Temperatur- oder Druckdifferenz Welches ist der Antrieb der Wärmekraftmaschine?



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Transkript:

m538.qxp 10.11.008 18: Seite 1 PdN-PhiS x/56. Jg. 007 Temperatur- oder Druckdifferenz Welches ist der Antrieb der Wärmekraftmaschine? F. Herrmann 1 1 Einleitung Auf der MNU-Tagung 008 in Kaiserslautern habe ich einen Vortrag gehört, in dem es um Wärmekraftmaschinen ging. Der Referent ich nenne ihn A argumentierte, dass ein Temperaturgefälle vorhanden sein muss, damit die Maschine läuft. Die Temperaturdifferenz sei also ein Maß für den Antrieb. In der anschließenden Diskussion vertrat jemand aus dem Publikum ich nenne ihn B den Standpunkt, dass die Maschine aufgrund einer Druckdifferenz läuft. In den fünf Minuten, die eine solche Diskussion maximal dauern darf, konnte die Diskrepanz nicht beseitigt werden. Es blieb ein Unbehagen zurück. Einerseits ist A in bester Gesellschaft. Sein Argument stammt von Carnot, und schließlich steht es auch in jedem Lehrbuch der Thermodynamik. Andererseits braucht man nicht viel von Physik zu verstehen, um zu wissen, dass sich das Turbinenrad nur dann dreht, wenn zwischen Ein- und Ausgang der Turbine eine Druckdifferenz herrscht und das war das Argument von B. Um diesen Widerspruch soll es im Folgenden gehen. Ich nehme das Ergebnis schon voraus: Es ist kein Widerspruch. Beide, A und B, haben Recht. Es gibt keinen Grund zum Streit (und es gab auch keinen). Die Situation ist von einer Art, die berühmte historische Vorbilder hat. Newton sagte, Licht bestehe aus kleinen Partikeln, für Huygens war es eine Wellenerscheinung. Es hat 00 Jahre gedauert, bis man verstand, dass keiner von beiden Unrecht hatte. Oder: Für Descartes war das Maß für die Bewegungsmenge das Produkt m v. Leibniz war vehement anderer Meinung. Für ihn war es mv. Heute koexistieren beide Bildungen friedlich als Impuls bzw. kinetische Energie (vom Faktor 1/ abgesehen). Obgleich der Disput auf der MNU-Tagung keine historische Dimension hatte, so ist er doch von ähnlicher Art. Ein einfacheres System: das Wasserkraftwerk Um die Auflösung unseres Rätsels zu erleichtern, betrachten wir zunächst ein etwas einfacheres System: ein Wasserkraftwerk, Abb. 1. Das System ist deshalb einfacher, weil das flüssige Wasser, im Gegensatz zum Dampf, nicht komprimierbar ist. Wir werden später sehen, warum die Kompressibilität ein Problem verursacht. Sichtweise A Hier, beim Wasserkraftwerk, können wir uns den folgenden Disput vorstellen: Person A behauptet, die für das Funktionieren des Kraftwerks entscheidende Antriebsgröße sei das Gravitationspotenzial φ = gh, wo g der Ortsfaktor und h die Höhenkoordinate ist. Während das Wasser von der Höhe h zur Höhe h 1 fließt, also vom Gravitationspotenzial φ zum Potenzial φ 1, gibt es Energie ab, und diese geht über die Turbinenwelle zum Generator. (Wir nehmen an, dass keine Energie verloren geht.) A kann auch den Energiestrom P berechnen, der in das Wasserkraftwerk hineinfließt: P = (φ φ 1 ) I m, Hier ist I m der Massenstrom. Sichtweise B Person B ist anderer Meinung: Für sie ist für den Antrieb des Kraftwerks eine Druckdifferenz verantwortlich: die Differenz zwischen den Wasserdrücken p und p 1 an Einbzw. Ausgang der Turbine. B berechnet den Energiestrom zu P = ( p p 1 ) I V. Hier ist I V der Volumenstrom des Wassers, also der Wasserstrom gemessen in m 3 /s. Sichtweise C Und es gibt sogar noch eine dritte Meinung. Person C konzentriert sich auf das Turbinenrad der Freistrahlturbine. Das Wasser tritt als Strahl aus einer Düse aus, trifft auf die Turbinenschaufel, die gerade in seinem Weg steht und gibt seinen Impuls vollständig an diese Turbinenschaufel ab. Der Druck ist vor und nach dem Auftreffen derselbe, nämlich Normaldruck. Der Unterschied besteht in der Geschwindigkeit des Impulsleiters. C berechnet den Energiestrom nach: P = (v v 1 ) I p. I p ist der Impulsstrom, der aus dem Strahl in die Turbinenschaufel geht. v ist die Geschwindigkeit des Wasserstrahls, und v 1 die Geschwindigkeit der Turbinenschaufel (die den Impuls des Wassers übernimmt). Vergleich der Sichtweisen Es fällt uns in diesem Fall nicht schwer, zwischen den Standpunkten von A, B und C zu vermitteln. Alle drei haben ja auch für den Energiestrom denselben Wert gefunden (wie sich leicht nachrechnen lässt 1 ). Der Unterschied ist: Jeder hat eine andere Systemgrenze gewählt. Für A ist das System am größten, Abb. 1a. Der Eingang liegt oben am Stausee. Das Wasser am Eingang und am Ausgang unterscheidet sich im Gravitationspotenzial, siehe auch Tab. 1. Die Drücke sind an Eingang und Ausgang gleich, nämlich Normaldruck, und auch die Geschwindigkeiten sind gleich, nämlich praktisch 0. Für B liegt der Eingang unten vor der Turbine, Abb. 1b. Das Gravitationspotenzial ist am Eingang und am Ausgang dasselbe, die Geschwindigkeiten sind dieselben (praktisch null), nur die Drücke sind verschieden. Für C schließlich sind Gravitationspotenzial und Druck an seinem Eingang und Ausgang gleich, aber die Geschwindigkeiten unterscheiden sich, Abb. 1c. Also: Wenn sich A, B und C verständigen wollen, müssen sie sich zunächst darauf einigen, wie die Systemgrenzen liegen sollen, d. h., über welches System sie überhaupt sprechen: das Kraftwerk als ganzes (A), die ganze Turbine (B) oder nur das Turbinenrad (C). Wir wollen rückblickend noch einmal erklä-

m538.qxp 10.11.008 18: Seite PdN-PhiS 1/56. Jg. 007 ren, was uns überhaupt veranlasst, eine Größe als Antriebsmaß zu interpretieren. Wenn wir den Energiestrom, der in ein System hineinfließt, in der Form P = (ξ ξ 1 ) I X (1) schreiben können, wo I X für den Strom einer beliebigen mengenartigen Größe steht, so interpretieren wir die Differenz (ξ ξ 1 ) als Antrieb für die Maschine. Es gibt noch andere Formeln, die diese Struktur haben. Die Energie, die in einen Elektromotor hineinfließt, berechnet sich zu P = (ϕ ϕ 1 ) I = U I. Hier ist die elektrische Potenzialdifferenz (ϕ ϕ 1 ) = U das Antriebsmaß. Die Energie, die in eine Brennstoffzelle hineinfließt, berechnet sich zu P = (µ µ 1 ) I n. Hier ist I n der Stoffmengenstrom, und die chemische Potenzialdifferenz (µ µ 1 ) ist das Antriebsmaß. 3 Die Wärmekraftmaschine 3.1 Aufbau einer Wärmekraftmaschine Ganz ähnlich lässt sich der Widerspruch beim Wärmekraftwerk auflösen. Ich will zunächst den Aufbau der kompletten Wärmekraftmaschine in Erinnerung rufen, Abb.. Ich beschreibe eine vereinfachte Version der Maschine. Sie unterscheidet sich von einer echten Wärmekraftanlage in einem modernen Kraftwerk mindestens so stark wie die im Magnetfeld rotierende Leiterschleife von einem echten Generator. Das Arbeitsmedium wir nehmen an es sei Wasser fließt in einem geschlossenen Kreislauf. In dem Kreislauf befinden sich vier Bauelemente, in denen sich die Werte der physikalischen Größen des Wassers ändern. Wir verfolgen eine Wasserportion auf ihrem Rundweg und beginnen beim Dampferzeuger (oder Kessel). 1. Dampferzeuger 1 Um die beiden ersten Energieströme miteinander zu vergleichen, braucht man die Beziehungen p = ρ g h und I m = ρ I V. Um die dritte mit der zweiten zu vergleichen braucht man I p = ρ v A. (A ist die Querschnittsfläche des Strahls. Man muss außerdem wissen, dass die Geschwindigkeit v 1 der Turbinenschaufel gleich v / sein muss. Dann wird nämlich das Wasser so reflektiert, dass seine Geschwindigkeit im Bezugssystem der Erde gleich null ist und die Turbine mit dem maximalen Wirkungsgrad läuft.) Der Dampferzeuger ist ein Wärmetauscher auf der hohen Temperatur T. Unsere Wasserportion nimmt Entropie auf. Da ein Phasenübergang stattfindet, bleibt ihre Temperatur T konstant. Um die flüssige Portion von ihrer ursprünglich niedrigeren Temperatur T 1 auf T zu bringen, wird nicht viel Entropie gebraucht. Wir wollen hier davon absehen.. Turbine In der Turbine gibt der Dampf Energie ab. Die Temperatur nimmt ab auf fast Umgebungstemperatur T 1, der Druck nimmt entsprechend ab, d. h. auf den Sättigungsdampfdruck bei Umgebungstemperatur. Die Entropie der Wasserportion ändert sich nicht. 3. Kondensator Der Kondensator ist ein Wärmetauscher auf der niedrigen Temperatur T 1. Unsere Wasserportion gibt die ganze Entropie, die sie im Kessel aufgenommen hat, an das Kühlwasser ab. Druck und Temperatur ändern sich nicht. 4. Speisepumpe Das flüssige Wasser wird mit einer Pumpe wieder auf Kesseldruck gebracht. Dabei ändert sich die Temperatur praktisch nicht und auch der Entropieinhalt unserer Portion bleibt konstant niedrig. Nun zurück zu unserer Frage nach der Antriebsgröße. Wir diskutieren im Folgenden zwei mögliche Wahlen. 3. Die Carnot sche Systemgrenze Person A legt die Systemgrenze so, dass ins System hinein und aus dem System heraus nur ein Entropiestrom I S mit dem zugehörigen Energiestrom fließt. Der Energiestrom berechnet sich zu P = (T T 1 ) I S. () Bei einem echten, großen Dampfkraftwerk wird das Wasser bis zur kritischen Temperatur erhitzt. Hier ist die Entropiezufuhr in der flüssigen Phase nicht klein gegen die beim Phasenübergang. Die Schaltung einer solchen Anlage ist kompliziert. Die Anlage arbeitet dann nicht einfach zwischen einer hohen und einer niedrigen Temperatur, sondern die verschiedenen Stufen der Turbine arbeiten zwischen unterschiedlichen Temperaturen. A beschreibt das Kraftwerk also so: Die über den Dampferzeuger in den Wasserkreislauf eintretende Entropie geht in der Turbinenanlage von der hohen zu niedrigen Temperatur. Die Temperatur spielt die Rolle der Antriebsgröße genauso wie die Höhendifferenz (oder Gravitationspotenzialdifferenz) beim Wasserkraftwerk oder bei einem Wasserrad. Diese Analogie benutzte auch schon Carnot in seinen Réflexions sur la puissance motrice du feu: Nach den zuvor angestellten Überlegungen, kann man mit ziemlicher Genauigkeit die Arbeitsfähigkeit (puissance motrice) der Wärme (chaleur) mit der eines Wasserfalls vergleichen: Beide haben ein Maximum, das nicht überschritten werden kann, welches auch einerseits die verwendete Maschine, die die Wirkung des Wassers ausnutzt, und andererseits die Substanz, die man verwendet, um die Aktion der Wärme zu empfangen, sein mag. Die Arbeitsfähigkeit eines Wasserfalls hängt von seiner Höhe und der Flüssigkeitsmenge ab; die Arbeitsfähigkeit der Wärme hängt ab von der verwendeten Menge des Caloricums (Calorique) und von dem, was man seine Fallhöhe nennen könnte, und was wir auch so nennen werden, d.h. die Differenz der Temperaturen der Körper mit denen das Caloricum ausgetauscht wird. [Übersetzung F. H.] [1] 3.3 Turbineneingang und -ausgang als Systemgrenze Person B legt die Systemgrenze anders, nämlich an Eingang und Ausgang der Turbine, so wie sie es auch bei der Wasserturbine gemacht hatte. Dabei entstehen allerdings einige Probleme. Wir beginnen mit einer Erwartung, die sich plausibel anhört, sich dann aber doch als falsch erweist. Wir versuchen, die Energiebilanz der Dampfturbine so zu formulieren, wie es Person B bei der Wasserturbine erfolgreich getan hatte: Der Druck am Eingang ist höher als am Ausgang, also verrichtet der Dampf an der Turbine Arbeit, und diese lässt sich als Druckdifferenz mal Volumenstrom ausdrücken. Dabei taucht das erste Problem auf: welcher Volumenstrom? Der Volumenstrom ist nämlich am Ausgang nicht derselbe wie am Eingang, denn der Dampf dehnt sich in der Turbine aus 3. Als Energiestromformel würde man daher vielleicht erwarten: P = p I V p 1 I V1, wo I V und I V1 die Volumenströme an Eingang bzw. Ausgang sind. Wir haben die Formel geraten, indem wir uns auf unsere me- 3 Beim Umgang mit der Größe Volumenstrom ist Vorsicht geboten, denn das Volumen erfüllt ein wichtiges Kriterium für die Mengenartigkeit einer Größe nicht: Es gibt zum Volumen keine Dichte und keine Stromdichte. Das hat auch zur Folge, dass man keinen Erhaltungsoder Nichterhaltungssatz über das Volumen aussprechen kann.

m538.qxp 10.11.008 18: Seite 3 PdN-PhiS 1/56. Jg. 007 3 chanische Intuition verlassen haben, aber wir haben falsch geraten. Ein Strömungsmaschineningenieur würde uns sofort, ohne nachzudenken, darauf aufmerksam machen, dass man zum Bilanzieren von Strömungsvorgängen die Enthalpie zu nehmen hat. Was ist damit gemeint? Der Dampf verrichtet an der Turbine nicht einfach Arbeit, aufgrund seines Druckes (genauer: aufgrund der Druckdifferenz zwischen Ein- und Ausgang). Er ändert in der Turbine noch seine Temperatur und damit seine innere Energie, und deren Änderung geht auch noch in die Bilanz ein. Wenn man zum Bilanzieren statt der inneren Energie die Enthalpie des Dampfes nimmt, kommt der Energiestrom, der über die Turbinenwelle abfließt, richtig heraus, aber die Suche nach einem Antriebsmaß war erfolglos. Wie kann es aber sein, dass uns unsere mechanische Intuition so in die Irre geführt hat? Schließlich ist doch für die Rotation des Turbinenrades einzig und allein die Kraft zuständig, die der Dampf auf die Turbinenschaufeln ausübt. Das trifft wohl zu. Die Druckverteilung an den Turbinenschaufeln ist aber sehr kompliziert. Der Druck nimmt ja innerhalb der Turbine nicht einfach stetig in Strömungsrichtung ab, sondern es herrschen auch Druckgradienten quer zur Strömungsrichtung. Eine Formel, die die Gestalt von Gleichung (1) hat, lässt sich nicht schreiben. Es gibt noch eine Beschreibung, die ohne die unanschauliche Enthalpie auskommt: Man bilanziert die echt mengenartigen Größen Entropie und Stoffmenge (aber nicht das Volumen). Die zu beiden gehörigen intensiven Größen Temperatur T und chemisches Potenzial µ haben vor und hinter der Turbine unterschiedliche Werte. Der Energiestrom, den die Turbine abgibt, ergibt sich daher zu: P = (T T 1 ) I S +(µ µ 1 ) I n. (3) Hier ist zu beachten, dass der Entropiestrom I S nicht der gleiche ist, wie I S in Gleichung (). I S ist nur der Entropiestrom, der im Dampferzeuger in den Wasser-Dampf- Kreislauf hineinfließt. I S ist der Gesamtentropiestrom, den der Wasserstrom mitführt. Das Wasser hat ja schon Entropie wenn es in den Dampferzeuger eintritt. I S ist also größer als I S. Der Beitrag (µ µ 1 ) I n zum Energiestrom in Gleichung (3) ist negativ und sorgt dafür, dass auch Gleichung (3) das richtige Ergebnis liefert, nämlich dasselbe wie Gleichung (). Die Rechnung ist recht kompliziert, und es wirkt fast wie ein Wunder, dass sich fast alles weghebt und schließlich dasselbe herauskommt, wie mit Gleichung (). Bei unserem Versuch, eine Antriebsgröße für die Turbine zu finden, sind wir also vom Regen in die Traufe gekommen. Eine Formel, die die Gestalt von Gleichung (1) hat, und in der die Druckdifferenz steht, lässt sich nicht angeben. Und wenn wir es mit den wirklich mengenartigen Größen versuchen, so brauchen wir gleich zwei Antriebe, und dabei bleibt die Anschauung ganz und gar auf der Strecke. 4 Folgerung Versuchen wir nicht, schlauer zu sein als Carnot. Seine Wahl der Systemgrenze ist geschickter als die Alternativen. Und sie verhilft zu einer Einsicht, die weit über die Dampfmaschine hinausgeht: Sie ist anwendbar auch auf alle anderen Maschinen und Geräte, die einen Temperaturunterschied ausnutzen, um elektrische oder mechanische Energie zu gewinnen, etwa die Solarzelle oder das Peltierelement, und auch die Umkehrungen dieser Maschinen, also Wärmepumpen und Kühlmaschinen aller Art. Ich möchte Carnot noch einmal selbst zu Wort kommen lassen []: Um das Prinzip der Erzeugung von Bewegung durch Wärme in seiner ganzen Allgemeinheit zu beschreiben, muss man es unabhängig von einem speziellen Mechanismus oder einer speziellen Substanz erfassen; die Überlegungen müssen anwendbar sein nicht nur auf Dampfmaschinen, sondern auf alle vorstellbaren Wärmekraftmaschinen (machines à feu), was auch immer die Arbeitssubstanz ist und was auch immer man mit dieser macht. [Übersetzung F. H.] Diese Auffassung kann man sicher als visionär bezeichnen. Schließlich muss man aber noch bemerken, dass es Carnot in einer Hinsicht leichter hatte als wir: Er hatte eine sehr konkrete Vorstellung von dem, was wir heute Entropie nennen und was er Calorique nannte. Diesen Vorsprung können wir aber leicht aufholen. Niemand sollte uns daran hindern, uns von der Entropie eine ebenso konkrete Anschauung zu bilden wie Carnot, nämlich als das, was man umgangssprachlich Wärme nennt. Wenn wir das tun, wird uns die Carnot sche Wahl der Systemgrenze nicht mehr willkürlich, sondern sehr natürlich erscheinen. Je konkreter man sich die Entropie vorstellt, desto einleuchtender wird das Carnot sche Wasserfallmodell. Literatur [1] Carnot, S.: Réflexions sur la puissance motrice du feu, Librairie scientifique et technique, A. Blanchard, Paris, 1953, S. 8. [] ebda., S. 8. Anschrift des Verfassers Prof. Dr. Friedrich Herrmann, Didaktik der Physik, Universität Karlsruhe, 7618 Karlsruhe, E-Mail: friedrich.herrmann@physik.uni-karlsruhe.de

m538.qxp 10.11.008 18: Seite 4 4 PdN-PhiS 1/56. Jg. 007 o A a) o 1 b) c) B C p p 1 v v 1 Abb. 1: Wasserkraftwerk mit drei unterschiedlichen Systemgrenzen. Ein- und Ausgang unterscheiden sich (a) im Gravitationspotenzial φ, (b) im Druck p und (c) in der Geschwindigkeit v. Antrieb 1 Antrieb Antrieb 3 A φ > φ 1 p = p 1 v = v 1 B φ = φ 1 p > p 1 v = v 1 C φ = φ 1 p = p 1 v > v 1 Tab. 1: Antriebe im Vergleich der Sichtweisen A, B und C

m538.qxp 10.11.008 18: Seite 5 PdN-PhiS 1/56. Jg. 007 5 Temperaturdifferenz oder Druckdifferenz Welches ist der Antrieb der Wärmekraftmaschine? F. Herrmann Welche Größe man als Antriebsgröße einer Maschine interpretiert hängt von der Wahl der Systemgrenze ab. Diese Wahl kann man mehr oder weniger zweckmäßig treffen. Die Beschreibung einer Wärmekraftmaschine wird besonders einfach, wenn man die Grenze so legt, dass kein Stoffstrom durch sie hindurchfließt. Bei dieser Wahl fließt (außer Energie) nur noch Entropie durch die Maschine hindurch. Sie fließt auf einer hohen Temperatur hinein und auf einer niedrigen Temperatur heraus. So betrachtet hat die Wärmekraftmaschine viel Ähnlichkeit mit einem Wasserrad. Diesen Vergleich hatte schon Carnot angestellt. PdN-PhiS x/57, S. xx T p m T p 1 1 m T 1 T 1 I S Dampferzeuger Turbine Kondensator I S B Speisepumpe l, n S l A Abb. : Wärmekraftmaschine mit zwei unterschiedlichen Systemgrenzen. In System A fließt ein Entropiestrom I S auf der hohen Temperatur T hinein, und derselbe Strom fließt auf der niedrigen Temperatur T 1 wieder heraus. Durch System B fließt der Entropiestrom I S > I S und der Stoffmengenstrom I n. Temperatur, Druck und chemisches Potenzial haben an Ein- und Ausgang von B unterschiedliche Werte und hängen auf komplizierte Weise miteinander zusammen.