Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII Jean Gross 26. Februar 2009 Reg. Nr. 08111501 Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über den Personenunfall in Aesch (BL) vom Samstag, 15. November 2008 in Aesch BL, Haltestelle Herrenweg Jean Gross Utikonerstr. 9 8952 Schlieren Tel. +41 43 433 89 70, Fax +41 43 433 89 71 jean.gross@uus.admin.ch www.uus.admin.ch
Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR 742.161). 0. ALLGEMEINES 0.1 Kurzdarstellung Am Samstag, 15. November 2008 um 23.21 Uhr kam es in Aesch BL, Haltestelle Herrenweg der Baselland Transport AG (BLT) bei Zug 11.01 zu einem tödlich verlaufenen Personenunfall. Haltestelle Aesch Herrenweg der BLT 0.2 Untersuchung Die Unfalluntersuchungsstelle UUS wurde am Sonntag, 16. November 2008 um 03.09 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Da die Unfallstelle zu diesem Zeitpunkt bereits geräumt war rückte der Untersuchungsleiter nicht mehr sofort an den Unfallort aus. Der Untersuchungsbericht wurde aufgrund der Akten und eines Augenscheins vor Ort (Haltestelle Herrenweg und Depot BLT in Oberwil) erstellt. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zusammen. 1. FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Der Zug 11.01 war bereits den ganzen Samstagabend im Einsatz. Informationen über technische Unregelmässigkeiten an diesem Abend liegen keine vor. In Aesch bestieg eine Gruppe Jugendlicher den Zug TW 11.01. Die Fahrt von Aesch bis zur Haltestelle Herrenweg verlief ohne Probleme. 2/8
1.2 Verlauf der Fahrt In der Haltestelle Aesch Herrenweg fand gemäss Aussage des Lokführers (Wagenführers) der normale Fahrgastwechsel statt. Nachdem sich alle für den Fahrgastwechsel benötigten Türen wieder geschlossen hatten drückte der Lokführer (Lf) nach eigenen Angaben die Türverriegelungstaste und schaute in den Rückspiegel. Als er sah, dass sich niemand mehr in Fahrzeugnähe befand fuhr er an. Da es nach seinen Angaben öfters vorkommt, dass ausgestiegene Jugendliche sich bei der Zugsabfahrt bei den Kolleginnen und Kollegen im Fahrzeuginnern mit Klopfen an den Seitenscheiben nochmals verabschieden schaute er beim Wegfahren nochmals in den Rückspiegel. Als er keine Personen beim Zug bemerkte, setzte er die Fahrt fort. Bei der Haltestelle Reinacherhof wurde er von der Leitstelle BVB aufgefordert, den Zug auf Unfallspuren zu kontrollieren. Er konnte wie auch bei späteren weiteren visuellen Kontrollen bei den Haltestellen Bahnhof und Barfüsserplatz - bei der herrschenden künstlichen Beleuchtung keine Spuren eines Unfalls entdecken. Gemäss Zeugenaussagen hat sich der später Verunfallte nach dem Aussteigen zuerst zum Papierkorb neben der Wartehalle begeben. Als der Zug anfuhr ging er ans hinterste Fenster des vorderen Zugsteils (in der Verjüngung des Fahrzeuges) und klopfte an die Scheibe um sich von den weiterfahrenden Kollegen zu verabschieden. Durch die Abfahrt des Zuges kam er in eine Drehbewegung, stolperte und geriet in den Kupplungsraum der beiden Fahrzeuge. Er wurde danach vom hinteren Fahrzeug überfahren und tödlich verletzt. Foto 1 Haltestelle Aesch Herrenweg. Der gelbe Pfeil zeigt die Fahrrichtung des Zuges 11.01 Papierkorb neben der Wartehalle Foto 2 Fahrgastwechsel auf der Haltestelle Aesch Herrenweg Papierkorb 3/8
1.3 Personenschäden Bahnpersonal Reisende Drittpersonen Tödlich verletzt: 1 1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Am Rollmaterial entstanden geringe, an den Bahninfrastrukturanlagen keine Sachschäden. 1.5 Sachschäden Dritter Weitere Dritte kamen beim Ereignis keine zu Schaden. 1.6 Beteiligte Personen Lokpersonal Lokführer BLT. Zugbegleiter Zug 11.01 verkehrte ohne Zugpersonal. Reisende Im vorderen Triebwagen befanden sich ca. 10 20 Reisende. Dritte erlitt beim Ereignis tödliche Verletzungen. 1.7 Schienenfahrzeuge Eigentümer: BLT Baselland Transport AG, Grenzweg 1, 4104 Oberwil Zugskomposition: Triebwagen Be 4/8 Nr. 243 (Zugführend) und Be 4/6 Nr. 227 Zugsgewicht: 57,5 t Bremsgewicht: 109 t Zugreihe / Bremsverhältnis: A 140% Ausgeschaltete Bremsapparate: Keine 1.8 Strassenfahrzeuge Strassenfahrzeuge waren keine am Ereignis beteiligt. 1.9 Wetter, Schienenzustand Nacht. Neblig. Schienen trocken. Künstliche Beleuchtung. 1.10 Bahnsicherungssysteme Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert. Sie sind für den Verlauf des Ereignisses nicht relevant. 4/8
1.11 Zug- und Rangierfunk Die Fahrzeuge der BLT sind mit dem Zugfunk BLT ausgerüstet. Die Funkgespräche sind für den Unfallablauf nicht relevant. 1.12 Bahnanlagen Die Haltestelle Aesch Herrenweg ist mit versetzt angeordneten Aussenperrons mit je einer Wartehalle ausgerüstet. Die Züge Richtung Basel wie auch Richtung Aesch halten jeweils vor dem unbewachten Bahnübergang Herrenweg. Die Perronhöhe ab Schotterbett beträgt ca. 22 cm (Foto 3). Foto 3 Perronanlage Haltestelle Aesch Herrenweg Richtung Stadt Basel. Das Gleis (Doppelspur) verläuft auf diesem Streckenteil parallel zur Hauptstrasse. Gelber Pfeil = Fahrrichtung Zug 11.01. 1.13 Fahrdatenschreiber Der Triebwagen ist mit einer elektronischen Geschwindigkeitsmessanlage Seratec ausgerüstet. Die Fahrdaten werden elektronisch aufgezeichnet. Sie wurden durch die Verkehrsunternehmung ausgelesen und durch die UUS ausgewertet. Die Auswertung der Fahrdaten ergab, dass der Lf an der Haltestelle Aesch Herrenweg normal angehalten und nach dem Fahrgastwechsel normal wieder beschleunigt hat. 1.14 Befunde an den Bahnfahrzeugen Die am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge wurden durch den Untersuchungsleiter nicht kontrolliert. Am 01. Dezember 2008 wurden in der Werkstätte der BLT in Oberwil bei einer baugleichen Zugskomposition die Sichtverhältnisse des Lokführers gegen hinten überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass die Türen gut überblickt werden können. Die Bauart der Fahrzeuge (Verjüngung des Fahrzeugaufbaus an den Enden der Triebwagen, siehe auch Foto 5) erlaubt es aber nicht, Personen welche sich im Kupplungsbereich der beiden Fahrzeuge aufhalten, zu erkennen. 5/8
Foto 4 Foto 5 Verjüngung der Fahrzeuge an den Enden Vom Standort des Fotografen aus (Höhe Führerstand) ist der Mitarbeiter der BLT zwischen den Fahrzeugen nicht erkennbar. 1.15 Medizinische Feststellungen In Bezug auf medizinische Beschwerden der am Unfall beteiligten Personen ist nichts bekannt. 1.16 Feuer Beim Ereignis trat kein Feuer auf. 1.17 Ueberlebensmöglichkeiten Aufgrund der Umstände des Ereignisses hatte der Verunfallte keine Ueberlebenschancen. 1.18 Informationen über Organisation und Verfahren Bei Zug 11.01 handelt es sich um einen regelmässig verkehrenden, im offiziellen Kursbuch aufgeführten, Reisezug von Aesch (BL) (ab 23.20 Uhr nach Basel Bahnhof (an 23.45 Uhr) St. Louis Grenze. 1.19 Verschiedenes - Das Ereignis wird seitens der Strafverfolgungsbehörden durch die Kantonspolizei Basel Landschaft untersucht. - Bei der Untersuchung des Ereignisses durch die UUS sind bei den Mitarbeitern der Verkehrs- und Infrastrukturunternehmungen keine Verstösse gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen festgestellt worden. 2. BEURTEILUNG 2.1 Technisches - Die Bahnsicherungsanlagen funktionierten einwandfrei. 6/8
2.2 Betriebliches - Der Lokführer von Zug 11.01 hat den Vorfall nicht bemerkt. Er wurde durch einen Funkspruch der Leitstelle BVB auf den Unfall aufmerksam gemacht. - Der Lokführer ist nach erfolgtem Passagierwechsel und erfolgter Türschliessung nach einem Blick in den Rückspiegel normal aus der Haltestelle Herrenweg abgefahren. - Der Lokführer konnte den Verunfallten im Rückspiegel nicht erkennen da sich dieser im Zwischenraum zwischen den beiden Fahrzeugen aufgehalten hat. (Foto 5) 3. SCHLUSSFOLGERUNGEN 3.1 Befunde - Die Bahnsicherungsanlagen funktionierten einwandfrei. - Der Lokführer ist nach erfolgtem Fahrgastwechsel und nach dem vorgeschriebenen Abfahrtprozess mit Zug 11.01 normal ab der Haltestelle Herrenweg abgefahren. - Der Lokführer konnte den Verunfallten, welcher sich zwischen den beiden - Fahrzeugen im Kupplungsraum befand, im Rückspiegel nicht erkennen. 3.2 Ursache Das Ereignis ist darauf zurückzuführen, dass sich der Verunfallte bei der Abfahrt von Zug 11.01 im Bereich zwischen den beiden Schienenfahrzeugen aufgehalten hat und dadurch für den Lokführer im Rückspiegel nicht erkennbar war. 4. SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Keine. Die Untersuchung wurde von Jean Gross geführt. Schlieren, 26. Februar 2009 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe Jean Gross Untersuchungsleiter Fotos: UUS/grj 7/8
Anlage 1 Fahrdaten Zug 11.01 BLT 8/8