichtigt werden, da sie auch die weitere Durchführung des Beschleunigten Verfahrens nachhaltig beeinflussen. Wird grundsätzlich zugunsten des Prinzips der Schnelligkeit entschieden, wirkt sich dies auf weitere Verfahrenshandlungen aus. Die von Herzler beschriebene Möglichkeit, 5 ein Beschleunigtes Verfahren zur Vernehmung eines weiteren Zeugen zu unterbrechen und innerhalb einer Frist von 14 Tagen fortzusetzen, wird von der Praxis nicht nur nicht genutzt, sie stellt vielmehr lediglich ein theoretisches Modell für den Fall dar, dass auf die Vernehmung von Zeugen bei geständiger Einlassung des Angeklagten weitgehend verzichtet wird. Bei einer Verurteilung aufgrund eines Geständnisses unterläuft das LG Potsdam auch die Grundsätze der StPO. Ein Geständnis soll danach ausreichen, um zu einer Verurteilung zu kommen. Insbesondere im Bereich der Alkoholdelikte, die im Zusammenhang mit der für viele Menschen beruflich wichtigen Fahrerlaubnis zu sehen sind, wird die Tendenz zu einer Entwicklung gelegt, die nicht akzeptabel ist. Der erstmalig vor dem Strafrichter stehende Angeklagte wird sich die Frage stellen, ob es nicht günstiger sei, im Beschleunigten Verfahren geständig zu sein, um auf diesem Wege eher wieder in den Besitz der Fahrerlaubnis zu gelangen. Ein Geständnis, so wird die Überlegung sein, kann sich bei der Bemessung des Zeitraums, in dem es der Verwaltungsbehörde untersagt ist, erneut eine Fahrerlaubnis zu erteilen, zugunsten des Angeklagten auswirken. Ebenso kann das Geständnis strafmildernd sein. Diese Überlegungen gewinnen dann an Brisanz, wenn eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr gem. 316 Abs. 2 StBG angeklagt ist. Die Feststellung der Ungeeignetheit zur Teilnahme am Straßenverkehr ist bei diesem Straftatbestand mit Sicherheit nur durch eine Beweisaufnahme, die auch über das Geständnis des Angeklagten hinausgeht, möglich. Wenn sich das Gericht aber nur auf die geständige Einlassung stützt, läuft es Gefahr, ein Fehlurteil zu fällen. Schröder geht davon aus, dass in solchen Situationen an den Geständnissen Zweifel angebracht sind, da es sich um einen trügerischen Schein handeln kann. 6 Weitere Beweismittel sind deshalb zur Überprüfung des Geständnisses notwendig. Bei vorbestraften Angeklagten gilt dies im Falle der Verurteilung bereits zur Feststellung des Strafmaßes. Insbesondere wenn nach Vorstrafen, die Geldstrafen waren, nunmehr eine Bewährungs- oder Freiheitsstrafe in Betracht kommt, kann sich das Urteil nicht allein auf ein Geständnis des Angeklagten stützen. Herzlers Hinweis, dass der Strafrichter zur umfassenden Aufklärung aller für die Entscheidung wesentlicher Tatsachen in materieller und verfahrensrechtlicher Hinsicht auch im Beschleunigten Verfahren verpflichtet ist, 7 gibt insoweit eine Selbstverständlichkeit wieder. In dem Ausgangsverfahren, über das das LG Potsdam zu 5 Herzler, aao (Fn 2), S. 402. 6 Schröder, aao (Fn 1), S. 80. 7 Herzler, aao (Fn 2), S. 403.
entscheiden hatte, fand sie allerdings keine Berücksichtigung, denn das Amtsgericht hätte den Angeklagten im Beschleunigten Verfahren bei einem Geständnis verurteilt. Der Angeklagte war jedoch mehrfach einschlägig vorbestraft, so dass zur Feststellung des Strafmaßes die Erhebung weiterer Beweise notwendig war. Da die letzte Vorstrafe eine Bewährungsstrafe war und die nunmehr angeklagte Tat im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der vorherigen Verurteilung stand, musste der Strafrichter die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Betracht ziehen. Wie die hier zu berücksichtigenden Tatsachen zur Sozialprognose ohne weitere Beweismittel festgestellt werden sollen, blieb unklar. Fazit: Die von Herzler aufgestellten Maßstäbe sind im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens notwendig, werden in der Praxis aber nicht durchgehend berücksichtigt. 3. Ausblick Die Entscheidung des LG Potsdam wirft zugleich die Frage auf, ob die gesetzlichen Regelungen im Beschleunigten Verfahren ausreichend sind. Herzler schlägt insbesondere eine Änderung des 418 Abs. 1 StPO vor. 8 Drei Probleme stehen dabei im Raum: Die Staatsanwaltschaft ist aufgrund des Akkusationsprinzips Herrin des Verfahrens und entscheidet ausschließlich über eine Anklageerhebung. Davon ausgehend kann gem. 418 Abs. 1 StPO auch das Beschleunigte Verfahren nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden. Damit wird das Gewicht darauf gelegt, im Beschleunigten Verfahren zu einer Aburteilung (so der frühere 212 StPO in seinem Wortlaut) zu kommen. Hier ist zu überlegen, ob nicht auch dem Angeklagten und dem Verteidiger die Möglichkeit zugebilligt werden sollte, im Falle einer Anklageerhebung auf Antrag das Beschleunigte Verfahren durchführen zu lassen. Aus der Sicht der Verteidigung würden eine Reihe von Angelegenheiten zur Durchführung im Beschleunigten Verfahren in Betracht kommen, die auf einen Freispruch zielen. Das Aufeinanderstoßen zweier unterschiedlicher Intentionen würde die Gerichte zu einer Auslegung der 417 ff. StPO bringen, die dem tatsächlichen Gesetzessinn nahe kommt. Ein gleichberechtigtes Antragsrecht, wie es der Staatsanwaltschaft gem. 418 Abs. 1 StPO zusteht, ist allerdings nur dann möglich, wenn die Entscheidung über die Erhebung der Anklage von der Entscheidung über die Verfahrensart getrennt wird. Die Staatsanwaltschaft müsste den Abschluss der Ermittlungen dem Beschuldigten und dessen Verteidiger mitteilen. Die Mitteilung, dass eine Anklageerhebung beabsichtigt ist, könnte dann formelle Voraussetzung für ein Antragsrecht des Angeklagten und des Verteidigers sein. Diese Möglichkeit ginge mit dem Vorschlag von Herzler konform, mit dem die Verhandlung in einem Zeitraum von sechs Monaten nach der Tathandlung stattfinden soll. 9 Weiterhin stellt sich als praktische Beschränkung für die Verteidigung dar, dass gegen den Beschluss, ein Beschleunigtes Verfahren nicht zuzulassen, kein Rechtsmittel möglich ist. Neben einem eigenen Antragsrecht für Angeklagten und Verteidiger auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens hätte die Einführung eines solchen Rechtsmittels die Konsequenz, dass auch die Berufungsinstanz zu einer zweiten beschleunigten Instanz werden würde. Allerdings müsste darüber auch beschleunigt entschieden werden. Der damit verbundene erhebliche Mehraufwand ist für das Beschleunigte Verfahren jedoch nicht angemessen. Insofern zeigt Herzler den vernünftigen Weg auf, im Wege der zulässigen Berufung auch die Frage der Eignung für das Beschleunigte Verfahren überprüfen zu lassen. 10 8 Ebenda, S. 406. 9 Ebenda. 10 Ebenda, S. 404 mwn.
Eine weitere Frage betrifft den Problemkreis, wie das Beschleunigte Verfahren in einem Flächenland wie Brandenburg in der Geschäftsverteilung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte verankert werden soll. Vor allem die kleinen brandenburgischen Amtsgerichte, die teilweise mit einem Personalbestand von fünf bis acht Richtern arbeiten, müssen unverhältnismäßig große Anstrengungen unternehmen, um die Durchführung des Beschleunigten Verfahrens absichern zu können. Die Folge ist, dass diese Verfahrensart von den kleinen Amtsgerichten nur selten durchgeführt wird, während die Amtsgerichte am Sitz der Landgerichte schon hinreichend Erfahrungen in diesem Bereich haben. Zu überlegen ist daher, ob zur Durchführung der Beschleunigten Verfahren eine Konzentrationszuständigkeit an den Amtsgerichten am Sitz der Landgerichte eingerichtet wird.