Rundbrief November 2015 Liebe Freunde und Förderer, zunächst möchte ich mich ganz herzlich für Eure Unterstützung bedanken und Euch in diesem Rundbrief von meiner Zeit hier in Nicaragua berichten. Jetzt lebe ich schon seit 3 Monaten in Nicaragua, einem Land mitten in Mittelamerika. Ich mache meinen 14 monatigen ökumenischen, internationalen Friedens- und Entwicklungsdienst über die Organisation EIRENE. Sie hat ihren Sitz in Deutschland und ist als gemeinnütziger Verein eingetragen und vom weltwärts -Förderprogramm sowie vom Internationalen Jugendfreiwilligendienst IJFD anerkannt. Bereits im Jahr 1957 wurde EIRENE von Christen verschiedener Konfessionen, die sich der Idee der Gewaltfreiheit verpflichtet fühlten, gegründet. Sie wollten ein Zeichen gegen die Wiederaufrüstung und für das friedliche Zusammenleben setzen. Der Freiwilligendienst kooperiert weltweit und EIRENE unterstützt rund 90 junge Menschen jährlich, um sich in lokalen Partnerorganisationen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu engagieren. Ja und ich bin eine von sechs Freiwilligen aus Deutschland hier in Nicaragua. Meine Einsatzstelle ist Los Pipitos, eine kleine Organisation, die 1987 nach der Revolution gegründet wurde. Es ist eine große Gemeinschaft von Vätern, Müttern, Familien und Freunden von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Über ganz Nicaragua verteilt, gibt es 85 Standorte und ungefähr 15.000 Familien, die betreut werden. Gemeinsam arbeiten die Mitarbeiter und wir Freiwillige in den Bereichen: Rehabilitation, Bildung, Menschenrechte, Akzeptanz in der Gesellschaft. Hauptanliegen ist es die Familien mit Kindern mit Behinderung zu unterstützen. 1
Das Zeichen von Los Pipitos spiegelt diese Grundidee sehr schön wider. Eine Blume stellt die Familie dar. Symbolisch steht das weiße Blatt für das Kind mit Behinderung. Darunter fängt die Hand, Los Pipitos, die Familie auf und beschützt sie. Mein Einsatzort befindet sich im Norden von Nicaragua an der Grenze zu Honduras. Die kleine Stadt Jinotega liegt auf 1078 m über dem Meeresspiegel und ist ganz malerisch von Bergen umgeben. Auf dem Bild bin ich auf dem Pena de la Cruz, ein Aussichtspunkt und beliebtes Ausflugsziel. Das Klima ist kälter wie in den restlichen Teilen des Landes. Vor allem jetzt im November und Dezember ist es sehr windig und kalt. Am Abend bin ich froh über meine Daunenjacke, die mich dann wärmt. 2
Hier im Norden gibt es viele Männer, die mit Cowboystiefeln, Jeans, Ledergürtel mit großer Schnalle, kariertem Hemd sowie einem Cowboyhut bekleidet auf Pferden ihre Arbeit erledigen. Außer speziellen Cowboyläden findet man viele Pacas. Dies sind Läden in denen Kleidung und Schuhe aus Amerika verkauft werden. Hier in Jinotega gibt es einen der größten Märkte des Landes. Da kann man einfach alles kaufen was das Herz begehrt. Es kommt aus den USA und es sind Secondhandwaren. Typisch sind auch Verkäufer die von Haustür zu Haustür zingeln und ihre Ware lautstark anpreisen. Die meisten Menschen hier müssen kräftig sparen, damit sie sich etwas leisten können und haben häufig auf ihrem Grundstück einen kleinen Garten in dem sie Lebensmittel zum Eigenbedarf pflanzen. Meine Reise startete mit einem vierwöchigen Sprachkurs in der Stadt Esteli. Die Sprachlehrerin brauchte viel Geduld mit mir, da ich nur mit den einfachsten Begriffen, die ich in einem 2 Wochen Crashkurs in Spanien gelernt hatte, vertraut war. Als ich in Jinotega ankam, hatte ich das Gefühl im tiefsten Bayern von Nicaragua gelandet zu sein. Der Dialekt ist ungeheuer derb und die Endbuchstaben werden generell nicht mitgesprochen und einfach verschluckt. So kämpfe ich auch nach drei Monaten mit intensivem Unterricht immer noch damit, mich verständlich zu machen und die kleinen und großen Menschen zu verstehen. Wir sechs Freiwillige feiern den Geburtstag von Anna in Leon 3
Mein Arbeitstag unterteilt sich in zwei wesentliche Bereiche. Morgens arbeite ich im CET und mittags im Gebäude von Los Pipitos. Das CET ist ein Zentrum für Frühstimulation, zu dem Eltern mit ihren Kindern im Alter von 0-10 Jahre kommen. Die Mitarbeiterinnen arbeiten im Bereich Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Die Kinder haben ganz verschiedene Diagnosen wie Down Syndrom, Cerebral Parese, Autismus und sind Kinder mit kleineren oder größeren Entwicklungsrückständen. Nach den ersten Wochen der Einarbeitungszeit, arbeite ich nun schon seit drei Wochen aktiv mit. Es ist täglich eine neue, große Herausforderung für mich, da mir im Spanischen noch viele Wörter fehlen und ich die Kinder erst kennenlernen muss. Während den Behandlungen werde ich von den anderen Therapeutinnen und von den Eltern gleichzeitig sehr kritisch beobachtet. Vieles was ich tue und wie ich es tue ist neu für sie. Es freut mich sehr, dass sie manches aus meiner Arbeit schon in ihr Repertoire aufgenommen haben. Arbeiten bedeutet hier auch immer improvisieren. Zum Einen fehlt es an geeigneten Materialien und überhaupt an der Ausstattung der Räume. Auch die Versorgung der Kinder und Jugendliche mit entsprechenden Hilfsmitteln wie Gehhilfen, Rollstühlen und ähnlichem liegt hier sehr im Argen. Die Familien nehmen teilweise sehr weite Anfahrtswege auf sich um im Zentrum betreut zu werden. Eine mehrstündige Busfahrt ist die Regel. Nachmittags bietet Los Pipitos dann verschiedene Aktivitäten für alle Kinder und vor allem auch für die Jugendlichen an. Montags und dienstags wird getanzt und für einen Auftritt bei einem großen Folklorefestival geübt. Die Tänzerinnen tragen die typische Tracht von Jinotega: einen langen Rock, eine Bluse und Blumenschmuck in den Haaren. Schon mehrfach durfte ich den Tanzlehrer spontan vertreten und musste mit nur einer CD die begeisterten Tänzer zwei Stunden lang auf Touren bringen. Mittwochs ist Club der Jovenes, wo jede Woche eine andere Aktivität für Jugendliche stattfindet. Zum Beispiel haben wir einmal gemeinsam Tutti Frutti (Obstsalat) gemacht oder ein anderes Mal sind wir zusammen zu einem Ausflug ins Altersheim gefahren. Alle haben von zu Hause Lebensmittel oder Klopapier als Geschenk mitgenommen. Bei solchen Aktivitäten werden auch die Eltern mit einbezogen. Donnerstags ist meine Lieblingsaktivität, der Sport, an der Reihe. Auf dem nahe gelegenen Sportplatz trainieren wir gemeinsam mit den Gehörlosen Jugendlichen Leichtathletik. Für den Start und das Ziel ziehe ich mit einem Stock Linien in den Sand. Als Markierungshütchen habe ich große Steine gesucht. Die Kinder und Jugendliche mit Behinderung nehmen regelmäßig an Wettkämpfen teil und waren schon sehr erfolgreich. Im letzten Jahr durfte sogar ein Sportler mit Down-Syndrom an einem Wettkampf in Amerika teilnehmen. Er erzählt mir das jedes mal wenn er mich sieht :) Ich freue mich schon darauf Anfang Dezember meine Truppe zu einem Wettkampf in Managua (der Hauptstadt) begleiten zu dürfen. Nach dem Training unterrichtet der Sohn der Logopädin die Mitarbeiterinnen in Gebärdensprache. 4
Am Freitagmorgen nehme ich gemeinsam mit Anna 3 Stunden Sprachunterricht und am Nachmittag ist Manualidades, da basteln wir miteinander verschiedene Sachen. Anna ist auch Freiwillige von EIRENE und lebt zusammen mit mir und fünf weiteren jungen Menschen, die alle eine andere Nationalität haben, in einer WG. Mein Zimmer ist fast fensterlos, an der Decke gibt es im Wellblechdach ein milchiges, durchscheinendes Teilstück. Ein Badezimmer und eine Waschmaschine muss ich entbehren. Die kalte Dusche ist in einem Badezimmer draußen und gewaschen wird mit der Hand auf einem Waschbrett. Das Waschen ist ganz schön anstrengend und ich frage mich dabei immer wie es einer Mutter mit einem siebenköpfigen Haushalt dabei geht. Der Tag beginnt früh, da unsere Wohnung bei einem Laden ist und es dort täglich ab 7 Uhr schon turbulent zu geht. An den Wochenenden bin ich eigentlich immer unterwegs. Ich verreise mit Anna zu anderen Freiwilligen, die über das ganze Land verteilt sind und auch an andere schöne Orte in Nicaragua. Die Natur hier kann so verschieden sein: Laubwald mit Kaffeepflanzen und felsigen Bergen hier bei mir in Jinotega, Strand mit großen Wellen perfekt zum Surfen am Pazifik oder Vulkane, die pompös das Landschaftsbild bestimmen im Landesinnern. An der Karibikseite gibt es traumhafte Strände, die ich gerne an Weihnachten bereisen möchte. Die schönsten Städte im Kolonialstil befinden sich im Süden des Landes wie z.b. Leon oder Granada. Beide Städte sind sehr touristisch und ich bin nach solch turbulenten Wochenendausflügen immer froh in mein ruhiges und beschauliches Jinotega zurückzukehren. Hier werde ich auf der Straße von der Marktfrau, dem Fitnessstudiobesitzer oder von Eltern gegrüßt und das gefällt mir und so wurde Jinotega schon ein bisschen zu meiner neuen Heimat. 5
Nun wünsche ich Euch allen eine gesegnete Vorweihnachtszeit Zeit und grüße Euch herzlich aus Nicaragua Eure CORAH 6