Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen



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Transkript:

Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen OVG: 1 B 176/05 (VG: 4 V 698/05) Beschluss In der Verwaltungsrechtssache hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 14.07.2005 beschlossen: Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 18.05.2005 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt. Gründe: A. Der 1986 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger mit arabischer Muttersprache. Er kam 1989 mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland. Die Eltern des Antragstellers gaben sich und ihre Kinder als staatenlose Kurden aus dem Libanon aus und stellten unter dem Namen A. Asylanträge. Den Asylantrag des Antragstellers wies das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 07.07.1991 als offensichtlich unbegründet zurück. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 24.07.1991 zur Ausreise binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids bzw. Unanfechtbarkeit einer dazu ergangenen verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidung auf; für den Fall der Missachtung dieser Frist wurde die Abschiebung angedroht und festgesetzt. Weil die Abschiebung des Antragstellers in den Libanon nicht möglich war, wurde er zunächst geduldet. Von 1995 an erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Aufenthaltsbefugnis, die sie in der Folgezeit mehrfach, zuletzt bis zum 09.03.2002 verlängerte. Nachdem inzwischen aufgrund kriminalpolizeilicher Ermittlungen die wahre Identität des Antragstellers und seiner Familie festgestellt worden war, lehnte die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 31.08.2004 den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis ab; zugleich wurden die seit 1995 erteilten Aufenthaltsbefugnisse mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei angedroht und die sofortige Vollziehung der Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse und der Abschiebungsandrohung angeordnet. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Senator für Inneres und Sport mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2005 zurück. Über die Klage des Antragstellers ist noch nicht entschieden. Wegen einer Leukämieerkrankung konnte der Antragsteller von 1994 an für fünf Jahre nicht die Schule besuchen. Anschließend wurde er wegen seiner Lernrückstände auf eine Sonderschule verwiesen. Seit

2 dem Schuljahr 2003/2004 besucht er den Bildungsgang Berufseingangsstufe/Berufsfachschule im Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft eines Bremer Schulzentrums. Wegen der fortbestehenden Remission der Leukämie befindet sich der Antragsteller weiter in ärztlicher Behandlung. Er leidet zudem - möglicherweise als Folge der Leukämie bzw. deren Therapie - an beidseitigen Hüftkopfnekrosen. Der Antragsteller ist als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 30% eingestuft. Der Antragsteller hat beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis angeordnet und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung wiederhergestellt; hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse hat es den Antrag abgelehnt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. B. Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit das Verwaltungsgericht dem Begehren des Antragstellers stattgegeben hat, ist dies zu Recht geschehen. Die Darlegungen der Antragsgegnerin, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren beschränkt ist ( 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine andere Entscheidung. I. 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, dessen Asylantrag nach 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden ist, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Auffassung der Antragsgegnerin, die Sperrwirkung dieser Vorschrift greife auch dann ein, wenn ein Asylantrag - wie hier - nach früherem Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, findet im Gesetz keine Stütze. 10 Abs. 3 Satz 2 AuslG bezieht sich nicht auf alle als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylanträge, sondern nur auf eine bestimmte Fallgruppe der in 30 Abs. 1 bis 5 AsylVfG geregelten Ablehnungsgründe, nämlich die des Absatz 3. Erfasst sind Asylanträge, die - unabhängig davon, ob sie in der Sache selbst offensichtlich unbegründet oder nur unbegründet sind - als offensichtlich unbegründet gelten und wie diese zu behandeln sind, weil der Asylbewerber gegen Mitwirkungspflichten verstoßen hat, mehrfache Anträge unter verschiedenen Namen gestellt hat oder aufgrund schwerer Straftaten vollziehbar ausgewiesen ist. Die Regelung konnte erst eingeführt werden, nachdem die Voraussetzungen dafür durch eine Verfassungsänderung (Art. 16a Abs. 4 GG) geschaffen worden waren (zu Funktion und Entstehungsgeschichte des Abs. 3 vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Rn 41 zu 30 AsylVfG). Zum Zeitpunkt der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers gab es weder diese noch eine inhaltlich vergleichbare Regelung. 11 AsylVfG in der bis zum 30.06.1992 geltenden Fassung, auf den der gegen den Antragsteller ergangene Bescheid gestützt war, galt vielmehr nur für Anträge, die in der Sache selbst offensichtlich unbegründet waren. Das war nach 11 Abs. 2 AsylVfG a.f. insbesondere dann der Fall, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich war, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation oder einer kriegerischen Auseinandersetzung zu entgehen, in Deutschland aufhielt. Diese Regelung ist unverändert in 30 Abs. 2 AsylVfG der jetzt geltenden Fassung übernommen worden. Auf 30 Abs. 2 AsylVfG verweist 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aber gerade nicht. Auch den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt einen Asylantrag vor dem 01.07.1992 als in der Sache offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, vom 01.01.2005 an nunmehr die Ausländerbehörde nachträglich prüfen soll, ob das Bundesamt den Asylantrag auch aus den Gründen des 30 Abs. 3 AsylVfG hätte ablehnen können, wenn es diese Vorschrift damals schon gegeben hätte, damit ggf. die Sperrwirkung nach 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG greift.

3 II. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach 25 Abs. 4 Satz 1 AufenhtG erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis (u.a.) erteilt werden, solange dringende persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. 1. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift sei hier schon deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sei. Fraglich ist schon, ob sich 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine solche Einschränkung entnehmen lässt (a). Im Fall des Antragstellers greift sie jedenfalls nicht, weil die Klage gegen den Verwaltungsakt, der die Ausreisepflicht begründet, aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird (b). a) Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob die Auffassung der Antragsgegnerin zutreffend ist, eine Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG setze voraus, dass der Ausländer nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei. Der Wortlaut, auf den sich die Antragsgegnerin beruft, gibt für eine solche Einschränkung nichts her. Nicht zu überzeugen vermag auch die vom Bundesministerium des Innern vertretenen Ansicht (Nr. 25.4.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz vom 22.12.2004), für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer sei 25 Abs. 5 AufenthG eine lex specialis, die die Anwendung von 25 Abs. 4 AufenthG auf diesen Personenkreis ausschließe. Dagegen spricht schon, dass beide Vorschriften unterschiedliche Fallkonstellationen betreffen: Nach 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann nur eine Erlaubnis für den vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden, während nach 25 Abs. 5 AufenthG der Aufenthalt in Fällen, in denen mit dem Wegfall eines Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, also für längere Zeit erlaubt werden kann. Käme 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur den Ausländern zu gute, die nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind, würde der Anwendungsbereich des 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zudem gegen Null tendieren (so zutreffend das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in seiner ablehnenden Stellungnahme vom 08.01.2005 - Az. 45.2-12230/1-8 - unter Nr. 25.4.1; zit. nach dem Beschluss des Niedersächsischen OVG vom 27.06.2005-11 ME 96/05 -), die Vorschrift also faktisch leerlaufen. Vor allem aber spricht die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gegen die Interpretation der Antragsgegnerin: Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S.79f.) soll 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis eröffnen, deren Abschiebung bislang nach 55 Abs. 3 AuslG ausgesetzt werden konnte, während Abs. 5 (in der ursprünglich vorgeschlagenen Fassung) die Aufenthaltsgewährung in den bislang in 55 Abs. 4 AuslG genannten Fällen regeln soll. 55 Abs. 3 AuslG ermöglichte die Duldung eines Ausländers, solange er nicht unanfechtbar ausreisepflichtig ist oder wenn dringende. persönliche Gründe. seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Da eine Ausreisepflicht, die unanfechtbar ist, immer auch vollziehbar ist, sollte also die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht der Duldung nicht entgegenstehen, wenn die übrigen Voraussetzungen wie z.b. dringende persönliche Gründe für die weitere Anwesenheit erfüllt waren. An diesen sachlichen Voraussetzungen hat 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nichts ändern wollen; die Änderung sollte sich darauf beschränken, die Rechtsfolgen für den betroffenen Personenkreis zu verbessern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese ursprüngliche Zielsetzung im Vermittlungsausschuss aufgegeben worden wäre. Wie das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in der erwähnten Stellungnahme vom 08.01.2005 (a.a.o.) und in der Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - Vorl.Nds.VV-AufenthG - vom 31.März 2005 (Stand 01.07.2005 - abrufbar unter http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/c9350587 L20.doc, hier: Nr. 25.4.1.0) berichtet, ist im Vermitt-

4 lungsverfahren vergeblich beantragt worden, in 25 Abs. 4 Satz 1 die Einschränkung der noch nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist und in 25 Abs. 5 die Einschränkung nur aufzunehmen. All dies spricht dafür, 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer anzuwenden (ebenso: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.06.2005-11 ME 96/05 -; Nr. 25.4.1.0 Vorl.Nds.VV-AufenthG <a.a.o.>; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Rn 1 zu 60a; Heinhold, Die Aufenthaltserlaubnis nach 25 AufenthG, Asylmagazin 11/2004, S. 7 <12>; Fleuß, Neuerungen im Ausländerrecht nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes, BDVR-Rundschreiben Nr. 01-02/2005, S. 16 <28f.>). b) Einer abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es in dem hier zu entscheidenden Eilverfahren nicht, denn letztendlich kommt es darauf nicht an. Zwar ist der Antragsteller gegenwärtig vollziehbar ausreisepflichtig. Die Rücknahme der ihm erteilten Aufenthaltsbefugnisse ist nämlich sofort vollziehbar, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der dagegen erhobenen Klage als unzulässig abgewiesen und der Antragsteller dagegen keine Beschwerde erhoben hat. Im Rahmen der hier anzustellenden Interessenabwägung nach 80 Abs. 5 VwGO ist aber nicht (nur) auf den gegenwärtigen Zeitpunkt abzustellen; es sind (zumindest auch) die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu würdigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht nur über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, sondern zugleich auch über die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse zu entscheiden ist. Daraus folgt, dass auch die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse in diesem Eilverfahren zu berücksichtigen sind. Eine solche Würdigung ergibt, dass die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse aller Voraussicht nach keinen Bestand haben wird. Das folgt schon daraus, dass die Widerspruchsbehörde den Vortrag des Antragstellers über seine schwerwiegende langjährige Erkrankung sowie die Stellungnahme des Schulzentrums über seine Ausbildung nicht berücksichtigt hat, obwohl diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts rechtzeitig in das Verfahren eingeführt worden sind. Ohne Berücksichtigung dieser besonderen Umstände konnte das Ermessen, das die Behörde bei der Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse hat, nicht ordnungsgemäß ausgeübt werden. 2. Im Falle des Antragstellers fordern dringende persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet. Sie liegen in dem Interesse des Antragstellers begründet, die begonnene Ausbildung abzuschließen. a) Der Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung ist schon in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420 <S. 79f.>) als Beispiel für dringende persönliche Gründe im Sinne dieser Vorschrift benannt worden. Nach den Vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministerium des Innern (Nr. 25.4.1.3), auf die sich die Antragsgegnerin beruft, ist der Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung allerdings nur als dringender persönlicher Grund anzuerkennen, sofern sich der Schüler oder Auszubildende bereits kurz vor dem angestrebten Abschluss, zumindest im letzten Schul- bzw. Ausbildungsjahr befindet. Nach der Vorl.Nds.VV-AufenthG ist für die Frage, ob dringende persönliche Gründe vorliegen, primär auf die individuell-konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen (Nr. 25.4.1.2); auf das letzte Schuljahr soll es nur in der Regel ankommen (Nr. 25.4.1.2.1). Dem Gesetz lassen sich Anhaltspunkte für eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Ob die persönlichen Gründe des Ausländers so dringend sind, dass sie seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, ist aufgrund qualitativer Kriterien unabhängig von der Dauer der Ausbildung zu prüfen. Ein vorübergehender Aufenthalt im Sinne von 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann auch länger als ein Jahr sein; das ergibt sich schon aus 26 Abs. 1 AufenthG. Entscheidend für die Frage, ob die Tat-

5 bestandsvoraussetzungen des 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist allein, dass es sich um einen vorübergehenden, also nicht auf Dauer gerichteten Aufenthalt handelt. Das ist aber regelmäßig der Fall, wenn der Aufenthalt an die Dauer einer bereits begonnenen Ausbildung geknüpft wird, mit deren Abschluss in überschaubarer Zukunft zu rechnen ist. Damit wird die Dauer der Ausbildung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht bedeutungslos. Sie ist aber nicht schon bei den Tatbestandsvoraussetzungen des 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, sondern erst auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen. Zum einen begrenzt 26 Abs. 1 2. Hs. AufenthG die Dauer der Aufenthaltserlaubnis in den Fällen, in denen der Ausländer sich noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, auf längstens sechs Monate; eine Verlängerung ist nur unter den Voraussetzungen des 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG möglich. Zum andern kann sich die Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Ermessensentscheidung auch von der Erwägung leiten lassen, dass eine Ausbildung erst gerade begonnen und noch nicht weit gediehen ist. Dabei kann es auch rechtmäßig sein, wenn die Ausländerbehörde darauf abstellt, ob die Ausbildung noch länger als ein Jahr dauert oder nicht. Eine solche zeitorientierte Betrachtung kann aber nicht schematisch erfolgen, sondern muss immer auch die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Diesen kommt gerade im Fall des Antragstellers besonderes Gewicht zu. b) Der Antragsteller schließt in diesen Tagen den zweijährige Bildungsgang Berufseingangsstufe/Berufsfachschule ab; damit erwirbt er zugleich den Hauptschulabschluss (vgl. hierzu und zum Folgenden 26 Abs. 1 und 2 BremSchulG und die Verordnung über die Berufsfachschule mit berufsqualifizierendem Abschluss im Lande Bremen vom 04.07.1998, Brem. GBl. S. 225). Dieser Bildungsgang (vgl. 2 Abs. 1 Nr. 2 BremSchulG) bildet zugleich die Grundstufe der Berufsfachschule mit berufsqualifizierendem Abschluss. An sie schließt sich die mindestens einjährige Fachstufe an. Nach Mitteilung des Schulzentrums ist die Ausbildung bisher erfolgreich verlaufen. Der Antragsteller hat sich zum Schuljahr 2005/06 für die einjährige Fachstufe für hauswirtschaftliche Dienstleistungen angemeldet, die zum erweiterten Hauptschulabschluss führt. Langfristig hält das Schulzentrum auch den Besuch der daran anschließenden einjährigen Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Sozialwirtschaft, die zum Realschulabschluss führt, für denkbar und empfehlenswert. Beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller, einen weiteren erfolgreichen Schulbesuch vorausgesetzt, zum Ende des Schuljahres 2005/2006 einen (ersten) berufsqualifizierenden Abschluss erwirbt. Nach dem Ende der derzeitigen Sommerferien befindet sich der Antragsteller daher im letzten Schuljahr. Für dieses Schuljahr ist seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet aus dringenden persönlichen Gründen erforderlich. c) 26 Abs. 1 2.Hs. AufenthG steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zum Ende des Schuljahres 2005/2006 nicht entgegen. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Würdigung muss nämlich davon ausgegangen werden, dass sich der Antragsteller mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Das folgt daraus, dass die Rücknahme seiner Aufenthaltsbefugnisse - wie dargestellt - aller Voraussicht nach keinen Bestand haben wird. 3. Die nach 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Ermessensentscheidung hat die Widerspruchsbehörde nicht getroffen. Sie hat sich zu Unrecht durch 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gebunden gesehen. Zudem hat sie, wie erwähnt, die vorgetragenen persönlichen Umstände des Antragstellers nicht berücksichtigt. Die Klage des Antragstellers wird deshalb aller Voraussicht zumindest zu einer Verpflichtung zur Neubescheidung über das Begehren des Antragstellers führen, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, kommt möglicherweise auch die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Betracht, weil sich der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde wegen der Besonderheiten des Einzelfalls auf Null reduziert haben könnte. Gründe,

6 die Veranlassung geben könnten, trotz des relativ kurzen Zeitraums und der schweren Erkrankung des Antragstellers das Ermessen zu seinen Lasten auszuüben, sind gegenwärtig jedenfalls nicht ersichtlich. Auf die Tatsache, dass der Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält, kann die Ablehnung wegen 5 Abs. 3 Hs. 2 AufenthG nicht gestützt werden (vgl. auch den bereits zitierten Beschluss des Niedersächsischen OVG vom 27.06.2005). 4. Die Frage, ob dem Antragsteller auch eine eventuelle Fortsetzung der schulischen Ausbildung (Berufsfachschule für Haushaltswirtschaft und Sozialwirtschaft mit Realschulabschluss) im Schuljahr 2006/2007 zu ermöglichen ist, stellt sich gegenwärtig nicht. Bis zum eventuellen Beginn dieses Ausbildungsabschnitts dürfte das Verwaltungsgericht über die Klage entschieden haben. Dabei könnte sich eine Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung des Antragstellers ergeben, wenn die Klage auch hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse Erfolg hat. Die Kostenentscheidung folgt aus 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. gez. Stauch gez. Göbel gez. Alexy