Jung, D.; D: Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen 1 Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen Vorstellung eines Normentwurfs Daniel Jung jung-gesellschaft für bauen und wohnen mbh Grosse Venedig 31, 31134 Hildesheim tel 0 51 21 20 66 5 66, info@jung-gbw.de KURZFASSUNG Eine aktuelle Studie der Universität Utrecht weist nach, dass gegen Antibiotika resistente Bakterienstämme, so genannte MRSA-Krankenhauskeime, durch die Luft übertragen werden können. Bisher galt nur die direkte Übertragung, also durch Kontakt Mensch/Mensch oder Tier/Mensch, als Übertragungsweg. Der Nachweis der Übertragung durch die Luft zeigt, dass das bakterielle Gefährdungspotenzial wesentlich höher ist als bisher angenommen. Umso wichtiger ist die Überprüfung der Luftdichtheit von Reinräumen im klinischen Bereich. In der Vergangenheit hat sich bei diversen Messungen herausgestellt, dass die Raumhüllen der gemessenen Räume zum grossen Teil hochgradig luftdurchlässig sind. Aufgrund der bereits bestehenden Kenntnisse über Luftströmungen und Druckbelastungen in Gebäuden besteht die Sorge, dass diese Leckagen zum einen hygienische Standards im Klinik- und Laborbereich unterlaufen und zum anderen lebende Strukturen unkontrolliert in die Umwelt gelangen können. So können nicht nur Patienten in Kliniken, sondern jedermann, beispielweise bei einem Sparziergang, durch die Übertragung von Bakterien einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleiden. SCHLÜSSELWÖRTER Reinraum, Luftdichte, Klinik, Labor, Normentwurf, Erfahrungsbericht WARUM EINE NEUE NORM FÜR DIE LUFTDICHTE VON REINRÄUMEN In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Ergebnisse wissenschaftlicher Studien bekannt, in denen nicht nur Erreger der MRSA (Methicillin-resistente Staphylokokken = Antibiotika resistente Bakterienstämme), sondern auch weitere Krankheitserreger für Mensch und Tier in der Umgebung agrarindustrieller Nutztierbeständen nachgewiesen worden sind. Gefunden wurden beispielsweise Salmonellen, Klebsiellen, Pneumokokken, Coli-Keime und viele andere mehr. Besonders problematisch sind diese Erkenntnisse, da nun nachgewiesen wurde, dass solche Belastungen eindeutig auch durch die Luft übertragen werden. Zum Problem für die menschliche Gesundheit wird es, wenn es sich bei den verbreiteten Infektionserregern um Zoonosen handelt; das heißt, dass diese Keime nicht nur Tiere, sondern auch Menschen krankmachen. Diese Erreger gelangen durch aktive oder passive Übertragung z.b. auch durch Anwohner aus der unmittelbaren Nachbarschaft oder auch durch harmlose Spaziergänger in Krankenhäuser und Klinische Einrichtungen, wo sie sich dann häufig trotz umfangreicher Hygienemaßnahmen festsetzen und verbreiten. Diese Hospitalkeime werden zu einer immer größeren Bedrohung für die Volksgesundheit. Nach Feststellungen des Statistischen Bundesamtes,
2 Jung, D., D: Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen entsprechenden Erhebungen und klinischen Studien werden jährlich fast eine Million Patienten von ca. 14 Millionen Besuchern und Mitarbeitern deutscher Krankenhäuser und Kliniken durch nosokomiale Keime infiziert. Die Angaben in der wissenschaftlichen Literatur über entsprechende Mortalitätsraten sind uneinheitlich und schwanken zwischen 15.000 und 40.000 Todesfällen pro Jahr. So werden sich vor allem Krankenhäuser und Hygienemediziner noch intensiver als bisher mit antibiotikaresistenten Keimen befassen müssen. Dabei spielt auch die Luftdichte der Räume, in denen solche Keime vorkommen oder in denen Patienten vor solchen Keimen geschützt werden sollen, eine erhebliche Rolle. ERFAHRUNGSBERICHT ZUR LUFTDICHTE VON REINRÄUMERN IM KLINISCHEN BEREICH Bei der Überprüfung der Luftdichtheit von Reinräumen in klinischer Umgebung hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass die Raumhüllen aller gemessenen Räume hochgradig luftdurchlässig sind. Die festgestellten, zum Teil gravierenden Mängel an der luftdichten Ebene wären mit den nach dem Stand der Technik üblichen Methoden im Bauwesen ohne weiteres in den Griff zu bekommen. Grafik: Erhebung von Luftwechselraten in klinischen Räumen 114 Luftdichteprüfungen von Reinräumen im klinischen Bereich, Messungen durchgeführt von Daniel Jung im Zeitraum von 06.2007 bis 10.2011 Bei den bisher durchgeführten 114 Messungen ergab sich ein Durchschnitt der Luftwechselrate n50 von 13,20 (1/h). Die aus dem Hochbau seit langen Jahren
Jung, D.; D: Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen 3 bekannten Luftwechselraten sind bei der Planung von Krankenhäusern, Labors und weiteren medizinischen Einrichtungen allerdings weitestgehend unbekannt oder werden schlichtweg nicht beachtet. Bei nahezu allen Messungen konnte festgestellt werden, dass die einzelnen Räume entweder gar keine oder eine nur ungenügend geplante und meistens noch schlechter ausgeführte luftdichte Schicht aufwiesen. Im Mai 2008 wurde vom Autor im Rahmen des dritten Europäischen BlowerDoor- Symposiums ein Normentwurf bezüglich der Anforderungen an die Luftdichtheit von Reinräumen vorgestellt. Bis dato war festzuhalten, dass es keine belastbaren normativen Anforderungen an die Luftdichtheit von Reinräumen gab. Vor vier Jahren bestand lediglich die Sorge, dass bei Luftströmungen und den daraus resultierenden Druckbelastungen auf Gebäude, wegen dieser Leckagen in den Umschließungsflächen hygienische Standards im Klinik- und Laborbereich nicht erfüllt werden, bzw. lebende Strukturen aus Laboren unkontrolliert in die Umwelt gelangen könnten. Diese Sorge, damals theoretischer Natur, ist heute eindeutig wissenschaftlich begründet, zum ernstzunehmenden Problem für unser Gesundheitswesen geworden. Vor vier Jahren war es bereits dringend nötig, Anforderungen an die Dichtheit von Reinräumen und den zugehörigen Lüftungsanlagen zu formulieren. Um für die Zeit bis zur Verabschiedung von Normen oder Richtlinien dem Planer, Komponentenhersteller und Ausführenden von Reinräumen Hilfen für die sachgerechte Erstellung der luftdichten Hülle und der Lüftungstechnik an die Hand geben zu können, wurden von einem Autorenteam Anforderungen an die Luftdichtheit von Reinräumen zusammengestellt und in diversen Publikationen veröffentlicht. Die Reaktionen waren enorm. Nicht nur Normungsinstitute und Pressestellen fragten in der Folge an, sondern, und das ist wesentlich wertvoller für die Durchsetzung eines Normentwurfes, zahlreiche Planer und Ausführende von Reinräumen wurden vorstellig. Inzwischen ist der Normentwurf, auch dank der Verteilung im Internet, weit verbreitet, wird von Herstellern bei der Entwicklung Ihrer Reinraumprodukte genutzt, aber eben auch bei der Ausschreibung für die Erstellung von Reinräumen eingesetzt. Ende letzten Jahres gab es einen Kontakt zu einem Planungsbüro nach Frankreich. Auch dort wird der Normentwurf als Grundlage für Planung und Ausschreibung eines industriell genutzten Reinraumes für die Medikamentenproduktion verwendet. Durch diese Verbreitung und die tatsächliche Verwendung insbesondere in der Planung und auch in der Qualitätssicherung ist der Richtlinienentwurf inzwischen zum Stand der Technik geworden. Ziel war und ist es den am Bau Beteiligten eine Grundlage von der Planung bis zur Sicherung der Qualität zu geben. In der Summe bleibt festzuhalten, dass es weiterhin sehr wünschenswert wäre verbindliche Richtlinien zur Luftdichtheit von Reinräumen im Bereich der Normierung zu erhalten. Die starke Nachfrage seitens Konzeption, Planung und Erstellung, sowie die hohe öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Bereich rechtfertigt eine einheitliche europäische Normierung. Hiermit wäre auch den in diesem Bereich tätigen Hygienemedizinern endlich eine Handhabe gegeben, die verbindliche Richtlinien zu Grunde legt.
4 Jung, D., D: Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen Anforderungen an die Luftdichtheit von Reinräumen (Richtlinienentwurf) 1) Im Rahmen der Planung ist für Reinräume eine Luftdichtheitsebene zu definieren, zu planen und zeichnerisch darzustellen. Ein Konzept für die Druckhaltung zu den angrenzenden Bereichen bei unterschiedlichen Betriebszuständen muss schriftlich niedergelegt sein. Mindestens beschriebene Betriebszustände sollten sein: a) Normalzustand b) Rein- oder Desinfektionszustand c) Stromausfall 2) Im Bezug auf die Dichtheitsanforderungen an die raumumfassende Hülle muss mindestens ein q50 0,3 m³/m²h eingehalten werden (siehe DIN 4108 Teil 7). Der q50 0,3 m³/m²h wurde in Anlehnung an die Passivbauweise gewählt, deren Grenzwert bei einem A/V Verhältnis von 1 q50 0,6 m³/m²h beträgt. Für Reinräume sollte dieser Wert noch mal verschärft werden. Ein Wert von q50 0,3 m³/m²h wird z. T. bereits im Wohnungsbau erreicht. 3) Alle Bauteilanschlussfugen in der Luftdichtheitsebene müssen einen Fugendurchlasskoeffizienten kleiner als 0,1 m3/mh(dapa2/3) aufweisen (siehe DIN 4108 Teil 2, 2003-07). 4) Einzelleckagen dürfen höchstens 1 mm² groß sein. 5) Bauteilfugen sind entsprechend dem Stand der Technik dauerhaft luftdicht auszubilden. (Siehe EnEV) 6) Alle Funktionsfugen an Fenstern und Türen entsprechen der DIN EN 12207 Juni 2000, Klasse 4. 7) Die zulässige Luftwechselrate n50 wird aus dem q50 0,3 m³/m²h und dem zulässigen Volumenstrom der Fenster und Türen ermittelt. 8) Die Prüfung der Luftdichtheitsebene erfolgt in Anlehnung an die DIN EN 13829 und sollte stattfinden, solange die luftdichte Ebene noch zugänglich ist. Bei den Messreihen muss ein Prüfdruck von 200 Pascal* angefahren werden. Die Bauteile sind auf eine statische Belastung von 450 Pascal entsprechend einer Flächenlast von 0,45 kn/m² auszulegen. 9) Das Lüftungssystem wird nach DIN 24194 auf Luftdichtheit der Kanäle und Verschlusselemente geprüft. * Im Hochbau wird nach DIN EN 13829 mit einem Prüfdruck von bis zu 100 Pascal gemessen, bei einem Prüfdruck von 200 Pascal hat man eine größere Sicherheit für Starkwindsituationen und bezüglich der Haltbarkeit der Abdichtungen, als wenn nur bis 100 Pascal gemessen werden würde.
Jung, D.; D: Erfahrungsbericht zur Luftdichte von Reinräumen 5 Referenzen Veterinäramtsleiter i.r. Dr. Hermann Focke in einem Interview zum Thema Geflügelmast und deren Auswirkungen auf Tier, Mensch und Umwelt, Menschen für Tierechte e.v., München, Deutschland Richtlinienentwurf: Dichtheit von Reinräumen, Daniel Jung, Paul Simons, Stefanie Rolfsmeier, Boris Schwitalski (2008), diverse Veröffentlichungen, u.a. Reader zum 3. Europäischen BlowerDoor-Symposium 30./31.05.2008