Die Parteien in Bayern im Lichte der Landtagswahl 2013 Tagungsbericht: Dr. Florian Hartleb, Hochschule für Politik Die in Kooperation zwischen der Hochschule für Politik in München und der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit durchgeführte Expertentagung wollte am 12. und 13. Juli gezielt die Situation der Parteien in Bayern im Vorfeld der Landtagswahl analysieren. Ziel der Tagung war es, jenseits tagesaktueller Trends die Situation in Bayern vor dem Hintergrund der langfristigen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und der Verflechtungen mit der Bundestagswahl zu analysieren. Neue Herausforderungen durch moderne Kommunikationstechnologien, die Wahlkämpfe und Wahlentscheidungen beeinflussen können, wurden ebenso beleuchtet wie rechtsextremistische Parteien und die weiteren Parteien im Schatten der Macht, die in der Medienberichterstattung meist unter Sonstige fallen. Die Ergebnisse der Tagung unter Einbeziehung der Landtagswahlergebnisse werden in der von LZ und HfP herausgegebenen Publikation Landtagswahl und Parteien in Bayern 2013 Eine Bilanz (Koordination: Dr. Hartleb) dokumentiert, die im Frühjahr 2014 erscheinen wird. In der Einführung hob Prof. Dr. Rupert Stettner, Rektor der Hochschule für Politik, auf die besondere Stellung und Verantwortung von Parteien im politischen System der Bundesrepublik deutlich. Diese genössen nicht nur dem Grundgesetz zufolge ein Parteienprivileg, sondern hätten gerade in Deutschland zur Schaffung eines demokratischen Bewusstseins beigetragen. Monika Franz von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit betonte die Aufgabe der politischen Bildung, Demokratielernen auch informativ und multimedial zu vermitteln. So stünden neben wissenschaftlichen Veranstaltungen vor Fachpublikum wie in dieser Tagung niedrigschwellige Angebote wie der in Zusammenarbeit mit dem BJR und der bpb von der LZ entwickelte Bayern-Wahl-O-Mat. Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, führte auf Basis einer Definition des Begriffs Parteiensysteme in das Parteiensystem Bayerns ein. Zwar habe dieses Parteiensystem nach wie vor einen vergleichsweise niedrigen Grad der Fragmentierung, dennoch sei die Volatilität der Wahlergebnisse seit 2003 deutlich angestiegen. Die Hegemonialstellung der CSU mit deren Verankerung in der Bevölkerung sorge nach wie vor für einen bayerischen Sonderfall, zumal der Abstand zwischen der erstund zweitstärksten Partei, also die Asymmetrie innerhalb des Systems, besonders hoch sei.
Anschließend stellte Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap, neue demoskopische Entwicklungen vor. Die enge zeitliche Verzahnung zwischen Landtags- und Bundestagswahl mache die Differenzierung für die Meinungsforschung besonders kompliziert, insgesamt zeige sich die bayerische Bevölkerung mit der Landesregierung aber mehrheitlich zufrieden. Der CSU werde anders als dem Regierungspartner FDP die Kompetenz zugeschrieben, den Wirtschaftsstandort Bayern stärken zu können. Die SPD wiederum könne sich selbst bei ihrem Kernthema soziale Gerechtigkeit nicht im gleichen Maße distinktiv positionieren. Das gelte auch im Verhältnis der Spitzenkandidaten Horst Seehofer und Christian Ude. Die Hochwasserkatastrophe werde sich ebenso wenig gravierend auf die Wahlentscheidung auswirken, wie die Amigo-Affäre im Landtag. Prof. Dr. Andreas Kost von der Landeszentrale für politische Bildung NRW strich die grundsätzlichen Chancen und Risiken von direkter Demokratie heraus. In Bayern hätten gerade lokale Bürgerbegehren eine eminente Bedeutung, wobei auch hier Parteien in das Geschehen eingriffen und direktdemokratische Elemente zum Mittel des Parteienwettstreits machten. Mit Blick auf Volksbegehren und -entscheide sorge nach wie vor das Nicht- Raucher-Volksbegehren für Diskussion, das von der ÖDP und der Zivilgesellschaft im November 2008 erfolgreich initiiert wurde. Die Tagung konzentrierte sich im nächsten Abschnitt auf die einzelnen Parteien. Dr. Michael Weigl vom Geschwister-Scholl-Institut der LMU München porträtierte die CSU und ging dabei vor allem auf innerparteiliche Entscheidungs- und Modernisierungsprozesse ein. Obwohl die CSU keineswegs den Querschnitt der Bevölkerung repräsentiere, sei sie etwa im Vergleich zur SPD stark verankert (etwa 1.000 Ortsverbände mehr) und verfüge als Staatspartei über beträchtliche Ressourcen. Programmatisch habe sich die CSU etwa mit Einführung der Frauenquote stark gewandelt und sei pragmatisch ausgerichtet. Im Wahljahr zeige die Partei ihre traditionelle Geschlossenheit. Dr. Henrik Gast von der Universität Düsseldorf stellte die Grünen als Premiumoppositionspartei vor. Obwohl die Partei durchaus innovativ agiere, auch mit einer medial kaum beachteten Parteireform namens Mein Bayern, habe sie nach wie vor Schwierigkeiten, ein Kompetenzfeld jenseits der Umweltpolitik aufzubauen, das breite Wahrnehmung erführe. Zudem sei die Aussicht, Regierungspartei zu werden, durchaus gering. Generell sei nach dem allgemeinen Tenor der Tagung eine Koalition gegen die CSU
wie 1954 äußerst unwahrscheinlich. Die derzeitige Opposition habe es auch schwer, eine gemeinsame Front gegen die Regierungsparteien aufzubauen. Die FDP, die im Zuge der letzten Wahl von einer nicht-etablierten Kleinpartei zur Regierungspartei aufgestiegen ist, stand im Fokus von Jan Treibel, Universität Duisburg- Essen. Die FDP Bayern sei stets in hohem Maße von bundespolitischen Stimmungstrends abhängig gewesen. Als Partei verfüge sie in Bayern über relativ starke Bezirksverbände, was sich aber nicht auf der Ebene der Ortsverbände widerspiegele. Ihren regionalen Schwerpunkt habe sie in Oberbayern. Mehr und mehr versuche die Partei, ihr Profil durch Kompetenz in der Netzpolitik zu schärfen. Prof. Dr. Ulrich Eith von der Universität Freiburg, zudem Direktor des Studienhauses Wiesneck, Buchenbach betitelte seinen Vortrag über die Freien Wähler (FW) mit Protestpartei unter falscher Flagge?. Mit dem Erfolg in Bayern (10,2 Prozent bei der Landtagswahl 2008) war es zum ersten Mal einer freien Wählervereinigung gelungen, in einen Landtag einzuziehen. Die Basis der FW fuße auf der Stärke in den Kommunen, dem Appell an ein bestimmtes Lebensgefühl, der charismatischen Rolle ihres Spitzenkandidaten und einer gewissen Anti-Parteien-Haltung. Damit erfüllten die Freien Wähler die Merkmale einer klassischen Protestpartei, die gleichwohl ein klares Profil vermissen lasse. Dennoch hätte eine mögliche Koalition aus CSU und FW durchaus Charme für die Bevölkerung, hätte aber gleichwohl mit hoher Wahrscheinlichkeit die Entzauberung und Marginalisierung der Freien Wähler zur Folge. Alexander Hensel von der Universität Göttingen analysierte die Piratenpartei Bayern. Die junge Partei hat eine äußerst dynamische und damit schwer einzuschätzende Entwicklung genommen, hat aber wohl keine Chance, in den Bayerischen Landtag oder in den Bundestag einzuziehen. Wähler und Aktivisten der Partei seien mehrheitlich junge, technik- und internetaffine, bislang häufig nicht politisch aktive Menschen, die mit der herkömmlichen Politik unzufrieden seien. Schlüsselwörter auch für die Bayernwahl seien Datenschutz, Transparenz und Mitbestimmung, ohne dabei auf regionale Spezifika abzustellen. Der bayerische Landesverband stehe mit 6.500 Mitgliedern vergleichsweise gut da. Auffällig sei aber, wie wenig Nektar die Piraten aus dem Prism-Skandal zu saugen vermögen. Wie Prof. Dr. Uwe Kranenpohl von der Evangelischen Hochschule Nürnberg herausstrich, habe sich die ÖDP in Bayern weniger über Wahlergebnisse, sondern vielmehr über das
Mittel der direkten Demokratie profiliert. Sie initiierte zwei letztlich erfolgreiche Volksbegehren in Bayern: das erste gegen den Willen vor allem der CSU unter dem Motto Schlanker Staat ohne Senat! die Abschaffung der zweiten Gesetzgebungskammer (1996/97). Das Volksbegehren Für echten Nichtraucherschutz von 2008 setzte die Rücknahme der Lockerung des Rauchverbots um, die der Landtag auf CSU-Initiative beschlossen hatte. 2004 klagte die ÖDP vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen die Einführung eines Drei-Länder-Quorums, das die Hürden für den Erhalt von staatlicher Parteienfinanzierung heraufgesetzt hätte. Programmatisch ist die Partei ökologisch für Tierschutz als Verfassungsziel und gegen Kernenergie und zugleich gerade im familienpolitischen Feld wertkonservativ ausgerichtet. Die Verankerung im christlichen Weltbild sei ein herausragendes Merkmal der Parteimitglieder. Dr. Florian Hartleb, Hochschule für Politik und Universität Bonn, widmete sich der Linken in Bayern und hob die Eisntufung der Partei durch den bayerischen Verfassungsschutz als linksextremistisch hervor. Die Linke sei insofern ein politischer Faktor, als sie der damalige CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber im Landtagswahlkampf von 2008 zum Hauptfeind Nr. 1 erklärte ( Kreuzzug gegen die Linke ). Mittlerweile habe sich die von Chaos und Sektierertum geprägte Partei auf niedrigem Niveau stabilisiert. Es werde ihr aber ein Landtagseinzug kaum gelingen, ebenso die Wiederholung des Ergebnisses von 2008, 4,4 Prozent, da der Partei auch ein landespolitisches Profil fehle. Ein eigener Teil der Tagung hinterfragte die mögliche neue Gefahr durch Rechtsextremismus, aktuell geworden durch den NSU-Terrorismus und den gerade stattfindenden Prozess in München, wie durch die Debatte um das Verbot der rechtsextremistischen NPD. Referentin war Dr. Britta Schellenberg vom Centrum für angewandte Politikforschung in München. In Deutschland gebe es eine dramatische Gewaltquote im rechstextremistischen Milieu, bei Wahlen könnten rechtsextremistische Parteien aber kaum reüssieren, was auch für die neue Partei Die Freiheit zu erwarten sei. In Bayern habe die NPD derzeit an die 850 Mitglieder. Die Partei habe in Oberbayern und Unterfranken wegen hausgemachter Versäumnisse nicht genügend Stimmen sammeln können, weshalb sie dort nicht mit einer Bezirksliste antritt. Bei der Landtagswahl 2008 kam sie auf 1,3 Prozent. Die Referentin sieht ein Wahrnehmungsproblem, der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden im Umgang mit Rechtsextremismus.
Im Anschluss an die detaillierten Parteienporträts ging es wieder um grundsätzliche Fragen. Prof. Dr. Frank Decker von der Universität Bonn untersuchte den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Landtags- und Bundestagswahlen. Insgesamt lasse sich ein starker Nebeneinfluss der Bundespolitik auf Landtagswahlen konstatieren, der sich im sog. Zwischenwahleffekt zeige. Landtagswahlen könnten Stimmungsbarometer ebenso sein wie Sanktion für die Bundespolitik, zudem in begrenztem Maße Indikator für mögliche Koalitionsperspektiven im Bund. Decker monierte, dass Landespolitik zu stark durch die bundespolitische Brille gesehen werde und hält die Präsidentialisierung der Länderregierungssysteme, etwa durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten, für eine Möglichkeit, diese Aporie des föderal-demokratischen Prozesses aufzulösen.. Vor dem Hintergrund der im Mai 2014 stattfindenden Europawahl und der derzeit diskutierten Eurowährungskrise sprach Prof. Dr. Roland Sturm (Universität Erlangen- Nürnberg) über das Thema Europa im bayerischen Wahlkampf und darüber hinaus. Generell sei die Diskussion um die Rolle Europas immer noch ein Randthema, die Parteien zeigten wenig Interesse an der Klärung institutioneller Fragen. Aktuell bröckele der proeuropäische Konsens auch in Bayern, obwohl die neu gegründete euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) nicht bei der Bayernwahl antrete. Die öffentliche Meinung habe ein Misstrauen gegenüber den Rettungspaketen für die Krisenländer entwickelt. Die Themen Demokratiedefizit und Staatsschuldenkrise würden nach Einschätzung Sturms weiterhin für Diskussionen sorgen, auch wenn durch nationale und europäische Eliten Sachzwänge als Argumente angeführt würden. Mit den Wahlkämpfen im digitalen Zeitalter beschäftigte sich Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha, ebenfalls von der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Parteien in Bayern hätten teilweise ihren Nutzen aus der technologischen Revolution gezogen, etwa mit der stärkeren Affinität hin zur Netzpolitik. Dennoch sei das Internet bislang kaum ein Kampagneninstrument, zumal die Möglichkeit zur Interaktivität kaum angemessen genutzt werde. Am Ende der Tagung stand die Revitalisierung der alten Kontroverse, ob in Bayern die Uhren anders gehen. Das prominent besetzte Streitgespräch, zwischen Heinrich Oberreuter (Universität Passau) und Ulrich von Alemann (Universität Düsseldorf) wurde von Prof. Dr. Manuela Glaab (Universität Koblenz-Landau) moderiert. Heinrich Oberreuter strich die Leistungen der CSU heraus, vor allem wirtschafts- und bildungspolitisch den Freistaat
modernisiert zu haben. Die Revolution fresse ihre Eltern, da die Hegemonialpartei vor den Herausforderungen durch rasche gesellschaftliche Wandlungsprozesse nicht verschont geblieben sei. Ulrich von Alemann stellte einen Bezug zur SPD in Nordrhein-Westfalen her, die ihren Status als dominante Partei kurzzeitig verloren zu haben schien, diesen aber schnell wieder herstellen konnte. Der CSU-Erfolg sei im engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Performanz zu sehen. Solange diese stimme, so der abschließende Tenor, würden die Uhren in Bayern auch zukünftig anders gehen.