Was ist Demenz / Alzheimer? Einleitung Demenzerkrankungen prägen wie kein anderes Leiden die negativen Altersbilder unserer Gesellschaft. Die Häufigkeit von Hirnleistungsstörungen, die sich im Alltag auswirken, verdoppelt sich vom 60. bis zum 95. Lebensjahr alle 5 Jahre. Verbesserungen der Lebensbedingungen und Fortschritte der medizinischen Versorgung führen dazu, dass die Gruppe der Betagten und Hochbetagten am stärksten anwächst. Hirnleistungsstörungen sind indessen nicht Ausdruck des normalen Alterns, sondern umschriebene Krankheitsbilder. Epidemiologische Studien belegen, dass von den Hirnleistungsstörungen zwei Drittel bis drei Viertel ausschliesslich oder wesentlich durch die Alzheimer Krankheit bedingt sind. Die klinische Diagnose der Demenz ist heute meist erst zu jenem Zeitpunkt möglich, an dem bereits ein namhafter Anteil der Hirnleistungs-Kapazität aufgebraucht ist. Da frühe Zeichen einer Demenzerkrankung von Patienten und Angehörigen häufig bagatellisiert werden, wird bei vielen Patienten in früheren Stadien keine Diagnose gestellt, und entsprechend können diese nicht von den neuen symptomatischen Therapien profitieren. Dies ist umso problematischer, als dass therapeutische Massnahmen den Krankheitsprozess wahrscheinlich je weniger beeinflussen können, desto später sie eingesetzt werden. Die Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass Hirnleistungsstörungen nicht schicksalhafte Folgen des Alterns sein müssen, ist deshalb sehr wichtig. Historisches: 1797: Der franz. Arzt Pinel prägt dafür den Begriff "Demenz" (de = ohne, mens = Verstand). 1854: Rudolf Virchow benennt die Plaques im Gehirngewebe Amyloid (Stärkeähnliches), da sich diese Eiweißablagerungen wie Stärke einfärben lassen. 1859: Der Chemiker Kekuls, Entdecker des Benzolringes, erkennt, dass es sich bei dem Amyloid um eine eiweißhaltige Substanz handelt. um 1900: Als Ursache für senile Demenz wird normale Hirnalterung angenommen, die einhergeht mit: - einer Schrumpfung des Gehirns - klümpchenförmigen Gebilden im Gehirn (senilen Plaques). 1906: Der Nervenarzt Alois Alzheimer glaubte zunächst eine neue Krankheit entdeckt zu haben, als er die selben Verfallserscheinungen jedoch in ungewöhnlich starker Ausprägung und sehr raschem Fortschreiten bei einer 51 Jahre alten Patientin beobachtete. Bei der Obduktion der im Alter von 56 Jahren Verstorbenen entdeckte er neben unzähligen Plaques auch noch Veränderungen die bislang noch nie beschrieben worden waren: - hoher Verlust von Nervenzellen - Neurofibrillenbündel innerhalb vieler überlebender Zellen Seite 1
Sein Vortrag "Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde" fand kein Interesse bei den Kollegen. Die Entdeckung passte nicht in das damalige psychologische Weltbild: Schwachsinn war eine Folge unzüchtigen Lebenswandels. 1911: Alzheimer stellt gleichartige Gewebsveränderungen des Gehirns auch bei Fällen von seniler Demenz fest. Er kommt zu der Überzeugung, dass die senile Demenz eine später einsetzende und langsamer verlaufende Variante der von ihm 1906 beschriebenen Krankheit ist. Diese Auffassung hat bis heute zu der unzutreffenden Unterscheidung von seniler und präseniler Demenz geführt. Erscheinungsbild /Diagnosestellung Im Anfangsstadium ist eine Diagnosestellung sehr schwierig. Der Übergang von normaler geistiger Fähigkeit über vielleicht etwas exzentrisch bis zu dementen Symptomen ist fliessend. Doch folgende Situationen sollten Anlass für weitere Abklärung geben: Wenn der Betroffene selbst über ein schlechtes Gedächtnis und/oder über ein Nachlassen anderer mentaler Funktionen wie z.b. Antriebsstörung, Interesseverlust klagt. Wenn Angehörige über Verhaltensänderung, Gedächtnis- oder andere mentale Störungen berichten. Die Betroffenen beklagen sich oft nicht spontan über ihre Gedächtnisschwierigkeiten. Im Frühstadium einer Demenz vertuschen oder verleugnen sie häufig eine Beeinträchtigung der Hirnleistungen. Bei Anzeichen eignen sich als Screening-Methode der sogenannte MiniMentalTest mit gezielten Fragen und kleinen Gedächtnisspielchen, sehr informativ ist der sogenannte Uhrentest, bei dem der Betroffene eine Uhr zu zeichnen hat. Verlauf und Schweregrade Im Allgemeinen beginnen die ersten Anzeichen von Alzheimer mit 65 Jahren oder später. Oft werden diese ersten Symptome für normale Zeichen des Alterns gehalten. Über die Jahre hinweg verschlimmern sich die Symptome jedoch. Die meisten Personen leben nach der Diagnose noch etwa 6 bis 8 Jahre, manche jedoch auch 20 Jahre. Sie sterben meist an typischen Alterserkrankungen wie Lungenentzündung. Frühstadium: Die Betroffenen leiden unter nachlassendem Gedächtnis, haben vielleicht Schwierigkeiten sich auszudrücken, haben weniger Lust etwas zu unternehmen oder werden aggressiver. Meist hält man diese Veränderungen noch für normale Alterserscheinungen. Betroffen ist vor allem das Kurzzeitgedächtnis. Obwohl man sich an Kindheitserlebnisse gut erinnern kann, fällt einem partout nicht ein, was man einkaufen wollte oder gerade am Telefon gesagt hat. Seite 2
Mittleres Stadium: Fortgeschrittenes Stadium: In dieser Phase müssen die Betroffenen zunehmend die Hilfe von anderen beanspruchen, können aber ihren Alltag mit Unterstützung noch bewerkstelligen. Manche Patienten haben immer mehr Mühe mit der Verständigung, andere mit der Orientierung in Zeit und Raum. Die Behinderung ist nun offensichtlich und zeigt sich z.b. an der Unfähigkeit, allein zu essen, zu laufen oder das WC zu benutzen. Familienangehörige werden nicht mehr erkannt und die Patienten sind vollkommen abhängig von der Hilfe anderer. In diesem Stadium ist häufig die Pflege in einem Heim notwendig (falls die Patienten sich nicht angepasst verhalten). Diese verschiedenen Stadien verlaufen nicht bei allen Patienten gleich. Manche werden eher aggressiv, manche depressiv. Auch können sich klare und "verwirrte" Tage abwechseln. Therapiemöglichkeiten Die Therapie der Alzheimer Krankheit hat in den letzten Jahren dank interdisziplinärer Forschung Fortschritte gemacht. In kontrollierten Studien wurde nachgewiesen, dass die Verschlechterung der Hirnleistung bei der Alzheimer Krankheit mit Cholinesterasehemmern um 6-10 Monate verzögert werden kann. Sozialmedizinische Interventionen erwiesen sich in kontrollierten Studien als weitere wirksame Massnahmen. Ähnlich wichtig, aber weniger gut dokumentiert, ist die Behandlung organischer oder psychischer Erkrankungen, welche eine Demenz begleiten und deren Folgen verschlimmern können. So ist die Behandlung der Alzheimer Krankheit ähnlich wie die von AIDS oder Krebs zu einer anspruchsvollen interdisziplinären Aufgabe geworden. Sie befindet sich zur Zeit noch im Stadium der wirksamen symptomatischen Therapie. Der grosse Durchbruch bei der Demenzbehandlung mit der Möglichkeit, den fortschreitenden degenerativen Prozess definitiv aufzuhalten, ist jedoch noch nicht erfolgt. Eine erfolgreiche Patientenbetreuung hat zum Ziel, die Verhaltensstörungen zu vermindern, die Selbständigkeit zu optimieren und eine sichere und geschützte Umgebung zu schaffen, alles in einem Klima der Menschlichkeit. Dafür gelten folgende Grundsätze: Regelmässige ärztliche Kontrollen zur Überwachung des Patienten und dessen Gesundheit. Begleiterkrankungen sind zu beurteilen und zu behandeln, Medikationen sind periodisch zu überprüfen und medikamentenfreie Intervalle in Betracht ziehen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Familie und den Krankenpflege-Anbietern ist unabdingbar. Der Aufbau und die Erhaltung einer guten Beziehung zu den Betreuern sind eine wichtige Informationsquelle über Veränderungen Die Grenzen der Belastbarkeit der betreuenden Personen sind zu beachten. Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen kann helfen, die Not der Betreuer zu lindern und Gefühle von Angst, Frustration und Schuld abzubauen. Den Stimmungs- und Verhaltensstörungen sind besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie sollen dokumentiert und mit gezielten Massnahmen therapiert werden. Die Erhaltung der Mobilität hat hohe Priorität. Allenfalls wegen Zweiterkrankungen nötige Hilfsmittel müssen dem kognitiven Leistungsniveau der Kranken angepasst sein. Seite 3
Die Betreuer sind zu ermuntern das Umfeld und den Umgang den Bedürfnissen des Demenzkranken anzupassen. Brille und Hörapparat sind für die Kommunikation mit bestimmten Patienten unverzichtbar. Betreuer müssen täglich kontrollieren, ob diese getragen werden. Demenzpatienten sind empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen. Bei zu viel Stimulation kann die Desorientierung zunehmen oder eine Unruhe auftreten; bei zu wenig kann es zu einem Rückzug kommen. Tägliche Routine vermittelt Sicherheit und Vertrautheit. Die Familien und Betreuer im Umgang mit Gefahren beraten. In frühen Stadien bedarf die Beurteilung der Autofahrfähigkeit einer sorgfältige Evaluation. Später stellt sich u.a. das Problem des Weglaufens und in fortgeschrittenen Stadien v.a. in Pflegeheimen das der Sturzgefährdung und des Umgangs mit freiheitseinschränkenden Massnahmen. Medizinisch-ethische Kompetenz zeigen am Ende des Lebens der Demenzkranken. In fortgeschrittenen Stadien ist im interdisziplinären Team ethische Kompetenz gefragt. Der mutmassliche Wille des Patienten ist oberste Leitlinie für Therapien in der Endphase der Demenz. Medikamente Acetylcholinesterase-Hemmer Bei einer wahrscheinlichen Alzheimer Krankheit (leicht bis mittelschwer) sind AChE-H indiziert. Dies ist die am besten dokumentierte pharmakologische Behandlungsmöglichkeit. Die Therapie sollte nach Möglichkeit im Frühstadium der Krankheit begonnen werden. Der Einsatz von AChE-H bei schwerdementen Alzheimer-Patienten und bei Demenzerkrankungen anderer Ursache ist nicht ausreichend untersucht. Eine Stabilisierung, in manchen Fällen auch vorübergehende Verbesserung, der kognitiven Funktionen sowie eine "Verzögerung der Verschlechterung" dieser Funktionen sind als Therapieerfolg zu werten. Auch die Aktivitäten des täglichen Lebens (Alltagskompetenz), Verhalten und Stimmung der Patienten können positiv beeinflusst werden. Der Therapieerfolg misst sich an der Verbesserung oder Stabilisierung der Selbständigkeit, der Kognition, der Stimmung und des Verhaltens. Bei Zweifeln an der anhaltenden Wirksamkeit einer AchE-H-Therapie ist eine Medikamentenpause indiziert. Die Behandlung mit einem AChE-H sollte abgebrochen werden, wenn: störende, auf symptomatische Massnahmen oder Dosisreduktion nicht ansprechende klinisch relevante Nebenwirkungen auftreten; die Verbesserung der Hirnleistungen eine Verschlechterung in anderen Bereichen zur Folge hat (z.b. Depressionen oder Agitation), welche die Lebensqualität des Patienten und/oder seiner Angehörigen signifikant beeinträchtigt; die Demenz so weit fortgeschritten ist, dass eine Wirksamkeit des Medikamentes unwahrscheinlich ist. Da z.b. bei MMS unter 10 Punkten die Wirkung nicht nachgewiesen ist, sollte ein Absetzversuch erwogen werden. Bei Eintritt in ein Pflegeheim ist in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung die Indikation für die Fortführung oder Neuverordnung besonders sorgfältig zu stellen. Therapie mit anderen Substanzen In laufenden klinischen Studien werden z. Zt. andere Substanzen zur Verbesserung der Funktionen bei der Alzheimer Krankheit getestet. Dazu gehören Östrogene, nichtsteroidale Entzündungshem- Seite 4
mer, Vitamin E und Ginkgo-biloba-Extrakt. Die bisher publizierten Studien genügen nicht, um eine generelle Anwendung bei wahrscheinlicher Alzheimer Krankheit zu empfehlen. Die Wirkung von Nootropika bei der Alzheimer Krankheit konnte bisher nicht überzeugend nachgewiesen werden, so dass ihre Anwendung nicht zu empfehlen ist. Medikamentöse Therapien der Begleitsymptome Psychiatrische Symptome wie Depressionen, Unruhe, Angstzustände, paranoid-halluzinatorische Syndrome, Aggressionen und Schlafstörungen treten bei dementiellen Erkrankungen häufig auf. Es sind vor allem diese Störungen, die - neben einer weiteren Verschlechterung der Lebensqualität des Kranken - zu erheblichen Belastungen der Betreuenden führen. Sie sind nicht nur Folge degenerativer Prozesse im Gehirn, sondern auch Ausdruck des engen Wechselspiels mit psychosozialen Einflüssen, der Persönlichkeit und den noch vorhandenen Konfliktbewältigungsstrategien Nichtmedikamentöse Therapien Als Therapieangebote sind für die Kranken mit leichter bis mittelschwerer Demenz Gedächtnistraining, eine psychologische oder psychiatrische Begleittherapie (z.b. Verhaltens- und Kunsttherapie) und allgemein aktivierende Massnahmen (z.b. Spazieren, Malen, Tanzen, Wandern, Snoezeln und Schwimmen, natürlich immer unter Beachtung der früheren Gewohnheiten und Vorlieben des Kranken) empfehlenswert. Alle diese Massnahmen verbessern die Lebensqualität. Ein Therapieerfolg konnte für das Gedächtnistraining für Patienten in den Anfangsphasen nachgewiesen werden. Für die Alzheimerkranken im fortgeschrittenen Stadium sind Training der Alltagsfunktionen (z.b. Toilettentraining) und allgemein aktivierende Massnahmen angezeigt. Medizinische Aussichten In letzter Zeit liest und hört man immer von neuen, bahnbrechenden Therapien (Entzündungshemmer, Vitamine, Cholesterinsenker, Impfungen, Kombinationen davon) doch leider sind diese Forschungsprojekte alle noch nicht spruchreif. Aussagen über diese Entwicklungen sind also eher als Delphi sches Orakel denn als gesicherte Information zu werten. Seite 5