Zulassung für Medizinprodukte? Die ENVI-Änderungsvorschläge 12. September 2013 9. Augsburger Forum für Medizinprodukterecht RAin Maria Heil
Der Auslöser - PIP - Sachverhalt: Verwendung von billigem Industriesilikon für Brustimplantate Häufigeres Reißen der Implantate + Hervorrufen von Entzündungen Implantate mussten häufiger operativ entfernt werden Allein in Deutschland etwa 5000 Frauen betroffen, europaweit > 300.000 x implantiert Gerichtliche Entwicklung: 7400 Nebenklägerinnen bei Betrugsprozess in Marseille Antrag StA: 4 Jahre Haft, Antrag Anwalt Mas: teilweise Freispruch, Urteil erwartet für 10. Dezember 2013 Parallel: Zivilklagen gegen TÜV Rheinland wegen mangelnder Kontrollen (teilweise bereits abgewiesen, jetzt 2. Instanz), AOK Bayern prüft ebenfalls Klage 2
Die Reaktion Öffentliche Diskussion über die Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten Öffentliche Kritik an Konformitätsbewertungsverfahren und fehlenden Kontrollen durch die Benannten Stellen Kritik an Rolle der Benannten Stellen als privatrechtliche Unternehmen Ruf nach (zentralem) Zulassungssystem (angelehnt an Arzneimittel-Zulassungen) Öffentliche Diskussion über Sinn und Unsinn eines Zulassungssystems für Medizinprodukte Langfristig geplanter Recast des europäischen Medizinprodukterechts enthält Verschärfungen hinsichtlich Kontrolle und Überwachung von Medizinprodukten Entwurf eines Berichts über die Änderung der MP-Verordnung durch Dagmar Roth- Behrendt als Berichterstatterin des ENVI (für MP) enthält dreistufiges Marktzulassungsverfahren 3
Part I EU-Gesetzgebung und ENVI: Vorstellung & Einordnung 4
Was ist ENVI? Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 69 Mitglieder größter von 22 ständigen Ausschüssen Vorbereitung der Entscheidung des Plenums Hauptarbeitsort der Abgeordneten Verabschiedete Amendments = Änderungsanträge des Parlaments zum Gesetzesentwurf der EU-Kommission 5
Quelle: Wikipedia 6
Wann genau wird der Ausschuss tätig? 1. Federführender Ausschuss setzt sich mit Kommissionsvorschlag auseinander 2. Stellungnahme und Änderung zum Kommissionsentwurf des federführenden Ausschusses 3. Stellungnahme anderer Ausschüsse zu Änderungsanträgen des federführenden Ausschusses 4. Abstimmung über finale Stellungnahme 5. Überleitung der finalen Stellungnahme zur Abstimmung im Parlament, das in erster Lesung Stellungnahme als Standpunkt bestätigt 7
Aktueller Stand Bisher: 26. September 2012: Kommission legt Vorschlag für neue MP- Verordnung vor Anfang März 2013: Expertenanhörung zu dem Verordnungsentwurf im Europäischen Parlament 12. April 2013: Berichterstatterin für MP-Verordnung (Frau Roth- Behrendt) legt Entwurf für Änderungsvorschläge des EP vor Zurzeit: Überarbeitung Entwurf durch Kompromissvorschläge Geplant: 18. September 2013: Endgültiger Entwurf der Stellungnahme des ENVI erwartet 22. Oktober 2013: Abstimmung des EP erwartet 8
Part II ENVI Inhalt des Berichtsentwurfs vom 12. April 2013 zu MP- Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission 9
Das bisherige Verfahren: CE-Kennzeichnung Definition Medizinprodukt Klassifizierung ( I, II a, II b, III) Festlegung des Konformitätsbewertungsverfahrens (je nach Produktklasse) Technische Dokumentation Audit der Benannten Stelle (falls in Verfahren vorgesehen) 10
Neues Zulassungssystem für Medizinprodukte (Vorschlag im Berichtsentwurf von Frau Roth-Behrendt) Zentrale Zulassung Innovative implantierbare Produkte Innovative Produkte gemäß Artikel 1 Absatz 4 Innovative Produkte gemäß Artikel 1 Absatz 5 und Anhang VII Nummer 5.3 (Regel 11) Innovative Produkte, die unter Verwendung von nicht lebensfähigen oder abgetöteten Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs oder ihren Derivaten hergestellt werden. Dezentrale Zulassung Produkte der Klasse III Nicht innovative implantierbare Produkte Nicht innovative Produkte gemäß Artikel 1 Absatz 4 Nicht innovative Produkte gemäß Artikel 1 Absatz 5 und Anhang VII Nummer 5.3 (Regel 11) Nicht innovative Produkte, die unter Verwendung von nicht lebensfähigen oder abgetöteten Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs oder ihren Derivaten hergestellt werden. Konformitätsbewertungsverfahren Alle sonstigen Medizinprodukte 11
Zentrales Zulassungsverfahren (Vorschlag im Berichtsentwurf von Frau Roth-Behrendt) Innerhalb der EMA wird ein Ausschuss für die Genehmigung von Medizinprodukten gebildet Antrag durch Hersteller unter Beifügung Unterlagen nach Anhängen VII, IX und X Gutachten soll nach 210 Tagen beendet sein ABER: Clock-Stop bei Nachforderung zusätzlicher Unterlagen durch Ausschuss, nach Ende Gutachten weitere Verfahrensschritte vorgesehen, die Verfahren auf mehr als 1 Jahr strecken können (exkl. Clock-Stop) Unangekündigte Inspektionen möglich, wenn Ausschuss dies für Gutachten als erforderlich ansieht 12
Vergleich: Zulassungsverfahren bei Arzneimitteln in der EU Wann ist das zentrale Zulassungsverfahren nötig? Arzneimittel mit Hilfe von rekombinierter DNS kontrollierter Expression in Prokaryonten & Eukaryonten EMA zuständig Verfahren auf Basis von Hybridomen & monoklonalen Antikörpern AM, die neuen Wirkstoff enthalten & dessen ther. Indikation = Behandlung von Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen, Diabetes, erworbenes Immundefizienz-Syndrom, Viruserkrankungen, Autoimmunerkrankungen & and. Immunschwächen AM zur Behandlung von seltenen Leiden EMA publiziert EPAR Zulassung durch EU- Komm. aufgr. Gutachten CHMP erstellt wiss. Gutachten CHMP wissenschaftliche Bewertung 13
Zeitlicher Ablauf zentraler Zulassungsverfahren 1. Phase 120 Tage Assessment 3. Phase 30 Tage Assessment nach clock-stop Antworten auf offene Fragen 2. Phase 60 Tage Assessment nach clock-stop wegen Antwort Antworten auf Frageliste 4. Phase Entscheidung CHMP Positiv: keine Verlängerung Negativ: Einspruch + 120 Tage 14
Dezentrales Zulassungsverfahren (Vorschlag im Berichtsentwurf von Frau Roth-Behrendt) Antrag durch Hersteller in Mitgliedstaat (kann auch zentrale Zulassung wählen) Prüfung durch Mitgliedstaat in neuem elektronischen Zulassungssystem, ob Zulassung in anderem Mitgliedstaat bereits erteilt oder anderer Antrag anhängig Mitgliedsstaat stellt sicher, dass Entscheidung über gültigen Antrag innerhalb von 210 Tagen Einmaliger Clock-Stop zur Nachforderung zusätzlicher Informationen, aber Höchstfrist 60 Tage Nach erteilter Zulassung Veröffentlichung durch zuständige nationale Behörde innerhalb von 15 Tagen, zusätzlich Erstellung eines Bewertungsberichts und Kommentierung des Dossiers bzgl. Klinischer Prüfungen und Risikomanagementsystem Inkenntnissetzung der EMA 15
Kritik am Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte mit hohem potentiellen Risiko Zu rasche Genehmigung Mangel an Transparenz Zu rasches Inverkehrbringen Gefährdung von Patienten 16
Gegensteuerung mit Änderungsvorschlägen für Medizinprodukte mit hohem potentiellen Risiko Zu rasche Genehmigung Mangel an Transparenz Ausschuss innerhalb EMA (zentrale Zulassung) für Produkte innovativer Art Schaffung eines elektronischen Systems für Registrierung von Anträgen, Erteilung, Widerruf und Aussetzung von Genehmigungen Für andere Produkte dezentrale Zulassung (gegenseitige Anerkennung) mit Möglichkeit des zentralen Verfahrens Bei dezentralem Verfahren Unterrichtung über jede erteilte Genehmigung für Inverkehrbringen 17
Sonstige Vorschläge im Berichtsentwurf des ENVI (I) Benannte Stellen Kennzeichnung: Einmalprodukte Klinische Prüfungen Präzisierung der Vorschriften betr. Personal in nationalen Behörden, das für Benennung und Überwachung zuständig ist Ständig kompetentes Personal in Benannten Stellen Begründung der maßgeblichen nationalen Behörde bei Abweichungen von Empfehlungen der Koordinierungsgruppe Nur 2 Optionen: Einmalprodukte und Wiederverwendbare Produkte Strengere Standards bei Aufbereitung & weiterhin für Klasse I, IIa, IIb Möglichkeit der Kennzeichnung als Einmalprodukt Schnellverfahren: Anfechtung der Kennzeichnung als Einmalprodukt &Verlagerung der Haftung nach Aufbereitung Definition von Leistung & Bewertung durch Ethik- Kommission weiterhin erforderlich Mehr Transparenz durch Mitteilung von Informationen über Studienabbrüche in allen Mitgliedstaaten 18
Sonstige Vorschläge im Berichtsentwurf des ENVI (I) Eudamed Vigilanz & Marktüberwachung Abstimmung Mitgliedstaaten/ Koordinierungsgruppe Grds. zu wenig Bestimmungen über Transparenz von Informationen Hinreichende Rückverfolgung bei Vorkommnissen nicht gewährleistet Unsicherheit der Kommission bzgl. Fachwissen der Koordinierungsgruppe Angemessener Zugang der Öffentlichkeit bei Informationen bzgl. Gefahr für öff. Gesundheit & Sicherheit Fehlende Angaben: Datum & Ort der Vork., Angaben zum Patienten oder Nutzer Zusätzlich: Multidisziplinär beratender Ausschuss aus Sachverständigen und Vertretern von Interessengruppen 19
Andere beteiligte Ausschüsse Ausschuss IMCO EMPL EESC Tätigkeitsfeld Inhalt der Stellungnahme Binnenmarkt & Verbraucherschutz Rolle im Gesetzgebungsverfahren Änderungsvorschläge zum ENVI- Entwurf Schließt sich Kommission an Kein zentrales Zulassungsverfahren isv ENVI Stärken der Kontrolle der Benannten Stellen Beschäftigung & soz. Angelegenheiten Änderungsvorschläge zum ENVI- Entwurf Keine Auseinandersetzung mit Zulassungsverfahren an sich Änderungen berufsgruppenbezogen Wirtschafts- & Sozialausschuss Änderungsvorschläge zum ENVI- Entwurf Geeignetes, EUeinheitliches Zulassungsverfahren bei Klasse III- Produkten ABER: Bedenken hins. zentralisiertem System Verzögerung 20
Part III Argumente für und gegen neuen Vorschlag zu Zulassungsverfahren im Berichtsentwurf 21
Argumente für entsprechende Änderungen - insb. Spitzenverbände der ges. KV - USA hat Zulassungsverfahren bereits eingeführt Trotzdem Marktführer Durchschnittliche Dauer: 90 Tage (bei nicht neuartigen Produkten) bzw. 518 Tage (bei neuartigen Produkten inklusive Studiendurchführung) im Durchschnitt Gewinn an Sicherheit durch zentrale Zulassung Testung der Sicherheit von Autos, Flugzeugen, Zügen und Autos auch teuer Marktanteil der Hochrisiko-Medizinprodukte bei nur ca. 2% 22
Kritik Literatur & Wirtschaft Kein Regelungsdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit Gesetzliche Anforderungen an CE-Zulassung bei Risikoklasse III ähnlich hoch wie bei Arzneimitteln Verbesserung der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen sowie der Kontrolle bei Herstellern und im Markt effektiver als neues Zulassungssystem Konsequenz: Verzögerung der Zulassung Weder industrie- noch patientenfreundlich Innovationsbremse Kein Gewinn an Sicherheit Trotzdem noch Schlupflöcher, PIP-Skandal wäre auch bei zentraler Zulassung möglich gewesen Keine Berücksichtigung der Wettbewerbssituation mittelständischer Unternehmen Medizintechnikbranche mittelständisch 23
Kritik Literatur & Wirtschaft Kriterien für Klassifizierung nicht eindeutig Wann ist ein Produkt innovativ? Nicht-innovativ? Sind innovative Produkte immer risikoreicher als nicht-innovative Produkte? Fundamentale Unterschiede zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten Beispiel randomisierte kontrollierte Studien: Bei MP regelmäßig nicht durchführbar Neues Zulassungssystem spiegelt aber Unterschiede zwischen den Produktarten nicht mehr wider 24
Welche Meinung haben Sie? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 25
Maria Heil, M.C.L. (Mannheim/Adelaide) Königsallee 59 40215 Düsseldorf maria.heil@cliffordchance.com Telefon: 0211 43 55 5469 Telefax: 0211 43 55 5600, Königsallee 59, 40215 Düsseldorf 2013 Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors Sitz: Frankfurt am Main AG Frankfurt am Main PR 1000 Die nach 5 TMG und 2, 3 DL-InfoV vorgeschriebenen Informationen finden Sie unter: http://www.cliffordchance.com/german-regulatory